Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us

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Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us Page 27

by Iosivoni, Bianca


  Ich verteilte Shampoo in meinem Haar und blieb so lange unter der Dusche, bis es kein heißes Wasser mehr gab. Widerwillig stellte ich es ab und tastete nach einem Handtuch. Am liebsten hätte ich mich für den Rest des Tages hier oder in meinem Zimmer verkrochen. Ich fühlte mich nicht mal ansatzweise bereit, meiner Familie gegenüberzutreten. Oder Keith.

  Dabei gab es keinen Grund, mich zu verstecken. Die letzte Nacht war eine einmalige Sache gewesen. Niemand würde je erfahren, was zwischen Keith und mir passiert war. Zumindest versuchte ich mir das einzureden, während ich mir ein ärmelloses Top mit Rollkragen anzog, das das verräterische Mal an meinem Hals verbarg. Dazu schlüpfte ich in eine Jeans-Hotpants, da es wieder ein heißer Sommertag zu werden versprach.

  Im Haus war es still, als ich die Treppe hinunterging. Ich warf einen Blick auf die Wanduhr im Wohnzimmer und runzelte die Stirn. Kurz nach zehn. Vermutlich schlief Holly noch. Als ich nach Hause gekommen war, hatte Stellas Wagen nicht vor dem Haus gestanden, also war sie entweder noch im Krankenhaus oder hatte die Nacht bei ihrem neuen Freund verbracht. So genau wusste ich das nicht. Allerdings hatte ich eine verpasste Nachricht von ihr auf meinem Handy, die sie mir gestern Abend geschickt hatte. Es war eine Erinnerung daran, heute auch ja zu Hause zu sein und bei den Vorbereitungen mitzuhelfen. Wenn ich nur wüsste, welche Vorbereitungen sie damit meinte.

  Ich stieß die Küchentür auf und blieb abrupt stehen. Mein Herz begriff noch vor meinem Verstand, wer da vor mir stand, und begann in einem schnellen Rhythmus zu pochen. Als mein Verstand endlich aufholte, brachte ich nur ein einziges Wort heraus.

  »Keith.«

  Meine Stimme klang atemlos, mit einer Spur Heiserkeit, die ohne jeden Zweifel deutlich machte, was ich letzte Nacht getrieben hatte.

  Er sagte nichts, studierte mich nur schweigend und mit einem unlesbaren Ausdruck im Gesicht. Aber in seinen Augen meinte ich etwas von der gleichen Unsicherheit aufblitzen zu sehen, die auch mich erfüllte.

  »Hast du eine Minute für mich?«

  Ich nickte nur, da ich noch immer keinen Ton hervorbrachte.

  Es überraschte mich nicht, dass er mit mir reden wollte. Aber ich hätte mir etwas mehr Zeit gewünscht, um meine Gedanken und Gefühle zu sortieren, statt mich ihm ausgerechnet jetzt, nachdem ich das Foto auf seiner Kommode entdeckt hatte, stellen zu müssen. Bereute er es? Wollte er sichergehen, dass wir uns an unseren Deal hielten? Ein Teil von mir hoffte darauf, bettelte fast schon darum, während sich der andere mit aller Kraft gegen diese Vorstellung wehrte. Es sollte nur eine einzige Nacht sein. Eine Nacht, um diese Anziehungskraft zwischen uns endgültig aus dem Weg zu räumen. Doch als Keith nun vor mir stand, erkannte ich, dass wir uns die ganze Zeit über etwas vorgemacht hatten. Wenn überhaupt, waren diese Empfindungen zwischen uns nur noch stärker geworden.

  Nervös begann ich meine Finger zu kneten, während das Schweigen zwischen uns immer länger andauerte, als würde auch Keith nach den richtigen Worten suchen.

  »Du hast mir einen Knutschfleck verpasst«, sagte ich schließlich, nur um die Stille zwischen uns irgendwie zu füllen.

  Sein Blick wanderte zu meinem Hals und blieb dort hängen. Ich spürte, wie sich Hitze in meinem Bauch sammelte und von dort auszubreiten begann, bis auch meine Wangen glühten.

