Love is Loud – Ich höre nur dich
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»Sie kommt sicher bald«, sagt der alte Mann. »Was zu trinken? Ein freches Bierchen?«
Ich glaube, ich habe noch nie jemanden »freches Bierchen« sagen hören. Außerdem könnte das ein Test sein. »Nein, danke«, sage ich also.
»Was dagegen, wenn ich eins trinke?«
»Ähm nein, ganz und gar nicht.« Es ist sein Haus, er kann machen, was er will.
Er läuft in die Küche, und mir fällt auf, dass er barfuß ist. Seine Schritte patschen über den kalten Boden. Ich nutze den Moment, um mich umzusehen. Goldgerahmte Bilder mit einer Mischung aus klassischer und kreolischer Malerei hängen an den Wänden. Rechts neben der Eingangstür führt eine Treppe in den ersten Stock. Und zu beiden Seiten des Flurs weisen Flügeltüren in Räume, die ich von meiner Position aus nicht einsehen kann.
»Bist du festgewachsen?«, fragt der alte Mann, der mit einem kalten Bier aus der Küche kommt. »Wir gehen nach draußen.«
»Vielen Dank für die Einladung, Sir, aber ich weiß wirklich nicht …« Das Gefühl, nicht hierher zu gehören, ist übermächtig, und ich wünschte, ich könnte einfach wieder gehen. Draußen auf Frenzy warten, falls sie wirklich bald zurückkommt. Denn ich kenne sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie mich nicht absichtlich versetzen würde.
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Sir«, sagt er mit einer auf einmal seltsam nasalen Stimme, und ich verfluche mich dafür, dass ich hier aufgetaucht bin .
Er führt mich durch ein opulentes Wohnzimmer mit weichen Teppichen und Bücherregalen, die aussehen, als wäre jedes einzelne Buch eine antike Kostbarkeit. Durch die Terrassentür treten wir nach draußen. Der Garten ist gepflegt und, wie zu erwarten war, riesig. Er setzt sich auf einen der Stühle, die um einen großen Holztisch angeordnet sind. Für einen Moment stehe ich unentschlossen herum, doch dann tue ich es ihm gleich.
»Vielen Dank, Sir«, sage ich, weil ich nicht weiß, welches Ausmaß von Höflichkeit unsere Begegnung erreichen sollte.
»Jetzt lass doch mal das alberne ›Sir‹. Ich bin Hugo.«
Ich nicke und will mich gerade entschuldigen, als ich in sein Gesicht blicke. Er grinst mich freundlich an. Ich bin erstaunt.
»Du bist also das Abenteuer«, sagt Hugo.
»Wie bitte?«, frage ich.
»Hübsch«, sagt er, als würde das etwas erklären. »Erzähl mir von dir.«
»Also, ähm.« Ich habe nicht das Gefühl, dass irgendetwas, das ich ihm über mich erzählen könnte, seine Meinung von mir positiv beeinflusst. Aber seine fordernde Haltung bewirkt, dass ich mich seinem Wunsch einfach beuge. »Wie Sie wissen, bin ich Gitarrist in einer Band.«
»Und mit dem Auskommen willst du für Franzi sorgen?«, fragt er und sieht einen Augenblick lang ehrlich schockiert aus.
»Ähm, für sie sorgen, Sir?«, frage ich und merke, dass ich wieder beim »Sir« angekommen bin.
»Nur ein Scherz, Junge, nur ein Scherz. Pass auf, wenn ich etwas von Mitgift sage, wäre es schön, du würdest es gleich als Witz verstehen. Nicht, dass du noch einen Herzinfarkt bekommst.«
»Okay«, sage ich und versuche mich an einem Lachen .
»Und ihr spielt in der Frenchmen Street, sagst du?«
»Ja, wir haben zwei feste Slots im Cat’s Cradle. «
»Beachtlich«, sagt er, und ich merke, wie ich mich etwas entspanne. Die Körperhaltung, die ich in dem Moment wie automatisch eingenommen hatte, als ich das Haus betreten habe – hochgezogene Schultern, gesenkter Kopf –, löst sich etwas, und diese ferne Solidarität mit meiner Schwester, die ich bis zu diesem Augenblick empfunden habe, tritt in den Hintergrund.
»Und? Wo kommst du her?«, fragt Hugo.
