Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition)

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Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition) Page 15

by Bianca Iosivoni


  Beim Refrain schwenkte Mason den Kopf herum, als würde er sich das Haar über die Schulter werfen wollen, und riss eine Hand in die Höhe, während er in der anderen etwas festhielt, das verdächtig nach seiner Eisteeflasche aussah. Die er als Mikrofon missbrauchte.

  Gerade, als ich Luft holte, um mich bemerkbar zu machen, vollführte Mason eine Drehung und etwas, das wie ein Spagatsprung aussah, dicht gefolgt von … War das etwa ein Moonwalk? Er machte hier nicht allen Ernstes einen auf Michael Jackson, während er so tat, als würde er singen?

  Mason wirbelte erneut herum und entdeckte mich dann in der Tür. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, aber statt vor Schreck sein improvisiertes Mikrofon fallen zu lassen, hastig die Musik auszuschalten und vor Scham im Boden zu versinken, streckte er mir lediglich die Hand entgegen.

  Ich starrte ihn an. Er wollte doch nicht etwa, dass ich …? Oh nein. Keine Chance. Auf gar keinen Fall. Ich würde unter keinen Umständen …

  Ehe ich mich versah, stand er vor mir und seine warme Hand umfasste meine. Cry to Me begann von Neuem, und Mason wirbelte mich herum. Mir blieb die Luft weg, als ich wieder in seinen Armen landete. Hitze begann sich in mir auszubreiten, aber Mason grinste nur und übernahm die Führung. Was gut war, da ich nicht tanzen konnte. Zumindest nicht … das hier. Wieder wirbelte er mich herum, und als ich diesmal zu ihm zurückkehrte, kam mir ein Lachen über die Lippen. Es war eine ungewohnte Mischung aus Verwirrung, Belustigung und … einem seltsam befreienden Gefühl zugleich. Ich hatte keine Ahnung, was wir hier taten, aber es fühlte sich gut an. Mason legte sich voll ins Zeug und brachte mich mit seiner Playbackversion erneut zum Lachen. Könnte aber auch daran liegen, dass er dabei auf die Knie ging und sein ganzes schauspielerisches Talent in diesen Song legte.

  Ein letztes Mal noch wirbelte er mich herum, dann verhallten die letzten Klänge und Mason ließ mich los, um zur Anlage hinüberzugehen. Wenige Sekunden später erfüllte nur noch Stille den Raum.

  »Was …«, brachte ich keuchend hervor. »Was um alles in der Welt war das?«

  »Nur ein bisschen Spaß«, erwiderte er schulterzuckend. Dann trat ein neugieriger Ausdruck auf sein Gesicht. »Sag mir nicht, dass du noch nie zum Spaß getanzt hast?«

  Ich schüttelte den Kopf. Natürlich kannte ich alle Gesellschaftstänze, die man als junge Dame kennen musste. Dafür hatte Mom gesorgt, indem sie Gillian und mich schon früh in Tanzkurse geschickt hatte. Aber das gerade eben kam nicht mal ansatzweise an die Schrittfolgen heran, die ich in all den Jahren gelernt hatte. Und das, obwohl ich ziemlich gut im Langsamen Walzer und Foxtrott war.

  »Du hast wirklich noch nie einfach nur zum Spaß getanzt?«, wiederholte er fassungslos.

  Wow. Okay. Hätte ich gewusst, dass ihn das so beschäftigen würde, hätte ich meinen Mund gehalten. Dabei war das nun wirklich nichts Besonderes. Ich verstand sowieso nicht, was dieses komische Rumgehüpfe auf Konzerten und Tanzflächen sollte.

  »Aber wie kann das sein?«, rief Mason. »Du warst doch manchmal mit mir und den anderen aus. Das ist ja so als … als … würde man keine Burger mögen!«

  »Also, um ehrlich zu sein …«

  Mason riss die Hand hoch und brachte mich damit zum Schweigen. »Wenn du mir jetzt erklärst, dass du keine Burger magst, muss ich dich entfreunden und dir auf allen Social-Media-Kanälen entfolgen.«

  Gegen meinen Willen musste ich grinsen. »Ich wusste gar nicht, dass wir Freunde sind«, neckte ich ihn.

