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Love is Loud – Ich höre nur dich

Page 13

by Engel, Kathinka


  17

  Franzi

  In den letzten Wochen, so scheint es, sind immer größere Touristenströme in die Stadt geflossen. Zuerst genoss ich es, mich mit jedem Ausflug ins French Quarter mehr als ein Teil von ihnen zu fühlen und in der Masse unterzugehen. Doch dann fing ich an, mich nicht mehr als Teil von ihnen zu fühlen, sondern als etwas Eigenes. Nicht als Einheimische, das wäre vermessen. Aber New Orleans gibt mir das Gefühl, dazuzugehören. Meine Scheu gegenüber der fremden Umgebung nimmt konstant ab, und ich mag es, die Augen unauffällig nach einem gewissen Gitarristen offen zu halten. Einige Male traf ich ihn. Manchmal spielte er nur noch ein, zwei Songs, um mich dann auf meinen Streifzügen zu begleiten, mir etwas über die Stadt zu erzählen oder mich Bekannten von ihm vorzustellen. Es scheint, als würde er einfach jeden kennen: Ladenbesitzer, Tarotkartenleger, Maler, Musiker.

  Hugo kommt immer seltener mit. Er verschanzt sich in seinem Garten, wirkt noch mürrischer und nachdenklicher als sonst. Grundsätzlich scheint er einfach wenig Lust zu haben, Zeit mit mir zu verbringen. Er ist und bleibt ein schlecht gelaunter Einzelgänger, der mit niemandem so richtig klarkommt. Aber ich habe einen Umgang damit gefunden. Statt mich ihm aufzudrängen, erledige ich die Kleinigkeiten, um die Faye mich bittet, allein. So habe ich einen Grund, in die Stadt zu fahren, auch wenn Hugo keine Lust darauf hat .

  Wie jedes Mal, wenn ich im French Quarter bin, halte ich auch heute Ausschau nach Link. New Orleans ist zwar keine kleine Stadt, aber der touristische Teil ist durch seinen leicht unordentlichen Schachbrettaufbau ziemlich übersichtlich. Und wenn man weiß, wo man suchen muss, stehen die Chancen ziemlich gut, dass man irgendwo hinter einer Traube aus Touristen eine tiefe, etwas heisere Stimme hört, die bewirkt, dass man bei knapp dreißig Grad und gefühlten neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit eine Gänsehaut bekommt.

  Auf einmal ertönt hinter mir ein Pfiff. Ich bleibe stehen, sodass der Strom aus Menschen sich teilen muss. Es ist schon komisch. Früher waren so viele Leute auf einem Haufen mein Albtraum. Aber hier, in der Sonne von New Orleans, gehören sie zum Stadtbild dazu. Ich drehe mich um und erblicke Link, der auf der Mauer vor einem der kleinen Hotels sitzt.

  Mit einem Satz springt er hinunter und schlendert, die Hände in den Taschen seiner weiten Leinenhose, zu mir. Augenblicklich beschleunigt sich mein Herzschlag.

  »Entschuldigen Sie, aber kennen wir uns nicht von irgendwoher?«, fragt er.

  Ich lächle ihn an. Es macht mich froh, ihn zu sehen. Nicht nur, weil ich in New Orleans kaum Bekannte habe, sondern auch, weil ich mich seltsam besonders fühle, wenn er in meiner Nähe ist. Seine Selbstverständlichkeit, die Leichtigkeit, mit der er sich bewegt, sein verschmitztes Grinsen und die wachen Augen bewirken, dass man von ihm wahrgenommen werden will.

  »Spielst du heute gar nicht?«, frage ich etwas enttäuscht, denn wenn er singt, lädt sich die Welt um ihn herum mit irgendetwas auf – ich kann es kaum benennen. Der Klang seiner Musik durchdringt mich so vollkommen. Als wäre das Leben wertvoller.

  »Wir spielen heute Abend wieder im Cat’s Cradle «, sagt er. » Der Vormittag war so erfolgreich, dass ich meine Stimme lieber schone. Und was führt dich hierher?«

  Er nimmt wie automatisch meine Richtung und mein Tempo auf, und wir schlendern nebeneinanderher. Die Touristenmassen scheinen auf einmal nicht mehr zu existieren. Wenn Link neben mir hergeht, gibt es nur noch ihn und mich.

