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Never Too Close

Page 20

by Moncomble, Morgane


  »Super. Ich würde ihn gerne kennenlernen. Kommt deine Mutter auch?«

  Autsch. Es tut immer noch weh.

  »Nein.«

  Clément streicht eine Haarsträhne beiseite, die meine Stirn kitzelt, und küsst mich leidenschaftlich. Ich erwidere seinen Kuss, allerdings schüchterner. Ich bin nicht in Flirtstimmung.

  »Oh, sind sie getrennt?«

  »Ja«, antworte ich entschlossen, damit er begreift, dass ich nicht mehr darüber reden will.

  Leider scheint er es nicht zu verstehen.

  »Entschuldige … Dann kommt sie also ein anderes Mal?«

  Heiße Tränen verbrennen mir die Augen.

  »Genau, so ist es. Sie kommt ein anderes Mal.«

  17

  Heute

  Loan

  Ich wusste, dass es eine schlechte Idee war. Von Anfang an roch die Sache nach einem faulen Kompromiss. Ich wollte unbedingt daran glauben, dass ich zu gegebener Zeit damit fertigwerden könnte, aber da lag ich wohl falsch. Sicher, ich habe die angenehme Seite genossen, aber für meinen Geschmack kommen die Nachteile etwas zu schnell zum Vorschein. Zum Beispiel hätte ich nie gedacht, dass es mich so sehr irritieren würde, Violette mit Clément zu sehen.

  Ich tigere durchs Wohnzimmer und ignoriere Mistinguette, die mich fragend anschaut. Ich schnaufe, setze mich auf die Sofakante und erwidere ihren Blick.

  »Ja, ich weiß«, sage ich zu ihr. »Das ist übel.«

  Ich habe eine Grenze überschritten, der ich mich nicht hätte nähern sollen. Und wenn man dann auch noch Lucie dazunimmt … Die Erinnerung an Lucie sucht mich immer noch manchmal heim. Es ärgert mich, dass sie mir etwas vorwirft, wofür sie nie Beweise hatte, und vor allem seit mehr als sieben Monaten. Irgendwann könnte sie sich vielleicht mal anhören, was ich dazu zu sagen habe! Die eigentliche Frage ist allerdings: Was habe ich zu sagen? Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie unrecht hat, besonders jetzt. Die Wahrheit ist, dass mir die Nacht mit Violette hinsichtlich unserer Beziehung die Augen geöffnet hat. Sie ist alles andere als platonisch. Sie war es nie.

  Ich bin es leid, auf irgendetwas Unbestimmtes zu warten, und fange in aller Stille an, das Abendessen zu machen. Jason wird jede Minute hier sein, genau wie Zoé.

  »Ich glaube, er reist Freitagabend an«, höre ich Violettes Stimme im Flur, »du könntest also am Samstag zum Essen kommen.«

  Ich schenke ihnen keine Aufmerksamkeit und gebe vor, mich aufs Kochen zu konzentrieren. Trotzdem sehe ich sie aus den Augenwinkeln auf die Wohnungstür zugehen. Gewaltsam hindere ich mich daran hinzuschauen, als Clément sie zum Abschied zärtlich küsst. Stattdessen schlage ich Eier in die Pfanne.

  »Das sollte klappen. Noch ein letzter Witz, bevor ich gehe?«, schlägt Clément vor.

  Mit unbewegter Miene spitze ich die Ohren. Violette ist die Königin der Witze.

  »Okay«, sagt Violette, deren Stimme ein breites Grinsen verrät. »Warte mal … Ach ja! Kommt ein Pfarrer zum Arzt: ›Herr Doktor, bitte helfen Sie mir. Ich habe ständig ein schmerzhaftes Stechen unter meiner Vorhaut.‹ Der Arzt beginnt mit der Untersuchung. Nach einiger Zeit richtet er sich auf und verkündet stolz: ›Da haben wir ja den Übeltäter – ein Milchzähnchen!‹«

  Unwillkürlich lache ich auf, bevor ich mich wieder zusammenreiße und mich räuspere. Violette kichert über ihren eigenen Witz, aber ich höre keine andere Reaktion. Ich hebe neugierig den Kopf. Clément lächelt ein wenig verkniffen. Der Junge scheint sich alles andere als wohlzufühlen. Violettes Lachen verstummt nach und nach.

  »Habe ich irgendwas missverstanden oder war das wirklich ein Witz über Pädophilie?« Clément verzieht das Gesicht.

