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Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us

Page 6

by Iosivoni, Bianca


  Während wir auf unsere Getränke warteten, ließ ich meinen Blick durch das Lokal wandern, aber von Keith war keine Spur mehr zu sehen. Ich sollte froh darüber sein, doch statt Erleichterung spürte ich einen Hauch von Enttäuschung. Er war ohne ein Wort gegangen – aber hatte ich wirklich mit etwas anderem gerechnet?

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  »Hältst du das für eine gute Idee?« Ich lehnte mich gegen den Türrahmen. Eigentlich war ich auf dem Weg ins Badezimmer gewesen, um irgendetwas mit meinem Haar anzustellen, das zu meinem Ballkleid passte, aber der Anblick, der sich mir bot, zwang mich regelrecht dazu, stehen zu bleiben.

  Holly saß, umgeben von Tüll und Seide in sanftem Rosé, in ihrem Zimmer auf dem Boden. Sie hatte ihr Kleid bereits an, war jedoch barfuß und ungeschminkt. In ihren Händen hielt sie ein flauschiges braunes Etwas, das mich aus seinen winzigen schwarzen Augen betrachtete.

  »Was meinst du?«, fragte Holly und strich dem Hamster mit dem Daumen über den Kopf.

  »Hamtaro und dein Kleid. Wenn es Flecken bekommt oder er es annagt, kriegt Stella einen Herzinfarkt.«

  »Das würde er niemals tun!« Sie hielt mir das kleine Fellknäuel auf ihrer Handfläche entgegen. »Hamtaro ist ein lieber Hamster …«

  »Aus der Hölle«, beendete Keith ihren Satz trocken.

  Jeder Muskel in meinem Körper erstarrte. Ich hatte ihn nicht einmal gehört, geschweige denn gespürt, wie er hinter mich getreten war. Dafür nahm ich ihn jetzt umso deutlicher wahr. Die Wärme, die von ihm ausging, prickelte in meinem Rücken. Und war das der Geruch von Aftershave, der mir da in die Nase stieg?

  Holly funkelte ihn an. »Ich weiß echt nicht, was du gegen meinen Hamster hast. Er hat dir nichts getan.«

  »Falsch«, konterte Keith und stützte sich mit einer Hand über meinem Kopf im Türrahmen ab. »Er hat mich gebissen.«

  »Das war sein Vorgänger, Hamtaro, der Erste. Er ist an Altersschwäche gestorben. Wir reden hier von Hamtaro, dem Vierten.«

  »Als ob das einen Unterschied machen würde.«

  Ich wich zur Seite aus und verschränkte die Arme vor der Brust, während ich dem Schlagabtausch der beiden schweigend folgte. Leider war ich damals nicht dabei gewesen, als Keith Bekanntschaft mit Hollys Hamster gemacht hatte. Aber meiner Schwester zufolge war das Kennenlernen laut und blutig gewesen. Danach hatte sich Keith dem Käfig nicht mal mehr auf einen Meter genähert.

  »Und ob das einen Unterschied macht.« Holly stand mit einer bewundernswerten Eleganz auf. Ich hätte mich gleich zweimal im Kleid verheddert, aber sie stolzierte wie eine Königin an mir vorbei auf Keith zu und hielt ihm ihren Hamster unter die Nase. »Du kannst nicht die vierte Generation für etwas verantwortlich machen, was die erste getan hat. Das ist politisch unkorrekt.«

  »Mir egal.« Zu meiner Überraschung wich Keith zurück. »Bleib mir mit dem Ding weg.«

  Holly prustete los. »Du hast echt Angst vor einem süßen kleinen Hamster?«

  »Dieser süße kleine Hamster hat mörderisch scharfe Zähne.« Anklagend deutete er auf das Tierchen, das sich auf Hollys Handfläche neugierig auf seinen Hinterbeinen aufrichtete und ihn aus seinen Knopfaugen anblinzelte.

  Holly machte einen Schritt auf ihn zu, was nur dazu führte, dass Keith noch weiter zurückwich.

  »Callie! Holly! Keith!«, ertönte Stellas Stimme auf einmal. Ich ging zum Geländer und sah nach unten. Sie stand im Wohnzimmer, die Hände in die Hüften gestemmt. »Wenn ihr nicht in zehn Minuten fertig seid, fahre ich ohne euch. Nein, das würde euch ja gefallen«, fügte sie im Murmelton hinzu, ehe sie die Stimme wieder erhob. »Wenn ihr nicht in zehn Minuten fertig seid, ändere ich das WLAN-Passwort und ihr müsst eine Woche ohne Internet auskommen!«

  Das nannte man dann wohl moderne Erziehung. Sowohl Holly als auch Keith erstarrten in ihren Bewegungen. Meine kleine Schwester war die Erste, die neben mir am Geländer erschien.

