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Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition)

Page 31

by Bianca Iosivoni


  Obwohl ich auch nicht gerade der größte Kerl war, wirkte sie neben mir winzig, fast schon zerbrechlich. Aber ich wusste, dass Grace Watkins alles andere als zerbrechlich war. Sie war stark und unglaublich mutig und schien sich dessen nicht mal bewusst zu sein. Genauso wenig wie der Wirkung, die sie auf mich hatte. Nur das erklärte ihr überraschtes Keuchen, als ich von ihren Lippen abließ und mich über ihren Hals abwärts küsste. Letzte Nacht waren wir zu ausgehungert gewesen, um es langsam anzugehen, aber jetzt würde ich es mir nicht nehmen lassen, alles von ihr zu erkunden. Ich wollte wissen, was sie mochte, was sie liebte und was sie völlig wahnsinnig machte. Mit ihrem Hals hatte ich schon eine dieser empfindsamen Stellen gefunden, aber ich wollte noch mehr. Ich wollte, dass sie unter einer einzigen Berührung, einem einzigen Blick erschauerte und an nichts anderes mehr denken konnte als daran, mir nahe zu sein. Weil es mir mit ihr genauso ging.

  »Maze …« Sie stöhnte meinen Namen wie letzte Nacht, als ich jetzt ihre Brüste mit meinem Mund, meinen Händen und allem verwöhnte, was ich zu bieten hatte. Und das war jede Menge.

  Als ich zwischen ihren Beinen ankam, war sie schon völlig außer Atem, und als ich kurze Zeit später in sie eindrang, hielt sie meinen Blick fest, bis ich mich ganz in ihr verlor.

  Ich hätte ewig so mit ihr im Bett liegen bleiben können, aber auch wenn es sich so anfühlte, als wären wir hier in unserem ganz persönlichen kleinen Paradies, machte sich die Außenwelt zunehmend bemerkbar. Allein schon dadurch, dass mein Magen hörbar knurrte, was Grace zum Lachen brachte, bis auch ihr Bauch gurgelnde Geräusche von sich gab. Oder dadurch, dass wir offenbar nicht mehr allein in der Wohnung waren. Emery oder unser geisterhafter Mitbewohner werkelten in der Küche herum. Irgendetwas fiel zu Boden. Jemand lief im Wohnzimmer herum, und von draußen waren Sirenen zu hören. Trotzdem zögerte ich diese kleine Auszeit vom Alltag bis zur letzten Sekunde hinaus. Und als Grace schließlich aufstehen wollte, gab ich ihr einen Kuss und drückte sie sanft zurück in die Kissen.

  »Ich besorge uns Frühstück. Und Kaffee. Oder willst du etwas anderes?«

  Sie lächelte. »Kaffee klingt fantastisch.«

  »Bekommst du.« Noch ein Kuss, dann richtete ich mich ächzend auf. »Auf dem Weg schaue ich mal im Waschraum vorbei und hole unsere Sachen. Wenn ich nicht in dreißig Minuten zurück bin, hat mich Mrs Glennard erwischt und in einen dunklen Kerker gesperrt.«

  Ihre Mundwinkel zuckten. »Soll ich dich dann retten kommen?«

  »Aber nein, Mylady.« Ich beugte mich über sie und setzte einen sanften Kuss auf ihren Hals. »Ich kämpfe mir den Weg frei, in der Hoffnung auf eine Belohnung für diese todesmutige Tat.«

  »Die bekommst du«, wisperte sie und drehte den Kopf, bis sich unsere Lippen streiften. Aus der kurzen Berührung wurde ein Kuss, von dem ich mich nur schwer losreißen konnte.

  Und für den Moment vergaß ich fast, worüber wir geredet hatten, da mich diese Frau einfach alles vergessen ließ, sogar meinen eigenen Namen. Weil in meinem Kopf nur noch Platz für ihren war.

  Schweren Herzens stand ich auf, schnappte mir die erstbesten Klamotten, zog sie an und blieb an der Tür noch mal stehen. Mit der Hand am Knauf drehte ich mich zu ihr um. Grace hatte sich nicht von der Stelle gerührt, lag noch immer in meinem Bett, zwischen den zerwühlten Laken, mit vom Küssen geschwollenen Lippen, einem Knutschfleck am Hals, verwuschelten Haaren und einem verschmitzten Ausdruck in ihrem schönen Gesicht.