  »Sind wir jetzt auch nicht mehr. Komm mit, Prinzessin.« Er packte seine Sachen zusammen, nahm mein Smartphone von der Bühne, wo ich es vergessen hatte, und klimperte mit den Schlüsseln.

  Ich ging langsam auf ihn zu. Zögerlich. Skeptisch. Und hauptsächlich aus dem Grund, weil er mein Handy hatte. »Wohin?«

  »Wir gehen jetzt tanzen.«

  Kapitel 10

  Mason

  Wenn mich vor einer Stunde jemand nach meinen Plänen für den restlichen Abend gefragt hätte, hätte ich Songwriting, Essen und Schlafen gesagt. Ich hatte letzte Nacht ziemlich lange mit Jenny und ihren Freunden gefeiert, war heute Morgen völlig übermüdet und eigentlich viel zu früh für das Training mit Grace aufgestanden, und der Nachmittag mit Jenny und meiner Familie war auf gute Art anstrengend gewesen. Jetzt noch mal auszugehen war so ziemlich das Letzte, wonach mir der Sinn stand. Aber zuzulassen, dass Grace eine Sekunde länger in diesem Unwissen lebte? Das ging nicht. Das hier war ein Notfall. Ich musste diesem Mädchen helfen. Es war meine Pflicht als Bandkollege und Freund, ihr zu zeigen, dass man beim Tanzen keine komischen Schrittfolgen oder steife Regeln befolgen musste, sondern etwas einfach tun konnte, weil man Lust darauf hatte und es Spaß machte.

  Ein Club kam nicht infrage, da würde Grace niemals lockerlassen. Spontan fiel mir die WG der Jungs oder von Elle und Tate ein, die zusammen mit Luke und Trevor einen Städtetrip über das lange Wochenende machten, aber da hätten wir nicht genügend Platz. Genauso wenig wie in meiner eigenen WG. Also blieb nur noch ein Ort – ein Ort, den ich vor den Semesterferien zufällig entdeckt hatte.

  Pax war damals vorbeigekommen, aber Leyna, die verrückte Stalker-Blondine, war ihm auf den Fersen, und wir konnten von meinem Fenster aus beobachten, wie sie sich auf den Weg ins Wohnheim machte. Statt weiter auf dem Sofa im Wohnzimmer abzuhängen, waren wir plötzlich beide auf der Flucht vor ihr. Ins Treppenhaus und dann nach oben, bis wir im letzten Stockwerk ankamen. Zumindest dachten wir das. Doch dann entdeckten wir auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit, für den Fall, dass Leyna uns aufspüren sollte, eine weitere Tür. Und hinter der verbarg sich eine ziemliche Überraschung. Wie es aussah, hatte unser Wohnheim eine riesige Dachterrasse, von der uns niemand etwas erzählt hatte. Wahrscheinlich, weil sie nicht richtig abgesichert war und die College-Leitung nicht für eventuelle Unfälle verantwortlich gemacht werden wollte.

  Aber der Ort war der Wahnsinn. Perfekter Ausblick über die ganze Stadt, völlige Stille – und unser Geheimnis. Bis jetzt. Denn jetzt würde ich Grace einweihen.

  »Du meinst das wirklich ernst, oder?«, fragte sie, als wir uns den Wohnheimen näherten.

  Ich würde ihr keine Zeit lassen, um sich umzuziehen oder über diese ganze Aktion nachzudenken. Das alles war spontan und auch ein bisschen durchgeknallt und damit genau das, was sie nach diesem Tag brauchte. Erstaunlicherweise hatte Grace bisher nicht protestiert, sondern war einfach mitgekommen.

  Als wir mein Wohnheim betraten und sie vor mir zum Aufzug lief, nahm ich ihr Outfit zum ersten Mal an diesem Abend richtig wahr. Sie trug ein ärmelloses weißes Top und einen rosafarbenen weiten Rock mit hohem Bund, der ihr bis zu den Knien reichte und aussah, als würde er einer Ballerina gehören. Dazu mörderisch hohe High Heels in derselben Farbe. Perfekt zum Tanzen.

  Ich riss den Blick von ihren Beinen los und richtete ihn wieder auf ihr Gesicht. Grace war inzwischen beim Fahrstuhl angekommen und zog eine Braue hoch, die unter ihrem dichten Pony verschwand.

