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Never Too Close

Page 17

by Moncomble, Morgane

Dieser zweite Kuss ist anders als der erste. Immer noch zärtlich, aber fordernder. Härter, fieberhafter, drängender. Ich begrüße seine Zunge, während er seine Wellenbewegung gegen meine pulsierende Scham fortsetzt. Sein Mund schmeckt immer noch gleich, seine Haare riechen gleich … ich werde davon wohl nie genug haben.

  Plötzlich liege ich bei ausgeschaltetem Licht auf meinem Bett. Im Dunkeln kann ich ihn kaum erkennen. Nur Tastsinn und Gehör leiten uns. Ich spüre, wie seine Hände meine Brüste umfassen, wie sein Mund sie vorsichtig küsst, an ihnen knabbert, sie liebt.

  Meine Hände erkunden seinen Körper, angefangen bei den kräftigen Schulterblättern bis hin zu den Kurven seines Hinterns, den ich immer näher an mich heranziehe. Ich fühle mich, als müsste ich explodieren, wenn er nicht bald in mich eindringt. Seine Küsse zwischen meine Schenkel vertreiben meine letzten Befürchtungen und zermalmen das, was von meinem zerbröselten Herzen noch übrig ist.

  »Dein Körper ist zum Wahnsinnigwerden, Violette … Ich schwöre«, murmelt Loan in dem Moment, in dem ich seine Finger an meiner Klitoris spüre. Es ist ein ganz neues Gefühl, das mich zusammenzucken lässt. »Wenn du wüsstest, was das mit mir macht … Und was du mir die ganze Woche angetan hast!«

  Ich lächle leicht und bin froh, dass ich ihn nicht kaltlasse. Mein Triumph wird jedoch schnell weggefegt, als Loan seinen Daumen an meiner Klitoris kreisen lässt. Ich packe die Decke zwischen meinen Fäusten. Ich werde getragen von einer Flut aus Lust, die wie ein Crescendo ansteigt. Sein Finger foltert mich mit dem Wechsel zwischen langsamen und schnellen Liebkosungen. Jedes Mal, wenn die Hitzewelle zu explodieren droht, wird er langsamer.

  »Loan, ich flehe dich an … Hör auf!«

  Ich glaube zu spüren, dass er lächelt.

  »Siehst du, das ist genau die Wirkung, die dein kleines Theater diese Woche auf mich hatte.«

  Okay, ich bin bereit, zuzugeben, was er will, sogar Dinge, für die ich nichts kann. Er scheint Mitleid mit mir zu haben, denn er beschleunigt nicht nur das Tempo, sondern führt auch zwei Finger in mich ein.

  »Oh, Loan …«

  »Nur zu, mein Engel.«

  Nach nur wenigen Sekunden entlade ich mich um ihn herum. Es überwältigt mich, überflutet mich, ertränkt mich. Mein erster Orgasmus. Meine Beine zittern noch etwas, als Loan sich zu mir hochschiebt und mich auf den Mund küsst.

  Nach dem zu urteilen, was gegen meinen Körper pulsiert, hat es ihm ebenso gut gefallen wie mir. Loan löst sich von mir, um etwas in der Tasche seiner Jeans zu suchen, die noch auf dem Boden liegt. Ich versuche, wieder zu mir zu kommen und schaue ihm dabei zu, wie er die Verpackung eines Kondoms zerreißt und es überstreift. Plötzlich fühle ich mich eingeschüchtert. Er scheint es zu merken, denn er gibt mir einen beruhigenden Kuss auf die Lippen.

  »Wenn ich dir wehtue, sagst du Bescheid, okay?«

  »Ja«, hauche ich ganz bereit.

  »Wir gehen es langsam an.«

  Er stützt sich auf die Ellbogen, streicht mir eine blonde Locke aus dem Gesicht und drückt mir einen leichten Kuss auf die Schläfe. Dann umfasse ich seinen Bizeps und schließe die Augen, während er langsam in mich eindringt.

  »Oh, fuck …«, flucht Loan mit zusammengebissenen Zähnen.

  Ja, das ist das Wort. Wie erwartet brennt es ein wenig beim Eindringen, aber ich versuche es nicht zu zeigen. Ich will nicht, dass er aufhört. Auf keinen Fall soll er aufhören. Loan hält inne und verharrt reglos in mir, bis ich mich an seine Anwesenheit gewöhnt habe. Während dieser wenigen Sekunden des Unbehagens bedeckt er mein Gesicht mit Küssen. Schließlich bewegt er sich wieder, und ich muss zugeben, dass das Gefühl, wie er in mir hin und hergleitet, der reine Wahnsinn ist … das Unglaublichste, das ich je erlebt habe. Es fühlt sich so erhaben an, dass ich glücklich sterben würde, wenn ich jetzt sterben müsste.

