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Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition)

Page 11

by Bianca Iosivoni


  Er war auch nach den letzten Wochen immer noch derselbe Kerl, den ich vor einem Jahr kennengelernt hatte. Und gleichzeitig auch nicht, da ich immer wieder neue Seiten an ihm entdeckte. Dank des morgendlichen Militärworkouts alle zwei Tage und den Proben verbrachten wir deutlich mehr Zeit miteinander als je zuvor. Ich lernte sogar Jenny kurz kennen, als sie ihn letzte Woche nach der Probe vor dem PAC abgeholt hatte. Sie wirkte … nett? Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, was ich von ihr halten sollte, da sie weder mit mir noch mit den anderen Jungs ein richtiges Gespräch geführt hatte. Gut möglich, dass sie nur schüchtern war. Oder dass niemand außer Mason sie wirklich interessierte.

  Als hätten meine Gedanken ihn heraufbeschworen, betrat Mason in diesem Moment den Raum. Er wirkte abgehetzt, hatte sich die Collegetasche umgehängt und trug den Gitarrenkoffer in der Hand.

  »Sorry«, rief er. »Ich wurde aufgehalten.« Er stellte alles ab, holte eine Flasche heraus und trank ein paar Schlucke. Dann drehte er sich zu uns um und fixierte Pax. »Alyssa hat mich abgefangen und nach dir ausgefragt. Läuft da was?«

  Ich prustete los. Sofort schlug ich mir die Hand vor den Mund, aber da war es schon zu spät. Jesse fiel mit ein und auch Kane grinste kopfschüttelnd.

  »Fang gar nicht erst damit an«, grummelte Pax und warf uns allen einen warnenden Blick zu.

  Es dauerte nicht lang, bis auch Myung-hee und Emery eintrafen und wir mit dem ersten Song begannen. Es war der Freitag vor dem Labor Day, und die meisten unserer Kommilitonen fuhren über das lange Wochenende weg oder nach Hause. Unsere Heimat in Montana war jedoch zu weit entfernt, als dass es sich für Emery oder mich gelohnt hätte, zumal Dylan auch das Wochenende über hierbleiben würde. Myung-hees Familie lebte ganz in der Nähe, sie selbst wohnte aber seit diesem Semester auf dem Campus. Eigentlich war sie heute schon mittags zu ihren Eltern gefahren, für die Bandprobe jedoch extra noch mal hergekommen – und feuerte uns geradezu übereifrig an, während wir uns durch die ersten beiden Lieder arbeiteten. Irgendwann hatte Emery sie in ein Gespräch verwickelt, und ich konnte mich wieder auf den Gesang konzentrieren statt auf ihren Jubel.

  »Das war megagut!«, rief sie, nachdem wir den letzten Song für heute beendet hatten, und klatschte eifrig in die Hände. »Wann ist der nächste Auftritt?«

  Fragend sah ich zu Mason hinüber, aber es war der schweigsame Kane, der ihre Frage beantwortete: »In zwei Wochen.«

  »Oh, da muss ich unbedingt hin! Ist es wieder in einem Club?«, hakte sie nach. »Oder bei einer Verbindungsparty auf dem Campus?«

  Kane packte sein Bass ein. »Weder noch. Wir sind die Vorgruppe einer anderen Band.«

  Und waren damit auf einem richtigen Konzert. Auf einer richtigen Bühne. Im Freien. Allein bei der Vorstellung zog sich alles in mir zusammen. Automatisch wollte ich die Hand auf den Magen legen, bemerkte die Bewegung jedoch in letzter Sekunde und senkte sie wieder. Nicht jeder hier musste um mein Lampenfieber wissen. Meine Freundinnen waren heute extra hergekommen, um sich die Probe anzuhören, damit ich lernte, vor Publikum zu singen. Selbst wenn dieses Publikum nur aus zwei Leuten bestand. Trotzdem – oder gerade deshalb – hatte ich mich am Anfang zweimal verhaspelt und direkt danach auch noch meinen Einsatz verpasst. Mason hatte mir besorgte Blicke zugeworfen, Jesse die Schuld auf sich genommen, und die anderen hatten gar nichts dazu gesagt. Aber ich war mir sicher, dass alle in der Band meine Anspannung gespürt hatten. Wie sollte das bloß bei unserem ersten richtigen Auftritt werden?

  »Ich hab Hunger«, kam es wenig überraschend von Jesse, der sich gähnend streckte.