  »Ich brauche nur fünf Minuten!«, antwortete sie und verschwand mitsamt Hamster in ihrem Zimmer.

  »Nicht, wenn ich vor dir im Bad bin.« Ich warf einen prüfenden Blick in Keiths Richtung, aber er hob nur abwehrend die Hände, als würde er nicht mal im Traum daran denken, sich mit mir um das Badezimmer zu streiten. Besser so.

  Ich flitzte los, bevor Holly mir zuvorkommen konnte.

  Mein Bauch kribbelte so sehr vor Nervosität, als wäre das hier meine Spendengala. Das, was Stella und ihre Kollegen auf die Beine gestellt hatten, war beeindruckend. Der Saal war ganz in Weiß mit blauen Akzenten dekoriert. Von der Decke hingen Kronleuchter herab, in denen das Licht funkelte. Auf jedem einzelnen Tisch zu meiner Linken standen eine dunkelblaue Kerze und ein kleiner Blumenstrauß. Die Stühle waren mit einem glänzenden weißen Stoff bezogen, der jenem der Tischdecke ähnelte. Direkt dahinter nahm ein Büfett die gesamte Wand ein. Fünf Angestellte standen dort in ihren weißen Uniformen, ein blaues Blümchen am Revers, und warteten auf ihren Einsatz.

  »Wow«, stieß ich hervor und lief in den leeren Saal hinein. Dort, wo ich gerade stand, würden später tanzende Paare den Raum füllen. Beinahe versteckt hinter einem unauffälligen Podest legte der DJ gerade den ersten Song auf. Als er meinen Blick bemerkte, zwinkerte er mir gut gelaunt zu.

  »Wie findet ihr es?«, fragte Stella leise. Obwohl Sorgenfalten ihre Stirn zeichneten, sah sie atemberaubend aus. Das schwarze Kleid betonte ihre Figur und die hohen Schuhe ließen ihre Beine endlos wirken. Ich war froh, dass sie auf meinen Rat gehört und ihr Haar offen gelassen hatte. Jetzt fiel es ihr in einer wilden Lockenmähne über die Schultern. Zusätzlich hatte Holly ihr noch irgendeinen Puder aufgeschwatzt, der ihrer gebräunten Haut einen goldenen Schimmer verlieh. Die bunten Armbänder an ihrem linken Handgelenk waren das Einzige, das aus dem Rahmen fiel, aber sie hatte darauf bestanden, sie zu tragen. Es waren Geschenke von ihren kleinen Patienten, die sie selbst geflochten und mit Perlen aufgefädelt hatten. Eines davon war von mir. Der Metallreifen mit dem einzelnen strahlend roten Stein. Ich hatte stundenlang daran gesessen und ihn ihr zum ersten Geburtstag geschenkt, den sie mit uns gefeiert hatte. Mit ihrer Familie. Damals war ich elf gewesen.

  »Es ist traumhaft, Stella«, sagte ich und meinte jedes Wort ernst. Wenn erst die Gäste kamen und die Musik, das Lachen und das Stimmengewirr die Luft erfüllten, würde sich das hier wie ein Traum aus Weiß und Blau anfühlen. Als würde man auf Wolken tanzen.

  »Wirklich cool«, bestätigte auch Holly, die sich den Kopf nach dem DJ verrenkte. Glücklicherweise bemerkte unsere Stiefmutter das nicht, denn es war fraglich, ob Holly tatsächlich die Dekorationen und das Fest meinte. Ich stieß ihr meinen Ellbogen in die Rippen, was mir einen aufsässigen Blick von ihr einbrachte. Dann schien sie zu bemerken, dass ihre Interessen ziemlich offensichtlich waren, denn auf ihr Gesicht legte sich eine sanfte Röte.

  »Die Arbeit hat sich gelohnt«, kam es jetzt auch von Keith, der einen Arm um seine Mutter legte und ihr einen Kuss auf die Wange drückte. Es waren diese seltenen Momente, in denen ich vergaß, was für ein Arschloch er manchmal sein konnte. Wenigstens war er heute Abend ein Arschloch im Smoking. Doch selbst hier hatte er von der Norm abweichen müssen, denn statt eines weißen Hemdes trug er ein schwarzes und statt einer Fliege oder Krawatte um seinen Hals waren die obersten Knöpfe geöffnet.