  Ich versuchte mich an einem entschuldigenden Grinsen. »Sorry, was war die Frage?«

  Sie verdrehte die Augen, aber ich bemerkte, dass ihre Wangen rot wurden. Irgendeine Wirkung musste ich also auf sie haben, denn schüchtern hatte ich Grace Watkins eindeutig nicht kennengelernt. Ein schüchternes Mädchen tauchte nicht mitten in der Nacht bei einem Kerl auf, den sie nicht leiden konnte, und forderte einen Gefallen ein. Und ganz sicher würde sie nicht mit demselben Kerl trainieren oder zusammen in einer Band spielen. Oder an einem Samstagabend einfach mit ihm gehen, ohne zu wissen, wohin.

  Sie räusperte sich, dann wiederholte sie die Frage von vorhin: »Ich wollte wissen, ob das mit dem Tanzen wirklich dein Ernst war.«

  Ich deutete auf den Aufzug, dessen Türen in diesem Moment aufgingen, und ließ ihr den Vortritt. »Wieso nicht? Wir sind gleich da.«

  »In deiner Wohnung?«

  »Nope.« Belustigt drückte ich den Knopf für das oberste Stockwerk.

  »Ist da oben ein Tanzstudio, von dem ich keine Ahnung habe?«

  »Könnte man so sagen. Du siehs
t es gleich.«

  Seufzend strich sie sich den Rock glatt. »Ich weiß nicht mal, warum ich mich darauf eingelassen habe.«

  Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich mein Grinsen nicht zurückhalten können. »Du konntest dich meinem Charme eben nicht entziehen. Ist schon okay. Das passiert öfter.«

  Ihre Mundwinkel zuckten, aber gleichzeitig schüttelte sie den Kopf, während sie eine Flasche aus ihrer Tasche zog. »Gib mir eine Sekunde. Ich muss mich noch entscheiden, ob ich dieses Wasser trinken oder dir lieber ins Gesicht schütten will.«

  »Trink. Sonst dehydrierst du noch und dann kann ich dir nicht zeigen, wie man Spaß am Tanzen haben kann.«

  »Ich habe nie gesagt, dass ich das will«, konterte sie und nahm ein paar Schlucke aus der Flasche.

  Ich beobachtete sie ein paar Sekunden zu lang und schluckte hart. »Das nicht, aber du hast es dringend nötig … also das Tanzen«, fügte ich eilig hinzu, bevor sie – oder schlimmer: ich – auf dumme Gedanken kommen konnte.

  Grace erwiderte nichts darauf, und im nächsten Moment öffneten sich die Fahrstuhltüren mit einem lauten Pling wieder. Wir waren im obersten Stockwerk angekommen, aber um aufs Dach zu gelangen, mussten wir noch ein paar Stufen hochlaufen. Ich deutete auf die Tür, die so unscheinbar war, dass vermutlich jeder daran vorbeilief, weil er eine Abstellkammer dahinter vermutete. Daran hingen ein Betreten-verboten-Schild und ein altes, rostiges Schloss. Dank Pax kannte ich den Trick, wie man es ganz einfach öffnen konnte. Es klickte, dann konnte ich die Tür aufstoßen. Wie selbstverständlich griff ich nach Grace’ Hand und zog sie mit mir. Erst als wir mitten auf dem flachen Dach mit der niedrigen Balustrade angekommen waren, ließ ich sie wieder los und drehte mich zu ihr um.

  Ihr Blick wanderte umher. Ich konnte mir gut vorstellen, was sie gerade dachte. Tagsüber war der Ausblick schon eindrucksvoll. Aber jetzt? Mitten in der Nacht? Atemberaubend. Die Lichter der Stadt breiteten sich zu unseren Füßen aus, während Mond und Sterne über uns am Himmel funkelten. Obwohl die Sonne längst untergegangen war, ließen sich einzelne Gebäude noch gut ausmachen. Das beleuchtete Football-Stadion zum Beispiel, das Hauptgebäude der Blackhill University mit seinem Turm, ein paar Kaufhäuser und Parkplätze, und dazwischen das Glitzern des Flusses, der sich durch Huntington schlängelte. Geräusche schallten nur gedämpft zu uns herauf. An langen Wochenenden war es auf dem Campus sowieso wie ausgestorben, aber hier oben war es fast schon gespenstisch still. Keine Beleuchtung, keine Geräusche. Nur die der eigenen Schritte auf dem an manchen Stellen aufgesplitterten Betonboden.