  »Alter …« Mason stellte seine Gitarre beiseite. »Du hattest beim Lunch vier Tacos.«

  »Na und? Das ist eine Ewigkeit her. Außerdem hab ich einen schnellen Stoffwechsel.«

  »Kein Scheiß«, murmelte Pax trocken.

  »Ich hab auch Hunger«, stimmte Emery mit ein und sah fragend zu Myung-hee und mir.

  »Wenn es kein Steakhouse ist und ich etwas Vegetarisches finde, komme ich mit«, stimmte sie lächelnd zu. »Was ist mit dir, Grace?«

  Ich schüttelte den Kopf. »Nächstes Mal.«

  Das mit den Tacos in der Mittagspause war keine gute Idee gewesen. Ich zählte zwar keine Kalorien mehr, wusste aber auch so, dass ich heute viel zu viel in mich reingestopft hatte. Vor allem ungesundes, fettiges Zeug. Heute Abend würde es nur noch Salat geben. Oder im Idealfall gar nichts mehr.

  »Vegetarisch klingt gut. Bin dabei.« Kane ging voraus.

  »Hey, seit wann isst du kein Fleisch mehr?«, rief Jesse ihm verständnislos nach.

  Mason, Pax und ich wechselten einen Blick, dann seufzte Pax tief. »So blind kann doch keiner sein«, murrte er und steuerte den Ausgang an.

  Mason wollte ihm folgen, aber ich hielt ihn auf.

  »Hast du noch eine Minute?«

  Verwundert blieb er stehen und stellte den Gitarrenkoffer ab. »Klar. Was gibt’s?«

  Ich wartete, bis alle anderen gegangen waren, erst dann wandte ich mich ihm zu. Als ich bemerkte, dass ich meine Finger vor Anspannung knetete, zwang ich mich dazu, damit aufzuhören. Es gab schließlich keinen Grund, nervös zu sein. Richtig?

  »Ich hätte da einen Vorschlag für einen Song«, sagte ich, bevor ich es mir doch noch anders überlegen konnte.

  Mason wirkte nur ein kleines bisschen überrascht. »Wirklich?«

  Ich nickte und suchte nach den Unterlagen in meiner Collegetasche. Übereifrig wie ich war, hatte ich den Songtext von Despacito bereits ausgedruckt. In zweifacher Ausführung. Nur für den Fall, dass mein Vorschlag gut ankam und wir das Lied tatsächlich ausprobieren wollten. Natürlich lag die Entscheidung nicht allein bei Mason und mir, aber wenn ich ihn auf meiner Seite hatte, was den Gesang anging, konnten wir den Rest der Band vielleicht überzeugen.

  Mason warf einen Blick auf die Lyrics, dann starrte er mich an. »Das ist Spanisch.«

  »Ich weiß. Ist das ein Problem?«

  Kopfschüttelnd las er weiter und murmelte dabei vor sich hin. Schließlich sah er auf. »Weißt du überhaupt, was das hier bedeutet?«

  Herausfordernd zog ich die Brauen hoch. »Ich habe von klein auf Französisch gelernt und hatte in der Schule vier Jahre lang Spanisch. Also ja, ich verstehe den Text. Größtenteils«, fügte ich hinzu, da mir tatsächlich nicht die Bedeutung jedes einzelnen Wortes klar war. Aber dass es um gegenseitige Anziehungskraft, ums Tanzen, Küssen, Feiern und um Sex ging, war mir trotzdem klar.

  Genau wie Mason, wenn ich seinen amüsierten Gesichtsausdruck richtig deutete. »Ich bin von meiner Nonna zwar eher Italienisch gewöhnt, aber ich komme auch mit Spanisch zurecht.«

  »Tatsächlich?«

  »Jepp. Und es ist eine gute Ergänzung zu den anderen Songs auf der Setlist.«

  »Also … wollen wir es versuchen?«

  »Klar.« Er ging auf die Bühne und winkte mich zu sich.

  Ich blinzelte und sah mich im leeren Proberaum um. »Jetzt? Hast du nicht noch was vor?«

  Schließlich war unsere normale Probe schon beendet. Der einzige Grund, aus dem der Raum nicht von jemand anderem benutzt wurde, war die Tatsache, dass es Freitagabend war. So voll der Raumplan sonst war, so selten war jemand spätabends hier drinnen. Schon gar nicht so kurz vor einem langen Wochenende.

