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Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us

Page 29

by Iosivoni, Bianca

Ja.

  Wir mussten dringend miteinander reden. Über diese eine Nacht. Darüber, was während der Gartenparty im Badezimmer passiert war und wie wir schon jetzt unseren Deal gebrochen hatten.

  Ich legte das Handy zurück auf den Nachttisch und schloss die Augen. Meine Gedanken rasten noch immer, aber es schien, als würde nun auch mein Kopf den Kampf gegen die Müdigkeit aufgeben und mich endlich einschlafen lassen.

  Als ich am nächsten Vormittag die Treppe herunterkam, war das Haus geradezu gespenstisch ruhig. Die Tür zu Hollys Zimmer war geschlossen, und vermutlich würde sie noch eine ganze Weile schlafen, da sie noch mit Katelyn und Braden im Garten gewesen war, als ich bereits ins Bett gegangen war.

  Ich genoss es, das Badezimmer ganz für mich zu haben, um mich in aller Ruhe anzuziehen und fertig zu machen. Bei den schwülwarmen Temperaturen draußen hatte ich mich für ein Spitzentop und Hotpants entschieden. Meine Finger zitterten ein wenig, als ich eine Schicht Mascara auftrug. Allerdings wusste ich nicht, ob Nervosität oder freudige Aufregung der Grund dafür war.

  Nach dieser einen Nachricht mitten in der Nacht hatte ich nichts mehr von Keith gehört. Und obwohl ich damit rechnete, ihn heute im Laufe des Tages zu sehen, erstarrte meine Hand für einen kurzen Moment auf dem Geländer, als ich ihn am Fuße der Treppe entdeckte. Seit gestern Abend hatte es keinen Moment gegeben, in dem wir allein gewesen waren, um die Dinge zwischen uns zu klären. Damit ich ihm diese eine Frage beantworten konnte, über deren Antwort ich mir erst einmal selbst hatte klar werden müssen.

  Wie um sie mir erneut zu stellen, hielt Keith mir wortlos seine Hand entgegen. Wieder einmal überließ er mir die Entscheidung.

  Diesmal zögerte ich nicht. Ich trat auf ihn zu und legte meine Hand in seine. Keiths Augen weiteten sich vor Überraschung, dann schloss er seine Finger um meine und zog die Mundwinkel hoch. Es war eine so winzige Geste, dennoch hämmerte mein Herz los, als wäre es bis jetzt nur auf Sparflamme gelaufen.

  »Bereit?«, wollte er wissen. »Ich will dir etwas zeigen.«

  Ich nickte, ohne Fragen zu stellen, denn im Grunde spielte es keine Rolle, wohin er mich mitnahm, solange wir in Ruhe miteinander reden konnten.

  Keith ließ meine Hand los und ging in Richtung Haustür. Dort angekommen drehte er sich zu mir um und hob fragend die Brauen. Ich machte gerade einen Schritt auf ihn zu, als jemand meinen Namen rief. Stella kam aus der Küche, sah kurz zwischen Keith und mir hin und her … und lächelte. Als wäre das ein unsichtbares Zeichen gewesen, ging Keith nach draußen und ließ uns allein.

  Stella blieb neben mir stehen und strich mir liebevoll über den Arm. »Ihr vertragt euch wieder?«

  Bilder flackerten vor meinem inneren Auge auf – Erinnerungen daran, wie Keith mich ansah, wie sich sein Mund auf meinem und seine rauen Finger auf meiner Haut anfühlten. Ich musste mich räuspern, da meine Kehle auf einmal so trocken war.

  »Wir … nähern uns an.«

  Besser hätte ich es kaum umschreiben können. Nur dass diese Annäherung ziemlich sicher auf einer völlig anderen Ebene stattfand als die, die Stella für ihre Kinder im Sinn hatte.

  Ihre Miene hellte sich auf und in ihre Augen trat ein so hoffnungsvolles Leuchten, dass ich beinahe zusammenzuckte. »Das ist schön.« Ein letztes Mal strich sie mir über den Arm, bevor sie einen Schritt zurücktrat. »Dann lasst euch nicht von mir aufhalten.«

  Oh, und wie sie uns aufhalten würde, wenn sie wüsste, was wir hinter ihrem Rücken trieben.

  Irgendwie brachte ich ein Lächeln zustande, ohne sofort dafür in der Hölle zu landen, und folgte Keith nach draußen. Sobald ich die Haustür hinter mir zugezogen hatte, atmete ich tief die warme Luft ein.