  »Ich soll für Faye ein Shampoo abholen. Bei ihrem Friseur.«

  »Ich komme mit«, sagt er. »Vielleicht lasse ich mir die Haare schneiden.« Er grinst. »Oder ich lasse mir so was machen.« Mit der linken Hand greift er nach meinem Haarknoten. Ich genieße die Berührung, das kribbelige Gefühl in meinem Nacken. Es ist so unschuldig und dennoch aufregend. Seit Jahren habe ich mich nicht mehr so gefühlt. Definitiv nicht mit Langweiler-Elias. Wahrscheinlich noch nie.

  Ich würde so gern die Augen schließen, den Kopf neigen, ihm näher sein. Doch ich traue mich nicht. Dieser Flirt macht mir zu viel Spaß, als dass ich ihn mit einer blöden Kurzschlussreaktion ruinieren würde.

  »Wie lange trägst du deine Haare schon so?«, fragt er.

  »Seit ich elf bin oder so«, sage ich.

  »Oh, wow!« Link pfeift durch die Zähne. »Hattest du nie Lust auf etwas anderes?«

  »Warum, gefällt es dir nicht?«, frage ich und ärgere mich darüber, dass mir seine Meinung anscheinend wichtig ist.

  »Mir würde es gefallen, wenn ich deine Ohren sehen könnte.«

  Ich spüre, dass ich rot werde. Schnell prüfe ich, ob meine Ohren von meinen Haaren verdeckt werden. Doch natürlich gucken sie hervor.

  »Hey, ich meine das ernst«, sagt er.

  »Ich mag meine Ohren nicht. «

  »Sie gehören zu dir. Solltest du sie da nicht mögen?«

  Vielleicht, denke ich.

  Wir erreichen Fayes Friseursalon, doch in diesem Moment klingelt Links Handy. Er geht dran, und bereits nach wenigen Sekunden ist klar, dass er losmuss. Ich versuche meine Enttäuschung zu verbergen.

  »Sorry«, sagt er, »kleiner Notfall. Meine Nichte ist krank und muss von ihrer Tagesmutter abgeholt werden. Aber hast du Lust, heute Abend zu unserem Gig zu kommen? Es geht um acht los, was bedeutet, dass wir um halb neun anfangen.« Er grinst. »Oh, und ich habe noch etwas für dich.«

  Aus der Hosentasche zieht er eine Plastikperlenkette und legt sie mir um den Hals. Dann grinst er mich schelmisch an und tippt mit seinem Zeigefinger auf seine Wange. »Tradition«, sagt er, und ich werde den Teufel tun, ihm zu sagen, dass es diese Tradition nicht gibt.

  In meinem Magen flattert irgendwas, und meine Wangen werden warm. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, und während ich mich nach vorne beuge, kommt er mir leicht entgegen. Ich drücke meine Lippen auf seine Haut und sauge gleichzeitig seinen Duft ein. Eine Mischung aus Sonne, Parfüm und Schweiß.

  Der Moment ist viel zu schnell vorbei. Ich blicke Link nach, wie er die Straße überquert. Sein Gang kommt mir federnder vor als sonst.

  Mit einem Kribbeln im Bauch betrete ich den winzigen Friseursalon. Ein warmes Licht strahlt auf den dunklen Holzfußboden. Es duftet nach Blumen und Honig.

  »Du bist spät dran«, sagt ein streng dreinblickender Mann mit perfekt getrimmtem, grau meliertem Bart und einem schicken Undercut. Sein französischer Akzent ist deutlich zu hören .

  »Spät dran? Aber ich dachte …« Ich hatte mir extra die Öffnungszeiten eingeprägt. Und jetzt ist erst früher Nachmittag. Außerdem, woher weiß er überhaupt, dass ich kommen wollte?

  »Dein Termin. Um vierzehn Uhr.« Er tippt ungeduldig auf das Ziffernblatt seiner großen silbernen Armbanduhr.

