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Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us

Page 23

by Iosivoni, Bianca


  »Ja.«

  »Interessant.« Nachdenklich rührte sie mit ihren Pommes in dem Klecks Ketchup herum. »Und mit dem ganzen Ballast von früher? Lässt du dich auch damit auf ihn ein?«

  Gott, ich wusste es nicht. Hatte ich das in gewisser Weise nicht schon längst? Seine Blicke und Berührungen waren alles andere als freundschaftlich oder gar geschwisterlich, aber wir hatten nie eine Grenze überschritten. Selbst als er mich an jenem Nachmittag in der Küche geküsst hatte, hatte er mir die Wahl überlassen, genau wie letzte Nacht. Trotz allem, was geschehen war, glaubte ich, dass es ihm ernst war. Wenn ich Keith ins Gesicht sagte, dass ich das alles nicht wollte und er sich von mir fernhalten sollte, würde er es tun. Daran bestand nicht der geringste Zweifel. Warum fiel es mir also so verdammt schwer, die Worte auszusprechen? War ich wirklich so schwach, dass ich mich von meinen Hormonen beherrschen ließ, wenn es um diesen Mann ging? Stand ich auf Schuldgefühle und diese innere Zerrissenheit?

  Was es auch war, inzwischen gab es kein Zurück mehr. Nicht nach letzter Nacht. Nicht nachdem ich ihn gepackt und geküsst hatte. Diese Entscheidung hatte ich ganz allein getroffen und damit die unsichtbare Grenze übertreten, die Keith gezogen hatte. Die Figuren waren neu aufgestellt worden und das Spiel war in eine neue Runde gegangen. Jetzt war ich am Zug … und hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich mich verhalten sollte.

  »Ich werte dein Schweigen mal als Nein.« Faye betrachtete mich mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht. Inzwischen hatte sie ihren Burger und die Pommes aufgegessen und wischte sich die Finger an einer Serviette ab. »Ganz ehrlich, Callie? Ich glaube nicht, dass es hierfür überhaupt eine richtige Lösung gibt. Wenn du es nicht tust und so viel Willenskraft aufbringst, dich in den nächsten Wochen von ihm fernzuhalten, wirst du dich nach diesem Sommer immer fragen, wie es hätte sein können.«

  Danke. Das war wirklich sehr hilfreich.

  »Andererseits würde ich mein gesamtes mickriges Einkommen aus der Praxis darauf verwetten, dass du es bereust, solltest du dich tatsächlich auf ihn einlassen. Wobei, wenn es nur für eine einzige Nacht ist …« Sie senkte die Stimme, als die Kellnerin neben uns stehen blieb und nach weiteren Wünschen fragte. Wir verneinten beide.

  Erst jetzt erinnerte ich mich an meine unangetastete Cola und trank einen großen Schluck. Sie war wässrig und ein Großteil der Kohlensäure hatte sich bereits verabschiedet. Ich seufzte. Heute schien nicht mein Tag zu sein.

  Faye wiegte den Kopf hin und her. »Die Frage ist also nicht, was du tun sollst, sondern ob du mit der Entscheidung und den daraus entstehenden Konsequenzen leben kannst.«

  Faye und ich verbrachten den Rest des Tages gemeinsam. Wie früher schlenderten wir Seite an Seite durch die Straßen unserer Kleinstadt, die sicher nie in einem Touristenguide auftauchen würde, aber trotzdem etwas Besonderes für uns war: unser Zuhause. Selbst wenn der einzige Drugstore bestenfalls Aspirin und Hustenbonbons hatte und man mindestens eine Stunde bis nach Montgomery oder um die zwei Stunden bis nach Birmingham oder Atlanta fahren musste, um auszugehen, eine Buchhandlung zu besuchen oder etwas Aufregenderes zu unternehmen als Wandern und Bowlen zu gehen. Aber das war in Ordnung. Die fehlenden Möglichkeiten hatten uns schon früher kreativ werden lassen, wenn es darum ging, unsere Zeit draußen zu verbringen.

  Inzwischen wies meine Haut auch wieder einen bronzefarbenen Schimmer auf und erlöste mich damit von den endlosen Neckereien meiner Familie und Freunde darüber, dass ich wie eine der Leichen aussah, die ich während des Studiums sezieren durfte. Charme lernte man definitiv nicht in dieser Stadt.