  »Alles klar?« Keith stand nur wenige Meter entfernt in der Einfahrt.

  Ich nickte hastig und setzte mich in Bewegung. Mit jedem Schritt schob ich die Gedanken an Stella und diese Hoffnung in ihrem Gesicht ein bisschen mehr beiseite. Sie durfte nie herausfinden, was Keith und ich wirklich taten. Besser, sie glaubte weiterhin, dass wir uns langsam wieder etwas besser verstanden. Denn irgendetwas sagte mir, dass es ihr das Herz brechen würde, sollte sie jemals die Wahrheit erfahren.

  Seite an Seite gingen wir zu den Autos hinüber. Keiths Pick-up stand direkt neben Stellas Jeep.

  »Willst du fahren?«, fragte er wie selbstverständlich und hielt seinen Schlüssel in die Höhe.

  Ich zögerte einen Herzschlag lang. »Nein.«

  Keith blieb so plötzlich stehen, als hätte ich ihm einen Kübel Eiswasser übergeschüttet. Langsam drehte er sich zu mir um. Sein Blick brannte sich regelrecht in mich hinein. »Meinst du das ernst …?«

  Ich nickte.

  Etwas Weiches trat in seine Augen, aber da war auch eine Vorsicht, die ich nicht ganz einordnen konnte. »Bist du sicher?«

  Wieder nickte ich, obwohl ich in Wahrheit den Kopf schütteln wollte. Mein Verstand brüllte mich an, wütete und tobte und nannte mich eine Idiotin, aber ich hatte meine Entscheidung gefällt. Ich würde bei Keith mitfahren. Wenn ich mit ihm schlafen konnte, konnte ich auch als Beifahrerin neben ihm im Auto sitzen. Selbst wenn mich das jedes bisschen Selbstbeherrschung kosten würde, das ich besaß.

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  Ich würde gern behaupten können, mein Mut hätte sich ausgezahlt. Dass ich mich während der Fahrt absolut wohlgefühlt und meine Ängste siegreich überwunden hatte. Leider sah die Wahrheit anders aus. Die ganze Strecke über klammerte ich mich an den Seitengriff und musste mich mehrmals daran erinnern, weiter zu atmen. Es war völlig absurd, schließlich war das hier kein Straßenrennen, sondern nur eine simple Autofahrt. Noch dazu fuhr Keith so langsam, dass er dafür eine Strafe kriegen würde, sollte Braden oder einer seiner Kollegen uns in diesem Schneckentempo erwischen.

  Als wir endlich anhielten, hätte ich vor Erleichterung am liebsten geweint. Jeder Muskel in meinem Körper war vor Anspannung verkrampft und ich konnte es kaum erwarten, endlich aus dieser Kiste auszusteigen. Der Entschluss, bei Keith mitzufahren, mochte mutig gewesen sein, aber im Moment fühlte ich mich nicht mutig. Meine Knie zitterten und ich musste mich am Wagen abstützen, um nicht auf den Asphalt zu sinken.

  Langsam hob ich den Blick von meinen Füßen und sah zu dem Gebäude auf, vor dem Keith am Straßenrand geparkt hatte. Das Schaufenster wirkte ein bisschen staubig und könnte mal wieder geputzt werden, dafür strahlten die darin ausgestellten Möbelstücke umso mehr. Ich vergaß meine zittrigen Knie und machte einen Schritt darauf zu. Keith war sofort an meiner Seite, als würde er damit rechnen, dass ich jede Sekunde zusammenklappen könnte.

  »Alles in Ordnung?«, fragte er leise. In seiner Stimme schwang ein Hauch Unsicherheit mit.

  Ich nickte abgelenkt. Zu einer anderen Antwort war ich nicht in der Lage. Zu sehr faszinierten mich der kunstvoll geschnitzte Tisch mit den leicht gebogenen Tischbeinen und die dazu passende Kommode aus karamellfarbenem Holz. Darüber war ein ovaler Spiegel angebracht, der überraschend schlicht wirkte. Erst bei näherem Hinsehen erkannte ich die in den Rahmen geritzten Holzornamente.

  »Hier arbeitest du?« Ich drehte mich zu Keith um.

  Er lächelte und es war, als würden seine Schultern vor Erleichterung herabsinken. »Ich arbeite in der Werkstatt in den hinteren Räumen. Mit dem Verkauf habe ich nicht viel zu tun.«

  Ich blickte zurück zum Schaufenster. Es war nicht vollgestopft, sondern zeigte nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was sich im Laden befand. Aber diese liebevoll zur Schau gestellten Möbelstücke genügten, um meine Neugier zu wecken.