  »Oh, ach so, nein.« Ich lache etwas schüchtern, aber dennoch erleichtert. Er verwechselt mich. »Ich habe keinen Termin. Ich wollte nur ein Shampoo kaufen.«

  »Kein Termin?«, fragt er. »Du bist nischt Erica Fowley?«

  »Leider nein.«

  »Und du möschtest auch keinen ’aarschnitt? ’alber Preis, weil isch misch sonst ohne’in langweile.«

  »Nein, danke.«

  »Bei deinem Kopf!«, sagt er, und ich ziehe fragend die Augenbrauen in die Höhe. Was ist mit meinem Kopf? »Isch ’abe sofort ein Bild vor meinem inneren Auge. Du solltest die ’aare nischt in einem Dutt verstecken, Darling. Niemand sollte das.«

  Erst will ich mich rechtfertigen, doch dann besinne ich mich eines Besseren. Stattdessen nenne ich ihm den Namen von Fayes Shampoo, bezahle und verlasse den Salon wieder.

  Draußen schlägt mir die warme Stadtluft entgegen, aufgeladen mit verschiedenen Gerüchen – nicht alle davon angenehm. Sofort sehne ich mich nach der Kühle der Klimaanlage in Thibauds Salon. Sollte ich vielleicht doch …?

  Ich drehe mich um und blicke durch das Fenster in den hübschen Salon. Thibaud ist mit einer silbern glänzenden Kaffeemaschine beschäftigt und hat mir den Rücken zugewendet. Ein Haarschnitt hier kostet mit Sicherheit ein Vermögen. Ich atme tief ein und beginne zu zählen.

  Eins .

  Allerdings habe ich in den letzten Jahren nie Geld für einen Friseur ausgegeben.

  Zwei.

>   Drei.

  Vier.

  Meine Arme fangen an, leicht zu kribbeln. Auf einmal werde ich ganz nervös.

  Fünf.

  Ich bin wirklich kurz davor, meine Haare abschneiden zu lassen. Meine Ohren zu zeigen.

  Sechs.

  Aber wie Link gesagt hat. Es sind meine Ohren. Und ich sollte vielleicht anfangen, sie zu mögen.

  Sieben.

  Acht.

  Es muss ja auch nicht gleich eine richtige Typveränderung sein, beruhige ich mich.

  Neun.

  Es könnte so eine kleine Typveränderung sein. Eine klitzekleine.

  Zehn.

  »Wenn das Angebot noch steht, würde ich den Termin vielleicht doch wahrnehmen«, sage ich zögerlich, als ich wieder vor dem dunklen Holztresen stehe und in Thibauds wissende Augen blicke.

  »Dachte isch mir. Cappuccino?«

  Er führt mich zu einem der beiden schicken schwarzen Ledersessel und bedeutet mir, Platz zu nehmen. Mein Herzschlag geht schnell.

  »Dann wollen wir mal«, sagt er. »Bereit?«

  In einem gekonnten Schwung legt er mir einen Umhang um die Schultern. Ich nicke zögerlich, während ich gleichzeitig das Gefühl habe, ich sollte vielleicht doch wieder aufstehen und gehen, bevor ich es am Ende bitter bereue. Ich betrachte mich selbst im Spiegel. Mein Gesichtsausdruck verrät, dass ich in meinem Inneren irgendwo zwischen Panik, massivem Unwohlsein und Aufregung schwanke.

  »Bevor isch dir die Haare wasche, werden wir erst einmal das ’ier los«, sagt Thibaud und löst mein Haargummi. »Du siehst be-zau-bernd aus.«

  Ich runzle die Stirn. »Na ja«, erwidere ich.

  »Du siehst es nischt? Ha!«, macht er. »Und weißt du auch, warum? Weil du disch zu gut kennst. Deswegen muss eine Veränderung her.«

  Tatsächlich fühle ich es in diesem Moment ganz deutlich. Es muss eine Veränderung her. Ich merke jeden Tag, dass etwas mit mir passiert, dass ich mehr zu der Person werde, die ich sein will. Dazu gehört auch, mich von diesem Ballast zu lösen. Beinahe tut es mir leid, meinen Haarknoten als Ballast zu bezeichnen, aber hier und jetzt empfinde ich ihn als solchen. Als Überbleibsel.

  Während Thibaud mit langsam massierenden Bewegungen meine Haare wäscht und eine duftende Spülung einwirken lässt, halte ich meine Augen geschlossen und genieße das Gefühl, umsorgt zu sein. Umsorgt, aber auf eine reife Art, als würde ich dabei ernst genommen. Es geht um mich, ohne dass ich dabei bevormundet würde.

  »Also dann, sag au revoir! « Thibaud wedelt mit einer Schere vor mir herum.

  »Au revoir «, flüstere ich.

