Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us

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Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us Page 26

by Iosivoni, Bianca


  Keith lächelte an meiner Haut. Unsere Blicke trafen sich und als ich das Lodern in seinem erkannte, das rohe Verlangen darin, vergaß ich endgültig alles um mich herum. Es spielte keine Rolle mehr, wer wir waren und was zwischen uns stand. Ich dachte nicht mehr daran, dass das hier eine einmalige Sache sein würde. Eine Nacht, auf die ich mich körperlich, aber nicht emotional einlassen wollte. Nichts von alledem war noch wichtig. Das Einzige, was noch zählte, waren die Berührungen und Küsse dieses Mannes, die Hitze zwischen uns und das drängende Ziehen in meinem Unterleib.

  Ich folgte diesem animalischen Instinkt in mir und zog Keith wieder zu mir hoch, um meine Lippen erneut auf seine zu pressen. Es war ein atemloser, hektischer Kuss, bissig und voll ungesagter Worte. Ich zerrte an Keiths Hose, schaffte es gerade, den Knopf zu öffnen, da stieß er mich wieder aufs Bett zurück und richtete sich über mir auf. Inzwischen glänzte ein feiner Schweißfilm auf seiner Haut und seine Brust hob und senkte sich ebenso schwer wie meine. Ohne den Blick von mir abzuwenden, zog Keith den Reißverschluss seiner Hose hinunter, dann schob er sie sich über die Hüften und kickte sie weg. Seine enge schwarze Boxershorts folgte kurz darauf.

  Ich starrte ihn an, betrachtete ihn von oben bis unten und sog seinen Anblick in mir auf. Das verwuschelte schwarze Haar, durch das ich so gern mit den Fingern fuhr. Der breite Oberkörper mit den trainierten Bauchmuskeln, von denen ich kaum die Finger lassen konnte. Mein Blick folgte dem schmalen Pfad aus dunklem Haar, das von Keiths Bauchnabel abwärtsführte.

  Ich konnte gar nicht anders, als zu lächeln, während Keith mich gleichermaßen mit den Augen verschlang. Dann beugte er sich wieder über mich und schob die Finger unter den Bund meines Höschens. Instinktiv hob ich die Hüften an, damit er mir das letzte Kleidungsstück ausziehen konnte, aber der Mistkerl ließ sich Zeit. Statt mir das Stück Stoff sofort herunterzureißen, setzte er heiße Küsse auf jeden Zentimeter Haut, den er quälend langsam freilegte.

  »Wenn du noch langsamer machst, schlafe ich ein, bevor wir richtig angefangen haben.«

  Seine Schultern bebten und sein lautloses Lachen kitzelte an meiner Haut. »Soll das ein Witz sein? Ich träume seit Wochen von nichts anderem, da werde ich sicher nichts überstürzen.« Keith sah zu mir hoch, und in seinem Blick lag nichts als Hitze und Ehrlichkeit.

  Bevor ich darauf reagieren oder auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, schob er mir den Slip über die Hüften und warf ihn hinter sich.

  »Du kannst nicht …«, begann ich und unterbrach mich selbst mit einem Stöhnen, als Keith meine Beine mit seinen Schultern auseinanderschob und auch den Rest von mir mit seinem Mund in Besitz nahm. Ich vergaß umgehend, was ich hatte sagen wollen. Mein Körper bäumte sich auf, meine Finger krallten sich in Keiths Haar. Ich hatte längst jede Kontrolle verloren. Über meine Gedanken, meine Gefühle, meine Gliedmaßen. Alles schien nur noch aus purem Instinkt zu bestehen.

  »Oh Gott …«, keuchte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Kein Kerl hatte mich schon beim allerersten Mal oral befriedigt. Und keiner hatte es je so verdammt gut gemacht. »Bitte …«

  Keith ignorierte mein Flehen und auch das drängende Ziehen an seinem Hinterkopf. Gnadenlos trieb er mich immer höher und höher, nahm seine Finger zu Hilfe, bis ich mit einem erstickten Aufschrei kam. Meine Muskeln zuckten, während die ganze Anspannung mit einem Mal aus meinem Körper wich. Sekundenlang lag ich keuchend da, die Augen geschlossen, mit pochendem Puls und einem so schnellen Hämmern in meiner Brust, das es jeden Arzt in Alarmbereitschaft versetzt hätte.

  Ich sah nicht, wie Keith sich aufrichtete, sondern spürte lediglich, wie er sich kurz von mir entfernte. Eine Schublade wurde aufgezogen und zugeschoben, dann lag ein Teil seines Gewichts wieder auf mir.