  »Okay – vergiss die dreißig Minuten. Ich brauche nur zehn.«

  Ihr Lachen folgte mir, als ich das Zimmer und kurz darauf auch die Wohnung verließ.

  Kapitel 20

  Mason

  Theaterproben waren das Letzte. Ganz besonders dann, wenn sie kurz vor dem Mittagessen stattfanden und es nicht nur eine Person gab, die die Hauptrolle ergattert hatte und sich wie eine Diva mit tausend Extrawünschen aufführte, sondern gleich drei. Nach zwei Stunden Probe knurrte mir der Magen, und das Hämmern hinter meiner Stirn, das mich schon seit dem Morgen begleitete, war noch schlimmer geworden. Dabei war es gerade mal Dienstag, und die ganze Woche lag noch vor uns.

  Trotz dieser Qualen und der Müdigkeit, die seit einer gewissen Samstagnacht mein Dauerbegleiter war, freute ich mich aufs Mittagessen. Und das nicht nur, weil es heute wieder Burger geben würde.

  Da ich nur für Musik und Soundeffekte verantwortlich war und mich nicht mit Kostümen und Textzeilen herumschlagen musste, die auf die Schnelle noch mal geändert wurden, war ich der Erste, der das PAC zur Mittagszeit verlassen konnte. Allerdings hatten wir so lange gebraucht, dass sich in der Mensa schon eine ewig lange Schlange gebildet hatte. Kurz sah ich mich nach meinen Freunden und einer ganz bestimmten Person um, konnte aber niemanden entdecken, also nahm ich mir seufzend ein Tablett und stellte mich ans Ende der Schlange.

  Die Luft hier drinnen war stickig. Laute Stimmen, Gesprächsfetzen und das Klappern von Geschirr trieben die Lautstärke gefühlt von Minute zu Minute höher und verstärkten das Dröhnen in meinem Kopf. Als ich endlich an der Reihe war, wäre ich vor Erleichterung beinahe vor der Mensa-Mitarbeiterin auf die Knie gesunken und hätte einen Song nur für sie gesungen. Ich holte mir meinen Burger in zweifacher Ausführung, dazu eine Cola und einen Energydrink und rannte dann förmlich nach draußen.

  Dort musste ich nicht lange suchen. Bis zum Spätherbst und solange es draußen noch erträglich war, saßen wir an unserem Stammplatz in der Sonne, gleich neben einem riesigen Baum und ein Stück von den anderen Holztischen entfernt, sodass man wenigstens sein eigenes Wort verstehen konnte.

  Tate entdeckte ich als Erste. Mit ihrem dunklen Haar und den knallroten Strähnen war sie kaum zu übersehen. Neben ihr saß Elle gegenüber von Luke, der mir den Rücken zugewandt hatte. Von Trevor war nichts zu sehen, wahrscheinlich war er noch in einem seiner Kurse oder lernte in der Bibliothek. Dafür setzten sich genau in diesem Moment Grace und Emery an den Tisch. Ich konnte nicht anders, als kurz stehen zu bleiben und den Anblick in mich aufzusaugen. Grace trug wieder eines ihrer Kleider, nur dass der Saum nicht an ihren Knien endete, sondern einige Zentimeter darüber, was mich nur zu deutlich daran erinnerte, wie weich sich ihre Haut unter dem Kleid angefühlt hatte und wie sehr ich sie wieder berühren wollte. Mit den Händen. Mit dem Mund. Mit …

  Jemand rempelte mich von hinten an. »Sorry, Mann.«

  »Kein Ding«, murmelte ich, ohne dem Kerl auch nur ein bisschen Aufmerksamkeit zu schenken, denn die lag nach wie vor ganz bei Grace.

  Ich setzte mich wieder in Bewegung, wich herumlaufenden Kommilitonen aus und machte einen großen Bogen um ein Pärchen, das sich gerade in aller Öffentlichkeit trennte. Pudding flog durch die Luft. Leute sprangen auf, fluchten und schüttelten sich, andere lachten und feuerten die beiden an.

  Kopfschüttelnd ging ich weiter. Je näher ich unserem Tisch kam, desto mehr traten Hunger und Kopfschmerzen in den Hintergrund. Dafür raste mein Puls, und meine Finger begannen zu kribbeln. Als ich den Tisch endlich erreichte, warf ich nur einen flüchtigen Blick in die Runde, stellte das Tablett ab und setzte mich neben Grace.

  »Hi.«

  »Hey …« Sie lächelte und ihre Wangen wurden immer röter.