  Und dann schneidet er als Erstes ungefähr zwanzig Zentimeter meiner Haare einfach ab. Strähne für Strähne. Er ist völlig radikal in der Art, wie er die Schere durch die dicken Haare zwingt. Ich kann nicht hinsehen und schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, hält Thibaud mir eine Handvoll Haare vor die Nase .

  »Und? War das so schlimm?«, fragt er.

  Ich schüttle den Kopf und merke, wie meine Haare schwingen. Schon jetzt fühle ich mich regelrecht erleichtert.

  »Willst du sie be’alten?«

  »Ich glaube nicht«, sage ich, lache unsicher und höre im nächsten Moment, wie meine Haare mit einem dumpfen, fast toten Geräusch auf dem Boden landen. Und doch ist es, als würde auch gleichzeitig eine Last von mir abfallen.

  Nach einer Dreiviertelstunde sind meine Haare geschnitten und geföhnt, und der Anblick meiner neuen Frisur im Spiegel verschlägt mir den Atem. Thibaud hat mir einen leicht fransigen Bob geschnitten und mit etwas Schaumfestiger so gestylt, dass meine Haare voluminös und frech aussehen. Meine Ohren halten sie zurück, und auf einmal finde ich den Anblick gar nicht mehr so schlimm. Selbst mein Gesicht ist ein vollkommen anderes unter dem überlangen Pony, der zur Seite gekämmt ist.

  »Ich … das …« Es gelingt mir kaum, meine Emotionen in Worte zu fassen.

  »Das passiert mir ’äufiger«, sagt Thibaud und winkt ab. »Aber isch muss sagen, dass diese Verwandlung tatsäschlisch beeindruckend ist.«

  Er greift erneut zur Schere und schneidet hier und da noch einmal nach. Doch ich bekomme kaum noch mit, was um mich herum geschieht. Zum ersten Mal in meinem Leben blicke ich mein Spiegelbild an und habe das Gefühl, diese Person tatsächlich sein zu wollen.

  18

  Lincoln

  »Love is me, love is you,

  Love is here, love is soon,

  Love is real, love is true «, singe ich, und die Menge im Cat’s Cradle wogt. Es ist Blythe’s Song, den Jasper und ich ein Jahr nach ihrem Tod geschrieben haben. Wir haben die gesamte Wut, die gesamte Traurigkeit hineingepackt und sie angereichert mit einer machtvollen, kräftigen, hoffnungsvollen Melodie und einem Rhythmus, der nicht weniger als Spaß am Leben ausdrücken soll.

  »Love is hard, love is sweet, love is mild.

  Love is loud, love is bold, love is wild.«

  In diesem Moment schiebt sich ein mir bekannter Kopf in mein Blickfeld. Natürlich hat sie sich nicht nach vorne gestellt, das würde nicht zu ihr passen. Aber es ist ihr gelungen, sich durch die Menge zu kämpfen. Und dort, beinahe versteckt hinter einem bulligen Kerl mit Glatze, steht sie und strahlt. Sie sieht mich direkt an, direkt in meine Augen oder vielleicht sogar noch tiefer.

  Ich schenke ihr ein Lächeln, von dem jede Frau hier im Raum denkt, es gelte ihr. Allen voran Esmé, die in der ersten Reihe ihre Hüften kreisen lässt. Doch ich weiß, für wen es bestimmt ist – und sie weiß es auch. Denn sie erwidert es auf eine Art, die ich so von ihr noch gar nicht kannte. Es wirkt komplett gelöst. Und in diesem Moment fällt mir auf, dass ihr gesamtes Erscheinungsbild verändert ist. Wie konnte mir das entgehen? Sie hat ihre Haare abgeschnitten, sieht lebendig aus. Frech. Ihr Lächeln wirkt auf eine verspielte Weise nun noch echter und ehrlicher. Vielleicht spinne ich mir auch etwas zusammen, hier auf meiner Bühne, in diesem Rausch, den ich nur erlebe, wenn ich Musik mache. Während ich Sals Solo begleite, lasse ich Frenzy nicht aus den Augen. Und Blythes Worte, die sie mir bei meinem letzten Besuch im Krankenhaus mitgab, kommen mir in den Sinn. Sie waren die Grundlage für unseren Song. Du denkst, du brauchst es laut und mutig und wild. Aber denk daran, dass das Süße und Milde nicht weniger wertvoll ist. Ankommen, Link, kannst du nur, wenn du beides hast. Selten habe ich ihre Worte so sehr gespürt wie in diesem Moment, da ich das Laute, Ungezügelte genieße und meine Gedanken erfüllt sind von dem Süßen.

