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by Michael G. Coney


  »Und wir scheinen in letzter Zeit mehr als unseren gerechten Anteil an Unfällen gehabt zu haben. Der historische Ausgleich,

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  dem wir ausgesetzt sind, scheint zu akzellerieren.« Er blickte mich spekulativ an. »Sie sind doch Segler, Maine. So wie die Dinge jetzt laufen, bekomme ich mehr und mehr den Eindruck, daß das Schicksal… die Decks freimacht…«

  »Einige von uns sind noch immer da«, sagte ich energisch; der Kerl versuchte, mich durcheinanderzubringen.

  »Sie sind da, und ich… Und Susanna, in der anderen Welt.«

  »Was für eine Welt war es?« fragte ich. »Vergangenheit oder Zukunft?«

  »Vergangenheit und Zukunft sind Begriffe, die nicht mehr anwendbar scheinen. Alles verändert sich, Maine. Wir haben die Zukunft eingeholt, und die Vergangenheit sitzt uns dicht auf den Fersen. Die Welten streben zueinander. Das Projekt ist so gut wie erledigt; es ist nichts mehr übriggeblieben, das sich erforschen ließe.«

  »Soll das… soll das heißen, daß Sie mich nicht mehr zu Susannas Welt schicken können, Stratton?«

  »Das brauche ich vielleicht gar nicht«, sagte er dunkel.

  »Machen Sie sich keine Sorgen, darüber, Mann.«

  Während er düster weitersprach, blickte ich in Mariannes prosaischem Zimmer umher. Die Wände waren cremefarben gestrichen, mit Ausnahme der Wand gegenüber der Tür, die mit einem vertikalen Bambusmuster tapeziert war. Die Decke war aus weißem Stuck, und auf dem Boden lag ein hellgrüner Teppich. Zwei Bilder hingen an gegenüberliegenden Wänden: eins zeigte einen Schwärm Wildgänse, die in symmetrischer Formation von einem im Licht der untergehenden Sonne golden schimmernden Sumpf aufstiegen, das andere war ein ähnlich bekanntes Seestück, eine einzige, heranrollende, silbergrüne Woge, die den ganzen Rahmen füllte. Die Möbel waren traditionell, alles war traditionell. Ich versuchte, mir konvergie-rende Welten vorzustellen, und schaffte es nicht.

  Nach einer Weile unterbrach ich ihn.

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  »Hören Sie, Stratton, Sie haben versprochen, mir ein Alibi zu geben. Ich habe meinen Teil unserer Abmachung erfüllt.«

  »Okay. Wann wollen wir die Polizei aufsuchen? Ich bin den ganzen Vormittag beschäftigt.«

  »Wie wäre es am frühen Nachmittag? Kommen Sie gegen Mittag auf meine Hausyacht; ich sorge dafür, daß Bascus auch da ist, dann können wir ihm die ganze Geschichte erklären, ohne daß ein halbes Dutzend seiner Leute mithört.«

  »In Ordnung. Und um vier Uhr versuchen wir dann einen Tansfer.«

  Ich sah ihn an; sein Gesicht war ausdruckslos.

  Ich lieh mir den Lieferwagen der Station aus und fuhr durch die Stadt; als ich bei dem Pier parkte, war es fast elf Uhr geworden.

  Plötzlich fiel mir ein, daß heute Sonntag war, weil die Band der Heilsarmee spielte und die fast menschenleeren Straßen die Echos eines unsauber gespielten Chorals zurückwarfen. Ein paar Menschen standen um die Blechbläser herum und schlugen die Zeit bis zur Öffnung der Pubs tot.

  Ich war beinahe überrascht, die Hausyacht intakt im Schein der frühen Sonne liegen zu sehen. Eine ältere Frau stand am Rand des Piers und sah einem Jungen zu, der vom Vordeck aus angelte. Es war derselbe Junge, den ich schon öfter weggejagt hatte. Ich spürte eine wilde Wut; meine Nerven waren von der Sorge um Susanna verschlissen.

  »Verschwinde von meinem Boot!« brüllte ich. Er hob den Kopf und sah mich schuldbewußt an.

  Die Frau fuhr herum, ihr nichtssagendes Gesicht drückte schwächliche Empörung aus. »Sie haben kein Recht, den Jungen so anzuschreien«, sagte sie.