  »Können wir reingehen?«

  Wie zur Antwort hielt Keith einen Schlüssel in die Höhe. Ich fühlte mich wie ein Kind am Weihnachtsmorgen, als er die Tür aufschloss und einen Schritt zur Seite trat, um mich vorgehen zu lassen. Das Klingeln einer alten Glocke begleitete unser Eintreten.

  »Ich wusste gar nicht, dass du ein Gentleman sein kannst«, murmelte ich im Vorbeigehen.

  »Ich bin immer ein Gentleman«, erwiderte Keith ernst, aber ich konnte das unterdrückte Lachen in seiner Stimme hören. />
  »Aber klar doch.« Ich gab mir alle Mühe, nicht zu grinsen, konnte aber nicht verhindern, dass meine Mundwinkel in die Höhe wanderten.

  Wir blieben mitten im Laden stehen. Es roch nach Holz, Poliermittel und … Wärme. Bisher war ich nie auf die Idee gekommen, dass Wärme einen Geruch haben könnte, doch wenn sie einen hatte, dann war es dieser hier.

  »Dürfen wir überhaupt hier sein?« Behutsam strich ich über die Linien eines massiven Schranks, der die halbe Wand einnahm, und fuhr das eingeschnitzte Jagdmuster auf der Lehne eines Stuhls mit den Fingerspitzen nach.

  »Ich schon. Montags haben wir geschlossen, also stört es keinen, wenn ich jemanden hierherbringe.« Er zögerte kurz, während ich weiter die Möbel bestaunte. »Gefällt es dir?«

  »Machst du Witze?« Ich wirbelte herum, nahm alles in dem kleinen Laden in mich auf und hatte dennoch das Gefühl, unzählige kleine Details zu übersehen. »Ich liebe es!«

  Keiths Lächeln war so warm, dass es mir direkt in die Brust fuhr. »Hinten ist die Werkstatt.« Mit einem Nicken deutete er auf eine unscheinbare Tür hinter dem Glastresen mit der altertümlich wirkenden Kasse.

  Ich hätte noch Stunden hier verbringen und alles ganz genau unter die Lupe nehmen können, aber ich wollte auch Keiths Arbeitsplatz sehen, also folgte ich ihm in den hinteren Bereich, der durch einen kurzen Flur vom Laden abgetrennt war.

  Bisher hatte ich nie eine Vorstellung davon gehabt, wie eine Tischlerwerkstatt aussah. Vielleicht mit ganz viel Holz, kleinen Fenstern und einem Hocker zum Schnitzen und Bearbeiten der Möbelstücke? Ganz sicher hatte ich nicht so viele Maschinen erwartet. Dieser Raum war fast dreimal so groß wie die Ladenfläche und beherbergte hauptsächlich Gegenstände, die ich nicht benennen konnte. Ganz zu schweigen davon, dass ich keine Ahnung hatte, was man damit machte.

  Ich deutete auf etwas, das aussah wie eine dieser kleinen Kaffeemaschinen, die man mit Kapseln fütterte. »Was ist das?«

  Keiths Mundwinkel zuckten. »Eine Oberfräse.«

  »Und was tut man damit?«

  »Fräsen.«

  Ich verzog das Gesicht. »No Shit, Sherlock.«

  »Damit bearbeiten wir Holz mit einer ganz bestimmten Technik und bringen es in Form.«

  Ah, jetzt sprach er wieder in einer Sprache, die ich auch verstand. Staunend sah ich mich weiter um, ging an metallenen Geräten vorbei, die so aussahen, als könnte ich mir damit den Finger abhacken, wenn ich sie auch nur berührte. Ich entdeckte Bohrer mit diversen Aufsätzen, einen überdimensionalen Staubsauger – konnten wir so was auch fürs Wohnheim bekommen? – und Werkzeuge, die ich zwar nicht benennen konnte, aber zumindest schon mal gesehen hatte.

  »Und das hier?« Ich tippte auf etwas, das aussah wie ein Minischrank aus hellem Holz mit einer unheimlich langen Tischplatte darauf. Einer sehr, sehr dicken Tischplatte. Er stand im hinteren Bereich mitten im Raum und wirkte ausnahmsweise nicht wie etwas, das mir irgendwelche Körperteile abhacken wollte. Dafür erinnerte er mich mit seinen Löchern und Schrauben an eine Streckbank aus dem Mittelalter.