  Als ich Hollys Auto in unserer Einfahrt parkte, war von Stellas Jeep nichts zu sehen. Dafür stand Keiths Wagen vor dem Haus und nahm fast den gesamten Platz ein. Ich schluckte hart und ignorierte das nervöse Flattern in meinem Bauch. Der Pick-up mochte zwar keine zwei Meter von mir entfernt stehen, aber von seinem Besitzer war keine Spur zu sehen. Vielleicht war er ja in seinem Zimmer … oder fuhr gleich in seine neue Wohnung. Ein Blick auf die Zeitanzeige am Armaturenbrett bestärkte mich in dieser Hoffnung. Es war schon kurz nach acht Uhr und die Sonne begann gerade unterzugehen.

  Das Gespräch mit Faye hatte mir geholfen. Sich alles von der Seele zu reden hatte geholfen. Aber eine Lösung hatten wir nicht gefunden. Dennoch begleiteten mich ihre Worte, während ich ausstieg und langsam auf das Haus zuging. Konnte ich mit den Konsequenzen meiner Entscheidung leben? Und wie würde diese Entscheidung aussehen? Als ich die Haustür hinter mir schloss und die Stimmen von Holly und Keith vernahm, verblassten diese Gedanken jedoch schlagartig.

  »Was ist los?« Ich blieb im Durchgang zum Wohnzimmer stehen. Vor mir breitete sich ein Bild der Verwüstung aus. Die beiden Sofas waren verschoben. Kissen lagen auf dem Couchtisch, dem Sessel und dem Klavier. Sogar der Teppich war stellenweise zurückgeschlagen.

  Holly riss den Kopf hoch, als sie mich bemerkte. Ihr langes Haar war zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden und ihre Augen gerötet. Hatte sie etwa geweint?

  Jeder Muskel in meinem Körper versteifte sich, während in meinem Kopf die wildesten Theorien explodierten. Hatte irgendein Kerl Holly auf dem Festival belästigt? War jemand eingebrochen, während wir alle aus dem Haus gewesen waren? War Stella etwas zugestoßen? Mein Blick wanderte zu Keith. Er wirkte gefasst, in seiner Miene war keine Panik zu lesen, was mich nur noch mehr irritierte. Was war passiert, dass Holly so aufgelöst war und Keith so ruhig reagierte?

  »Hamtaro ist weggelaufen!«

  Sekundenlang starrte ich meine Schwester mit offenem Mund an, während ich darauf wartete, dass sie und Keith loslachten und das Ganze zu einem ausgeklügelten Scherz erklärten. Aber nichts dergleichen geschah. Holly meinte es völlig ernst. Sie wandte sich sogar wieder ab, kniete sich hin und versuchte unter die Couch zu sehen.

  »Ich habe ihm Auslauf gegeben, damit ich seinen Käfig reinigen konnte«, erklärte Holly jetzt. »Aber irgendwie habe ich die Zimmertür nicht richtig zugemacht und jetzt ist er weg.«

  Wie um Himmels willen konnte ein Hamster weglaufen? Mit den kurzen Beinchen sollte er nicht mal einen Meter weit kommen.

  »Wir finden ihn.« Keith hielt ihr die Hand hin und zog sie wieder auf die Beine. »Er ist bestimmt ganz in der Nähe.«

  Mit Sicherheit. Musste ich mir Sorgen machen, gleich auf etwas Flauschiges zu treten? Gerade so widerstand ich dem Impuls, an meinen Schuhsohlen nachzusehen, ob daran ein kleiner Fellball klebte.

  »Woher willst du das wissen?« Hollys Temperament machte seinem Ruf alle Ehre, als sie jetzt auf unseren Stiefbruder losging. »Er kann verdammt schnell sein. Außerdem waren alle Türen offen, sogar die … Oh Gott, er ist nicht nach draußen in den Garten gerannt, oder? Bitte sag mir, dass er nicht im Garten ist!«

  »Ich sehe nach«, bot ich mich sofort an. Nicht ganz selbstlos, wie ich zugeben musste, aber mit Holly konnte man in diesem Zustand nicht vernünftig reden.