  Ich dachte an meine eigenen Pläne, die aus Wäschewaschen – irrgs! – und einem Serienmarathon bestanden, und folgte Mason.

  »Ich habe mir überlegt, dass wir den Anfang weglassen und stattdessen mit dem Refrain beginnen könnten«, sagte ich, als Mason sich schon bereit machte, das Lied mit mir zu proben. »Aber ganz langsam. Als Einstimmung auf den Rest.«

  Einen Moment lang wirkte er verblüfft, dann nickte er langsam. »Interessanter Gedanke. Und die Strophen singen wir dann abwechselnd wie bei Drag Me Down?«

  »Nur wenn du den Rap-Anteil übernimmst.«

  »Nichts leichter als das.« Er hielt mir die Hand hin. »Aber dafür habe ich etwas bei dir gut. Sagen wir … einen Song, den ich aussuche. Deal?«

  Ich zöge
rte kurz, dann legte ich meine Hand in seine und schüttelte sie. »Deal.«

  »Sehr gut.« Er zwinkerte mir zu, was einen seltsamen Effekt auf mich hatte. Einen, dem ich definitiv nicht näher auf den Grund gehen wollte. »Dann lass uns mit diesem Baby loslegen.«

  Wir begannen wie von mir vorgeschlagen mit dem Refrain in einem langsamen Tempo, den wir beim zweiten Versuch etwas anzogen, nur um es dann wieder langsamer zu probieren. Was vor allem daran lag, dass wir uns beide erst an den spanischen Text gewöhnen mussten. Doch durch das Langsame bekam der Song etwas unglaublich Sinnliches.

  »Wir werden hier … und hier … etwas Backgroundhilfe benötigen«, bemerkte ich während einer Pause und malte Kreuzchen an die entsprechenden Textstellen.

  Mason winkte ab. »Das übernehmen die Jungs.«

  »Bist du sicher?«

  Er trank seine Wasserflasche aus und nickte dann. »Als ich die Leadstimme gesungen habe, haben Jesse und Kane auch die Background Vocals übernommen. Sollen wir noch mal?«

  »Ich bin bereit, wenn du es bist. Falls du noch kannst.«

  Er zog die Brauen so weit hoch, dass Falten auf seiner Stirn erschienen. »Falls ich noch kann? Baby, ich bin mehr als bereit und kann die ganze Nacht.«

  »Das hast du jetzt nicht wirklich gesagt …«

  »Oh doch. Und jetzt komm her, damit ich es dir beweisen kann.«

  Ich presste die Lippen aufeinander, um nicht zu offensichtlich zu schmunzeln, und stellte mich wieder neben ihn auf die Bühne. Inzwischen war das ausgedruckte Papier voller Anmerkungen, Pfeile und Kreuze, die wir beide dort hingekritzelt hatten.

  »Ich finde wirklich, du solltest den Anfang machen.« Ich tippte auf die entsprechende Stelle. »Deine Stimme ist warm, weich und total …« Ich hielt inne, als ich sein Grinsen bemerkte.

  »Total … was? Sprich ruhig weiter.«

  Ich verdrehte die Augen. »Mach einfach den Anfang, ja?«

  »Komm schon.« Er schlug wieder diesen Tonfall an, den er auch beim Singen an den Tag legte. Da war etwas Warmes, Tiefes, aber auch unglaublich Anziehendes in seiner Stimme. Ich glaubte nicht eine Sekunde lang, dass er sich dessen nicht bewusst war. »Was wolltest du sagen?«, bohrte er nach.

  »Gar nichts. Lass uns weitermachen.«

  »Grace …«

  Ich rollte mit den Augen. »Verführerisch. Das wollte ich sagen. Bist du jetzt zufrieden?«

  Etwas veränderte sich in seiner Miene, auch wenn ich nicht die geringste Vorstellung davon hatte, was gerade in ihm vorging. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein.

  »Verführerisch …?«, wiederholte er eine Spur leiser. »Denkst du das wirklich?«

  Ich atmete tief durch und dabei unweigerlich auch seinen Duft ein, weil wir so nahe beieinander standen.

  »Ja«, wisperte ich.