  Ich riss meinen Blick von ihm los, gerade rechtzeitig, um zu bemerken, wie Holly zum Büfett schlich. »Hiergeblieben! Was hast du vor?«

  Ertappt blieb sie stehen und drehte sich mit Unschuldsmiene zu uns um. »Irgendjemand muss doch mal probieren und sicherstellen, dass die Gäste keine Lebensmittelvergiftung bekommen.«

  Als ob. Doch Stellas erleichtertes Lachen war Grund genug, um den Mund zu halten. Ich hatte sie noch nie so nervös erlebt wie vor dieser Veranstaltung, aber wenn Hollys unverschämt freche Art dazu beitrug, dass sie sich entspannte, würde ich sicher nicht dazwischengehen. Selbst wenn meine kleine Schwester sich ins Koma futterte und ich sie nach Hause tragen musste.

  Rund eine Stunde später wünschte ich mir regelrecht, Holly würde in Ohnmacht fallen. Dann gäbe es wenigste
ns ein bisschen Action auf dieser Feier. Die Musik spielte, Lachen lag in der Luft, aber die größte Schar der Gäste versammelte sich an den Tischen und am Büfett. Die Tanzfläche? Gähnende Leere. In einer Ecke hüpften ein paar Kinder herum, doch abgesehen davon tanzte niemand. Und es schien auch keiner das Bedürfnis danach zu verspüren. Wenn ich mich umsah, erblickte ich gelangweilte Gesichter. Sogar der Bürgermeister schaute diskret auf seine Armbanduhr, während seine Frau eifrig mit ihrer Sitznachbarin diskutierte.

  Das Essen kam fantastisch an, aber alles andere? Eine mittlere Katastrophe. Die Einnahmen aus den Tickets und dem Getränkeverkauf reichten gerade mal, um die Kosten zu decken. Aber an Spenden für die Kinderstation in Stellas Krankenhaus mangelte es noch immer.

  »Es ist ein Desaster!« Stella ließ sich auf den freien Stuhl neben mir fallen und raufte sich die Haare.

  Tröstend legte ich ihr die Hand auf den Arm. »Nein, es ist nur …«

  »Eine Katastrophe.«

  Ich warf Keith einen vernichtenden Blick zu. »Das ist nicht hilfreich.«

  »Stimmt. Hilfreich wäre es, wenn der DJ statt zu flirten mal ordentliche Musik auflegen würde.«

  »Woran hast du gedacht? Bon Jovis Living On A Prayer? Oder sollen AC/DC den Saal zum Kochen bringen?«

  Sein süffisantes Lächeln war Grund genug, um ihn unter dem Tisch zu treten. Leider kam mir Stella dazwischen und rettete ihren Sohn vor blauen Flecken. »Nein, er hat recht. Es ist eine Katastrophe. Wofür bezahlen wir diesen Kerl eigentlich?«

  Keith schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich kümmere mich darum.«

  Oh nein, das würde er nicht tun. Ich sprang auf, verhedderte mich in meinen High Heels und stützte mich gerade noch auf dem Tisch ab, bevor ich mich der Länge nach auf den Boden legte. Ich hätte nie zulassen dürfen, dass Holly mir diese Schuhe andrehte. Langsames Gehen war darin schon eine Kunst, aber Laufen, ohne sich das Genick zu brechen? Praktisch unmöglich.

  Dennoch eilte ich Keith hinterher, bevor er einen riesigen Fehler beging und die Gäste mit einem bescheuerten Rocksong von den Stühlen warf. Das hier war eine Tanzveranstaltung, kein Konzert, verdammt. Mit großen Schritten durchquerte ich den Saal und erreichte Keith in dem Moment, in dem ihm der DJ zunickte, Holly zuzwinkerte und wieder an die Arbeit hinter sein Pult ging.

  »Was hast du getan?«, rief ich, doch meine Stimme ging in den Klängen eines neuen Liedes unter. Die Melodie war schnell und peppig, die Frauenstimme dazu klar und das Ganze wirkte äußerst tanzbar. Nanu? Bis vor wenigen Sekunden hätte ich schwören können, dass Keith die ganze Spendengala in die Luft jagte. Doch jetzt …?

  »Für Stimmung gesorgt«, antwortete er unbeirrt. Dann richtete sich sein Blick auf jemanden hinter mir. »Mom, ich …«

  »Das ist gut!« Ein hoffnungsvolles Leuchten war in Stellas Augen getreten. »Jetzt müssen die Leute nur noch tanzen. Keith …«

  Oh nein. Wusste sie, was sie da verlangte? Niemand war auf der Tanzfläche. Absolut niemand. Das war schlimmer als ein Hochzeitstanz, bei dem Hunderte Gäste jede deiner Bewegungen verfolgten.

