Love is Loud – Ich höre nur dich
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»Können wir kurz so tun, als wäre dies ein ganz normaler Abend gewesen?«, fragt er.
»Klar.« Es ist ein Wunder, dass überhaupt ein Ton aus meinem Mund dringt. Er kommt noch näher, und es fühlt sich an, als würde mein Gehirn Karussell fahren, als würden in mir kleine Glücksbläschen blubbern.
»Dieser Moment ist so gut wie jeder andere«, flüstert er in mein Ohr, und ich halte die Luft an. »Oder vielleicht ist er sogar etwas besser. Irgendwann muss man aufhören zu labern und einfach mal machen.«
Er legt seine andere Hand an meine Wange und streicht einmal mit dem Daumen über meine Lippen. Ich merke, wie sie offen stehen bleiben, obwohl ich mir nicht wirklich bewusst bin, was mein Körper gerade macht. Mein Blick ist auf sein Gesicht gerichtet, wandert von seinen schönen Lippen über seine gerade Nase bis zu seinen graublauen Augen, die mich neugierig, fast fordernd ansehen.
Ich schlucke. Link fährt mit seiner Hand langsam – beinahe zu langsam – über mein Gesicht zu meinem Hinterkopf, wo er einmal durch meine Haare streicht und dann leichten, kaum spürbaren Druck ausübt, sodass ich ihm mit meinem Gesicht entgegenkomme. Kann ich es? Will ich es? Ist es riskant? Verliere ich mein Herz? Ich weiß es nicht, bin orientierungslos – und klammere mich an das Einzige, dessen ich mir sicher sein kann.
Eins.
Er vergräbt seine Finger in meinen Haaren, als müsste er sich irgendwo festhalten.
Zwei.
Sein Blick flackert zu meinen Lippen, und er stößt kaum hörbar Luft aus.
Drei.
Ich spüre den Druck seiner Finger auf meinem Rücken, in meinen Haaren. Den Lufthauch seines Atems.
Vier.
Sein Gesicht kommt immer näher, und ich lehne mich ihm entgegen, mit klopfendem Herzen und weichen Knien. In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie so gefühlt. Wenn ich die Stimme in meinem Kopf ignoriere, meine ich fast, frei zu sein. Losgelöst.
Fünf.
Weiter komme ich nicht. Weiter will ich auch gar nicht. Unsere Lippen treffen aufeinander, die weiche Haut, die Hitze. Ich schnaufe an seinem Mund, taste mit meinen Händen nach ihm. Ich schlinge die Arme um seinen Körper, und während ich mich gegen ihn lehne, versuche ich ihn noch näher an mich heranzuziehen. Ich spüre, wie er es mir gleichtut, als wäre die Nähe zwischen uns nicht genug. Als würden wir ineinander verschmelzen wollen.
Ganz zaghaft öffne ich die Lippen und forsche mit meiner Zungenspitze, ob er mehr will. Zwischen unseren küssenden Mündern treffen wir aufeinander, und er stöhnt leise, als meine Zunge in ihn eindringt. Sein Geschmack ist einzigartig. Frisch, weich, warm, mit einem Hauch von Salz.
Seine Finger krallen sich immer tiefer und verzweifelter in meine Haare, und der Druck presst unsere Lippen fester aufeinander. Ich vergesse beinahe zu atmen, während meine Zunge in einem ungeduldigen, drängenden, beinahe dringlichen Kampf mit seiner in meinen Mund zurückgetrieben wird. Er erkundet mich erst sanft und dann mit einer Heftigkeit, die macht, dass meine Beine unter mir für einen Moment wegknicken. Doch Link hat mich. Er hält mich fest und stößt einen kehligen Laut der Sehnsucht und Begierde aus, wie ich ihn noch nie zuvor gehört habe.
Ich habe das Gefühl, ihn nicht tief genug in mir zu haben, nicht dicht genug bei mir. Ich keuche, weil mir die Luft wegbleibt. In diesem Augenblick verstehe ich die Bedeutung des Wortes »atemberaubend« – und ich begreife noch eine ganze Menge mehr. Dinge, die ich nicht in Worte fassen kann. Dinge, die ich nicht fassen kann. Empfindungen, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie möglich sind. Ich begreife, was Leidenschaft ist. Ich spüre und begreife.