  Er lächelte. Kein belustigtes Grinsen, kein Lachen, nur ein ehrliches und vielleicht auch erstauntes Lächeln, während er mich einen Moment lang stumm betrachtete. Dann nickte er. »Ich übernehme den Anfang.«

  Wir legten erneut los, diesmal mit veränderter Reihenfolge. Und ich hatte recht behalten. Wenn der Song mit Masons unglaublicher Stimme begann und ich mich einklinkte, war die Wirkung wesentlich stärker. Diesmal kämpften wir uns durch das ganze Lied, auch wenn wir noch an ein paar Stellen über die Wörter stolperten und das Tempo noch nicht richtig draufhatten. Aber Letzteres würde später sowieso Pax am Schlagzeug vorgeben.

  »Das wird eine ziemliche Herausforderung …« Mason musterte mich, nachdem wir den Song nach so vielen Versuchen zum ersten Mal zu Ende gebracht hatten. Trotzdem wirkte er nicht frustriert oder genervt, sondern geradezu motiviert. »Aber ich glaube, dass es sich lohnt. Wenn wir das schaffen, dann kriegen wir alles hin!«

  »Sogar dein geheimnisvolles Lied, von dem ich noch nichts weiß?«

  »Sogar das.« Er faltete die Blätter zusammen. »Gib mir etwas Zeit, die Akkorde zu lernen. Und wenn die anderen nichts dagegen haben, können wir es bei der nächsten Probe versuchen.«

  Ich nickte mehrmals und versuchte, nicht zu offensichtlich zu zeigen, wie sehr ich mich darüber freute. Dabei verband ich mit Despacito nicht mal besondere Erinnerungen, aber ich liebte den Rhythmus und die Leidenschaft dieses Lieds. Und noch mehr liebte ich die Vorstellung, diesen nicht gerade einfachen Song eines Tages singen und performen zu können. Zusammen mit der Band. Mit meiner Band, denn ich war jetzt ein Teil davon.

  Mit einem Lächeln auf den Lippen packte ich meine Sachen ein. Mason begleitete mich bis nach draußen, dann trennten sich unsere Wege, da er sich noch mit seiner Freundin treffen wollte und schon zu spät dran war. Ich sah ihm einen Moment lang nach, dann seufzte ich und kehrte zu meinem Wohnheim zurück.

  Als ich die große Kreuzung erreichte und darauf wartete, dass die Ampel umschaltete, sah ich zum ersten Mal seit Beginn der Bandprobe wieder auf mein Handy. Der Akku war noch erstaunlich voll, dafür explodierte mein Telefon mit ungelesenen Nachrichten. Zwei von Daniel. Eine von meiner Schwester Gillian. Und mindestens acht von Emery. Ich blinzelte überrascht. War sie nicht mit den anderen etwas essen gegangen? Neugierig, aber auch etwas irritiert, rief ich ihre Nachrichten auf.

  Kane hat wie Myung-hee einen vegetarischen Burger bestellt. Der Kerl hat noch nie in seinem Leben etwas Vegetarisches gegessen! Ich glaube, er meint es wirklich ernst.

  Ich riss den Kopf hoch, als die Leute neben mir losgingen, und überquerte die Straße. Auf der anderen Seite angekommen, las ich sofort weiter. Für jeden außer Myung-hee – und Jesse – schien Kanes Interesse offensichtlich zu sein. Zugegeben, anfangs war er sehr subtil vorgegangen, doch mittlerweile schien er alles daran zu setzen, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Selbst wenn das bedeutete, dass er zum ersten Mal in seinem Leben einen vegetarischen Burger aß.

  Ohhh, er hat gerade den Arm hinter sie auf die Lehne gelegt.

  MH zögert … Verdammt, wieso zögert sie? K ist heiß! Sie soll ihn sich schnappen!

  Grinsend sah ich kurz hoch, als ich mich dem Wohnheim näherte, und scrollte dann schnell weiter.

  Sie lehnt sich an ihn! Und er lächelt! Ich glaube, niemand hat K jemals richtig lächeln sehen. Das war’s. Es ist offiziell. Ich shippe die beiden!

  Ich lachte leise auf, auch wenn mir das ein paar verwunderte Blicke meiner Kommilitonen einbrachte, die wie ich gerade die Lobby betraten, an Sitzecke, Aufenthaltsraum und Waschräumen vorbeigingen und den Fahrstuhl ansteuerten. In letzter Sekunde bog ich ab und nahm die Treppe. Nach der Bandprobe war ich zwar einerseits völlig erledigt, andererseits aber auch total aufgekratzt. Vielleicht sogar genug, um freiwillig die verhasste Wäsche zu machen, bevor ich den Laptop einschaltete. Meine Freundinnen waren beschäftigt, Daniel mit seinen Jungs unterwegs, also stand nichts zwischen mir und einem Serienmarathon. Außer einem Berg an ungewaschenen Klamotten. Brrr.