  »Dies ist zufällig mein Boot, Madam.«

  »Der Junge tut doch nichts Böses.« Die fahlen Augen glänzten, sie pumpte sich für eine dieser langen Tiraden auf. Der Junge

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  war aufgestanden und blickte mit fröhlichem Interesse zu uns herüber. Wir waren eine willkommene Abwechslung zu den kleinen, grauen Brassen. »Ihr reichen Leute mit Euren Booten glaubt, daß die Stadt Euch gehört«, begann sie hitzig.

  »Ich will keine stinkenden Fische auf meinem Vordeck haben«, sagte ich energisch. »Er kann doch vom Pier aus angeln.«

  »Er kann nicht vom Pier aus angeln, weil Ihr Boot im Weg ist und den ganzen Platz wegnimmt. Ich lebe seit über vierzig Jahren hier, und jedes Jahr kommen mehr von euch Auswärtigen her und stoßen uns herum, und wenn Sie glauben, ich lasse zu, daß jemand meinen Jungen so anschreit, irren Sie sich gewaltig…«

  Ihre Worte waren zu einem Gewirr unverständlicher Laute geworden, ein kontinuierliches Stakkato, wie Morsezeichen. Ich schritt über die Planke an Deck. Der Junge wich zum Bug zurück und starrte mir angstvoll entgegen. Die Frau schrie unverständliche Worte. Ich stürmte über das Deck. Der Junge kroch geduckt noch weiter zurück. Die Frau schrie.

  Ich griff zu spät nach ihm, und mein Griff an seiner Jacke löste sich, als er das Gleichgewicht verlor mit rudernden Armen hintenüberfiel.

  »Sie haben ihn gestoßen! Ich habe es deutlich gesehen! Sie haben ihn ins Wasser gestoßen!«

  Jetzt, wo der Junge seine verdiente Strafe hatte, fühlte ich mich besser. Ich wandte mich zu der Frau um. »Sie irren sich«, sagte sie höflich. »Ich habe versucht, ihn festzuhalten.«

  »Holen Sie ihn heraus! Stehen Sie doch nicht nur herum und reden!«

  »Er kann doch schwimmen, nehme ich an?«

  »Aber die Strömung…« Die Frau trabte in panischer Angst den Pier entlang. »Sie wird ihn aufs Meer hinaustreiben! Springen Sie ihm nach! Oder sind Sie kein Mann?«

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  Was das betrifft, war ich ziemlich sicher. Zwei Dinge hielten mich davon ab, in das aufgewühlte Wasser zu springen und zu versuchen, den Jungen an Land zu bringen. Erstens war, während ich neben der Frau über den Pier trabte, das Gefühl des déja-vu wieder in mir. Ich wußte, daß der Junge sich an der konischen Hafenboje festklammern würde und wir ihn später in aller Ruhe retten konnten. Zweitens hatte ich Angst um mein Leben. Ich wollte dem Schicksal nicht die Möglichkeit geben, einen Ausgleich zu schaffen, wenn Susanna nur noch ein paar Stunden entfernt war.

  »Warum springen Sie nicht selbst rein und holen ihn heraus?«

  sagte ich hart.

  Sie starrte mich an, und sie weinte. »Um Gottes Barmherzig-keit willen, ich kann nicht schwimmen. Bitte, Mister.« Alle Aggressvität war aus ihr gewichen, und als wir einander anblickten, schien irgend etwas einzurasten.

  Es lag keine konische Boje gegenüber der Helling im Hafen von Falcombe. Sie war bei dem Sturm in der vergangenen Woche losgerissen worden. Ich erinnerte mich, daß ich sie mitten in der Nacht von meinem Boot losgewinscht hatte. Und sie war nicht ersetzt worden…

  Ich lief, zwischen der Menschengruppe hindurch, an der Heilsarmee-Band vorbei, rannte die Straße hinauf, sprang die Stufen zum Fährenanleger hinab, kletterte über die Reling und zu den muschelbewachsenen Pfosten und Querverstrebungen hinab.

  Heute stand keine alte Frau auf dem Anleger; niemand sah mir zu und fragte sich, worauf ich dort unten wartete. Als der Junge vorbeitrieb, ein ganzes Stück außer Reichweite, war niemand da, der das Gesicht verziehen und die Kleidung in seiner besser-du-als-ich-Sicherheit fröstelnd um sich ziehen konnte, als ich in das eisige Wasser sprang und zu schwimmen begann.