  Ein leichter Wind kam auf, wirbelte Grace’ Haar durcheinander und presste ihre Kleidung gegen ihre schmale Gestalt.

  »Wow«, flüsterte sie und trat vorsichtig näher an den Rand des Daches. Es gab zwar eine kleine Mauer, aber an einigen Stellen fehlte sie bereits oder schien so brüchig, dass man sich wahrscheinlich nur kurz dagegenlehnen müsste, um sofort das Gleichgewicht zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen.

  Behutsam legte ich die Hand an ihren Ellbogen und dirigierte sie zurück zur Mitte des Dachs. Dann ging ich zu meinen Sachen, suchte nach einer passenden Playlist in meinem Handy und drehte die Musik auf.

  »Und jetzt«, verkündete ich laut genug, damit sie mich trotzdem verstehen konnte, »tanzen wir. Und haben Spaß. Genau wie gerade eben.«

  Eine Falte erschien zwischen ihren Brauen. Sie sagte etwas, das ich kaum verstand, also beugte ich mich zu ihr hinunter. Dabei drang mir unwillkürlich ihr Duft in die Nase. Kühl. Frisch. Und überraschend blumig.

  »… welche Tanzschritte?«

  Verwirrt richtete ich mich auf und suchte ihren Blick. »Es gibt keine.«

  Grace blinzelte. »Du willst tanzen. Also muss es auch eine Schrittfolge geben.«

  Okay, ich hatte mich geirrt. Das hier war kein Notfall – es war schlimmer als das. »Du warst doch schon mit uns aus und hast mit den anderen Mädels getanzt. Was hast du da auf der Tanzfläche getrieben?«

  Sie zuckte mit den Schultern. »Ein paar Variationen ausprobiert. Ein bisschen Rock, ein bisschen Swing, ein bisschen Standard? Jive eignet sich auch prima für schnellere Songs im Viervierteltakt.«

  »Großer Gott …« Ich rieb mir über die Stirn. »Du brauchst eindeutig Hilfe.«

  Was die reinste Ironie war, denn ich war mir sicher, dass Grace bei jedem Standardtanz glänzen würde. Aber einfach nur ein bisschen herumhampeln und Spaß haben, während Musik lief? Keine Chance.

  »Ich brauche überhaupt kei…«

  »Ich bringe dir jetzt bei, wie du ohne feste Schritte tanzen kannst«, unterbrach ich sie und legte den Arm locker um ihre Taille. »Und du wirst Spaß daran haben. Glaub mir, eines Tages wirst du es mir danken. Und dein zukünftiger Freund auch.«

  Sie schien protestieren zu wollen, öffnete sogar den Mund, schloss ihn dann jedoch wieder. Ich lächelte herausfordernd. Grace funkelte mich an, legte dann jedoch die Arme um meinen Hals. Ich unterdrückte den Schauer, der sich von der Stelle, an der ihre Finger meinen Nacken berührten, über meinen ganzen Rücken auszubreiten begann, und konzentrierte mich auf das Wesentliche: diesem Mädchen beizubringen, wie man ganz ohne Regeln tanzte.

  Was sich schwieriger erwies als gedacht. Denn während sich Grace bei unserer kleinen Tanzeinlage im Proberaum automatisch meinen Schritten angepasst hatte, stolperte sie jetzt und versteifte sich in meinen Armen. Ihr Blick war konzentriert, sie hatte die Lippen aufeinandergepresst und schaute immer wieder zu Boden, als würde sie irgendeinen Sinn, irgendeine Reihenfolge oder Wiederholung in unseren Bewegungen zu finden versuchen. Was sie nicht tat, da ich mich ganz ohne Regeln und ohne eine bestimmte Technik zur Musik bewegte. Im Grunde wiegten wir uns bisher nur etwas zur Melodie hin und her. Der richtige Unterricht hatte noch nicht mal begonnen. Trotzdem schien ihr selbst das schon schwerzufallen.