  »Ich komme mit.« Keith nickte mir zu, was ich mit einem düsteren Blick quittierte. Dann legte er Holly die Hände auf die Schultern und sah sie fest an. »Beruhige dich, okay? Du schaust noch mal in allen Zimmern hier unten nach, während Callie und ich den Garten durchkämmen. Irgendwo muss der kleine Kerl ja sein.«

  Holly nickte nur und ging wieder in die Hocke, um über den Boden zu kriechen und jeden Zentimeter unter die Lupe zu nehmen. Mitleid regte sich in mir, doch als ich daran dachte, welche Tode ihre früheren Hamster gestorben waren, verschwand das Gefühl fast wieder vollständig. Hamtaro der Erste hatte ein langes und glückliches Leben geführt, während es seinem Nachfolger irgendwie gelungen war, in die Kloschüssel zu klettern. Sein Tod war besonders traumatisch gewesen. Nummer drei hatte deutlich länger durchgehalten. Aber dann war er Holly im Garten entschlüpft, als sie ihm im Sommer Auslauf gegeben hatte. Es gab keine Beweise dafür, aber ich war mir ziemlich sicher, dass die Nachbarskatze ihn gefressen hatte.

  Keine guten Aussichten für Nummer vier, sollte er es tatsächlich bis nach draußen geschafft haben.

  Ich hörte Keiths Schritte hinter mir, als ich durch die K
üche marschierte und dabei bewusst jeden Blick zu der Stelle vermied, wo wir gestern Nacht miteinander herumgeknutscht hatten. War das wirklich nur wenige Stunden her? Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken daran zu vertreiben und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren: den kleinen Flauschball namens Hamtaro, den wir hoffentlich lebend wiederfinden würden.

  Die letzten Sonnenstrahlen blendeten mich, als ich auf die Veranda trat. In der Luft lag noch immer die Hitze dieses Sommertages, die auch gegen Abend kaum nachließ.

  »Glaubst du wirklich, dass er hier draußen ist?«, fragte Keith, doch ich ignorierte ihn. Stattdessen versuchte ich all meine Konzentration darauf zu richten, in jedem Winkel der Terrasse nachzusehen, ob sich das Tierchen hier verkrochen haben könnte.

  »Nein«, erwiderte ich nach einem Moment gedehnt. »Aber es ist besser, sicherzugehen und nachzusehen, als nichts zu tun, während Holly ausflippt.«

  Einige Minuten lang schwiegen wir, während wir langsam über die Veranda wanderten, und ich tat alles, um meinen Blick davon abzuhalten, zu Keith hinüberzuwandern. Doch irgendwann hielt ich die Stille zwischen uns nicht mehr aus. »Warum hilfst du überhaupt bei der Suche?« Ich ging neben der Hollywoodschaukel in die Hocke und hob die Polster an, um auch diese zu überprüfen. »Wäre es dir nicht lieber, wenn der Hamster nie wieder auftaucht?«

  Gedämpftes Lachen drang an mein Ohr. »Und wie. Aber nur, weil ich das bissige Fellknäuel nicht leiden kann, heißt das nicht, dass ich mir wünsche, dass wir es nie wiederfinden.« Er blieb neben mir stehen, als ich mich wieder aufrichtete, und stieß mich mit der Schulter an. »Du magst keine Schwäne und gehst trotzdem nicht an jeden See, um sie mit Steinen zu bewerfen, oder?«

  Was? Daran erinnerte er sich noch? Überrascht hob ich den Kopf und sah Keith an. Ein fragender und gleichzeitig belustigter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Gestern Nacht hatte ich bereits die Stoppeln auf seinem Kinn gespürt, obwohl er sich für das Familiendinner extra rasiert hatte. Jetzt war der dunkle Bartschatten deutlich zu erkennen und ich fragte mich unwillkürlich, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn er mich damit küssen und mit seinen Lippen über meinen Hals fahren würde. Und über andere Stellen.

  Ich blinzelte, riss mich von dem Anblick los und trat einen Schritt zur Seite. Nur mit Mühe rief ich mir seine Frage zurück ins Gedächtnis.

  »Ja, weil ich Angst habe, dass sie mich anspringen.« Stichwort Leda. Dad hatte mir die Geschichte von Zeus in Schwanengestalt ein bisschen zu oft als Gutenachtgeschichte erzählt. Irgendwann war ich so traumatisiert gewesen, dass ich mich keinem Schwan mehr nähern wollte aus Angst davor, danach Eier zu legen.

  Diesmal war Keiths Lachen noch näher. Es klang heiser und warm und brachte meinen Magen dazu, einen ungewollten Hüpfer zu machen. Ich atmete tief durch.