Immer wieder werden unsere Küsse langsamer, nur damit wir uns wenige Sekunden später, wenn wir wieder zu Atem gekommen sind, erneut verschlingen können. Seine Hände scheinen überall gleichzeitig zu sein und doch nie den Druck zu lockern. Und meine können nicht genug erspüren, nicht genug von ihm greifen. Seine Haare, sein Nacken, sein Rücken, sein Hintern, ich will alles gleichzeitig spüren .
Als wir erneut langsamer werden, sind wir beide vollkommen ausgelaugt. Zu ausgelaugt, um das Tempo wieder aufzunehmen. Ich keuche, mein Atem geht schnell. Seiner ebenso. Wir lösen uns widerwillig voneinander, und er presst meinen Kopf gegen seine Schulter, gräbt mit seinen Fingern noch etwas in meinen Haaren.
»Okay«, flüstert er atemlos, räuspert sich, sagt erneut: »Okay«, diesmal mit heiserer Stimme. Ich höre ein leises Lachen.
Meine Lippen liegen an seinem Hals, und ich spitze sie und küsse ihn ganz sanft. Ich spüre ein Reißen in meinem Körper. Ein so heftiges Ziehen, dass ich meine, wieder den Halt zu verlieren. Und wieder hält Link mich.
»Du …«, sagt er, und ich beschließe, dass ich erst wieder etwas von mir gebe, wenn er in ganzen Sätzen spricht. Ich bin viel zu ausgelaugt, viel zu ermattet vor Empfindungen, als dass ich überhaupt nur meinen Kopf von dieser Stelle zwischen seiner Schulter und seinem Kinn bewegen könnte.
Wieder lacht er, und ich merke, wie mein Kopf sich fragen will, was zur Hölle so witzig ist. Aber selbst dafür fehlt mir im Moment die geistige Fähigkeit.
»Ich … ähm.« Er presst mich erneut fest an seinen Körper und saugt die Luft ein. »Das …«
Ich glaube, ich weiß, was er meint, aber in meinem Kopf bilden sich ebenfalls lediglich Fragmente. Fragmente von Wörtern, von Sätzen, von Gefühlen. Am liebsten würde ich einen Schrei loslassen. Einen befreiten Urschrei aus tiefster Kehle, um der Welt zu zeigen, dass ich hier bin. Hier und wach und lebendig. Stattdessen hauche ich einen weiteren kleinen Kuss auf Links Hals und spüre kurz darauf, wie er seine Lippen in meinem Haar vergräbt.
»Ich …«, setzt er erneut an, »ich denke, ich muss mich anlehnen. «
Er macht einen Schritt zurück, ohne zuzulassen, dass ich auch nur für eine Sekunde von ihm getrennt werde.
»Besser«, flüstert er, lässt sich gegen den Gartenzaun sinken und presst seine Lippen wieder auf meine Haare. Und wieder und wieder. Ich erschaudere unter seinen Berührungen, merke aber, wie ich langsam aus dieser Trance erwache.
»Weißt du«, sagt er dann und scheint seine Fassung einigermaßen wiedergewonnen zu haben, »ich hatte mir vorgestellt, dass es gut wird. Aber dass es so gut wird … hätte ich das geahnt, hätte ich dich am ersten Tag schon geküsst.« Er lacht erneut, und nun lache ich mit.
Ich blicke zu ihm auf, wie er da an den Zaun gelehnt steht, hinter ihm der tief verwurzelte Baum, dessen Feenhaar sich sanft im Wind wiegt. Links Augen sind geschlossen, und in einem Moment, der scheint wie die vollkommene Losgelöstheit, atmet er tief ein. So tief, dass die Luft, die er ausstößt, wie ein Seufzen klingt. Es ist, als würde in diesem Moment jede Hemmung von uns abfallen.
Ich kann nicht sagen, wie lange wir eng umschlungen hier stehen. Mal suchen unsere Lippen nacheinander, tauschen sanfte Küsse. Mal streichen wir über unsere Körper. Mal rühren wir uns überhaupt nicht, sondern sind uns einfach nur der Gegenwart des anderen gewiss. Schließlich muss ich ein Gähnen unterdrücken.
»Du solltest ins Bett gehen«, sagt Link. »Und ich vermutlich auch.«
»Ja …« Dass ich keine Lust darauf habe, mich von ihm zu lösen, kann ich kaum verbergen.
Link nimmt mein Gesicht in seine Hände und drückt seine Lippen noch einmal auf meine.