  »Hey …« Sachte hob ich ihr Kinn mit dem Finger an. »Entspann dich.«

  »Wie denn?« Wieder mal tauchte diese störrische kleine Falte zwischen ihren Brauen auf. »Wir schwingen einfach nur etwas hin und her oder hüpfen bloß rum, was mir spätestens beim Foxtrott ausgetrieben wurde. Wo ist die Schrittfolge? Die Kombinationen? Die richtige Haltung?«

  Sie sah sich um, als würden neben uns gleich lauter Paare aus dem Standardtanz auftauchen, die es richtig machten, starrte gleich darauf jedoch wieder auf unsere Füße und … zählte sie allen Ernstes mit? Das konnte doch nicht wahr sein. Ich seufzte frustriert. Wieso konnte sie im Proberaum alles um sich herum vergessen, ganz besonders all die Regeln und Vorschriften – hier draußen aber nicht? Ich versuchte es mit einer Drehung, aber die endete beinahe in einer Katastrophe, weil Grace etwas anderes zu erwarten schien und über ihre eigenen Füße stolperte. Eilig zog ich sie wieder an mich.

  Auch Grace wirkte nicht sonderlich glücklich bei meinen Versuchen, ihr Spaß an der Sache zu vermitteln. Wenn ich sie nicht selbst erlebt und mit ihr im Proberaum getanzt hätte, hätte ich vielleicht geglaubt, dass ihr das einfach nicht lag. Aber ich hatte mit ihr getanzt, hatte sie letztes Jahr zusammen mit der Band auf der Bühne erlebt und im Wintermusical auftreten gesehen. Sie konnte tanzen. Es machte ihr Spaß. Sie wusste nur nicht, wie man sich fallen ließ.

  Ich dachte an das, was sie mir vorhin erzählt hatte. Welche Tänze sie gelernt hatte und gut kannte. Auf keinen Fall würden wir einen Foxtrott oder Walzer mitten auf einem Häuserdach hinlegen, auch wenn ich das einigermaßen präsentabel hinbekommen würde, immerhin hatte Nonna darauf bestanden, mir schon in der Junior High alle wichtigen Tanzschritte beizubringen. Ich hatte kein Mitspracherecht in der Sache gehabt. Grandpa hatte eine Schallplatte aufgelegt, und Nonna hatte die Führung übernommen und alle Schritte mitgezählt. Zuerst hatte ich es doof und peinlich gefunden, dann jedoch schnell gemerkt, dass ich allen anderen Jungs in meinem Alter gegenüber einen Vorteil hatte. Insbesondere als ich Jenny kennenlernte. Allerdings hatte ich nicht vor, Grace zu dieser Aktion zu zwingen, wenn sie absolut keine Freude daran hatte. Was nicht bedeutete, dass ich so schnell aufgab.

  Bevor der Song zu Ende wa
r, beendete ich unseren gescheiterten Versuch und lehnte mich zu ihrem Ohr hinunter. »Warte kurz.«

  Sie drehte den Kopf zu mir, wodurch sich unsere Lippen beinahe streiften und mir kurz das Herz stehen blieb. »Warum?«, fragte sie gerade laut genug, dass ich sie hören konnte. »Was hast du vor?« Ihre Augen waren riesig, aber sie wirkte eher genervt als nervös. Und ein kleines bisschen wütend. Vermutlich mehr auf sich selbst als auf mich. Hoffte ich zumindest.

  Wie gut, dass man all diese Gefühle beim Tanzen loswerden konnte – wenn man es richtig machte. Es war wie Sex. Wie auf der Bühne zu stehen. Oder zu schlafen. Man vergaß alles, nichts zählte mehr – außer der Moment. Und wenn ich mir Grace’ angespannte Haltung so ansah, konnte sie das nach diesem Tag verdammt gut gebrauchen. Das Tanzen wohlgemerkt.

  Statt einer Antwort warf ich ihr nur ein beruhigendes Lächeln zu und ging zu meinem Handy hinüber. Ein paar Klicks, und schon hatte ich gefunden, wonach ich gesucht hatte.

  Deutlich zuversichtlicher kehrte ich zu Grace zurück, die sich tatsächlich nicht von der Stelle gerührt hatte. Bevor sie etwas sagen konnte, nahm ich ihre Hand und führte sie spielerisch in eine kleine Drehung. Genau in dem Moment, in dem die ersten Klänge von Crazy in Love aus dem Handy schallte. Allerdings handelte es sich hierbei nicht um die bekannte Radioversion, sondern um eine andere im typischen schnellen Rhythmus der Zwanziger- und Dreißigerjahre, gespickt mit neumodischen Elektrobeats.

 

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