  »Wenn er es bis hierher geschafft hat, ist er so gut wie tot.« Holly gegenüber hätte ich das nie so direkt ausgesprochen und auch Keith zog überrascht die Brauen hoch.

  »Warum sagst du das?«

  Ich musste nicht antworten, das Rascheln im Blumenbeet vor dem Geländer reichte, um meine Aussage zu unterstreichen. Und wenn nicht, dann tat es das leise Miauen. Offensichtlich hatte Mr Perkins’ Katze wieder mal den Weg in unseren Garten gefunden. Innerlich sprach ich ein Stoßgebet, dass sie nicht mit dem Hamster im Maul auftauchen würde, während ich die zwei Stufen auf den Weg hinunter nahm und das Geländer umrundete. Behutsam schob ich ein paar Blätter beiseite, dann entdeckte ich das rot-weiß gescheckte Tier. Es saß geduckt zwischen den Blumen, als würde es mich zum Spielen auffordern. Oder mir gleich ins Gesicht springen.

  Ich beschloss, es lieber nicht darauf ankommen zu lassen und wich zurück. Keith dagegen hatte keine solchen Bedenken. Unter den wachsamen Augen der Katze ging er neben mir in die Hocke und streckte seine Hand nach ihr aus.

  »Das würde ich nicht tun«, warnte ich ihn. »Ihretwegen mussten zwei Feuerwehrmänner ärztlich versorgt werden, als sie versucht haben, sie von einem Baum runterzuholen.«

  Keith ignorierte mich. Als seine Finger über dem Kopf der Katze schwebten und ich bereits das Gesicht verzog, geschah das Unerwartete: Sie schnurrte. Noch bevor Keith seine Hand im Fell des Tieres vergrub und mit sanften, festen Bewegungen über ihren Kopf strich, begann sie zu rattern wie ein alter Motor.

  Ich starrte Keith mit offenem Mund an. »Wie hast du das gemacht? Mich hat sie an guten Tagen bestenfalls ignoriert.« Oder angefaucht. Allerdings hatte ich auch meine Teetasse vor nicht allzu langer Zeit fast auf sie fallen lassen, aber daran war sie selbst schuld. Was versteckte sie sich auch ständig in unserem Blumenbeet?

  Keith gluckste leise. »Sieht so aus, als hätte ich ein Händchen für schwierige Frauen.«

  Ich kniff die Augen bei diesem Seitenhieb zusammen. »Denkst du, ja?«

  Der Blick aus seinen warmen brauen Augen richtete sich auf mich. »Manchmal«, erwiderte er ruhig. »Und manchmal weiß ich selbst nicht, was ich von ihnen halten soll.«

  Ich holte bereits Luft, um darauf zu antworten, aber Keith ließ mich nicht zu Wort kommen.

  »Werden wir je über das reden, was letzte Nacht in der Küche passiert ist, oder willst du mir für den Rest des Sommers aus dem Weg gehen?«

  Verdammt. Anscheinend war ihm nicht entgangen, wie viel Zeit ich mir heute Morgen im Bad gelassen und dass ich meinen Morgenkaffee mit aufs Zimmer genommen hatte, um ihm, Keith, nicht über den Weg zu laufen. Oder die Küche länger als nötig zu betreten. Ich traute diesem Raum nicht länger, nach allem, was dort bereits passiert war.

  »Worüber willst du reden?«, murmelte ich und sah wieder auf Mr Perkins’ Katze, die sich jetzt auch noch auf den Rücken rollte, damit Keith ihren Bauch kraulen konnte. Himmel, lagen ihm etwa alle weiblichen Wesen so zu Füßen? Selbst Holly vergötterte ihn auf eine geschwisterliche Art, sonst hätte sie ihn nicht unbedingt hier haben wollen und würde jetzt nicht so viel Zeit mit ihm verbringen.

  »Wenn ich mich recht erinnere, schuldest du mir noch immer eine Antwort.«

  Sag mir, dass ich mich von dir fernhalten soll.

  Seine Worte hallten in meinen Gedanken wider und ließen mich unwillkürlich erschauern. Nicht nur aufgrund ihrer Bedeutung, sondern wegen der Intensität, mit der er sie geraunt hatte. Als würde sein Leben, zumindest aber sein Verstand davon abhängen, dass ich diesen Satz aussprach.

