Love is Loud – Ich höre nur dich
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Mir klappt der Kiefer herunter. »Doch«, sage ich. »Doch, das bin ich. Seit Minuten bin ich dran.«
»Eine Frechheit«, plustert sie sich auf. »Vielleicht wollen Sie meinen Job machen?«
Ich zucke zusammen und denke drei. New-Orleans-Frenzy würde sich so etwas nicht gefallen lassen.
»Wie ist der Name?« Sie verdreht die Augen, als sie sich schließlich bequemt, nachzusehen, in welchem Zimmer meine Mutter liegt. »Drei eins zwo«, sagt sie dann, und ich kann gar nicht schnell genug von ihr wegkommen.
»Franzi«, sagt meine Mutter und versucht sich ein bisschen in ihrem Bett aufzurichten.
»Bleib liegen!« Ich bin mit einem Satz an ihrer Seite und umarme sie.
»Wie schön, dich zu sehen!«
»Schön, dich zu sehen«, gebe ich zurück. »Wie geht’s dir?«
»Ganz gut«, sagt sie, doch man sieht ihr an, dass es ihr ganz und gar nicht gut geht.
»Hast du Schmerzen?«
»Wenn ich mich nicht bewege, geht es.«
»Was kann ich tun? Wie kann ich helfen?«, frage ich.
»Du kannst mir die Zeit vertreiben. Und wenn du willst, kannst du mir beim nächsten Besuch etwas zu essen mitbringen, das man kauen muss.« Sie lächelt. Nach den letzten Tagen in New Orleans und der langen Reise tut es gut, ein bekanntes Gesicht zu sehen.
»Wo ist Adrian?«, frage ich.
»Du kennst doch Adrian«, sagt sie. »Er tut, was er will.«
Ja, weil man ihn immer gelassen hat. Aber das sage ich nicht laut. Auch nicht meinen aufwallenden Ärger darüber, dass ich vom anderen Ende der Welt angeflogen komme, um für unsere Mutter da zu sein, während er nicht einmal zu einer zwanzigminütigen Busfahrt in der Lage ist.
Vier, denke ich. Vier, weil es mich deprimiert, dass ich mich hier in eine Rolle dränge, die von meinem Bruder nie erwartet würde. Vier, weil es vielleicht nicht von mir erwartet wird, aber ich sofort in dieses Muster zurückfalle.
Ich bleibe über zwei Stunden bei meiner Mutter. Ich erzähle von New Orleans, von Hugo, von Faye und Victor. Von der Stadt, der Musik. Der Lebendigkeit. Link lasse ich weg. Zu schmerzhaft sind die Gedanken an ihn. Ich habe immer noch nichts von ihm gehört und schwanke konstant zwischen unmäßiger Sorge und Wut. Gerade bin ich wieder bei der Wut, was es einfacher macht, die Gedanken an ihn zu verdrängen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis mein Kopf sich wieder fragt, ob der Grund für sein Abtauchen vielleicht damit zu tun hat, dass ihm etwas passiert ist. Dass die Polizei ihn geschnappt hat. Und dann bricht mein Herz. Jedes Mal.
Ich verabschiede mich von meiner Mutter, verspreche, morgen wiederzukommen. Ich sehe auf mein Handy, doch weder Adrian noch Link haben sich gemeldet.
Es ist merkwürdig, nach Hause zu kommen. Der Geruch ist mir vertraut. Es ist früher Abend und bereits dunkel. Meine Finger tasten nach dem Lichtschalter. Adrians Schuhe liegen kreuz und quer im Flur verteilt herum. Wäre meine Mutter nicht von einem Auto angefahren worden, sie hätte sich mit Sicherheit hier irgendwann das Genick gebrochen. Ich stelle sie ordentlich ins Schuhregal und gehe in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken und mir etwas zu essen zu machen. Auf der Anrichte stapeln sich Pizzakartons. Im obersten sind noch zwei Stücke drin. Ein Blick in den Kühlschrank verrät mir, dass hier schon seit Tagen niemand mehr eingekauft hat. Also nehme ich mir die übrige kalte Pizza und setze mich damit an den Küchentisch.
Ich merke, wie die Sorge um Link zurückkehrt, merke, dass ich zu erschöpft bin, um mich dagegen zu wehren.
Von oben höre ich Geräusche. Also ist Adrian zu Hause. Fast wäre es mir lieber, ich wäre ganz allein. Vor allem, als er wenig später völlig ungewaschen in Jogginghose vor mir steht.
»Ist das meine Pizza, die du da isst?«, fragt er.
»Auch schön, dich zu sehen«, erwidere ich.