  »Besser?«, raunte er an meinem Ohr.

  Ich erschauerte, als sein warmer Atem meinen Hals streifte, und nickte atemlos. War ich sonst nur selten um einen Spruch verlegen, hatte es mir jetzt die Sprache verschlagen. Als ich die Augen öffnete, bemerkte ich nicht nur das amüsierte Funkeln in Keiths Augen, sondern auch sein selbstgefälliges Lächeln. Hätte er mir nicht gerade den vielleicht besten Orgasmus meines Lebens beschert, hätte ich ihm dieses verdammte Grinsen nur zu gerne aus dem Gesicht gewischt. Doch so konnte ich sein Lächeln nur erwidern, während ich mit den Händen über jeden Zentimeter seines Körpers strich, den ich erreichen konnte.

  »Kondome?« Wow, ich war tatsächlich wieder dazu in der Lage, eine sinnvolle Frage zu stellen. Noch dazu eine wichtige.

  Statt einer Antwort hielt Keith das Plastikpäckchen in die Höhe, bevor sein Grinsen noch eine Spur breiter wurde. »Keine Sorge. Wo das herkommt, gibt es noch viel mehr.«

  Arroganter Mistkerl. Ich boxte ihm gegen die Schulter, dann nahm ich ihm das Päckchen aus der Hand und riss es auf. Meine Atmung ging noch immer schwer, als ich es ihm wieder hinhielt.

  Etwas veränderte sich in seinem Blick, wurde sanft und warm, bevor er sich aufrichtete, um sich das Kondom überzustreifen. Ich beobachtete ihn dabei im Halbdunkel des Schlafzimmers, und bei dem Anblick zog sich etwas in meiner Brust zusammen. Es war nur ein kurzes Gefühl, ein kurzes Flattern, das ich weder zuordnen konnte noch wollte. Hier ging es nicht um irgendwelche Emotionen. Das hier war etwas rein Körperliches.

  Mit seinem Knie verschaffte Keith sich den nötigen Platz zwischen meinen Beinen und ließ sich auf mich sinken. Ich konnte ihn spüren, drängte mich ihm mit meinem Becken entgegen, aber er bewies mehr Willenskraft als ich. Mit einem Unterarm stützte er sich neben meinem Kopf auf, dann suchte er meinen Blick und strich mir mit seinen rauen Fingern eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

  »Was auch immer geschieht …«, flüsterte er rau. »Wir haben diesen Moment. Diese Nacht.«

  Ich konnte nichts darauf erwidern, da er in diesem Moment in mich eindrang. Ich schnappte nach Luft, während mich eine Flut an unterschiedlichsten Gefühlen überrollte. Ich schob sie alle beiseite, wollte sie nicht wahrhaben, geschweige denn mich damit auseinandersetzen. Nicht jetzt. Nicht morgen. Niemals.

  Keith hielt meinen Blick fest, während er sich in mir zu bewegen begann. Langsam zuerst, als wollte er unser beider Selbstbeherrschung auf die Probe stellen. Schon bald begann sein Arm zu zittern und er stützte sich auch mit dem zweiten neben meinem Kopf auf. Ich dagegen schlang die Beine um seine Hüften und grub die Finger in die festen Muskeln seines Rückens, um ihn stumm dazu aufzufordern, schneller zu werden, sich selbst zu vergessen und im Zuge dessen dafür zu sorgen, dass ich mich selbst ein weiteres Mal vergaß.

  Natürlich machte er es mir nicht so leicht. Nach wenigen Stößen hielt er inne und ignorierte meinen protestierenden Laut.

  »Was soll das?«, keuchte ich und zog mit den Fingernägeln eine Spur über seinen Rücken.

  Keith reagierte mit einem Erschauern, bewegte sich aber noch immer nicht. Woher nahm dieser Kerl diese Willenskraft?

  »Sag es«, verlangte er rau. Wie um seine Worte zu unterstreichen, schob er seine Hüften ein Stückchen vor, viel zu wenig und gleichzeitig doch genug, um das Kribbeln in meinem Inneren neu zu entfachen. »Sag mir, was du willst.«

  Dieser verdammte … In Gedanken warf ich ihm jeden Fluch und jede Beleidigung an den Kopf, die mir in diesem Moment einfielen. Er wollte tatsächlich, dass ich es aussprach? Als wäre es nicht eindeutig, was ich wollte. Probehalber hob ich das Becken in dem Versuch, seine Selbstbeherrschung zu durchbrechen, aber das entlockte ihm nur ein atemloses Lächeln. Ein Lächeln, das seinen Weg in meine Brust und an Stellen in mir fand, die ich schon vor Jahren weggeschlossen hatte.