  »Wir hatten eine Vereinbarung«, erinnerte ich ihn leise. Wieso war ich eigentlich die Einzige, die hier das Reden übernahm? »Eine Nacht und das war’s.«

  »Ich weiß.« Keith sah mich direkt an. »Was ich nicht weiß, ist, warum du dich heute Morgen weggeschlichen hast.«

  »Ich habe mich nicht …« Okay, ich hatte mich weggeschlichen. Na und? Es war ja nicht so, als wären wir plötzlich ein Paar und ich hätte seine Gefühle verletzt oder so.

  »Hör mal …« Keith machte einen zögerlichen Schritt auf mich zu.

  Es kostete mich all meine Willenskraft, nicht vor ihm zurückzuweichen. Oder meine Hände nach ihm auszustrecken und ihn noch ein letztes Mal zu berühren. In Gedanken verfluchte ich meinen Körper, diesen Verräter, der noch immer so heftig auf Keith reagierte, als hätte es diese eine Nacht nie gegeben. Oder vielleicht reagierte er so heftig, gerade weil es diese Nacht gegeben hatte?

  »Können wir …«

  Bevor er die Frage zu Ende bringen konnte, wurde die Tür hinter mir aufgestoßen und Holly flog förmlich in die Küche. »Da seid ihr ja!« Sie sah zwischen uns hin und her. »Was steht ihr hier so rum? Wir haben haufenweise Sachen zu erledigen.«

  Ich brauchte einen Moment, um mich von Keith ab- und ihr zuzuwenden, aber noch länger dauerte es, meine Gedanken zu sortieren. »Was für Sachen?«

  Mitfühlend tätschelte Holly mir die Schulter. »Ich weiß ja, dass du in den letzten Jahren kaum hier warst, aber hast du echt unsere Barbecue-Tradition vergessen?« Als auch Keith sie verständnislos ansah, seufzte sie theatralisch. »Leute! Es ist das vorletzte Juniwochenende. Die Saison hat längst begonnen und heute sind wir dran. Grillen, Burger, draußen sitzen, Familie, Freunde. Klingelt es?«

  Allerdings. Jetzt verstand ich auch Stellas geheimnisvolle SMS von gestern Abend und hätte mir am liebsten mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. Jeden Sommer veranstaltete unsere Nachbarschaft abwechselnd Barbecues am Wochenende, zu denen auch immer zahlreiche weitere Freunde kamen, und diesmal waren wir an der Reihe. Das letzte Mal war für mich kurz nach meinem Highschoolabschluss gewesen, danach hatte ich die Sommer in meine Bücher vergraben am College verbracht. Kein Wunder also, dass ich in den letzten Jahren keinen Gedanken mehr an diese Tradition verschwendet hatte.

  »Du.« Holly deutete auf Keith. »Die Tische, Bänke und der Grill müssen in den Garten geschleppt werden. Du findest alles in der Garage. Später kommen auch Braden und Thomas vorbei, um uns beim Aufbau zu helfen. Und wir beide …« Holly sah mich an und klatschte wie eine übermotivierte Hochzeitsplanerin in die Hände. »Wir gehen alles Nötige einkaufen. Los, hopp, hopp.«

  Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und rauschte ebenso schnell wieder aus der Küche, wie sie hereingestürmt war. Ich sah ihr staunend und irgendwie auch belustigt hinterher, vergaß aber nicht, mit wem ich allein in der Küche zurückblieb. Als ich mich wieder zu Keith umdrehte, war die Unsicherheit aus seinem Gesicht verschwunden. Dafür konnte ich die unausgesprochene Frage in seinen Augen lesen.

  War es genug?

  Gelächter schallte durch das Haus und untermalte das Stimmengewirr und die Musik mit einer warmen Note. Die Türen standen offen, denn obwohl das hier eine Feier für Freunde und Familie sein sollte, war auch jeder willkommen, der zufällig vorbeikam. So war Stella – warmherzig empfing sie jeden mit offenen Armen. An diesem späten Juniabend strahlte sie über das ganze Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet und in ihren Augen lag ein Funkeln, das sie wie einen verliebten Teenager wirken ließ. Anscheinend war sie nicht die Einzige, die es heftig erwischt hatte, denn auch David, ihr Arbeitskollege, Date und neuer Freund, verließ ihre Seite kaum eine Sekunde lang. Höchstens, um ihr etwas zu trinken zu holen oder ihren Teller neu füllen.