»Ernsthaft, hast du meine Pizza weggegessen?«
»Bist du bescheuert?«, frage ich. »Der Kühlschrank ist leer. Ich bin seit über sechsunddreißig Stunden auf den Beinen und habe das Einzige, was ich finden konnte, gegessen, weil ich am Verhungern war.«
»Hättest dir ja selbst was kaufen können«, sagt er. »Ich bin auch seit zwei Tagen wach.«
Ich bin so perplex, dass mir der Mund offen stehen bleibt. Die alte Franzi hätte geschluckt und geseufzt. Sie hätte gedacht, was ihr Bruder doch für ein Idiot ist. Aber Frenzys Methoden sind offenbar andere. Besonders, wenn sie nicht geschlafen hat.
»Du bist echt unglaublich«, sage ich, und meine Stimme zittert ein wenig, so wütend bin ich. Ich stehe auf und gehe um den Tisch herum auf ihn zu. Seltsamerweise weicht er tatsächlich zurück. »Deine Mutter liegt im Krankenhaus. Und du hältst es nicht einmal für nötig, sie zu besuchen? Ich fliege um die halbe Welt, weil ich weiß, dass ich sie nicht mit dir allein lassen kann, und das Einzige, was du dazu zu sagen hast, ist, dass ich dir deine kalte, labbrige Pizza wegessen würde?«
»Ich hab sie von meinem eigenen Geld bezahlt«, sagt er zu seiner Verteidigung .
»Nachdem du Mamas Geld schon gewinnbringend in Pizza investiert hast?«, frage ich, und meine Stimme trieft vor Sarkasmus.
»Sie hat es mir dagelassen …«
»Ich fasse es nicht. Ich fasse es nicht, dass man so egoistisch sein kann wie du. Dass dir deine eigene Bequemlichkeit sogar wichtiger ist als deine eigene Mutter.«
»Das stimmt nicht.«
»Das stimmt nicht? Dass ich nicht lache! Was hast du im letzten Jahr gemacht? Nichts. Du hast auf Mamas Kosten dein Leben verschwendet. Das hast du gemacht. Aber weißt du, was? Damit ist jetzt Schluss. Ab jetzt übernimmst du Verantwortung. Und du fängst damit an, dass du das Haus putzt und einkaufen gehst. Dann kochst du etwas, das wir Mama morgen mitbringen.«
Er will ansetzen, etwas zu sagen, doch ich hebe die Hand.
»Vergiss es, Adrian. Ich finde es deprimierend genug, hier zu sein, auch ohne dass du dich aufführst wie der größte Idiot. Wenn du dich nicht um Mama kümmern willst, dann gelten von nun an andere Regeln.«
»Ich muss mich nicht an deine Regeln halten«, sagt er in einem letzten Versuch, sich aus der Sache herauszuziehen.
»Das sind nicht meine Regeln, du Vollidiot. Das sind die Regeln des Anstands und der Menschlichkeit. Und wenn du die nicht befolgen willst, dann kannst du dich gleich verpissen.« Kurz bin ich erschrocken über meine Ausdrucksweise, aber sie scheint zu wirken.
»’tschuldige, Franzi«, murmelt Adrian und fängt tatsächlich an, die Pizzakartons ins Altpapier zu quetschen. Dass er dabei überall Krümel verliert, merkt er nicht, aber ich bin so müde, dass ich selbst nichts mehr sagen kann.
»Ich gehe jetzt ins Bett. Wenn ich morgen aufwache, ist das Haus sauber und der Kühlschrank voll. «
»Aye, aye, Captain«, sagt er leicht schmollend. Doch ich bin mir sicher, es ist angekommen.
Tatsächlich begleitet mich Adrian am nächsten Mittag ins Krankenhaus. Er hat zwar nicht gekocht, mir allerdings geholfen, Gemüse zu schnippeln. Das Haus ist noch nicht komplett geputzt, aber das untere Stockwerk ist immerhin gesaugt, und das Badezimmer hat er sogar gewischt.
Während der Busfahrt starre ich aus dem Fenster. Mir ist nie aufgefallen, wie sauber hier alles ist.
Fünf, denke ich, und in meinem Bauch zieht es vor Sehnsucht, als ich an die bunten Häuser des French Quarter denke. An die ausgelassene Stimmung am Jackson Square. An die schmutzigen Straßen. Und kurz an einen Straßenmusiker mit blonden Haaren und rauer Stimme, der sich immer noch nicht bei mir gemeldet hat.