  »Geht es?«

  Ich nicke nur und ermuntere ihn, weiterzumachen. Kein Geräusch stört unsere brennende Umarmung, abgesehen von unserem stoßweisen Atem und unserem lustvollen Stöhnen. Ich öffne die Augen wieder, als seine Bewegungen weniger schmerzhaft, dafür aber schneller werden. Mit einer Hand umklammere ich seinen Nacken, mit der anderen seine Hüfte. Loans Finger streichelt meine Klitoris, um mir dabei zu helfen, trotz des Schmerzes zu kommen. Und ich spüre, dass ich gleich zerspringe. Ich will es ihm sagen, aber ich kann nicht. Sein Blick erforscht mich und verlässt mich keine Sekunde, das ist zu viel.

  »Loan …«

  Eine neue Welle trifft mich mit voller Wucht und ich spüre, wie die Hitze immer stärker ansteigt. Ich weiß, dass er es bemerkt. Stöhnend legt Loan die Stirn an meine. Intensive Lust verzerrt sein Gesicht. Während unseres sinnlichen Tanzes hält mein Blick seinen fest, ich atme abgehackt, meine Lippen berühren die seinen. Ich kralle die Nägel in die Haut seines Halses. Schweiß rinnt zwischen meine Brüste.

  Als das Feuer uns verschlingt und mein Herz in meiner Brust explodiert, kommt er und stöhnt dabei meinen Namen. Ich lasse ihn an meinem Hals wieder zu Atem kommen und streichle sein Haar, während er noch in mir bleibt. Als ob er nie wieder herauswollte.

  »Danke«, flüstere ich.

  So also habe ich meine Jungfräulichkeit verloren. Mit meinem besten Freund, in vollkommener Dunkelheit und einer Stille, die nur durch unser lustvolles Stöhnen gestört wurde … Und all das unter Hunderten von Fotos von uns.

  »Fühlt sich das immer so gut an?«, erkundige ich mich möglichst cool.

  Wir liegen beide auf dem Rücken und verlieren uns in der Betrachtung der Decke. Fast unmittelbar nach unserer Umarmung ist Loan wie ein Baby eingeschlafen. Mir ging es schnell genau so, bis seine Liebkosungen an meiner Wirbelsäule mich wieder aufweckten. Ich hatte befürchtet, die Situation könnte mir peinlich sein, aber dem war nicht so. Loans Arm liegt unter meinem Kopf, seine Hand streichelt meine Schulter, meine Wange ruht auf seiner Brust. Es ist perfekt. Obwohl ich mich meiner Nacktheit nicht im Geringsten schäme, hat Loan die Decke über unsere Beine geschlagen, was mich sehr berührt.

  Ich kann nur noch an eins denken: Das war die wundervollste Nacht meines Lebens. Und ich hasse mich dafür, dass ich so denke.

  Loan überlegt, während er ununterbrochen imaginäre Kreise entlang meines Armes zeichnet, und antwortet schließlich mit neutraler Stimme:

  »Es hängt von gewissen Dingen ab, dem Moment, der Person … Es ist niemals gleich.«

  Nach dieser Erfahrung reinster Lust verstehe ich nicht, warum ich nicht schon früher damit angefangen habe. Ganz anders als ich befürchtet hatte, habe ich mich nicht einmal ungeschickt angestellt. Eigentlich habe ich an gar nichts gedacht. Alles lief ganz natürlich ab.

  Plötzlich kommt mir eine Frage in den Sinn:

  »Hattest du vorher schon mal Sex mit einer Jungfrau?«

  »Nein.«

  Dann war Lucie also keine. Ich runzle die Stirn und bin froh, dass er meinen überraschten Gesichtsausdruck nicht sehen kann.

  »Und wie fühlt es sich an?«

  Ich wünsche mir, dass er sagt: exquisit, göttlich, explosiv. Ich erlaube mir, sein Tattoo mit den Fingerspitzen zu streicheln, während ich spüre, wie er zögert.