  Ich konnte mich zwar davon abhalten, den Arm um sie zu legen und sie an Ort und Stelle besinnungslos zu küssen, aber gegen mein Lächeln kam ich nicht an. Dafür erinnerte ich mich zu deutlich an Samstagnacht. Und an den ganzen Sonntag. Und an gestern Nacht. Und an …

  Ein lautes Räuspern riss mich aus meiner Trance.

  Wie so oft machte Tate keinen Hehl aus ihren Gedanken und deutete zwischen Grace und mir hin und her. »Bedeutet dieses liebeskranke Grinsen, dass ihr zwei jetzt zusammen seid?«

  Wir könnten es verneinen. Wir könnten es herunterspielen. Aber ganz ehrlich? Wozu? Das, was zwischen Grace und mir war, geheim zu halten, war das Letzte, was ich wollte. Aber gleichzeitig war es auch noch so neu, dass wir selbst noch nicht einmal darüber gesprochen hatten, und für einen Moment wusste ich nicht so recht, wie ich auf diese direkte Frage reagieren sollte.


  »Yes!« Lukes Aufschrei rettete uns davor, antworten zu müssen. Er stieß die Faust in die Luft und grinste dabei so breit, als hätte er soeben den Marathon bei den C-USA Championships gewonnen.

  »Endlich!« Tate schlug mit beiden Händen flach auf den Tisch.

  »Fuck!« Das war Dylan, den ich bis eben nicht mal bemerkt hatte.

  Ich warf Grace einen leicht irritierten Blick zu. Ich hatte ja damit gerechnet, dass sie etwas geahnt haben könnten, doch diese Reaktionen waren doch ein wenig übertrieben. Aber als die ersten Geldbörsen herausgeholt wurden und Geldscheine von einem zum anderen wanderten, wurde mir klar, was hier wirklich los war.

  »Das ist nicht euer Ernst«, stieß ich hervor, ohne zu wissen, ob ich darüber lachen oder sie alle verfluchen sollte. »Ihr hattet eine Wette am Laufen? Echt jetzt?«

  Zu meiner Überraschung kramte auch Grace in ihrer Tasche herum und legte ein paar Scheine auf den Tisch, an denen sich alle bis auf Elle und Dylan bedienten.

  Ich starrte sie von der Seite an. »Sag mir nicht, dass du mitgewettet hast. Und dann auch noch gegen uns?!«

  Entschuldigend hob sie die Schultern, konnte ihr amüsiertes Lächeln aber nicht verbergen. Oh ja, ich sah dieses Zucken in ihren Mundwinkeln ganz genau. »Bis vor Kurzem konnte ich dich nicht mal leiden. Es schien eine gute Investition zu sein.«

  Eine gute Investition … Meine Fresse …

  »Was hast du erwartet, Mann?« Gut gelaunt schob Luke sich ein ganzes Bündel Scheine in die Hosentasche. »Die Wette zu Elle und mir hast du doch damals vorgeschlagen. Und das ist schon Ewigkeiten her.«

  »Ja, weil jeder sofort gesehen hat, dass ihr zwei irgendwann miteinander in der Kiste landen werdet«, konterte ich prompt und deutete auf Grace und mich. »Das hier ist etwas anderes.«

  Statt einer Antwort zog Luke wortlos die Brauen in die Höhe.

  Und ich verstand. Scheiße, und wie ich es verstand. War ich wirklich die ganze Zeit über so blind gewesen? Hatten meine Freunde von Anfang an etwas bemerkt, das ich nicht wahrgenommen hatte, das ich nicht hatte sehen wollen? Ja, sicher, Grace war mir sofort aufgefallen, aber zunächst vor allem dadurch, dass sie die Lieblingsfeindin meiner neuen Mitbewohnerin war. Und verdammt attraktiv. Aber ich war so auf Jenny und mich konzentriert gewesen, dass ich kaum einen weiteren Gedanken an Grace verschwendet hatte. Erst als wir bei dem Auftritt an Elles Geburtstag einen sofortigen Ersatz für die kranke Hazel gebraucht hatten, war Grace wieder in meinen Fokus gerückt. Und nach dem Kuss vor ein paar Monaten während des Stromausfalls im Wohnheim … Ein einziger Kuss, der alles verändert hatte. Als ich sie dann beim Vorsingen für die Band gehört hatte, war mir sofort klar geworden, dass ich mehr von ihr in meinem Leben haben musste. Als Sängerin. Zumindest dachte ich das zu jener Zeit noch …

  Wieso wurde mir erst jetzt bewusst, dass es schon damals um mich geschehen war? Dass sie mir schon so lange unter die Haut ging und ich sie mit jedem Tag weniger aus dem Kopf bekam?