»Ich bin in New Orleans geboren und aufgewachsen.« Beinahe will ich wieder ein »Sir« anhängen, beiße mir im nächsten Moment jedoch auf die Zunge.
»Und?«
»Was und?«, frage ich.
»Äußere dich dazu.«
Meine Verwirrung nimmt von Sekunde zu Sekunde zu. Was erwartet dieser merkwürdige Kerl von mir? »Ich möchte nirgendwo anders sein, wenn Sie das meinen.«
»Warum solltest du?«, sagt er.
»Warum sollte irgendjemand …«
»Meine Rede.«
Wir sehen uns einen Augenblick an, und ich habe das Gefühl, als würden wir uns in diesem Moment verstehen. Ich kann mich irren, schließlich ist er immer noch einer von den anderen. Einer von denen, die in der Stadt und nicht von der Stadt leben. Aber wenigstens scheint er sie ebenfalls zu lieben.
»Was für Musik spielt ihr?«, fragt er und kneift nun wieder kritisch die Augen zusammen.
»Wir haben mit Funk und Soul angefangen«, beginne ich.
»Jazz?«
»Die Einflüsse sind omnipräsent. «
»Und weiter?«
»Vor ein paar Jahren haben wir angefangen, ein bisschen zu experimentieren. Wir wollten unseren eigenen Sound finden.«
»Und? Habt ihr ihn?«
»Ja. Wir mischen den Sound von New Orleans mit Singer/Songwriter- und Folk-Einflüssen aus dem Süden.«
»Erzähl mir davon.«
»Es ist schwer in Worte zu fassen. Ich bin kein Dichter, ich packe meine Gefühle nicht in Worte, sondern in Musik«, sage ich und will mich schon entschuldigen, da sehe ich, dass er nickt. Seine Reaktion ermutigt mich. »Wenn ich spiele, will ich mir selbst treu sein. Ich will die Wahrheit auf die Bühne bringen. Mein Innerstes. Zumindest so viel, wie ich bereit bin zu zeigen. Ich schätze, das ist es, was uns als Band verbindet.«
»Potz Blitz«, sagt Hugo und schlägt mit der flachen Hand auf seinen Oberschenkel, dass es klatscht.
Je länger wir zusammensitzen, desto mehr stelle ich fest, dass man sich mit Hugo ernsthaft über Musik und New Orleans unterhalten kann. Er erzählt Schauergeschichten über die Gentrifizierung, ich berichte von meinen Erfahrungen in Tremé und der Central City. Ganz allgemein scheinen wir bei vielen Themen gleicher Meinung zu sein, obwohl wir offenkundig aus vollkommen verschiedenen Welten kommen. Ich blicke kurz ins Wohnzimmer und denke an mein »Zuhause«. Beinahe muss ich laut auflachen, so eklatant ist der Unterschied.
Auf einmal springt er auf und geht um den Tisch herum, bis er direkt neben mir steht. Ich will mich gerade erheben, weil dieser Höhenunterschied ein wenig beängstigend ist, als Hugo meine Schulter drückt. »Junge«, sagt er, »du bist goldrichtig. «
Ein perplexes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Ich hätte nie erwartet, dass diese Unterhaltung eine dermaßen positive Wendung für mich nehmen könnte.
»Franzi?«, ruft er nun ins Haus hinein.
»Aber ich dachte …«, sage ich.
»Sie ist oben. Hab behauptet, du wärst von den Zeugen Jehovas.«
»Aber …«
»Schuldig.« Hugo hebt die Hand und zuckt dann mit den Schultern.
»Franzi?«, ruft er erneut, diesmal noch lauter. »Du hast Besuch, Kind.«
Eine halbe Minute später steht sie in der Terrassentür. Sie trägt ein Kleid. Ein langes, dunkelgrünes Kleid. Ihre Haare sind leicht unordentlich, und soweit ich das beurteilen kann, trägt sie lediglich einen Hauch von Make-up. Ich weiß nicht, wann ich jemals von einem Anblick so ergriffen war wie in diesem Moment, als sie mich überrascht ansieht.
25
Franzi
Der Anblick von Hugo und Link auf der Terrasse trifft mich vollkommen unerwartet.