  Ich nippte an meiner Limonade und beobachtete ihn dabei, wie er neben Keith am Grill stand und herauszufinden versuchte, was er Stella mitbringen sollte. Natürlich war Keith ihm keine große Hilfe dabei, sondern brummte nur hin und wieder eine Antwort, wenn David auf ein Stück Fleisch zeigte. Doch egal wie gut Keith es zu verbergen glaubte, ich erkannte die Belustigung in seinen Augen. Er machte es dem neuen Freund seiner Mutter absichtlich schwer. Nicht, um ihn zu verjagen, sondern um herauszufinden, ob David gut genug für Stella war. Doch so wie sich dieser Mann ins Zeug legte, um ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen, hätte sie keinen besseren Fang machen können. Und es tat gut, sie so zu sehen.

  Ein Teil von mir beneidete sie darum, einen Weg gefunden zu haben, weiterzumachen. Nicht auf der Stelle zu treten und sich an der Vergangenheit festzuklammern, wie ich es tat, sondern ihr Leben weiterzuleben. Glücklich zu sein.

  Mit zwei beladenen Tellern kehrte David zurück an den langen Tisch. Obwohl ich wusste, dass ich es nicht tun sollte, sah ich
zurück zu Keith. Unsere Blicke trafen sich und mir stockte der Atem. Hastig wandte ich mich ab und ging in die entgegengesetzte Richtung davon, als könnte ich so seinem drängenden Blick ausweichen.

  Langsam schlenderte ich an den Leuten vorbei, die sich in unserem Garten eingefunden hatten und in mehr oder weniger großen Grüppchen zusammenstanden. Ich sah Davids Tochter Adrienne, die in Hollys Alter war und anfangs ein bisschen verschreckt gewirkt hatte ob der vielen Fremden. Energisch, wie meine Schwester sein konnte, hatte sie sich ihrer sofort angenommen und sie ihrer besten Freundin Katelyn vorgestellt. Jetzt standen sie beisammen und brachen immer wieder in Gelächter aus, als wären sie alte Freunde.

  Auf dem Weg zum Tisch fing mich Stella ab und lächelte mich strahlend an. »Vielen Dank, dass du bei den Vorbereitungen mitgeholfen hast. Ich wäre schon viel früher nach Hause gekommen, aber es gab einen Notfall im Krankenhaus.«

  Ich winkte ab. »Kein Problem. Holly hat sich in ihrer Rolle als Militärgeneral sehr wohlgefühlt und uns alle herumkommandiert.«

  Stella lachte auf und strich mir liebevoll über den Arm. Ich folgte ihrem Blick durch den Garten. Während Holly und ich einkaufen gewesen waren, hatten Keith, Braden und Thomas die Gartenmöbel aufgestellt und den Grill angeschmissen.

  Faye war mit ihrer Mutter und ihren Schwestern vorbeigekommen und die vier hatten uns förmlich aus der Küche geworfen, um das Essen in Ruhe vorzubereiten. Also hatten Holly, Katelyn und ich uns um die Dekoration gekümmert. In den Bäumen und am Verandageländer hingen kleine Lampions, die in einem warmen Licht erstrahlten, seit die Sonne untergegangen war. Und auf den beiden großen Tischen standen zahlreiche Windlichter, in denen Kerzenflammen tanzten.

  »Du hast heute Abend kaum etwas gegessen«, stellte Stella in tadelndem Tonfall fest. Trotz all der Gäste schaffte sie es irgendwie, ihren mütterlichen Pflichten nachzukommen. »Keith hat sicher noch etwas auf dem Grill.«

  Bevor ich widersprechen konnte, nahm sie meine Hand und zog mich mit sich. Am liebsten hätte ich die Fersen in die Erde gestemmt und mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, Keith erneut gegenübertreten zu müssen. Aber das hätte nur Stellas Misstrauen geweckt, also blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu fügen.

  Beim Grill angekommen, drückte sie Keith einen Teller in die Hand. »Sorg bitte dafür, dass sie etwas Ordentliches isst.«

  Ich presste die Lippen aufeinander und wünschte mir verzweifelt, im Boden zu versinken. Im Moment schien jeder Ort der Welt besser zu sein als der neben Keith. Ich rechnete mit einem Kommentar von ihm, mit irgendeinem Witz, den er gleich machen würde, aber er blieb stumm. Sein Schweigen war fast noch schwerer zu ertragen als jedes Geplänkel.