  Als ich zurückkam – als ich eine halbe Stunde später den bewußtlosen Jungen auf das felsige Ufer der östlichen Landzunge

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  gezogen hatte – warteten eine Menge Menschen auf uns, und es schien, als sei ich eine Art Held.

  Später brachten zwei Männer von einem Krankenwagen eine Bahre den schmalen Klippenweg herab und legten den Jungen darauf.

  »Bedanke dich bei dem Gentleman, Tim«, sagte seine Mutter.

  Er bedankte sich. Die Krankenschwester wickelte ihn in eine Decke. Ihr Name war Marianne Peters. Sie war hübsch, und irreal. Mir schenkte sie kaum einen Blick; sie war völlig mit ihrem Patienten beschäfti
gt, doch der ältliche Leiter der Heilsarmee-Band bot mir – ausgerechnet – Brandy an.

  Die Mutter bedankte sich ebenfalls bei mir, schluchzend und gebrochen. Unsere Meinungsverschiedenheit war vergessen. Das war vorauszusehen; sie war nicht der Typ, der sich gegen die öffentliche Meinung stellt. Die Männer mit der Bahre trugen den Jungen zum Krankenwagen, gefolgt von seiner Mutter und Marianne.

  Irgend jemand fuhr mich zur Hausyacht zurück, wo ich trockene Sachen anzog. Dann traf Stratton ein, der von meiner heroischen Rettungsaktion gehört hatte.

  Ich berichtete ihm alles so, wie es geschehen war: den Streit mit der Mutter, die Umstände, die dazu führten, daß der Junge über Bord fiel. »Ich hatte angenommen, daß ihm nichts passieren würde«, sagte ich. »Ich bin so in das Konzept paralleler Welten hineingewachsen, daß ich vergaß, daß die Boje nicht mehr existiert. Mein Gott, ich hätte ihn beinahe ertrinken lassen.«

  Stratton lächelte schief. »Aber die Ereignisse haben sich parallelisiert«, erklärte er; seine Zunge war ein wenig schwer.

  »Der Junge ist gerettet worden. Er hat diesen Vormittag überlebt. Wahrscheinlich hat er diesen Vormittag immer überlebt und wird ihn auch in Zukunft immer überleben. In Welten, die weit von dieser entfernt sind, ist sein Leben vielleicht nicht

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  einmal in Gefahr. Er lebt einfach durch den Tag, den wir hier Sonntag, den 3. November nennen, und ahnt nichts von seinem Glück.«

  Mein Gehirn war vernebelt. In einer Minute, beschloß ich, würden wir eine Tasse Kaffee trinken. Die Luft war dick von Zigarettenrauch und einem leichten Propangeruch. Ich mußte das Leck abdichten. Propangas kann sich in den Bilgen und den unteren Räumen zu einer Zeitbombe anstauen; ich habe Männer gekannt, die ihre Lenzpumpen so lange laufen lassen mußten, bis sie hofften, das Gas weggepumpt zu haben. Ich goß Scotch in die Gläser; Strattons Gesicht zeigte wieder diesen grübleri-schen Ausdruck, und das unangenehme Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

  »Anderseits aber«, fuhr er fort, »könnte ein anderer Mensch nicht so ein Glück gehabt haben. Zufällig hat dieser Junge Ihr Mitgefühl erregt. Jeden anderen hätten Sie vielleicht ertrinken lassen.«

  »Was zum Teufel, wollen Sie damit sagen?«

  Sein Blick wurde verschwommen, und seine Lippen waren so lasch, daß er kaum zu verstehen war. Ich erkannte, daß er schon seit einiger Zeit getrunken haben mußte; die drei oder vier Scotches, die er hier auf dem Boot getrunken hatte, waren nicht die ersten Drinks dieses Tages gewesen. Er mußte an der Flasche gehangen haben, seit er Mariannes Wohnung verlassen hatte. »Ich spreche von Ihnen, Maine«, murmelte er. »Sie sind ein selbstsüchtiger, mörderischer Bastard und benutzen Menschen wie Werkzeuge – und das schlimmste ist, Sie kommen damit durch.«

  »Trinken wir Kaffee, gottverdammt.«

  »Sie haben das nette Mädchen benutzt, um sich vor der Polizei zu verstecken. Sie haben mich benutzt, um Susanna zu finden.