Meine Mutter ist gut gelaunt. Sie freut sich sichtlich darüber, ihren Sohn zu sehen. Er erzählt irgendwas von seiner Schwester, der Sklaventreiberin, aber ich höre nur mit einem Ohr hin. Später kommt der Arzt ins Zimmer, verkündet, dass meine Mutter in einer Woche nach Hause darf, dass sie sich allerdings schonen muss. Dass ihr gebrochener Fuß und das Handgelenk Zeit brauchen werden. Dass die Rippenprellung von alleine verheilen wird. Er tauscht das Pflaster am Kopf aus, und mir wird heiß und kalt zugleich, als ich mir vorstelle, dass nicht viel gefehlt hätte, und die Sache wäre anders ausgegangen.
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Lincoln
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sp; Man sagt, man muss am absoluten Tiefpunkt ankommen, bevor es wieder bergauf gehen kann. Glücklicherweise ist mir dieses Kunststück nun gelungen, denke ich voller Bitterkeit, als ich mich an diesem Morgen aus meinem Bett quäle. Wenigstens kann ich wieder klar denken und damit auch beginnen, zu retten, was zu retten ist. Während ich im Delirium an mein Bett gefesselt war, gab es Momente, in denen ich absolut klargesehen habe. Momente, in denen Frenzys Gesicht vor meinem inneren Auge auftauchte und ich wusste, mit ihr wird alles gut. Deswegen ist sie meine erste Priorität heute. Dann erst kümmere ich mich darum, Geld zu verdienen. Obwohl es mir davor graut, meine Gitarre anzufassen.
Ich sehe vermutlich furchtbar aus. Seit Tagen habe ich nicht geduscht, kaum etwas gegessen. Meine Lippen sind trocken und aufgesprungen, aber ich habe keine Zeit, mich herzurichten. Vor allem habe ich kein fließendes Wasser. Auch das muss warten. Ich strecke meinen Rücken durch, bis er knackt. Dann hänge ich mir meine Gitarre über die Schulter, steige auf mein Rad und fahre am Mississippi entlang in Richtung Garden District.
Die ganze Zeit über ist mir ein wenig flau im Magen. Ich hätte noch etwas essen sollen. Doch meine Entschlossenheit, diese erste Sache wieder hinzubiegen, ist stärker als der Hunger. Außerdem glaube ich ohnehin nicht, dass ich noch etwas hinunterbekommen hätte. Dafür bin ich zu nervös. Wie wird sie reagieren, wenn ich plötzlich vor der Tür stehe? Ist sie noch sauer? Habe ich es vermasselt? Oder – und das wäre das Schlimmste – will sie mich wirklich retten?
Ich parke mein Rad an einem Baum ein paar Meter vom Gartentor entfernt. Ich schlucke. Ich wische meine Hände an meiner Hose ab. Ich bin nervös. Mein Kopf ist leer. Ich nehme nichts um mich herum wahr. Nur mich selbst und meinen Körper, dessen ich mich auf einmal sehr bewusst bin. Das letzte Mal, als ich hier war, habe ich Victors Geheimnis gelüftet. Die Erinnerungen daran sind noch allzu präsent. Ebenfalls die Erinnerungen an Frenzys Ansage hinterher. An unsere gemeinsame Nacht in meinem Warehouse. In meinem ehemaligen Warehouse, korrigiere ich mich.
Bevor ich die Klingel betätigen kann, wird die Tür geöffnet.
»Junge! Schön, dich zu sehen. Ich muss dringend mit dir sprechen.« Hugo steht barfuß in der Tür und betätigt den Toröffner.
Ich bin ein bisschen perplex über so viel Begeisterung und gehe zögerlich den Steinpfad entlang und die Stufen hoch. Meine Beine sind noch etwas wacklig.
»Du meine Güte, wie siehst du denn aus?«, sagt Hugo, als er mich aus der Nähe sieht.
»War krank«, erwidere ich schulterzuckend. Ich blicke die Treppe nach oben, frage mich, wie lange Hugo mich diesmal hier unten festhalten wird, bis ich Frenzy endlich sehen kann. Mein Herz schlägt schnell, und die Sehnsucht in mir bringt mich fast um den Verstand.
»Kaffee?«, fragt Hugo.
Erst jetzt fällt mir auf, dass es nach Frühstück duftet. Mein Magen knurrt leise. Ich nicke, und Hugo reicht mir einen Becher .
»Ist sie …«
»Worüber ich mit dir sprechen wollte«, unterbricht mich Hugo. »Jasper.«
Oh. »Oh«, sage ich.