  Keith kam näher, bis er direkt vor mir stand und ich die Wärme spürte, die von seinem Körper ausging. »Eine Hobelbank.«

  »Lass mich raten. Damit wird gehobelt?«

  Er grinste.

  »Es ist ganz schön sauber hier …«, stellte ich fest, nachdem ich mit der Hand über die Holzplatte gestrichen hatte. Ein weiterer Blick durch die Werkstatt bestätigte den Eindruck.

  »Was hast du denn erwartet?«

  »Ich weiß nicht«, murmelte ich schulterzuckend. »Staub und Sägespäne vielleicht?«

  »Das gehört auch dazu. Aber wenn wir gerade nicht arbeiten, muss es hier hinten sauber und aufgeräumt sein. Außerdem …«, er packte mich an den Hüften und hob mich auf die Bank, »… hat es seine Vorteile.«

  Die Sorge, das Konstrukt könnte unter meinem Gewicht zusammenbrechen, verflog innerhalb von Sekunden. Um genau zu sein verflog sie in dem Moment, in dem Keith zwischen meine Beine trat.

  »Was hast du vor?«, flüsterte ich, während meine Hände ohne mein Zutun über seine Brust nach oben wanderten.

  »Wonach sieht es denn aus?« Aufreizend langsam, als hätte er alle Zeit der Welt, streichelte Keith mit seinen Daumen über meine Seiten, knapp über dem Bund meiner Hotpants und somit genau dort, wo der Stoff meines Tops endete und ein kleiner Streifen Haut frei lag. Die simple Berührung genügte, um mir eine Gänsehaut zu verpassen.

  »Als ob du mich in deiner Werkstatt verführen willst«, gab ich zurück und verfluchte mich für meine eigene Atemlosigkeit. Ich war nicht prüde, aber eine Werkstatt …? Das war neu. Eine Mischung aus Angst, Vorfreude und Erregung kitzelte in meiner Magengrube.

  Keith öffnete den Mund, um etwas darauf zu erwidern, doch in diesem Moment klingelte die Türglocke vorne im Laden. Sekundenlang starrten wir einander nur an, dann löste er sich mit einem gemurmelten Fluch von mir.

  »Ich habe vergessen, abzuschließen. Warte kurz.«

  Bevor ich etwas antworten konnte, löste er sich bereits von mir und marschierte mit großen Schritten durch die Werkstatt. Sekundenlang sah ich ihm nach, zu verwirrt von der unerwarteten Unterbrechung, um mich zu bewegen, dann rutschte ich von der Bank. Ich wusste, dass ich am besten einfach hier auf ihn warten sollte, aber ich war zu neugierig. War es ein Kunde, der den Laden betreten hatte und etwas kaufen oder ein Möbelstück abholen wollte, das er in Auftrag gegeben hatte? Es schien mir noch immer unvorstellbar, dass Keith so wunderbare Dinge mit seinen bloßen Händen – und, zugegeben, einer Menge Werkzeugen – herstellte. Aber gleichzeitig war es auch unheimlich sexy.

  Als sich Sekunden zu Minuten ausdehnten und Keith noch immer nicht zurück war, biss ich mir auf die Unterlippe. Die Neugier brannte in meinen Adern, aber ich wollte ihm nicht hinterherspionieren. Ich beschloss, bis zehn zu zählen, um meine Neugier unter Kontrolle zu bekommen, mich dann wieder brav auf die Hobelbank zu setzen und auf Keith zu warten.

  Bei Acht gab ich es auf und ging an den Maschinen vorbei in Richtung Tür. Sie stand offen und ich hörte die gedämpften Stimmen von Keith und … einer Frau. Im ersten Moment dachte ich mir nichts dabei, doch dann hörte ich dieses aufgesetzte, verspielte Lachen und verzog das Gesicht. Schlechter Flirtversuch. Ganz schlechter Flirtversuch. Wie auch immer Keith darauf reagierte, er lachte nicht.

  Gegen meinen Willen betrat ich den Flur und schlich näher. Ich wusste, dass ich kein Recht dazu hatte, aber wie hatte Keith einmal gesagt? Wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte mich nichts davon abbringen. Nicht einmal ich selbst.