  »Anders.«

  Anders. Nun … Ich gebe mich damit zufrieden. Einige Sekunden später spüre ich, wie er sich unter mir bewegt. Er zieht seinen Arm unter meinem Kopf hervor und stützt sich auf einen Ellbogen, um mir ins Gesicht zu sehen. Die Decke gleitet über seine Hüften. Ich bin immer noch erstaunt, wie gut er aussieht. Natürlich hatte ich es vermutet, schließlich treibt er jede Woche Sport. Aber ihn unter seiner Kleidung zu berühren war etwas ganz anderes.

  Sein Gesicht ist über mir, Auge in Auge, und er streichelt zärtlich mein Haar. Es ist eine sanfte und schlichte Berührung, an die ich mich gewöhnen könnte … doch die Realität macht mir mit erschreckender Geschwindigkeit das Herz schwer.

  »Ich weiß, ich habe es dir vorhin schon gesagt«, flüstert er, als hätte er Angst, gehört zu werden, »aber du bist sehr schön, Violette.«

  Ich möchte die Augen
schließen, um die Wirkung dieser Worte auf mich zu genießen; am liebsten würde ich sie drucken und nie vergessen. Weder sie noch seinen Blick, als er sie ausspricht. Aber ich fixiere seine schönen Pupillen.

  »Und weißt du, was ich am meisten liebe?«, fragt er und wickelt eine Haarsträhne um seinen Zeigefinger.

  Nein. Ich weiß es nicht. Ich bin immer noch überrascht, dass er mich schön findet.

  »Deine Sommersprossen. Auch deine Augen, deinen sinnlichen Mund und dein sonniges Haar liebe ich wie verrückt, aber das Allerschönste sind deine Sommersprossen«, erklärt er, als ob er immer noch zu verstehen versucht, warum.

  Ehrlich gesagt frage ich mich das auch. Lange Zeit habe ich sie wirklich gehasst, vor allem, weil sie nicht gleichmäßig verteilt sind. Es sieht aus, als wäre mein Gesicht in zwei Teile geteilt, und auch heute schneide ich manchmal noch eine Grimasse, wenn ich mich im Spiegel betrachte. Als wäre ich zwei verschiedene Menschen.

  Und zu wissen, dass ihm das gefällt, was ich am wenigsten an mir mag, tut mir unendlich gut. Doch das war vor der brutalen Rückkehr in die Realität. In einer halben Sekunde gelingt es Loan, alles zu zerstören, ohne es auch nur zu merken.

  »Ich habe deinen Vater ja schon mal gesehen, und du siehst ihm eigentlich nicht sehr ähnlich. Jetzt bin ich neugierig: Hast du sie von deiner Mutter?«

  Plötzlich scheint sich das Zimmer um mich zu drehen. Übelkeit kriecht mir in die Kehle und alle Farbe weicht aus meinem Gesicht. Meine Mutter … Vor Ekel und Schuldgefühl zittere ich am ganzen Körper, als ich an sie denke. Loan hätte keinen schlechteren Zeitpunkt wählen können, um sie zu erwähnen.

  Die Fakten explodieren mir ins Gesicht und erinnern mich an das, was ich gerade getan habe. Etwas Schreckliches, das Clément mir nie verzeihen würde. Er wird es nicht erfahren, aber ich weiß es. Und ich ekle mich vor mir selbst. Weil ich genau so bin wie meine Mutter. Genau in diesem Moment bin ich all das, was ich hasse und was ich mir geschworen habe, nie zu werden.

  »Nein«, gelingt es mir zu antworten.

  Er scheint zu verstehen, dass ich nicht näher darauf eingehen will, denn er hakt nicht nach und legt sich neben mir auf den Rücken. Das, was ich befürchtet habe, macht sich fast sofort bemerkbar. Die Wände scheinen sich einander zu nähern, mein Herzschlag wird schneller und die Angst springt mich an.

  Ich starre auf die geschlossene Tür und zittere wie Espenlaub, so sehr, dass ich fürchte, Loan könnte es spüren und sich Sorgen machen. Eine Panikattacke kündigt sich an.

  Ich bin untreu gewesen. Ich habe meinen Freund betrogen. Ich bin ein Monster.

  Ich kneife die Augen zusammen und versuche, innerlich zur Ruhe zu kommen, aber es wird nur noch schlimmer. Ich sehe meine Mutter vor mir, wie sie spät in der Nacht meine Zimmertür öffnet. Ich schlief nicht. Sie zwinkerte mir zu und gab mir zu verstehen, dass ich mich ruhig verhalten sollte. Ich blieb stumm in meinem Bett liegen und hörte, wie sie das Haus verließ und einige Stunden später zurückkam. »Das ist unser kleines Geheimnis«, sagte sie. Ein Geheimnis, das ich lange, viel zu lange, bewahrt habe. Ein Geheimnis, das mich, aber auch meinen Vater, sehr verletzt hat.