»Hi«, sage ich und merke, wie ich etwas rot werde. »Was … äh, was machst du hier? Ich dachte, wir treffen uns heute Abend?«
»Ich … Was?« Link sieht mich perplex an, als habe er keine Ahnung, was hier vor sich geht. »Du hast mich eingeladen?«
»Ich habe dich …?«
»Mea culpa«, unterbricht Hugo. »Könnte sein, dass ich ihn eingeladen habe.«
»Von meinem Handy?« In meinem Kopf setzen sich langsam die Puzzleteile zusammen.
Hugo zuckt mit den Schultern. »Wollte ihn eben auch kennenlernen.«
»Ist … Ist es in Ordnung, dass ich da bin? Ich wollte nicht …« Link lächelt zwar, allerdings scheint ihm die Situation auch unangenehm zu sein.
»Nein, nein, alles
in Ordnung. Ich freu mich, dass du da bist.«
Link erhebt sich von seinem Stuhl, weiß aber offenbar nicht so richtig, wie er mich begrüßen soll mit Hugo als Zeugen. Und auch ich bin ein bisschen verwirrt.
»Also das ist ja nicht auszuhalten mit euch beiden«, sagt Hugo. »Setzt euch hin. «
Wir sehen uns an, tun dann jedoch merkwürdigerweise wie uns geheißen. Jetzt, da Link ohnehin hier ist, wäre ich viel lieber mit ihm allein. Ich möchte erfahren, wie das Gespräch mit Bonnie gelaufen ist.
»Dein Link ist wirklich ein ausgesprochen prächtiger junger Mann«, sagt Hugo.
Ich blicke ihn ungläubig an. »Ernsthaft?«, murmle ich.
»Wie bitte? Sprich lauter, Mädchen, meine Ohren sind nämlich auch nur unwesentlich jünger als der Rest von mir.« Dann fügt er hinzu: »Steißgeburt.«
Ich verziehe den Mund, gehe aber einfach darüber hinweg. »Ich habe dich noch nie so … so … fröhlich erlebt«, sage ich verwirrt und sehe von Hugo zu Link. Doch der zuckt mit den Schultern, als könne er sich Hugos Sinneswandel ebenfalls nicht erklären.
»Du hast mich auch noch nie in der Gegenwart interessanter, inspirierender Menschen erlebt.«
»Vielen Dank für das Kompliment«, sage ich.
»Victor würde ihn hassen«, fährt Hugo fort und grinst in sich hinein.
»Hugo!«, ermahne ich ihn, denn das ist keine Art, über einen Gast zu sprechen. Auch wenn er vermutlich recht hat.
»Victor?«, fragt Link.
»Sein Sohn«, erkläre ich Link.
»Dass ich zu fünfzig Prozent daran schuld bin, tut mir aufrichtig leid. Eine der größten Verfehlungen meines Lebens.«
Ich verschlucke mich fast, und meine Wangen glühen. Ich habe das Gefühl, Hugo könnte jeden Moment etwas so Peinliches sagen, dass ich am liebsten im Erdboden versinken würde. Er ist eine tickende Zeitbombe. Allerdings scheint er sich königlich zu amüsieren .
»Ich merke schon, ihr beiden Turteltäubchen wärt lieber allein«, sagt Hugo plötzlich. »Es ist natürlich ein Risiko, schließlich bist du meine Aufpasserin. Wenn du kein Auge auf mich hast und mir ein Malheur passiert, könnte man dich verantwortlich machen. Aber wenn ich so darüber nachdenke, ist mir heute gar nicht so sehr nach Malheurs zumute. Also werde ich euch mal in Ruhe lassen. Ich habe mich ja nun lange genug auf eure Kosten amüsiert.«
Ich verdrehe die Augen. Er muss vollkommen übergeschnappt sein. »Du könntest es einem wirklich ein bisschen leichter machen, dich zu mögen«, sage ich.
»Ich finde es wichtig, dass ich mich mag«, sagt Hugo. »Und dass ihr euch mögt. Nichts schweißt so sehr zusammen wie ein gemeinsamer Feind.« Dann steht er auf und, ich traue meinen Augen kaum, verbeugt sich leicht. »Also dann, habt es schön.« Er grinst und spaziert anschließend von der Terrasse in den Garten. Kurz darauf ist er in seinem Schuppen verschwunden.
»Was zur Hölle?«, murmle ich leise. Dann sage ich an Link gewandt: »Du bist ein Hugo-Flüsterer.«
»Was meinst du damit?«, fragt Link, und ich kann sehen, dass er dagegen ankämpft, laut loszulachen.