»Ich will ihn sehen.«
»Ich … ähm …«
»Kannst du das arrangieren?« Hugos Augen leuchten. »Wie du weißt, ist er mein Enkelsohn und ich … würde ihn gern kennenlernen.«
»Wir … ich … die Band …« Aus meinem Mund dringt nichts als Gestammel.
»Vielleicht könnte ich ja zu eurem nächsten Auftritt kommen?«, schlägt er vor.
»Das … wird schlecht gehen«, bringe ich nun doch hervor. »Die Band hat sich aufgelöst.«
»Was?«, fragt er, und ich bin seltsamerweise erleichtert, dass Frenzy es ihm nicht erzählt hat.
»Wir hatten einen Streit. Gerade sieht es nicht so aus, als würden wir in naher Zukunft noch mal auftreten.«
»Hm.« Hugo kratzt sich am Kopf.
»Aber wenn ich ihn sehe, kann ich ihm ausrichten, dass du gerne Kontakt aufnehmen würdest?«, schlage ich vor, um das Gespräch abzukürzen. Jede Sekunde, die ich Frenzy nicht sehe, verursacht mir körperliche Schmerzen.
»Das wäre sehr nett. Danke«, sagt Hugo. »Also, was kann ich für dich tun?«
Ich wundere mich über seine Frage. »Ich will zu Franzi«, sage ich stirnrunzelnd.
»Aber, Junge!« Hugo macht große Augen und kommt einen Schritt auf mich zu. »Sie ist nicht hier. Sie ist zurück in Deutschland!« Er streckt seine Hand nach mir aus, doch ich weiche einen Schritt zurück. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein .
»W-was?«, frage ich, aber meine Stimme ist nichts als ein heiseres Flüstern. Meine Gliedmaßen wiegen auf einmal eine Tonne, und ich habe das Gefühl, meine Gehirnerschütterung kehrt zurück. Oder war sie nie weg?
»Sie ist vor ein paar Tagen nach Hause geflogen. Das wusstest du nicht?« Hugos Worte scheinen von ganz weit weg zu kommen. »Du solltest im Warehouse nachsehen. Wenn mich nicht alles täuscht, hat sie dir eine Nachricht hinterlassen.« Nichts von all dem, was er sagt, dringt in mein Bewusstsein, denn mein Bewusstsein ist an einem anderen Ort.
Ich gehe noch einen Schritt zurück und noch einen. Kurz suche ich im Türstock halt, weil ich drohe umzukippen. Dann tue ich das, was ich am besten kann. Ich verschwinde.
Man sagt, man muss am absoluten Tiefpunkt ankommen, bevor es wieder bergauf gehen kann. Und dann gibt es Punkte, die sind tiefer als jeder Tiefpunkt. Und von dort geht es nicht mehr bergauf.
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Franzi
Während der nächsten Tage bereiten Adrian und ich das Haus für die Heimkehr unserer Mutter vor. Die Ablenkung tut gut. Körperlich aktiv zu sein ist das Einzige, was gegen die schmerzhafte Sehnsucht nach meinem Leben in New Orleans hilft. Und nach Link. Wenigstens weiß ich seit einer E-Mail von Hugo, dass es ihm gut geht. Aber nach wie vor hat er sich nicht bei mir gemeldet. Aus Hugo habe ich nicht viel herausgekriegt. Er hat geschrieben, Link hätte bescheiden ausgesehen und wäre schnell wieder abgehauen. Typisch Link, dachte ich in dem Moment. Kurz wurde ich wieder wütend, doch wenn ich jetzt an ihn denke, verkrampft sich mein gesamtes Inneres zu einem festen, schmerzhaften Knäuel, das bewirkt, dass ich nicht mehr atmen, sondern nur noch weinen kann.
Und damit nicht genug. Jedes Mal, wenn ich nach draußen gehe, ob zum Supermarkt oder zum Blumenladen, ob ich Bus fahre oder zu Fuß gehe, fühle ich mich merkwürdig unfrei.
Sechs, denke ich.
Lara ist in diesen ersten Tagen und auch in den weiteren Wochen eine ungeheure Stütze. Sie ist immer da, gut gelaunt und hilft, wo sie kann. Adrian ist aus seiner Trance erwacht und packt mit an. Er geht einkaufen und kocht Nudeln mit Tomatensoße, wenn man ihm eine Zwiebel schneidet. Mama macht Fortschritte. Wir haben ihr ein Bett im Wohnzimmer aufgebaut, sodass sie keine Treppen gehen muss. Aber lange können wir sie nicht davon abhalten, aufzustehen.