»Gute Nacht, weltschönste Frenzy.«
»Gute Nacht.«
Ich schlucke, als er seine Arme von mir nimmt. Auf einmal ist mir gar nicht mehr so warm. Er geht ein paar Schritte rückwärts in Richtung Fahrrad, den Blick fest auf mich gerichtet, auf den Lippen ein leicht ungläubiges Lächeln.
»Ein perfektes Ineinandergreifen«, murmle ich mehr in mich hinein als an ihn gewandt.
»Was sagst du?«, fragt er, während er sich einen weiteren Schritt von mir entfernt, ohne auch nur eine Sekunde den Blick von mir zu lösen.
»Das, was du vorhin über Musik gesagt hast. Ein perfektes Ineinandergreifen von Form und Freiheit, Kontrolle und Zügellosigkeit.«
»Von Vernunft und Impulsivität«, vervollständigt er, und sein Lächeln färbt seine Stimme warm.
Bei seinem Fahrrad hebt er die Hand zum Abschied, und
ich habe das Gefühl, als würde er mein Herz mit sich nehmen wollen, so stark ist das Ziehen, das ich in meiner Brust spüre.
»Verrätst du mir jetzt, wo du wohnst?«, frage ich, meine es aber mehr als Scherz.
Doch er grinst und schüttelt den Kopf. Dann fährt er davon.
Zwischen Verwunderung und Gefühlstaumel schleiche ich mich ins Haus. Es ist weit nach Mitternacht. Doch als ich die Tür beinahe lautlos ins Schloss klacken lasse, erblicke ich einen blassen Lichtschein, der unter der Wohnzimmertür hindurchschimmert. Zögerlich trete ich einen Schritt darauf zu.
»Komm rein, Franzi«, ertönt Fayes Stimme von drinnen.
Mir rutscht das Herz, das bis vor wenigen Sekunden so heftig für Link geschlagen hat, in die Hose. Hat sie Link und mich beobachtet? Hat sie auf mich gewartet? Auf einmal fühle ich mich, als wäre ich wieder sechzehn, in Erwartung einer Standpauke meiner Mutter .
Faye sitzt in einem schwarzen Seidenbademantel auf dem Sofa. Vor ihr auf dem Couchtisch stehen eine halb leere Flasche Wein und ein volles Glas.
»Willst du einen Schluck?«, fragt sie.
»Wieso bist du noch wach?« Ich weiß nicht, warum ich flüstere.
»Erst sprechen wir über dich«, sagt sie und klopft neben sich auf das seidige Polster. Dann steht sie auf und holt ein weiteres Weinglas aus einer Vitrine, in das sie mir großzügig von ihrem Weißwein einschenkt.
»Tut mir leid, dass ich so spät bin«, sage ich. »Ich habe diese Band in der Frenchmen Street gesehen.«
»Du bist mir keine Rechenschaft schuldig.« Sie lässt ihr Glas gegen meins klirren. Der Wein ist kalt und lässt die Gläser beschlagen. »Er scheint ein guter Küsser zu sein.«
Mir schießt sofort die Röte ins Gesicht. Also hat sie uns tatsächlich gesehen. »Äh«, mache ich und hoffe, dass mir irgendetwas zu sagen einfällt, das diese Situation weniger peinlich macht.
»Ist er Musiker?« Faye lächelt wissend. »Er sieht hübsch aus.«
»Ja«, hauche ich mehr, als dass ich es sage, und nehme einen Schluck von dem Wein. Er schmeckt nach Apfelblüten und Honig.
»Chenin blanc«, erklärt Faye, »meine liebste Rebsorte.«
»Bist du …«, beginne ich zögerlich, »bist du sauer auf mich?«
Sie lacht ein glockenhelles, beinahe kindliches Lachen. »Nein, Süße. Auf dich bin ich nicht sauer.« Kurz schweigen wir, nippen an unserem Wein und starren auf den geblümten Stoff des Sofas. »Versprich mir nur, dass du auf dich aufpasst«, sagt sie dann. »Sie stehlen dir viel zu schnell dein Herz. «
Ich nicke und muss an das denken, was Bonnie zu Link gesagt hat. Pass auf dich auf. »Bist du meinetwegen wach geblieben?«, frage ich, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass die Stimmung zwischen uns angespannt ist.
»Nein, ich konnte ohnehin nicht schlafen.«
»Oh. Warum?«, frage ich.