  Ich holte tief Luft. »Du …«

  Bevor ich wusste, was ich überhaupt sagen wollte, zog eine kleine Bewegung meine Aufmerksamkeit auf sich. Schräg hinter der schnurrenden Katze hatten sich ein paar Blätter bewegt, allerdings wehte an diesem frühen Abend kein Wind.

  In diesem Moment erschien ein rotes Näschen zwischen den Blättern, dicht gefolgt von dem dazugehörigen flauschigen Kopf mit den runden Ohren. Hamtaro der Vierte sah mich aus seinen Knopfaugen an, und ich hätte am liebsten laut losgeflucht. Hatte das Tier Todessehnsucht?

  Ich legte Keith meine Hand auf den Arm. »Nicht bewegen …«, wisperte ich.

  Er erstarrte kurz, machte dann jedoch nahtlos mit den Streichelbewegungen weiter, die die Katze anscheinend in den siebten Himmel beförderten. Unendlich langsam ließ ich mich auf Hände und Knie sinken, um keines der Tiere zu verschrecken, und begann die Katze zu umrunden. Aus dem Augenwinkel behielt ich sie im Blick, während ich Hamtaro beobachtete, der bis auf kleine zuckende Bewegungen seiner Schnauze völlig reglos dasaß. Ich musste ihn nur erwischen, bevor er von Mr Perkins’ Katze geschnappt und gefressen wurde. Sollte doch ein Klacks sein, oder?

  Ich hatte mich erst einen halben Meter vorwärtsgeschoben, als die Katze ohne Vorwarnung den Kopf hob. Reflexartig hielt ich inne, doch irgendetwas schien ihre Aufmerksamkeit erregt zu haben, denn obwohl Keith sie weiter streichelte, sprang sie nun auf die Beine. Oh nein. Wenn der Hamster jetzt starb, würde Holly uns das nie verzeihen. Verzweifelt suchte ich Keiths Blick. Da ich mich erst von der Seite hatte anschleichen wollen, war er Hamtaro näher als ich. Er müsste nur die Hand ausstrecken und das Tierchen packen, dann wäre dieses ganze unnötige Drama vorüber. Aber er zögerte.
Er zögerte so lange, bis ich mich daran erinnerte, wie Holly ihm vor der Spendengala ihren Hamster hingehalten hatte und er zurückgewichen war.

  Er hatte tatsächlich Angst vor dem kleinen Nager. Ich musste seine Beweggründe nicht kennen, um es ihm anzusehen – und es zu respektieren. Ich setzte dazu an, mich zwischen die beiden Tiere ins Beet zu werfen, aber Keith schüttelte den Kopf. Feine Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gesammelt. Seine rechte Hand zitterte ein wenig, als er sie ausstreckte, während er mit der linken noch immer die Katze streichelte, um sie abzulenken.

  Ich hielt den Atem an und wappnete mich innerlich dafür, im Notfall einzugreifen, auch wenn mir das blutige Kratzer einbringen würde. Aber das war gar nicht nötig. Stück für Stück lehnte Keith sich vor. Ich tat es ihm nach, schob mich zwischen Hamster und Katze, und für einen Moment waren wir uns ganz nah. Sein unsteter Atem streifte mein Gesicht, während er den Arm weiter ausstreckte. Keith hielt meinen Blick fest, schien sich förmlich daran zu klammern, dann legte er die Finger um das kleine flauschige Tier und hob es hoch. Einen Wimpernschlag später sprang er auf die Beine. Die Katze zuckte bei der schnellen Bewegung zusammen und rannte durch das Beet davon.

  Erleichterung breitete sich in mir aus, aber dann merkte ich, wie angespannt Keith noch immer war. Seine Schultern waren hochgezogen, seine Atmung war flach und ein feiner Schweißfilm glänzte auf seiner Stirn. Aus seiner zur Faust geballten Hand lugte der Kopf des Hamsters hervor. Behutsam legte ich meine Hände um seine und löste seine Finger von dem kleinen Fellball, bis ich ihn gefahrlos an mich nehmen konnte.

  »Bist du okay?«

  Einen Moment lang schien er durch mich hindurchzusehen, als wäre er an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit. Dann zuckte er zusammen und richtete seinen Blick wieder auf mich.

  »Ja. Lass uns den Hamster zurück ins Haus bringen, bevor er doch noch als Abendessen endet.« Er wirkte langsam wieder wie er selbst, aber mir entging nicht, wie verkrampft sein Lächeln war.

 

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