  Sie benutzen Susanna, weil Sie ein dreckiger Bastard sind. Sie haben Ihren Freund Charles Blakesley benutzt, weil Sie einen Job brauchten, und Sie haben ihn verlassen und sind zu Mellors gegangen, weil Sie glaubten, es würde mehr dabei heraussprin-

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  gen. Und als das nicht klappte, haben Sie Mellors getötet. Wenn Sie das nicht zu einem selbstsüchtigen, mörderischen Bastard macht, weiß ich nicht, was man sonst noch dazu braucht.«

  Der Kerl ging mir allmählich auf die Nerven. »Es ist völlig sinnlos, Ihnen etwas von Susanna erklären zu wollen. Aber Mellors’ Tod war ein Unfall; ich wollte ihn nicht töten…« Ich stoppte, als ich mich an den Blutdurst erinnerte, der mich gepackt hatte, bevor ich Mellors mit dem Riemen erschlug. »Er ist ins Wasser gefallen und ertrunken«, fuhr ich entschlossen fort. »Und es war auch nicht in dieser Welt. Ich verstehe nicht, wie Sie mich für eine Kombination von Umständen verantwortlich machen können, die irgendwo anders zustande gekommen ist, in einer anderen Welt.«

  Er blickte mir jetzt direkt in die Augen, und ich sah einen trunkenen Triumph in seinem Blick. »Aber es ist hier passiert, Maine«, sagte er leise. »Es ist hier passiert.«

  »Was meinen Sie damit?« Ein Knoten der Anspannung ballte sich in meinem Magen zusammen.

  »Sie haben Mellors getötet. Das haben Sie immer getan, und das werden Sie auch in Zukunft immer tun.«

  »Ich war nicht einmal in dieser Welt, als er erschossen wurde.«

  »Aber Ihr Doppelgänger war hier.«

  »Was?!«

  »Sie sind am Nachmittag des Mordtages aus dieser Welt hinaustransferiert worden, Maine, und zufällig traf einer Ihrer Doppelgänger wenig später hier ein – es war ihm möglich, weil Sie nicht hier waren, verstehen Sie… Und es war auch kein so großer Zufall, weil seine Welt nahe der unseren liegt und unsere Experimente sich parallelisieren.«

  Ich begann eine grauenhafte Logik in seinen Worten zu erkennen.

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  »Er hatte diese fixe Idee, verstehen Sie, Maine. Es ist ein Wunder, daß Sie nicht selbst darauf gekommen sind. Er dachte –

  Ihr Doppelgänger dachte –, daß Mellors aus dem Weg geräumt werden müsse. Er hatte Mellors in seiner Welt bereits nach einem Streit getötet, und er wußte, daß Sie über kurz oder lang dasselbe tun würden. Er hatte die Vorstellung, daß eine ganze Kette von John Maines eine ganze Kette von Mellors’ in den nur einen Schritt voneinander entfernten Welten ermorden würden –

  und jeder Maine hätte ein unanfechtbares Alibi, das ihm im guten Glauben von der Station geliefert würde. Sie wissen schon, wie das Alibi, das ich Ihnen stellen sollte.« Er kicherte.

  »Und ist es nicht ein komischer Zufall, daß Sie Mellors tatsächlich getötet haben, wenn auch in einer anderen Welt?«

  Der Scotch hatte sein Aroma verloren; ich nahm einen langen Zug, und er schmeckte wie Urin. »Es schien nicht wirklich, in der anderen Welt«, murmelte ich. »Die Verantwortlichkeiten schienen nicht dieselben zu sein. Und Mellors’ Tod war ein Unfall, sage ich Ihnen.«

  »Was Ihr Doppelgänger hier getan hat, war kein Unfall. Er hat seine Fischpistole und seine Schlüssel mitgebracht, ist mit dem Küchenaufzug nach oben gefahren, als niemand in der Küche war – wie er genau wußte –, hat Mellors im Schlaf erschossen und dann das Hotel auf demselben Weg verlassen und das Seil angeschnitten, um den Eindruck zu erwecken, daß der Aufzug das Gewicht eines Menschen nicht trüge. Das war kein Unfall, Maine. Es war kaltblütiger Mord – und wenn er dessen fähig war, dann sind auch Sie es. Weil Sie er sind; nur die Umstände sind ein wenig anders.«