  »Sag es«, wisperte er erneut, diesmal an meinem Ohr, bevor er mir verheißungsvoll ins Ohrläppchen biss.

  Die Mischung aus Lust und Schmerz ließ mich zusammenzucken. Ein Stöhnen sammelte sich in meiner Kehle, aber ich unterdrückte den Laut, um Keith nicht auch noch diese Genugtuung zu geben.

  »Na los.« Seine Stimme war so heiser, dass mich allein bei ihrem Klang ein heißer Schauer durchlief. »Sag es und ich mache weiter.« Wie um mir einen Vorgeschmack darauf zu geben, zog er si
ch aus mir zurück und stieß wieder in mich hinein. Langsam. Quälend.

  Ich stöhnte auf. Meine Selbstbeherrschung, schon zuvor nur noch eine bröckelige Mauer, brach jetzt endgültig in sich zusammen. Ich drängte mich Keith entgegen, schlang die Beine nur noch fester um seine Hüften und brachte meinen Mund dicht vor seinen.

  »Mach weiter«, keuchte ich. »Genau so.«

  »So?« Provozierend wiederholte er die Bewegung, aber es war noch immer nicht genug. Es würde niemals genug sein.

  »Schneller. Härter.«

  Eine Mischung aus Erleichterung und Genugtuung flackerte über sein Gesicht, dann presste er seine Lippen auf meine und nahm seine Bewegungen wieder auf. Seine Stöße waren genauso hart und rücksichtslos wie der Kuss – und genau so, wie ich es wollte. Ich wollte nicht mehr denken, nichts mehr empfinden können, sondern nur noch das Körperliche zwischen uns wahrnehmen. Das drängende Ziehen in meinem Unterleib, die Hitze, die sich zwischen meinen Beinen sammelte – und Keith. Immer und immer wieder Keith. Sein Geschmack auf meiner Zunge, sein Geruch, der mich umgab, seine rauen Hände auf meiner Haut, sein Körper auf meinem und in mir.

  Es gab keine Vorwarnung, kein langsames Anbahnen oder eine gleichmäßige Steigerung. Der Höhepunkt brach über mich herein und entlockte mir einen überraschten Schrei. Die Hitze explodierte in mir und rieselte in kleinen Funken auf mich herab, bis sie mich überall versengt hatte. Keith bewegte sich noch ein paar Mal in mir, dann erstarrten seine Muskeln unter meinen Händen und er kam mit einem erlösten Stöhnen.

  Ich wusste nicht, ob es Minuten oder nur Sekunden waren, in denen er mit seinem ganzen Gewicht auf mir lag, während wir beide wieder versuchten zu Atem zu kommen. Im Grunde spielte es auch keine Rolle, denn als er den Kopf hob und meinen Blick suchte, wusste ich, dass das hier erst der Anfang dieser Nacht gewesen war.

  Ich riss den Mund auf, aber es war Sauerstoff, der meine Lunge füllte, und kein Rauch, wie ich es mir bis eben noch eingebildet hatte. Mein Puls raste und in meinen Ohren hallte das Echo von quietschenden Reifen nach. Ich starrte an die Zimmerdecke, ohne mich zu rühren, ohne zu wissen, wo ich war und was passiert war. Eine gefühlte Ewigkeit lang war ich noch immer die Dreizehnjährige, irgendwo gefangen zwischen Traum und Realität. Aber war es wirklich nur ein Albtraum gewesen? Lebte mein Unterbewusstsein seine masochistische Ader aus, indem es mir nachts den schlimmsten Moment meines Lebens wieder und wieder zeigte, wie eine gesprungene Schallplatte?

  Ich rieb mir über das Gesicht, um die letzten Reste des Traums ebenso zu vertreiben wie das ekelhafte Gefühl von Panik, das sich in meiner Brust festgesetzt hatte. Erst dann setzte ich mich auf, fuhr mir durch das kurze Haar und wunderte mich, warum mir nichts von meiner Umgebung bekannt vorkam. Weder die weißen Wände und dunklen Balken an der Decke noch der Einbauschrank auf der gegenüberliegenden Seite oder die kunstvoll geschnitzte Kommode links von mir, die gleichermaßen rau wie kostbar wirkte.