  Diesmal hielt mich nichts davon ab, den Arm hinter sie auf die Lehne zu legen. Ich suchte ihren Blick, aber sie lächelte nur. Hatte sie es schon früher gewusst? Oder war sie genauso ahnungslos in diese Sache hineingeschlittert wie ich?

  »Mach dir nichts draus.« Grinsend ließ sich Tate von Dylan ausbezahlen, der offensichtlich ebenfalls gegen uns gewettet hatte. »Wie heißt es so schön? Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.«

  »Ha ha«, machte ich, erntete aber nur eine Kusshand von ihr.

  Auch die anderen am Tisch schienen mehr als belustigt zu sein. Emery verwickelte Grace in ein Gespräch im Flüsterton und irgendetwas sagte mir, dass ich gar nicht wissen wollte, worüber die zwei gerade redeten. Dylan klopfte mir im Vorbeigehen auf die Schulter wie ein Vater seinem unfähigen Sohn, der endlich die Matheaufgabe kapiert hatte, die für alle außer ihn offensichtlich gewesen war.

  Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder meinem Burger zu. Ich konnte es ihnen schlecht übel nehmen, dass sie eine heimliche Wette abgeschlossen hatten. Nicht, nachdem ich selbst eine darüber ins Leben gerufen hatte, wann Elle und Luke endlich miteinander im Bett landen würden. Aber Grace und ich? Das hatte ich nicht kommen sehen. Vielleicht hatte es mich deswegen so erwischt. Sie war plötzlich ein Teil meines Lebens geworden, zunächst nur ein winzig kleiner, mir dann aber immer wichtiger geworden. So sehr, dass ich sie auf keinen Fall wieder gehen lassen wollte. Was ich Sonntagmorgen im Spaß angedroht hatte, wurde plötzlich ernst. Ich wollte sie an meiner Seite wissen, wollte sie küssen, sie öffentlich umarmen können, mit ihr lachen, Musik schreiben und sie Nacht für Nacht zum Stöhnen bringen.

  Ich wollte mit ihr zusammen sein. Mehr als alles andere.

  »Wow. Ich glaube, das war die beste Bandprobe, die wir je hatten.« Pax schlug seine Drumsticks gegeneinander, als wollte er uns applaudieren. »Der Gig am Samstag wird ein Kinderspiel.«

  »Stimmt«, schaltete sich jetzt auch Jesse ein und wirbelte auf seinem Drehhocker vor dem Keyboard herum. »Was nicht an uns Schnecken hier hinten lag.«

  »Hey«, protestierte Kane, das Smartphone in der Hand und ein seltenes Lächeln auf den Lippen. »Schließ nicht von dir auf andere, Kleiner.«

  »Wen nennst du hier klein, du Gorilla?«

  Pax unterbrach die beiden mit einer Handbewegung. »Die Songs, die wir schon haben, klingen mega, aber für das Wettbewerbsfinale fehlt uns noch ein Lied, oder hab ich da was übersehen?«

  Ich schüttelte den Kopf. »Hast du nicht. Darüber wollte ich sowieso noch mit euch reden. Wir brauchen eine schöne Ballade. Ein starkes Duett. Für den Vorentscheid haben wir ja schon was, aber im Finale dürfen wir uns nicht wiederholen.« Mein Blick fiel auf Grace. »Wie wär’s mit Secret Love Song?«

  Grace runzelte die Stirn. »Von Little Mix und Jason Derulo? Hm … Ich bin sicher, dass du den Rap-Part grandios hinbekommst, aber der Song ist nichts für mich. Sorry.«

  »Wieso nicht?«, rief Jesse und spielte die ersten Noten des Refrains am Keyboard. »Der Song rockt! Die Leute werden Rotz und Wasser heulen. Den müssen wir unbedingt einstudieren!«

  Kane nickte, und auch Pax schien einverstanden zu sein.