  Und ich dachte an die Diskussion, die ich mit Mellors in diesem Raum gehabt hatte, als ich durchblicken ließ, daß ich seinen Bergungsanspruch gegen Pablo nicht unterstützen würde, und wußte, daß er mich feuern würde und daß ich gedacht hatte…

  daß ich gedacht hatte, wenn ich in diesem Augenblick eine Pistole in der Hand hätte, würde ich ihn ohne einen Funken Reue erschießen…

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  Stratton hatte recht. Es war dasselbe Ich. Unter entsprechend widrigen Umständen konnte ich einen Mord begehen…

  »Ich wußte von Anfang an davon, weil er danach zu mir gekommen ist«, fuhr Stratton fort. »Er hatte Angst, weil die Sache nicht genau nach Plan gelaufen war. Mrs. Mellors hatte ihn aus dem Zimmer ihres Mannes kommen sehen, und seine Fischpistole war ihm aus der Hand geglitten und in den Aufzugsschacht gefallen, und er hatte keine Zeit gehabt, sie herauszuholen. Er wollte, daß ich Sie warne, damit Sie sie beseitigen konnten, bevor sie von der Polizei entdeckt wurde.

  Aber er meinte, daß sei sicher nicht so wichtig, weil Sie ja Ihr Duplikat der Pistole vorweisen könnten.« Er lächelte. »Aber das konnten Sie nicht, Maine.«

  »Was ist mit meiner Pistole, Stratton? Haben Sie sie genommen?«

  »Seien Sie nicht kindisch. Ich mag Sie zwar nicht, aber so etwas würde ich niemals abziehen.«

  Ich versuchte, über alles nachzudenken. Mein Gehirn war von Scotch vernebelt, und mir fiel nichts Ne
ues ein – weil ich wußte, daß Stratton die Wahrheit gesagt hatte. Ich war ein Killer. In allen Welten war ich immer ein Killer gewesen und würde immer einer sein. »Hören Sie, werden Sie mir trotzdem das Alibi verschaffen?« bat oder bettelte ich. Die Beziehung zwischen Stratton und mir hatte sich verändert: Er war jetzt der Boß.

  »Selbstverständlich. Ich habe noch immer Verwendung für Sie.

  Es sieht plötzlich ganz anders aus, wenn ich Sie benutzen will, nicht wahr?«

  »Okay, okay. Warten Sie hier. Ich rufe Bascus an.« Als ich die Kabine verließ, fragte ich mich, wie Susanna reagieren würde, wenn Stratton Gelegenheit finden sollte, ihr seine Geschichte zu erzählen. Ich versuchte, mir einzureden, daß es nichts ändern würde. Schließlich war sie dabei gewesen, als Mellors in ihrer Welt getötet worden war…

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  Die Luft war frisch und salzig, und die Sonne schien hell. Ich ging über die Planke und rief die Polizei von dem Visiphon am Ende des Piers an. Trotz allem, was ich eben über mich entdeckt hatte, war es herrlich, nicht mehr auf der Flucht zu sein. Ich verstand jetzt, daß selbst die abgebrühtesten Verbrecher manchmal versucht waren, sich zu ergeben.

  Das Gesicht Bascus’ starrte mich ungläubig an. Ich erklärte ihm kurz die Situation und sagte ihm, wo ich war.

  »Bleiben Sie dort, Maine«, sagte er.

  »Hören Sie, Inspektor, genau das habe ich vor. Ich hätte Sie schließlich nicht angerufen, wenn ich weglaufen wollte, oder?«

  Ich hing auf.

  Ich ging zur Hausyacht zurück und dachte, daß nun alles geregelt würde, und später am Nachmittag würde ich Susanna wiedersehen. Ich sagte mir immer wieder, daß ich kein Mörder sei, kein Mörder, kein Mörder. Ich sagte mir, daß von nun an alles in Ordnung sein würde.

  Ich öffnete die Tür und trat in die Kabine. Nach der klaren, frischen Seeluft war der Gasgeruch durchdringend. Stratton war während der kurzen Zeit, die ich fortgewesen war, eingeschlafen. Er lag im Sessel, die Beine ausgestreckt, und der rechte Arm hing über die Sessellehne. Ich sah, wie die Zigarette aus seinen Fingern glitt und glühend zu Boden fiel.

 

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