  »Holly«, wandte sie sich an meine Schwester, und ich atmete erleichtert auf. »Bitte. Jemand muss den Anfang machen.«

  »Ich … ähm …« Holly warf einen schnellen Blick zum DJ, der ihr ein flirtfreudiges Lächeln schenkte. »Also … natürlich. Nur hat Callie vorhin schon gesagt, wie gerne sie tanzen würde. Außerdem würde ich dich nur blamieren. Aber Callie und Keith sind großartig zusammen.«

  Wie bitte? Das hatte ich nie behauptet! Ich hasste es, zu tanzen, wenn mir andere dabei zusahen, und das wusste Holly genau. Doch ihr breites Lächeln löschte jede noch so kleine Hoffnung in mir aus. Ganz besonders dann, als Stella sich mit einem bittenden Blick an Keith und mich wandte. Er wirkte genauso widerwillig wie ich, aber keiner von uns brachte es über sich, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. Nicht wenn so viel davon abhing, dass diese Veranstaltung gut lief.

  Wortlos hielt mir Keith seine Hand hin. Ich zögerte einen Moment lang, dann seufzte ich ergeben und legte meine hinein.

  »Ich werde dich im Schlaf ermorden«, zischte ich Holly im Vorbeigehen zu.

  Kurz erstarrten ihre Gesichtszüge, dann wurde ihr Lächeln honigsüß. »Viel Spaß!«, rief sie und winkte uns nach.

  Dieses Biest. Das würde sie noch bitter bereuen.

  Mein Herz raste, obwohl wir noch nicht mal angefangen hatten zu tanzen. Lag es an den vielen Augenpaaren, die sich in diesem Moment auf uns richteten? Oder an Keith, der mich mit einer Intensität musterte, die mich beinahe vergessen ließ, was von uns erwartet wurde?

  »Bereit?« Er nahm die richtige Haltung ein, umfasste meine rechte Hand mit seiner linken und legte seine andere Hand auf meinen unteren Rücken. Bei der Berührung seiner rauen Finger an meiner nackten Haut zuckte ich unwillkürlich zusammen.

  In diesen Sekunden war ich zu vielem bereit. Dazu, ihn von mir zu stoßen. Mich auf eines unserer legendären Wortgefechte einzulassen. Mich vor Aufregung zu übergeben. Aber tanzen? Nein, dafür war ich eindeutig nicht bereit. Dennoch nickte ich und betete insgeheim, dass mein Körper sich noch an ein paar Tanzschritte erinnerte, damit ich uns beide nicht bis auf die Knochen blamierte. Zu meiner Überraschung übernahm Keith so selbstverständlich die Führung, dass ich automatisch in seine Bewegungen mit einfiel.

  »Lächle«, mahnte er leise, während sein Blick überallhin wanderte, nur nicht zu mir. »Du bist auf einem Ball, nicht bei deiner Hinrichtung.«

  Er hatte leicht reden. In seinem schwarzen Smoking schien er sich so wohlzufühlen, als würde er jeden Tag in einem solchen Outfit herumlaufen. Ich dagegen fühlte mich völlig fehl am Platz. Wenn das pfirsichfarbene Kleid der Himmel war, dann waren meine High Heels die Hölle. Keith würde das sicher bestätigen, denn in diesem Moment trat ich ihm auf den Fuß. Ein Muskel zuckte in seinem Kiefer, ansonsten ließ er sich nichts davon anmerken.

  Das Lied wechselte zu einer langsameren Melodie und Keith zog mich ein winziges Stückchen näher an sich. Mein Atem blieb irgendwo auf dem Weg in meine Lunge stecken, dennoch drang mir der kühle, herbe Geruch in die Nase, der von Keith ausging. Er war so vertraut, dass sich etwas in meiner Brust zusammenzog, und gleichzeitig so fremd, dass eine prickelnde Hitze mein Rückgrat hinabwanderte. Ich hatte keine Ahnung, was für ein Aftershave er benutzte, aber ich erkannte Nuancen von Rosmarin und Zitrone darin und musste unweigerlich die Augen schließen. Verdammt, ich liebte den Duft von Rosmarin.

  »Und?«, erklang Keiths gedämpfte Stimme an meinem Ohr. »Ist das hier wirklich so schlimm?«

  »Allerdings. Ich sterbe gerade.«

  Er lachte leise. Dabei streifte sein warmer Atem meine Haut und hinterließ ein leichtes Prickeln an meinem Hals. Ich biss mir fest auf die Unterlippe, um meine Reaktion unter Kontrolle zu bringen. Es war lächerlich, wie stark ich auf Keith reagierte, und noch dazu absolut unpassend.