»Normalerweise ist er ein richtiges Biest. Es passiert echt selten, dass er mal guter Laune ist. Aber mit dir scheint er irgendwie reden zu können.«
»Er ist ein wirklich, wirklich merkwürdiger Kerl. Und am Anfang hat er es mir auch alles andere als leicht gemacht«, sagt Link und lacht nun leise vor sich hin. »Aber ich habe ihn geknackt. Ich glaube, alles, was er braucht, ist ein bisschen Respekt für die Dinge, an die er glaubt.«
Darüber habe ich noch nie nachgedacht. »Und was sind das für Dinge?«, frage ich. Denn Respekt finde ich keineswegs zu viel verlangt .
»Tradition, das kulturelle Erbe der Stadt, Musik … all so etwas.« Er macht eine kurze Pause. Dann: »Auf mich wirkt er, ehrlich gesagt, einfach einsam.«
»Ja, das ist er auch«, sage ich. »Aber gleichzeitig stößt er mich immer wieder weg, obwohl ich doch genau dafür da bin, ihm Gesellschaft zu leisten.«
»Für ein Jahr. Weil du dafür bezahlt wirst.«
»Aber auch, weil es mich freuen würde, ihn besser kennenzulernen.«
»Weiß Hugo das?«, fragt er.
»Bislang hat er nicht zugelassen, dass ich ihm das sagen konnte.« Doch ich nehme mir vor, diese Gelegenheit demnächst selbst herbeizuführen.
»Du kannst ehrlich sagen, wenn ich lieber gehen soll«, versichert Link. »Aber wenn ich schon mal da bin … Ich habe mit Bonnie gesprochen. Und wir haben die Dinge geklärt. Sie ist zu hundert Prozent auf unserer Seite. Auf deiner Seite.«
»Bist du sicher?«, frage ich. Ich bin alles andere als überzeugt.
»Sie … Sie hat sich nur Sorgen gemacht.«
»Warum das denn?«, erkundige ich mich und merke, wie etwas in meiner Brust eng wird. Kurz zuckt der Gedanke an eine Zukunft durch meinen Kopf.
»Reicht es, wenn ich sage, es gibt Gründe?«, fragt er und sieht mich ein bisschen unsicher aus seinen graublauen Augen an.
Ich wünschte, ich könnte Ja sagen. Ich wünschte, es wäre okay für mich, dass er vage bleibt. Ich wünschte, die Sache mit uns wäre so einfach. Aber ich merke, das bin ich nicht. Ich kann es noch so sehr versuchen.
»Ehrlich gesagt …«
»Shit«, entfährt es ihm. Er wendet den Blick ab. »Okay, das habe ich erwartet.« Er lächelt zögerlich. »Lass es mich so sagen: Erinnerst du dich an die Verluste, von denen ich dir neulich erzählt habe?«
»Ich erinnere mich daran, dass du etwas erwähnt hast.« Denn für eine Erzählung reichte die Information sicher nicht aus. Es enttäuscht mich, dass er mir nicht vertraut. Dass er mir Dinge erzählt, ohne sie mir zu erzählen. Diese ominösen Verluste, sein ominöses Zuhause … Vielleicht liegt es ja daran, dass er nun dank Hugo weiß, wie ich lebe, während ich nicht einmal weiß, wo er wohnt.
»Das reicht dir nicht, oder?«, fragt er, als ich nichts mehr sage, und seine Stimme ist deutlich leiser geworden.
»Ich …« Ich will nicht zickig sein. Will seine Gegenwart genießen. Aber dieses nagende Gefühl, dass es Bereiche in seinem Leben gibt, die er vor mir verbirgt, wird stärker.
»Sprich mit mir.« Er nimmt meine Hand.
»Es stimmt«, sage ich leise. »Es reicht mir nicht. Weißt du …« Ich schlucke. Dann fasse ich mir ein Herz. »Ich möchte mich fallen lassen, auch wenn das Unvernunft bedeutet. Wenn es keine Zukunft bedeutet. Wenn es Schmerz bedeutet. Ich glaube, ich bin bereit, für dich über meinen Schatten und mehr zu springen. Denn ich will, dass du mich kennst. Aber ebenso will ich dich kennen.«
»Es darf keine Einbahnstraße sein«, sagt er.