  Nach einem weiteren Set und drei Zugaben sind wir alle vollkommen ausgelaugt. Ich wische mir mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn, während ich meine Gitarre auf ihren Ständer stelle. Der Applaus ebbt nur langsam ab. Erst als das Publikum merkt, dass wir nun endgültig fertig sind, hören sie auf, nach weiteren Zugaben zu verlangen.

  Ich möchte eigentlich nichts lieber, als mit Frenzy noch ein Bier an der Bar zu trinken, mir erzählen zu lassen, was mit ihren Haaren passiert ist, aber ich muss mich erst um die raschelnden Scheine in unserem Hut kümmern, bevor es jemand anderes tut. Dennoch lasse ich es mir nicht nehmen, sie zu begrüßen und ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken.

  »Ich hab dir aber gar keine Perlen mitgebracht«, sagt sie und sieht mich frech unter ihren fransigen Haaren an.

  »Es könnte eine neue Tradition werden«, gebe ich zurück und wünschte, ich könnte ihr näher sein als das. Ich beuge mich noch einmal zu ihr und sage ihr ins Ohr: »Du siehst ganz anders aus. «

  »Gut anders oder schlecht anders?«, fragt sie jetzt doch wieder mit dieser leichten Unsicherheit in der Stimme.

  »Als würdest du dich wohlfühlen. Und nur darum geht es.«

  Sie schenkt mir ein breites Lächeln, das bewirkt, dass ich sie am liebsten hochheben und durch die Luft wirbeln würde. Aus dem Augenwinkel nehme ich Esmé wahr, die an der Bar lehnt und mich ungeduldig ansieht.

  »Wie lange bist du noch hier?«, frage ich, weil ich dringend noch Zeit mit ihr haben will, mich aber erst einmal um den Hut kümmern muss.

  »Hm«, macht sie und sieht etwas unentschlossen aus.

  »Okay, pass auf«, beeile ich mich zu sagen, bevor sie verkünden kann, dass sie gleich loswill. »L
ass mich dir jemanden vorstellen. Amory. Sie wird dir gefallen. Ich muss kurz etwas erledigen, aber dann fahre ich dich nach Hause.« Ich greife wie zufällig nach ihren Fingern und halte sie lose in meiner Hand. Sie zieht sie nicht weg. »Sag Ja!«

  Kurz lässt sie den Blick durch die Bar schweifen, und ich merke, dass sie sich skeptisch nach Esmé umsieht, die mit dem Rücken zur Bar sitzt und uns keine Sekunde aus den Augen lässt. Denkt sie, ich ziehe Esmé ihr vor?

  »Es hat nichts mit ihr zu tun«, sage ich. »Ich weiß nicht einmal, was sie hier macht.«

  »Du schuldest mir keine Erklärung«, sagt Frenzy und verwebt unsere Finger etwas fester miteinander. Die Berührungen sind nach wie vor spielerisch und leicht, doch es mischt sich etwas Ernsthafteres hinzu. Ich kann es an ihrem Blick erkennen. Sie atmet tief ein und streicht sich selbstbewusst eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich würde gerne noch bleiben. Aber du musst mich nicht nach Hause fahren. Das Streetcar fährt die ganze Nacht.«

  »Aber ich darf? «

  Sie lacht. »Okay.«

  Ich nehme sie an der Hand und ziehe sie weiter weg von der Bar und Esmé hin zu einer kleinen Gruppe neben der Bühne.

  »Amory, das ist Frenzy«, sage ich. »Frenzy, Bonnie und Curtis kennst du ja schon. Amory ist seine Mitbewohnerin. Ich bin gleich wieder da.«

  Nur widerwillig lasse ich Frenzys Hand los. Aber ich habe Verpflichtungen der Band gegenüber, die im Moment wichtiger sind. Ich schnappe mir den Hut und verziehe mich damit ins Lager, nicht ohne noch einmal einen Blick zurück zu werfen. Dummerweise höre ich die Tür nicht hinter mir zufallen. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass Esmé mir gefolgt ist.

  »Was wird das?«, fragt sie. »Willst du mich eifersüchtig machen?«

 

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