  Dann fiel mein Blick auf Keith. Als hätte sein im Schlaf entspanntes Gesicht einen Schalter in meinem Kopf umgelegt, kehrten die Erinnerungen zurück. An letzte Nacht. An den gestrigen Abend. Was überhaupt erst zu diesem kleinen Arrangement geführt hatte. Mein Gewissen und mein Körper meldeten sich beinahe gleichzeitig. Ersteres brüllte mich an, von hier zu verschwinden und nie wieder daran zu denken, dass ich mit meinem Stiefbruder geschlafen hatte. Letzterer konnte nur daran denken, wie verflucht gut es gewesen war. Alles in mir sehnte sich danach, diese Nacht noch nicht enden zu lassen und stattdessen an diesem Morgen dort weiterzumachen, wo wir zuletzt aufgehört hatten. Falls wir überhaupt noch Kondome hatten.

  Obwohl ich wusste, dass ich aufstehen und gehen sollte, bevor er aufwachte, konnte ich es nicht. Zumindest nicht sofort. Mir war bisher nie aufgefallen, wie angespannt Keith stets gewesen war. Den harten Zug um seinen Mund hatte ich genauso wenig bemerkt wie die oft gefurchte Stirn. Doch jetzt, da er völlig entspannt neben mir lag, erkannte ich den Unterschied – und der war gewaltig. Was war es, das ihn im wachen Zustand so fest im Griff hatte, dass es sich aller Selbstbeherrschung zum Trotz sogar in seinem Gesicht abzeichnete? Waren es die Schuldgefühle? Oder gab es noch etwas anderes, das ihm so zusetzte?

  Als ich merkte, dass ich unbewusst die Hand ausgestreckt hatte, um ihm das Haar aus der Stirn zu streichen, erstarrte ich mitten in der Bewegung. Mein Herz polterte los, als wollte es lautstarken Protest einlegen, aber ich brachte es nicht über mich, die Bewegung zu Ende zu führen. Was um Himmels willen tat ich hier eigentlich? Wir hatten eine Abmachung gehabt und die war jetzt vorbei. Ich hatte nicht mal bis zum Morgen bleiben wollen, aber dafür war es inzwischen zu spät.

  So leise wie möglich schob ich die Decke beiseite und rutschte an den Rand der Matratze. Ein Blick über die Schulter reichte aus, um mich zu versichern, dass Keith noch immer tief und fest schlief. Ich stand auf, machte einen ersten Schritt in Richtung meiner Unterwäsche – und verzog das Gesicht, als eine Diele unter meinen bloßen Füßen knarrte. Langsam, wie in Zeitlupe, drehte ich mich um, darauf vorbereitet, Keith gleich Rede und Antwort stehen zu müssen, aber er hatte sich noch immer nicht bewegt. Ich wagte es nicht, erleichtert aufzuatmen, sondern schlich durchs Zimmer und sammelte meine Unterwäsche ein. Sobald ich sie angezogen hatte, fühlte ich mich etwas weniger entblößt im hellen Sonnenlicht, das durch das einzige Fenster hereinschien.

  Wenn meine Erinnerung mich nicht täuschte, lagen mein Kleid und meine Stiefel noch im Wohnzimmer. Auf Zehenspitzen schlich ich zur Tür und betete innerlich, auf keine weitere knarrende Diele zu treten. Als ich an der Kommode vorbeikam, blieb ich abrupt stehen. Bis auf meinen hämmernden Herzschlag war nichts zu hören. Keith rührte sich nicht. Aber selbst wenn er aufgewacht wäre, hätte ich es in diesen Sekunden nicht bemerkt.

  Das Blut begann in meinen Ohren zu rauschen, als ich zögernd auf die Kommode zutrat. Darauf standen ein paar Fotos in verschieden großen Rahmen, die nicht zueinanderpassen wollten. Ich entdeckte Keith in Armeeuniform mit einem Kameraden, dem er den Arm um die Schultern gelegt hatte. Sie lächelten beide in die Kamera, aber in Keiths Gesicht lag eine Anspannung, eine Härte, die ich nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Daneben war ein Bild von ihm und einem Mann, der ihm auf den ersten Blick überhaupt nicht ähnlich sah. Er musste in Stellas Alter sein, wahrscheinlich ein paar Jahre älter, hatte kühle blaue Augen und so helles Haar, dass ich nicht sicher war, ob es blond oder schon weiß war. Seine Hand lag auf Keiths Schulter und ich meinte, so etwas wie Stolz in der Miene des älteren Mannes erkennen zu können. Keith lächelte nicht. Wieder trug er seine Uniform, aber er wirkte so gezwungen und die Distanz zwischen ihm und seinem Vater war so deutlich spürbar, dass meine Brust schmerzte. Als hätte mein Herz einen weiteren feinen Riss bekommen. Alleine für sich machten sie nichts aus, aber je mehr sie wurden, desto größer wurde auch die Gefahr, dass es zerbrach. Oder dass ich es an jemanden verlor, der es niemals bekommen durfte.