Nach drei Wochen Bettruhe beginnt sie durch die Gegend zu humpeln. Nach fünf Wochen ist sie schon wieder ziemlich agil. Und nach sechs Wochen scheint zumindest ihr Handgelenk wieder relativ funktionstüchtig zu sein.
Ich allerdings merke, wie ich in alte Muster verfalle. Bloß nicht auffallen, bloß niemandem die Möglichkeit geben, Anstoß an mir zu nehmen. Es ist, als wäre ich hier nur ein Schatten meiner selbst. So, wie ich früher nur ein Schatten meiner selbst war.
Sieben, denke ich, denn mir fehlt Frenzy. Mir fehlt ihr Selbstbewusstsein, der Spaß, den sie am Leben hatte, wenn sie sie selbst sein konnte. Ich weiß nicht, ob all das einzig in meinem Kopf passiert, aber ich weiß auch, dass unsere Nachbarn die Polizei rufen würden, beschallten wir die Gegend mit Jazzmusik. Und ich weiß, dass sie die Nase rümpfen würden, sähen sie mich vor der Tür mit einem fremden Kerl knutschen.
Acht, denke ich, und in meinem Kopf festigt sich ein Plan.
Nachts liege ich wach und denke an Link. Mein ganzer Körper brennt vor Sehnsucht. Und ich versuche mir jede Kleinigkeit in Erinnerung zu rufen. Den Klang seiner Stimme, das Gefühl seiner Berührungen, seinen Duft, seinen Geschmack. Ich denke an meine Hände auf seiner Haut, und es ist, als würden meine Finger ein genaues Bild von ihm zeichnen. Sie kennen jeden Millimeter seines Körpers, erinnern sich an ihn. Entfachen
Glückseligkeit, gepaart mit einem unbändigen Schmerz in mir. Lassen erneut Glücksbläschen in mir aufsteigen, doch sie verschwinden wieder, sobald mir bewusst wird, wo ich bin. Ich kann die Ungewissheit kaum ertragen. Und Einsamkeit in der Dunkelheit fällt mir besonders schwer .
Als ich mich eines Abends mit Lara in der Stadt treffe, lasse ich endlich einmal alles raus. Ich erzähle ihr von den Punkten eins bis acht, von den letzten Tagen in New Orleans. Mit Lara muss ich nicht stark sein. Wir sitzen in einer Cocktailbar, nippen an viel zu süßen Drinks, und sie hört mir zu, während immer mal wieder eine Träne meine Wange hinabkullert.
»Du solltest zurückgehen«, sagt sie, als ich geendet habe. »Das hier tut dir nicht gut. Das bist nicht mehr du.«
»Wie meinst du das?«, frage ich.
»Du bist rausgewachsen. Zu Hause bleibt zwar zu Hause, aber du bist hier nicht mehr glücklich. Du versuchst, die Franzi zu sein, die du warst, als du weggegangen bist. Weil du denkst, hier ist kein Platz für die neue. Und vielleicht stimmt das sogar, ich weiß es nicht. Fakt ist jedenfalls, Link hin oder her, du bist glücklicher woanders.«
Ich weiß, dass sie recht hat. Ich habe es selbst gespürt. Das hier, das passt irgendwie nicht mehr zu mir.
Als ich an diesem Abend an der roten Ampel neben der Bushaltestelle in unserem totenstillen Wohnviertel stehe und friere, wird mir klar, dass ich mich noch nie so albern gefühlt habe wie in diesem Moment. Weit und breit ist niemand zu sehen. Um diese Zeit herrscht hier kein Verkehr. Und trotzdem stehe ich mir die Beine in den Bauch, warte, bis es grün wird.
Neun, denke ich, denn ich habe für mich beschlossen, dass ich an einem Ort leben will, an dem Verhältnismäßigkeit wichtiger ist als Regeln. An dem man kein Bußgeld zahlt, wenn man über rot geht. An dem ich mich traue, ich zu sein.
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Lincoln
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie es mir gelungen ist, aber ich kam irgendwann bei meinen Eltern an. Ich legte mich aufs Sofa im Wohnzimmer und blieb dort. Charlie und Con stellten keine Fragen. Sie sorgten dafür, dass ich genug Flüssigkeit zu mir nahm und ab und zu einen Happen aß. Und dann riefen sie irgendwann Bonnie an. Ob eine oder zwei Wochen vergangen waren, kann ich nicht sagen, ich weiß nur, dass ich aufwachte und Bonnie mit den Händen in die Seiten gestemmt über mir stand. Sie boxte mich so fest in die Schulter, dass ich aufstöhnte, und ich erinnere mich noch an den Gedanken, dass nun Jasper und Bonnie mir gegenüber handgreiflich geworden waren.