  Stella schien nichts davon mitzubekommen, obwohl sie direkt neben uns stand. Ein zufriedener Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, während sie sich im Garten umsah. Das Barbecue war ein voller Erfolg, und sie schien es zu genießen, dass sich so viele Menschen hier versammelt hatten.

  »Hier.« Als Keith mir den Teller reichte, berührten sich unsere Finger für einen kurzen Moment. Ich schnappte nach Luft. Wie konnte eine so winzige Bewegung dieses Prickeln auf meiner Haut verursachen, wo er doch schon weit mehr getan hatte, als nur meine Finger zu berühren? War es das Wissen darum? Die Erinnerung an all die Dinge, die er mit mir angestellt hatte?

  »Danke«, murmelte ich und vermied es, ihn anzusehen. Oder zu nahe bei ihm zu stehen. Oder ihn noch einmal zu berühren. Wann war mein Leben so kompliziert geworden? Es war doch nur eine verdammte Nacht gewesen. Danach hätte alles wie zuvor weitergehen sollen, nur ohne diese ständige Spannung zwischen uns beiden. Doch nun schien es, als wäre sie noch stärker, noch unerträglicher geworden.

  Wir standen so steif nebeneinander, als wären wir Fremde. Gleichzeitig hätten die kurzen Momente, in denen sich unsere Blicke trafen, nicht intimer sein können. Und mit jedem dieser Blicke wuchs meine Angst, dass man uns ansehen könnte, was wir letzte Nacht getan hatten. Dass es für alle anderen so offensichtlich war, als würde ein riesiger Leuchtpfeil anklagend auf uns zeigen.

  Als ich kurz darauf am Tisch saß, würgte ich die ersten Bissen hinunter, ohne auch nur einen einzigen davon zu schmecken. Faye und Holly waren links und rechts von mir, während Keith sich in diesem Moment schräg gegenüber von mir niederließ. Und so sehr ich es auch versuchte, ich konnte mich nicht dazu durchringen, ihn zu ignorieren. Immer wieder sah ich in seine Richtung und dann schnell zur Seite, wenn er aufblickte. Mein Herz trommelte in einem steten Rhythmus, der immer schneller wurde, je größer meine Sorge wurde. Selbst wenn man uns nicht ansehen konnte, was wir getan hatten, meine schuldbewusste Miene musste jedem verraten, dass irgendetwas nicht stimmte. Hier, umringt von Freunden und Familie, fühlte ich mich so verletzlich und durchschaubar wie nie zuvor.

  Rechts von Keith saß Stella zusammen mit David, links von ihm hatte sich Braden mit einem Berg an Essen und Getränken breitgemacht.

  Holly deutete mit der Gabel in ihrer Hand auf ihn. »Wo wandert das alles hin?«

  Typisch Holly. Takt gehörte nicht gerade zu ihren Stärken. Dennoch war ich insgeheim dankbar für ihre Frage, weil sie mich von meinen quälenden Gedanken ablenkte.

  Braden schluckte seinen Bissen hinunter und musterte sie gut gelaunt. »Es verpufft beim täglichen Training.«

  »Was für ein Training?«, schaltete sich Keith auf einmal ein.

  Braden warf ihm ein Grinsen zu. »Joggen, Schwimmen, Kraft- und Kampftraining.«

  Holly schnaubte, als würde sie das nicht im Geringsten beeindrucken. »Schläfst du zwischendurch auch mal?«

  Bradens Lächeln wurde eine Spur breiter. »Hin und wieder. Aber dann ziemlich gut.«

  Bevor ich mich versah, waren die beiden Männer in ein Gespräch über Sport vertieft und es flogen Begriffe wie IAAF, Combatives und Ground Fighting zwischen ihnen hin und her. Statt herauszufinden, welche Sprache sie gerade sprachen, widmete ich mich wieder meinem Essen. Doch gerade als ich meine Gabel in einen von Mrs Morgensterns berühmten Beilagensalate bohrte, spürte ich etwas an meinem Bein. Es war nur eine flüchtige Berührung, als hätte sich ein Schmetterling kurz auf mein Knie gesetzt, um durchzuatmen, bevor er weiterflatterte. Aber es war kein Schmetterling, dessen war ich mir sicher, und allein bei der Vorstellung, es könnte Keiths Hand oder sein Bein gewesen sein, blieb mir das Herz stehen.