  Es ist meine erste Panikattacke seit der Aufzugpanne. Ich fühle, dass mir die Kontrolle entgleitet und will nicht, dass Loan es mitbekommt. Also drehe ich ihm den Rücken zu. Ich hoffe, er fragt nicht nach, sonst sieht er die Tränen in meinem Gesicht.

  »Soll ich lieber in mein Zimmer gehen?«

  Ich schüttle den Kopf und bete, dass er mein Schluchzen nicht hört. Der Angstanfall scheint zwar nachzulassen, aber ich fühle mich immer schmutziger.

  Ich spüre, dass er zögert, mich in die Arme zu nehmen. Ziemlich albern, oder? Wir sind es gewohnt, im selben Bett zu schlafen und einer in den Armen des anderen einzuschlummern. Und doch hat es jetzt nicht mehr die gleiche Bedeutung. Sein Zögern schmerzt mich noch mehr. Aber plötzlich schließt er mich in die Arme und schmiegt die Stirn an meinen Hals. Es ist sowohl beruhigend als auch herzzerreißend, weil es mich an den Fehler erinnert, den ich heute Nacht begangen habe.

  »Ich weiß, so hast du dir dein erstes Mal nicht erträumt«, haucht Loan mir ins Ohr. Unter der Bettdecke streichelt er meine Füße mit seinen. »Aber ich hoffe, du bereust es nicht … Ich würde mich hassen, wenn du es bereuen würdest, Violette.«

  Ein neuer Tränenstrom überschwemmt mein Gesicht. Ich fühle mich so schrecklich schuldig … sowohl gegenüber Clément als auch gegenüber Loan. Ich will nicht, dass er sich für etwas hasst, wofür ich ganz allein verantwortlich bin. Ich gebe keine Antwort, denn ich weiß, ich würde schluchzen wie ein kleines Kind, wenn ich den Mund öffnen würde. Stattdessen verflechte ich meine Finger mit seinen, die auf meinem Herzen liegen. Eng aneinandergekuschelt schlafen wir ein. Also, zumindest er schläft ein.

  Etwa eine Stunde später, es dämmert bereits, löst Loan sich im Schlaf von mir und dreht sich um. Ich tue das Gleiche in der Hoffnung, dass es mich beruhigt, wenn ich ihm beim Schlafen zusehe. Doch das Schauspiel, das sich mir bietet, macht mich sprachlos. Loan liegt nur halb zugedeckt auf dem Bauch und gewährt mir nicht nur einen Ausblick auf seinen sexy Hintern … sondern vor allem auf seinen Rücken.

  Ich hatte recht, es ist eine Verbrennung. Wie hypnotisiert starre ich sie schamlos an. Die verbrannte Haut ist rosig und glänzt an einigen Stellen. Wie ich bereits vermutet hatte, beginnt die Narbe unter seinem Kiefer und zieht sich bis zum Schulterblatt hinab. Ich will nicht lügen: Ein besonders schöner Anblick ist sie nicht, aber ich bin keinesfalls angewidert. Ich würde sie gern berühren, habe aber Angst, dass er dann aufwacht. Ich streichele sein Haar, während ich ihm beim Schlafen zuschaue, dann flüstere ich ihm ein zweites Mal zu: »Danke.«

  Schließlich stehe ich auf, ziehe schnell ein T-Shirt über und gehe ins Bad. Ich lasse Wasser in der Dusche laufen und schließe die Tür ab – zum ersten Mal. Als ich sicher bin, dass mich niemand hören kann, lehne ich mich gegen die Tür, lasse mich zu Boden gleiten und weine alle angestauten Tränen aus mir heraus.

  15

  Heute

  Loan

  Meine Augenlider flattern, als ich kitzelnde Finger auf meiner Stirn spüre. Meine Energie lässt noch auf sich warten und ich bewege mich nicht, weil ich es nicht eilig habe aufzuwachen, bis mir ein »Danke« ins Ohr geflüstert wird. Als Violette aufsteht, zwinge ich mich, ein Auge zu öffnen. Ich habe kaum Zeit, ihren schönen nackten Körper unter einem T-Shirt verschwinden zu sehen, als sie auch schon in den Flur huscht. Und mich allein lässt. Ich öffne beide Augen und wälze mich verwirrt auf den Rücken. Ich höre das Geräusch von Wasser. Sie duscht.