  Während ich die vielen Stufen nach oben in den vierten Stock nahm, überflog ich auch den Rest von Emerys Nachrichten.

  Gerade haben sie noch über Musik geredet, jetzt diskutieren sie über Politik. Hmpf … Vielleicht überlege ich mir das mit dem Shippen noch mal.

  Wo steckst du eigentlich?

  Oh je, P hatte keine Lust mehr und ist gegangen. Wir sind nur noch zu viert.

  Uuund jetzt macht sich J an mich ran …

  Stirnrunzelnd las ich diese Worte und wollte weiterscrollen, aber da kam nichts mehr. Das war der letzte Text meiner besten Freundin. Okay … Das war ungewöhnlich. Ich fragte sie, ob alles in Ordnung war und schrieb ihr, dass ich im Wohnheim war, gleich einen Serienmarathon einlegen würde und sie vorbeikommen sollte, wenn sie Lust hätte, erhielt aber keine Antwort. Danach textete ich Daniel und meiner Schwester und legte das Smartphone zur Seite.

  Erst einen deutlich geschrumpften Wäscheberg und fünf Folgen Dynasty später, als es draußen dunkel war und die Uhr weit nach Mitternacht anzeigte, blinkte mein Handy mit einer neuen Meldung auf.

  Alles bestens. Schlaf gut!

  Die Nachricht sollte mich beruhigen, aber irgendwie w
urde ich das seltsame Gefühl nicht los, etwas Wichtiges verpasst zu haben.

  »Komm schon! Das schaffst du!«

  Es war noch früh am Morgen, die Sonne an diesem ersten September gerade erst hinter dem PAC aufgegangen, und obwohl sich schon jetzt ein warmer Tag ankündigte, hing noch Nebel über dem Boden.

  Mason ging neben mir in die Hocke. Kein keuchender Atem. Kein Schweißtropfen. Ihm war nicht mal ein Hauch von Anstrengung anzumerken. »Hey, du wolltest es nicht anders. Das mit dem Bootcamp war deine Idee. Du bist zu mir gekommen, schon vergessen?«

  Meine Arme zitterten. Mein Oberteil klebte mir am Rücken, und Schweiß lief mir an Stirn und Schläfen hinunter. Jeder Atemzug fühlte sich an, als würde ich in einem feuchtwarmen Gewächshaus stehen statt draußen im Freien. Trotzdem hatte Mason auch heute keine Ausnahme mit dem Training gemacht. Nicht einmal an einem Samstag. Und obwohl er recht hatte und das Ganze meine Idee gewesen war, hasste ich ihn an diesem Morgen für seine Motivation und seine scheinbar endlose Energie. Denn während ich noch mit den Liegestützen kämpfte, war er längst fertig. Mit Liegestützen und Sit-ups, wohlgemerkt. Gott, ich hasste diesen Kerl allein deshalb.

  »Los, Grace! Noch zwei Stück!«

  Ächzend hievte ich mich hoch und ließ mich langsam wieder hinuntersinken. Meine Muskeln protestierten und zitterten, trotzdem drückte ich mich erneut nach oben.

  »Sehr gut! Jetzt noch dreimal.«

  »Was?!«, zischte ich. »Gerade waren es nur zwei!«

  »Ich hab gelogen. Es waren noch fünf. Aber jetzt sind es wirklich nur noch zwei.«

  Hatte ich schon erwähnt, wie sehr ich diesen Typen mit seiner widerlich guten Laune hasste?

  Als wir den Lauf hinter uns gebracht hatten – diesmal in achtzehn Minuten –, war ich völlig verschwitzt und fertig mit der Welt. Masons kurz geschorenes Haar war nass, und sein ärmelloses Shirt klebte ihm am Oberkörper, aber er keuchte nicht mal halb so laut wie ich. Und mit Sicherheit hatte er nicht so ein widerliches Stechen in der Seite. Ich hielt mir die Stelle, während wir in gemächlichem Tempo zu unseren Wohnheimen zurückkehrten. Und obwohl ich Masons Blick auf mir spürte, sagte ich nichts. Atmen und einen Fuß vor den anderen zu setzen war alles, was ich noch zustande brachte.

 

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