  Es war das dritte Bild, das sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlte. Ich kannte es, hatte es selbst besessen, bevor ich es in einem Anfall von Wut und Trauer zerrissen hatte. Das Foto zeigte uns alle am zweiten Hochzeitstag von Stella und meinem Vater. Wir saßen draußen auf der Veranda, und eigentlich hatte keiner von uns Kindern Lust darauf gehabt, das Bild zu machen. Aber Dad hatte darauf bestanden und sogar das Stativ geholt, damit wir uns alle nebeneinander aufstellen konnten. Hätte ich damals gewusst, was ich heute wusste, hätte ich auf dem Bild gelächelt.

  Meine Finger zitterten, als ich über das Familienfoto strich, das sicher hinter Glas eingeschlossen war. Als versuchte Keith etwas festzuhalten, das längst zerbrochen war. Ruckartig zog ich die Hand zurück und stolperte einen Schritt zurück. Diesmal verschwendete ich keine Zeit damit, mich umzusehen, sondern machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Im Wohnzimmer zog ich mir mein Kleid über den Kopf, schlüpfte in meine Stiefel und nahm meine Tasche vom Esstisch. Auf dem Couchtisch lagen noch immer die leeren Pizzakartons, daneben die Weinflasche mit dem Plastikbecher, aus dem ich getrunken hatte, und Keiths leere Bierflasche. Die Erinnerung daran, wie
wir unbeschwert nebeneinander auf dem Sofa gesessen und einen meiner Lieblingsfilme angeschaut hatten, schnürte mir die Kehle zu. Es war eine Sache, miteinander Sex zu haben, um diese Anziehungskraft zwischen uns aus der Welt zu schaffen. Aber miteinander zu essen, zu lachen, einen Film zu schauen und dann in den Armen des anderen einzuschlafen? Das war etwas völlig anderes. Das war fast schon so etwas wie … echte Zuneigung?

  Schuldgefühle breiteten sich in meinem Inneren aus, stiegen immer höher, bis ich das Gefühl hatte, gleich daran zu ersticken. Nicht die Nacht an sich, sondern alles andere fühlte sich wie ein Verrat an. Wie ein Verrat an meinem Vater.

  Ich musste hier raus. So schnell wie möglich und so weit, wie ich nur konnte. Mit hastigen Schritten durchquerte ich die Wohnung, als würde draußen der Sauerstoff auf mich warten, den ich so dringend brauchte, um wieder atmen zu können. Um wieder klar denken zu können.

  Ich zog die Tür im selben Moment hinter mir zu, in dem ich Schritte im Schlafzimmer hörte.

  15

  Frische Luft hatte nicht geholfen. Genauso wenig wie die Fahrt nach Hause oder das heiße Wasser, das seit einer gefühlten Ewigkeit auf mich herabprasselte. Ich stützte mich mit den Händen an den kalten Fliesen ab und schloss die Augen. Meine Gedanken rasten und wollten sich einfach nicht beruhigen. Seit ich das Foto bei Keith gesehen hatte, herrschte ein einziges Chaos in mir. Unwillkürlich kamen mir Fayes Worte wieder in den Sinn. Kannst du mit der Entscheidung und den daraus entstehenden Konsequenzen leben?

  Bis zu diesem Morgen hatte ich geglaubt, es zu können. Aber jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher.

  Blind tastete ich nach dem Duschgel und öffnete es. Der Duft von Vanille und Lavendel hüllte mich ein und vertrieb auch die letzten Spuren von Keiths Geruch auf meiner Haut. Aber er konnte nicht die Erinnerungen an seine Küsse und Berührungen vertreiben – und noch weniger die Überbleibsel dieser einen Nacht. Nicht das Ziehen in meinen Muskeln und erst recht nicht den Knutschfleck an meinem Hals. Ein sichtbares Zeichen dafür, was ich – was wir – letzte Nacht getan hatten.

 

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