  Ohne dich, kommentiert meine innere Stimme. Natürlich ohne mich.

  Mein Blick wandert ein paar Sekunden lang über die Zimmerdecke, was mir nicht hilft, mich besser zu fühlen. Ich habe mit Violette geschlafen. Ich habe sie entjungfert, und es deprimiert mich. Ich bereue es nicht, das auf keinen Fall … Wie könnte ich den besten Sex meines Lebens bereuen? Ich verziehe das Gesicht. Es war nicht einfach nur »anders«. Es war intensiv, kraftvoll, exquisit und verrückt, und zwar in jeder Hinsicht. Ich dachte, mir würde das Herz in der Brust explodieren, als ich vorsichtig in sie eindrang. Ein kompletter Widerspruch.

  Ich hatte vergessen, wie gut die körperliche Liebe tut. Und ich hätte nie gedacht, dass es mit Violette so wunderbar sein würde. Vielleicht fühlt es sich immer so an, wenn man mit einem Mädchen schläft, das noch nie Sex hatte. Wie dem auch sei, obwohl ich es nicht bereue, mache ich mir Vorwürfe. Ich fürchte, es tut ihr leid.

  Ich seufze und ziehe mich an, solange sie noch unter der Dusche ist. Ich muss zur Arbeit, und Zoé dürfte jede Minute nach Hause kommen. Als ich meine Jeans zuknöpfe, entdecke ich den Beweis für Violettes Jungfräulichkeit auf dem Laken. Ich zögere kurz, ehe ich beschließe, ihre Bettwäsche zu wechseln. Ich mache sorgfältig das Bett und erreiche mein Zimmer genau in dem Moment, in dem das Wasser im Bad abgedreht wird.

  Ich sitze am Küchentresen, als Violette in einem Sport-BH und einer Yogahose erscheint. Ich vermeide es, meinen Blick über ihr
e Figur gleiten zu lassen – es ist, als trüge sie gar nichts – und biete ihr stumm ein Glas Orangensaft an. Sie nimmt mit einem Kopfnicken an. Sie sieht blass aus.

  »Violette, was diese Nacht angeht … Bereust du es ganz sicher nicht?«

  Ich will es hören. Ich muss sicher sein. Meine beste Freundin – ist sie das überhaupt noch? – weicht meinem Blick aus und antwortet mit gewollt ungezwungener Stimme:

  »Nein, ich glaube nicht.«

  »Es kommt mir vor, als hätte ich eine Dummheit begangen«, seufze ich. »Du hättest es wahrscheinlich lieber mit dem Mann getan, den du liebst.«

  »Nein, schon okay«, antwortet sie und zieht ihre Turnschuhe an. »Ich bin froh, dass ich es mit dir getan habe. Du bist mein bester Freund, wir kennen uns in- und auswendig, und ich musste es hinter mich bringen, um im entsprechenden Moment nicht ungeschickt rüberzukommen. Du weißt schon, mit Clément.«

  Autsch. Das tut weh. Ich glaube, sie hat mir seinen Vornamen absichtlich so vor die Füße geworfen, um alles wieder in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Ich nicke ungerührt. Ja, Violette, ich weiß. Ein Teil von mir ist beleidigt, dass ich nur benutzt wurde, aber der andere Teil – der viel größer ist – macht sich Vorwürfe, sich ihrer bedient zu haben, um einen Trieb zu befriedigen. Mist, ich hasse dieses Gefühl. Wie konnte ich nur glauben, dass der Sex die Grenzen zwischen uns nicht verwischen würde?

  »Gut. Also kein Unbehagen.«

  Wir lächeln uns ein zweites Mal heuchlerisch zu. Jeder von uns weiß, dass der andere lügt, aber wir sagen nichts. Die Stille wird intensiver. Ich trinke mein Glas aus und Violette holt etwas aus meinem Zimmer. Mit einem iPod in der Hand kommt sie zurück ins Wohnzimmer.

  »Ich gehe vor der Vorlesung noch kurz joggen.«

  Der iPod gehört eigentlich mir, aber er enthält eine spezielle Violette-Playlist. Ich hätte ihr einen iPod zum zwanzigsten Geburtstag schenken können, ich hatte sogar ernsthaft daran gedacht, aber es gefällt mir, uns einen zu teilen. Das wollte ich nicht ändern.

 

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