  Ich räusperte mich, verzweifelt auf der Suche nach einem unverfänglichen Thema, das mich sowohl von seiner Nähe als auch von den vielen Augenpaaren ablenkte, die jeden unserer Schritte beobachteten. Allerdings musste ich feststellen, dass mir kein einziges einfallen wollte. Seit unserer ersten Begegnung am Flughafen hatte es keinen Moment gegeben, in dem wir miteinander geredet hatten. Richtig geredet, ohne dass er mir Provokationen und ich ihm Beleidigungen an den Kopf warf.

  »Wo hast du so gut tanzen gelernt?«, fragte ich schließlich.

  Sein Zögern veranlasste mich dazu, den Kopf in den Nacken zu legen, um ihn anzusehen. Bildete ich mir das ein oder verfärbten sich seine Wangen tatsächlich gerade?

  »Sagen wir, es war Mittel zum Zweck, um jemanden zu beeindrucken.«

  »Du hast tanzen gelernt, um bei einem Mädchen zu landen?« Ich konnte nicht anders, als leise aufzulachen. »Das ist irgendwie … erschreckend. Erschreckend niedlich.«

  Keith stöhnte genervt. »Damals schien es ein guter Plan zu sein.«

  »Hat es geklappt?« Offensichtlich ja nicht, wenn er allein hier war, doch diese Schlussfolgerung behielt ich
für mich. Ich wollte seine Version der Geschichte hören. Vielleicht zum ersten Mal seit sieben Jahren.

  »Nein«, erwiderte er ohne Umschweife. »Sie ist mit ihrem Tanzpartner zusammengekommen, bevor ich sie um ein Date bitten konnte.«

  »Oh … Ich habe fast Mitleid mit dir.«

  »Fast«, wiederholte er und führte mich in eine Drehung. Bei der Bewegung wirbelte der Saum meines Kleids um meine Beine, bis ich wieder in Keiths Armen lag. »Erst bedankst du dich bei mir, jetzt hast du fast Mitleid mit mir. Was kommt als Nächstes? Fällst du nachts über mich her?«

  »Davon träumst du doch nur …«

  »Oh, das auf jeden Fall.« Ein Funkeln trat in seine Augen. »Übrigens siehst du atemberaubend aus. Darf ich das sagen? Oder holst du gleich den Baseballschläger raus?«

  Hitze schoss in meine Wangen und ein Flattern machte sich in meiner Magengegend bemerkbar, aber ich presste die Lippen aufeinander, um nichts von meinen Empfindungen nach außen dringen zu lassen. Schmetterlinge im Bauch? Von wegen. Ich würde gleich den Kammerjäger holen.

  Abgesehen davon wollte ich keine Komplimente hören. Nicht von ihm. Nicht einmal dann, wenn ich zugelassen hatte, dass Holly mich mit dem Lockenstab quälte und mein Haar an der Seite zusammenflocht, damit mir nicht wie sonst die Strähnen ins Gesicht fielen. Leider wurde dadurch die verhasste Narbe über meiner Augenbraue sichtbar, die sich als weiße Linie von meiner Haut abhob. Sie war eine tägliche Erinnerung an einen Moment in meinem Leben, der aus meinem Gedächtnis ausgelöscht worden war. Was für eine Ironie. Und wie viel größer war die Ironie, dass derjenige, dem ich diese Narbe zu verdanken hatte, sie gerade zu sehen bekam?

  »Danke«, erwiderte ich kühl.

  Seine Mundwinkel wanderten in die Höhe. »Wow, das muss dich echte Überwindung gekostet haben.«

  Hatte es, aber das würde ich niemals zugeben. Inzwischen hatten sich weitere Paare zu uns auf die Tanzfläche gesellt, aber es lagen noch immer zu viele Blicke auf uns, die es mir unmöglich machten, ihm diesmal absichtlich auf den Fuß zu treten. Nicht für das Kompliment, denn das war irgendwie süß gewesen, sondern für alles andere. Wer er war, was er getan hatte und welche Wirkung er noch immer auf mich ausübte. Damals, mit dreizehn, war ich zu naiv gewesen, um einen Mistkerl zu erkennen, wenn er vor mir stand. Das hatte sich inzwischen geändert. Trotzdem schien mein Körper sich gegen meinen Willen wieder an diese Zeit zu erinnern. Es ergab einfach keinen Sinn – aber das taten Hormone selten.

 

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