  »Wie gefällt es dir eigentlich in Woodshill?«, fragte Mrs Morgenstern mich plötzlich. Sie saß neben Faye am Ende der Bank und auf ihrem runden Gesicht lag ein warmes Lächeln. Irgendwie gelang es ihr, ihren vierjährigen Sohn auf dem Schoß ruhig zu halten, ihm beim Essen zu helfen und sich gleichzeitig mit mir zu unterhalten. »Seit du mit dem Studium angefangen hast, haben wir dich ja kaum noch zu Gesicht bekommen.«

  Ich zwang meinen letzten Bissen hinunter und spülte mit einem großen Schluck Wasser nach. »Es ist toll. Der Campus ist klein, aber ich habe gute Freunde gefunden.«

  »Stella wäre sicherlich sehr glücklich, wenn du nach deiner Ausbildung hier im Krankenhaus anfängst.«

  Meine Gabel erstarrte auf dem Weg zu meinem Mund. Es war nur ein kurzer Moment, ein winziges Aufblitzen von Panik, aber das genügte, um meine ohnehin schon angespannten Nerven fast zerreißen zu lassen. Um nicht antworten zu müssen, schob ich mir die Gabel in den Mund und warf Mrs Morgenstern ein knappes Lächeln zu. Doch als ich Keiths Blick begegnete, wurde mir schlagartig eiskalt. Er beobachtete mich und wenn man von den Falten auf seiner Stirn und seinen geschmälerten Augen ausging, gefiel ihm nicht, was er da sah.

  Nur ein paar Sekunden später wünschte ich mir die Kälte in meinem Körper zurück, denn die Hitze, die sich zwischen Keith und mir ausbreitete, raubte mir den Atem. Wie konnte er mich auf diese Weise ansehen? Ausgerechnet hier, umringt von all unseren Freunden und unserer Familie? Wie konnte er mich auf eine Weise ansehen, auf die kein Stiefbruder seine Stiefschwester je ansehen sollte?

  Mit einem lauten Klirren landete die Gabel auf meinem Teller. »Entschuldigt mich«, sagte ich in die Runde und sprang auf.

  Mein H
erz klopfte unruhig, als ich ins Haus ging, und ich musste mich mit jedem Schritt dazu zwingen, nicht sofort loszurennen. Warum ich mich ausgerechnet im Badezimmer verkroch, wusste ich nicht. Ich merkte nicht einmal, wo ich war, bis ich die Kälte spürte, die von den Wandfliesen auf meine nackten Beine übersprang. Ich stieß mich von der Wand ab und begann in dem kleinen Raum auf und ab zu laufen, ohne das Licht einzuschalten. Das Leuchten der Lampions, das von draußen hereindrang, reichte aus, um zu sehen, wohin ich trat.

  Im Halbdunkel blieb ich vor dem Waschbecken stehen und starrte mein Spiegelbild an. Das Mädchen auf der anderen Seite war leichenblass, hatte aber auch zwei dunkle Punkte auf den Wangen, als wäre sie in den Rougetopf gefallen. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet und ihre Lippen zitterten, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Oder wie eine Verrückte loszukichern. Ja, das klang eher nach mir.

  Das Klopfen an der Tür war so laut, dass ich erschrocken zusammenzuckte. Es dauerte einen Moment, bevor ich meine Stimme wiederfand.

  »Ja?«

  In Gedanken betete ich darum, dass es sich bei der Person auf der anderen Seite nicht um Holly oder Stella handelte. Mit Faye, die mir nachgelaufen war, konnte ich umgehen, denn sie wusste um das Chaos in meinem Leben Bescheid. Aber meine Familie? Keine Chance.

  Ich hörte, wie der Türknauf herumgedreht wurde und ich wartete auf das Unausweichliche. Aber es waren nicht Holly oder Stella, die jetzt ins Badezimmer traten.

  Es war Keith.

  Er sah mich nur an, sagte kein Wort und drückte die Tür mit einem leisen Klicken hinter sich zu. Auf einmal wirkte der Raum viel zu klein für uns beide, obwohl sich keiner von uns auch nur einen Millimeter bewegte. Alles, was wir gesagt und beschlossen hatten, schien an Bedeutung zu verlieren. Hier gab es nur ihn und mich und das war genug. Es war alles, was ich in diesem Moment wollte.

 

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