Sie lacht wieder, doch diesmal wirkt es, als versuche sie etwas zu überspielen. »Ich habe mich mit Victor gestritten.« Sie schluckt.
Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Wären wir Freundinnen, würde ich sie vermutlich in den Arm nehmen und fragen, ob ich irgendetwas tun kann. Aber ich habe keine Ahnung, ob Faye und ich Freundinnen sind.
»Schläft er oben?«, frage ich stattdessen.
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, er ist nicht hier.«
»Wo ist er?«
»Ins Büro gefahren. In einer Bar. Ich habe keine Ahnung.«
Also scheint es ein heftiger Streit gewesen zu sein.
»Darf ich fragen …« Ich räuspere mich. »… worüber ihr gestritten habt?«
»Manchmal haben wir, nun ja, verschiedene Ansichten darüber, wie man mit … Problemen umgeht. Und Victor neigt dazu, nicht unbedingt zimperlich mit seinen Mitmenschen zu sein.«
Ich frage mich, ob das die Wahrheiten sind, von denen Hugo gesprochen hat. Wahrheiten, die man mit ins Grab nehmen sollte.
Eine Träne kullert Fayes Wange hinunter. »Entschuldige«, sagt sie, zieht die Nase hoch und versucht leise zu lachen. »Das hier ist wirklich nicht dein Problem.« Sie blickt mich aus klaren blauen Augen an. Dann nimmt sie meine Hand und drückt sie kurz. »Aber es tut gut, nicht allein zu sein. Danke. «
»Du kannst gern mit mir darüber reden, wenn du willst«, schlage ich vor.
»Danke.« Sie schnäuzt sich, lächelt aber wieder. »Dir ist sicher aufgefallen, dass ich um einiges jünger bin als Victor«, beginnt sie. »Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, was er sich von unserer Beziehung verspricht, worum es ihm geht. Und ich dachte, es würde mir reichen.« Sie zuckt mit den Schultern. »Aber, was soll ich sagen, die Dinge ändern sich. Man wird älter, die Bedürfnisse verschieben sich. Langer Rede kurzer Sinn: Vor einigen Monaten habe ich mich dazu durchgerungen, ihm zu sagen, dass ich gerne ein Kind hätte.« Sie schluckt, und erneut löst sich eine Träne von ihrer Wange. Nun bin ich diejenige, die nach ihrer Hand greift. »Aber es sind leider nur meine Bedürfnisse, die sich verschieben. Er sagt, er ist zu alt, um das alles noch mal durchzumachen.« Sie blickt auf und fügt hinzu: »Victor hat einen Sohn aus erster Ehe. Sie haben keinen Kontakt.«
»Und jetzt?«, frage ich. »Was bedeutet das?«
»Ich muss mich arrangieren. Aber es ist schwer, wenn man in sich dieses drängende Gefühl trägt. Und es hilft auch nicht, einen alten Mann im Haus zu haben, der der Ansicht ist, sein Sohn solle sich lieber nicht mehr reproduzieren. Auch wenn ich weiß, dass er es diesmal nur gut gemeint hat.«
»Hugo?«, frage ich, weil das Bild von Hugo, der etwas gut meint, allzu absurd ist.
»Ja, stell dir vor, er hat mir einen Joint angeboten.« Sie lacht. »Und dann hat er gesagt, ich solle bloß froh sein, denn die Wahrscheinlichkeit, dass Victors Nachkommen von innen heraus faulen würden, wäre zu groß.« Sie gibt ein Geräusch von sich, das eine Mischung aus Prusten und Schluchzen ist. Und auch mir fällt es schwer, nicht loszulachen. Hugo ist wirklich unmöglich.
»Aber genug davon. Erzähl mir von deinem Kuss«, sagt sie und schenkt uns beiden noch mal Wein nach. »Ich will alles wissen. Wer er ist, wie er heißt, was er macht, wann ihr euch wiederseht, wie er küsst.« In ihren Augen hat sich wieder ein Funkeln gebildet. Sie setzt sich in den Schneidersitz und sieht mich erwartungsvoll an.
»Er ist Gitarrist«, sage ich, und beim Gedanken an Link wird mir ganz warm. »Und ich glaube nicht, dass es Worte dafür gibt, wie gut er küsst.«
20
Lincoln
Der Sound stimmt heute ganz und gar nicht. Ich weiß nicht, ob es nur mir auffällt, aber es fühlt sich nicht rund an, nicht nach uns. Jasper hat gerade zum dritten Mal seinen Einsatz verpasst, und selbst Weston sieht auf und schüttelt den Kopf.