»Ja …«
26
Lincoln
Sie hat recht. Natürlich hat sie das. Sie ist so schlau, so schön, so alles, was ich will. Aber es gibt Dinge in meinem Leben, die führen dazu, dass ich sie verliere, und das kann ich nicht zulassen. Ich könnte allerdings … Ich zögere.
»Link?«, fragt sie. »Zeigst du mir, wo du wohnst?«
Das ist die eine Sache, die ich ihr nicht geben kann. Diese eine winzig kleine Sache. Die so unbedeutend ist.
»Okay, pass auf. Ich will, dass du mich kennst. Richtig kennst. Ich will, dass du weißt, wer ich jetzt bin, aber auch, wo ich herkomme. Ich will, dass du meine Eltern kennenlernst.« Ich hoffe inständig, das reicht. Und tatsächlich, als ich ihre Hand nehme, entzieht sie sie mir nicht.
»Mal sehen«, sagt sie und schluckt.
»›Mal sehen‹ reicht. ›Mal sehen‹ ist gut.« Ich presse meine Lippen auf ihre Fingerknöchel. »Wie lange dauert es von ›Mal sehen‹ bis ›Ja‹?«
»Ich weiß es nicht. Ich muss nachdenken. Ich bin ein bisschen … verwirrt.«
»Dabei kann ich helfen«, sage ich. »Ich kann entwirren. Ich verspreche es.« Sie soll nicht nachdenken. Wenn sie nachdenkt, zieht sie vielleicht die falschen Schlüsse. »Das mit uns, Frenzy, ist wichtig. Es ist wichtiger als alles.« Da kommt mir eine Idee. »Darf ich dir jemanden vorstellen?«, frage ich. »Jetzt?«
»Jetzt?« Sie sieht mich perplex an. »Wen denn? «
»Ich zeig’s dir.« Erleichterung durchströmt mich. Denn ich weiß auf e
inmal, was zu tun ist, um das zarte Band, das zwischen uns entstanden ist, nicht zu gefährden. Ich werde ehrlich zu Frenzy sein. Bis zu diesem einen Punkt, der die Dinge ändern würde. Und das kann ich nicht zulassen.
Den Weg zum Fluss legen wir schweigend zurück. Ich weiß, dass Frenzy nach wie vor skeptisch ist. Und ich nehme es ihr nicht übel. Ich verlange viel von ihr und hoffe so sehr, sie versteht, dass es das wert ist. Ich trete in die Pedale. Anders als sonst versuche ich die Strecke schnell hinter uns zu bringen. Ich spüre, dass sie sich kaum an mir anlehnt. Dass sie versucht, selbst auf der Lenkstange zu balancieren. Sie ist angespannt.
Nach einer Viertelstunde erreichen wir die Mauer.
»Hier ist es«, sage ich.
»Was?«
»Der Ort, den ich dir zeigen will.«
»Das ist eine Mauer neben einer Straße, Link.« Sie sieht skeptisch aus, allerdings funkeln ihre Augen amüsiert.
»Es geht um das, was dahinter ist.«
»Wolltest du mir nicht jemanden vorstellen?«
»Ja … nein … ich … lass es mich erklären.« Ich deute auf die Leiter, die auf die andere Seite führt. »Hinter der Mauer fuhr früher ein Streetcar. Die Leitern wurden für Schienenarbeiter montiert.«
»Und jetzt?« Ich habe offenbar ihr Interesse geweckt.
»Jetzt benutzen wir sie.«
»Nach dir«, sagt sie.
Also klettere ich behände die Sprossen hinauf. Oben angekommen, drehe ich mich nach ihr um und steige auf die andere Seite der Mauer, um die Leiter dort wieder hinunterzusteigen. »Kommst du? «
Sie stellt ihren Fuß auf die unterste Sprosse und sieht mit einem kritischen Lächeln zu mir hinauf. In der hereinbrechenden Dämmerung ist das vermutlich kein Ort, an den man freiwillig kommt, wenn man nicht weiß, was einen erwartet. Sie muss ihre Vernunft ausgeschaltet haben. Ich bewundere ihren Mut.
Auf der Rückseite der Mauer springe ich den letzten Meter hinunter. Ich reiche Frenzy meine Hand, als auch sie so weit hinuntergeklettert ist, dass sie sich fallen lassen kann.
»Ist das der Fluss?«, fragt Frenzy in die Abendstille hinein, die nur vom Knirschen des Schotters unter unseren Füßen und vereinzelten Verkehrsgeräuschen unterbrochen wird.