  Die Tür zum Laden war nur angelehnt. Ich drückte mich gegen die Wand daneben und spähte durch den Spalt. Das Erste, was ich sah, war Keith. Er stand mit dem Rücken zu mir hinter dem Verkaufstresen und sein Körper verdeckte die Frau, mit der er sprach. Insgeheim hoffte ich ja immer noch, dass es sich um eine nette alte Lady handelte, die ein paar ihrer Antiquitäten loswerden wollte. Oder um eine Mutter von vier Kindern, die mit Zwillingen schwanger war und einen neuen Wickeltisch brauchte. Doch dann trat Keith einen Schritt zur Seite und ich sah eine attraktive Frau in meinem Alter mit endlos langen rotbraunen Haaren und einem einladenden Lächeln, das ganz auf Keith konzentriert war.

  Etwas zog sich in meiner Brust zusammen – und zwar nicht auf die gute, kribbelnde Weise. Ich konnte nicht beurteilen, ob er zurückflirtete oder nicht, da ich sein Gesicht nicht sah. Allerdings erklärte er ihr auf freundliche, aber bestimmte Weise, dass sie heute geschlossen hatten und Miss Flittchen ihren Esstisch darum noch nicht abholen konnte.

  »Wie schade!«, hauchte sie.

  Ich zog eine Grimasse. Nicht weil sie so schrecklich klang – obwohl ich mir genau das gewünscht hätte –, sondern weil sie eine angenehm tiefe, rauchige Stimme besaß. Genau das richtige Organ für eine Soulsängerin, die ihre Zuhörer einzig und allein mit der Macht ihrer Stimme in ihren Bann zog. Auf musikalischer Ebene fand ich das faszinierend, auf persönlicher Ebene weniger. Sie sollte endlich von hier verschwinden, verdammt noch mal. War e
s wirklich so schwer, das Geschlossen-Schild an der Eingangstür zu lesen?

  »Aber Sie sind doch da«, sprach sie weiter und lächelte kokett. »Können Sie nicht eine Ausnahme machen? Ich gebe morgen meine Einweihungsparty und brauche den Tisch dringend. Es wäre wirklich toll, wenn Sie ihn mir nach Hause liefern könnten. Sagen wir … heute Abend?«

  Ich rollte mit den Augen. Ja, klar. Erst den Tisch in ihr Esszimmer liefern und anschließend Keith direkt in ihr Bett. Sonst noch Wünsche?

  »Tut mir wirklich leid, Miss Cleveland«, erwiderte Keith ruhig. »Das habe ich nicht zu entscheiden. Kommen Sie doch morgen wieder und sprechen Sie mit dem Besitzer. Ich bin sicher, wir können es irgendwie arrangieren, dass Sie Ihren Tisch noch vor der Party bekommen.«

  Sie zog einen Schmollmund. Einen Schmollmund! War sie acht, oder was? Ich schnaubte so laut, dass mir die plötzliche Stille im Laden unendlich laut vorkam. Oh nein. Hatten sie mich etwa bemerkt? Hastig stieß ich mich von der Wand ab und verließ meinen Lauschposten, um zurück in die Werkstatt zu schleichen. Ich hatte genug gehört. Noch mehr von ihrem Gesäusel und ich würde einen Eimer brauchen.

  Es dauerte noch etwa drei Minuten, bis das Klingeln der Türglocke ertönte und Keiths Schritte näherkamen. Ich war wieder bei der Hobelbank, wo er mich zurückgelassen hatte, aber ich saß nicht mehr darauf, sondern lehnte mich dagegen. Keiths Miene war unlesbar, als er zurückkehrte, aber ich meinte, ein amüsiertes Funkeln in seinen dunklen Augen zu erkennen. Ohne ein weiteres Wort packte er mich bei der Taille und setzte mich erneut auf die Holzbank.

  »Hey, was …«

  Keith schnitt mir das Wort ab, indem er seinen Mund auf meinen presste. Mein Protestlaut ging in unserem Kuss unter. Diesmal gab es kein Austesten und Herantasten. Das Knabbern an meiner Unterlippe entlockte mir ein Keuchen, aber es war die winzige Berührung seiner Zunge, das kurze Lecken über meine Unterlippe, was jeden Gedanken in meinem Kopf ausschaltete. Keiths Zunge fand meine, und was als Kampf begann, als Herausforderung, sich gehen zu lassen, endete in einem sanften Streichen von Lippen an Lippen. Als er den Kopf hob, konnte ich ihn nur anstarren. Meine Brust hob und senkte sich schnell unter meinen unsteten Atemzügen und kurzzeitig war ich zu keinem klaren Gedanken fähig. Dieser Mann hatte mich tatsächlich um den Verstand geküsst. Und das Schlimmste daran? Ich wollte gar nicht mehr denken, sondern weitermachen, bis ich vergaß, was ich da eben unfreiwillig im Laden miterlebt hatte.

 

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