  Nur Grace zögerte. »Das Lied ist wunderschön, aber meine Stimme schafft das nicht, Jungs.«

  Fragend legte Pax den Kopf schief. »Hast du es schon mal versucht?«

  »Ja. Aber zu der Zeit konnte ich die hohen Töne auch noch treffen. Jetzt sieht das anders aus.«

  »Das glaube ich nicht«, mischte sich Kane ein. »Du unterschätzt dich. Du kannst das, Grace, da bin ich sicher.«

  »Außerdem hatten wir einen Deal«, erinnerte ich sie nicht ohne eine Spur von Selbstzufriedenheit. »Wir performen Despacito, und dafür machst du bei einem Lied mit, das ich aussuche. Und wir sind alle für Secret Love Song.«

  Grace kniff die Augen zusammen, als wollte sie mich mit ihren Blicken erdolchen, doch dann gab sie sich seufzend geschlagen. »Na schön. Wie ihr wollt. Aber von mir gibt es keine Garantie dafür, dass ich das hinkriege.«

  »Wirst du«, kam es entschieden von Pax.

  Jesse grinste breit. »Wir sorgen schon dafür.«

  Ich sah von den drei Jungs zu Grace. Ihre Mundwinkel wanderten bei dem Austausch in die Höhe, aber da war auch ein Funkeln in ihren Augen und eine Wärme in ihrem Lächeln, von der ich wusste, dass sie mir allein galt. Ich konnte gar nicht anders, als es zu erwidern.

  »Okay, nachdem das geklärt ist, sollten wir die Turteltäubchen jetzt besser allein lassen«, erklärte Jesse und packte das Keyboard ein. »Kein Sex im Proberaum!«, rief er beim Hinausgehen.

  Ich … was?!

  Blinzelnd sah ich Jesse nach, der diesen Spruch einfach rausgehauen hatte und verschwunden war. Auch Pax und Kane wirkten überrascht. Ein paar seltsame Sekunden lang starrten wir einander an, dann rieb sich Pax über den Nacken, zuckte mit den Schultern und winkte zum Abschied. Kane klopfte mir im Vorbeigehen auf die Schulter. Dem verträumten Ausdruck in seinem Gesicht nach zu urteilen, war klar, mit wem er sich gleich treffen würde.

 
Grace und ich blieben allein zurück. Einen Moment lang schauten wir uns stumm an, während ihr die Röte in die Wangen kroch, dann prustete sie los, und ich schüttelte grinsend den Kopf.

  »Okay«, murmelte ich gedehnt. »Das war strange.«

  Sie nickte mit zusammengepressten Lippen, schmunzelte jedoch.

  Da wir heute wirklich alles gegeben hatten und fast ohne einen Patzer durchgekommen waren, waren wir früher fertig als sonst. Somit blieben uns noch ein paar Minuten, bevor wir den Raum frei machen mussten, damit die nächste Gruppe hier proben konnte.

  Wortlos streckte ich die Hand aus. Grace zögerte nicht, sondern kam zu mir, ließ sich aber genug Zeit damit, dass meine Brauen in die Höhe wanderten. Als sie endlich vor mir stand, packte ich sie an der Taille und zog sie an mich. Sie gab einen überraschten Laut von sich, dicht gefolgt von einem breiten Lächeln, als sie die Arme um meinen Hals schlang.

  »Sag bloß, du hast mich vermisst …«, neckte sie mich leise.

  »Ich vermisse dich immer. Auch wenn du neben mir stehst und ich das hier nicht tun kann.« Ich setzte einen kleinen Kuss auf ihren Hals. Dann auf ihr Kinn. »Oder das hier.« Der nächste Kuss landete auf ihren Lippen.

  Ihre Finger vergruben sich in meinem Haar. Zum ersten Mal erwischte ich mich dabei, den militärischen Schnitt zu bereuen, weil er es Grace schwer machte, wirklich zuzupacken. Doch als ich ihre Zunge spürte und merkte, wie sie an meinem Silberring herumspielte, vergaß ich diesen Gedanken sofort wieder.

  »Mmmh«, brummte ich. »Du stehst auf das Piercing, oder?«

  Sie lächelte an meinen Lippen. »Was hat mich verraten?« Wieder stupste sie es mit der Zungenspitze an. Hitze schoss durch meinen Körper, und ich war kurz davor, sie zu packen und in die nächste Ecke zu zerren. Oder auf einen der Stühle. Oder auf die Bühne.

  »Willst du wissen, worauf ich stehe?« Stück für Stück küsste ich mich an ihrem Hals hinauf, bis ich ihr Ohr erreicht hatte und die Worte hinein raunen konnte: »Auf dich. Auf das Gesamtpaket Grace Watkins.«

 

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