»Was ist los, Leute?«, frage ich und drehe mich um.
»Sorry, bin unkonzentriert.« Jasper spielt zwei Akkorde und klimpert eine schnelle Tonfolge.
»Dafür brauchen wir uns nicht zu treffen«, sagt Sal, allerdings muss er gerade reden. Er kam erst zehn Minuten zu spät, und seither ist das größte Kompliment, das man ihm machen kann, dass er lustlos spielt.
»Sal hat recht«, sage ich. »So können wir es gleich ganz bleiben lassen. Noch mal. Curtis, zähl uns ein.«
»A one, a two «, sagt er und begleitet die restlichen Zahlen mit dem Aufeinanderschlagen seiner Sticks, »a one, two, three, four. «
Bonnie und ich setzen gleichzeitig ein. Ein paar Takte später ist auch Jasper dabei, und Sal reißt sich ebenfalls am Riemen. Meine Stimme ist nicht gewaltig nach einem Tag in den Straßen von New Orleans, aber es fühlt sich ein bisschen mehr nach uns an. Begeistert ist dennoch keiner, als wir nach dem Song zusammenpacken.
»Hattest du gestern noch einen schönen Abend?«, fragt Bonnie und sieht mich eindringlich an, während sie den Stachel ihres Kontrabasses ins Instrument schiebt.
»Ähm, ja? Danke der Nachfrage. Und selbst?«
Aber Bonnie beschäftigt sich nun intensiv mit dem Reißverschluss ihrer Kontrabasshülle.
»Geht ganz schön schnell bei dir gerade, oder?«, fragt Curtis.
»Was meinst du?« Ich kann ihm nicht folgen.
»Erst Esmé, jetzt German Gi
rl …«, sagt er.
»Franzi«, korrigiert Bonnie.
Ich nicke ihr dankbar zu, schiebe mein Plektron zwischen die Gitarrensaiten und lege sie in ihren Kasten.
»Bye, Leute!« Sal winkt in die Runde und verlässt den Raum.
»Habt ihr noch Lust auf ein Bier auf der Terrasse?«, fragt Jasper, aber auch er klingt merkwürdig. Gezwungen irgendwie.
»Heute nicht, Jasper, danke. Ich glaube, ich brauche ein bisschen Abstand.« Bonnie packt ihre Noten zusammen.
»Soll ich dich mitnehmen, Bonnie?«, fragt Curtis. »Mein Auto steht draußen.«
»Brauchst du auch Abstand?«, frage ich ihn, doch er zuckt nur mit den Schultern. »Ist alles okay bei euch?« Wüsste ich nicht, dass es unmöglich ist, ich würde vermuten, die beiden haben eine Affäre.
»Alles in bester Ordnung«, sagt Bonnie ein bisschen zu scharf für meinen Geschmack, aber ich kann es mir auch eingebildet haben.
»Ich komme mit zu euch, ich habe meine Wäsche noch in der Maschine.« Ich klatsche mit Weston ab, der sich immerhin zu freuen scheint .
Während des zehnminütigen Fußwegs von der Musikschule zu Jaspers Haus versuche ich meinem Ärger Luft zu machen.
»Was war das denn? So eine bescheuerte Probe hatten wir noch nie. Und wie komisch sind bitte Bonnie und Curtis drauf?«
»Tut mir leid«, sagt Jasper. »Ich war auch unkonzentriert.«
»Um dich geht es doch hier gar nicht. Ich will wissen, was mit der Dynamik passiert ist.«
»Ich schätze, wir stehen gerade alle ein bisschen unter Strom.«
»Aber warum? Es läuft doch alles. Der Freitagsgig war toll, Mikey ist mehr als glücklich mit uns. Der nächste Schritt ist nur noch eine Frage der Zeit.«
»Vielleicht ist ja genau das das Problem«, sagt Jasper.
»Das soll das Problem sein?«
»Für uns alle hängt eine Menge an der Band. Je besser es läuft, desto mehr haben wir zu verlieren.«
»Aber wieso sollten wir denn etwas verlieren?« Ich habe das Gefühl, dass mir etwas Wesentliches entgeht.
»Weston, läufst du bitte auf dem Gehweg?«, ermahnt Jasper seinen Sohn. »Die Leute brettern hier manchmal einfach durch. Das ist gefährlich.«