  »Aber ja. Genau das ist doch zum Lachen. Ich meine, ich mache mich nicht über so was lustig, ich bin schließlich kein Monster, es ist nur schwarzer Humor, weißt du, um damit umgehen zu können.«

  »Hm. Ich finde ihn ganz schön fies, sogar aus deinem Mund.«

  Sprachlos beobachte ich die Reaktion meiner besten Freundin. Sie steht da wie versteinert und wirkt überhaupt nicht mehr selbstsicher. Dieser Wichser. Sie schämt sich.

  »Ja, schon klar. Ich meine, normalerweise erzähle ich solche Witze nicht.«

  Ich runzle die Stirn. Was hat dieser Mist zu bedeuten? Als ich sie so hilflos, beschämt und meiner Anwesenheit bewusst dastehen sehe, will ich sie am liebsten in den Arm nehmen. Gereizt wende ich mich wieder dem Omelett zu. Ich kann diesen Kerl einfach nicht leiden. Und Violettes Verhalten in seiner Gegenwart macht mich wütend – aus dem einfachen Grund, weil sie nicht sie selbst ist.

  »Ich muss los, meine Süße. Sehen wir uns Samstag?«

  Kaum ist er fort, riskiere ich einen Blick in ihre Richtung. Unsere Blicke treffen sich. Sie sieht betreten aus, und das geht mir ans Herz. Ich schenke ihr ein möglichst charmantes Lächeln, um die Situation zu entschärfen. Sie braucht das jetzt.

  »Ich fand deinen Witz lustig.«

  Sie zuckt die Schultern. Auf der Treppe wird es laut.

  »Clément hat recht, er war nur mittelmäßig. Ich will nicht, dass die Leute denken, ich nehme Missbrauch nicht ernst …«

  Sie hat ihren Satz kaum beendet, als Jason und Zoé laut streitend ins Wohnzimmer stürmen. Weder Violette noch ich rühren uns, sondern blicken einander weiter intensiv an. Mir fällt auf, dass Violette eine rote Bluse trägt, die ihre kleine Brust perfekt zur Geltung bringt. Ich muss schlucken. Im gleichen Moment befeuchtet Violette sich die Lippen. Ich frage mich, ob auch ihr plötzlich heiß geworden ist oder ob es nur mir so geht.

  Zoé ist diejenige, die unseren stummen Austausch unterbricht.

  »Ich habe diesen Mülleimer hier vor dem Haus gefunden und mit hochgebracht.«

  Ich blinzle verwirrt. Beleidigt sorgt Jason für Klarheit:

  »Irre ich mich, oder hat sie mich gerade mit Abfall verglichen?«

  »Wow, ich dachte nicht, dass du die Metapher verstehen würdest«, kontert Zoé.

  Ich schalte den Elektroherd aus und streue Pfeffer über das Omelett, das ich mit gekochten Paprikaschoten garniert habe. Jason legt seine Jacke ab, tätschelt mir den Rücken und flüstert, ohne den Blick von Zoé zu wenden, die sich ebenfalls auszieht:

  »Mann, ich glaube, sie ist verrückt nach mir.«

  Der Abend droht lang zu werden. Nicht nur, weil Violette neben mir sitzt und ich ihren Duft wahrnehme, der alle meine Sinne kitzelt, sondern, als ob das nicht genug wäre, gesellt sich Zoé auch noch dazu.

  Ich gehe davon aus, dass Violette sich ihr anvertraut hat, denn ich glaube nicht, dass die Anspielungen, die sie beim Essen macht, unschuldig sind. Ich ärgere mich, weil ich keinesfalls wollte, dass jemand so Vertratschtes wie Zoé davon erfährt, aber ich habe kein Recht, Violette Vorwürfe zu machen. Schließlich habe ich Ethan ebenfalls ins Vertrauen gezogen.

  »Okay, ich fasse also zusammen: Ich bin eine Krankheit …«

  »Es ist weniger eine Krankheit als eine Infektion«, korrigiere ich und lege den Arm über meine Stuhllehne.

  Ich bemühe mich, nicht über das Post-it auf Jasons Stirn zu lachen. Violette war wirklich einfallsreich. Nach dem Abendessen hatte Jason vorgeschlagen, ein personalisiertes »Wer bin ich?« zu spielen. Jeder suchte sich einen Begriff für sein Gegenüber aus. Violette schrieb »Chlamydien« auf das Post-it für Jason und bekam »Nutella« von Zoé (es war so vorhersehbar, dass sie die Einzige war, die ihren Begriff sofort herausfand), und ich wählte »Vibrator« für Zoé – Jasons Vorschlag, möchte ich hinzufügen. Was mein Post-it betrifft, um das sich Zoé gekümmert hat, habe ich ein ungutes Gefühl.

  »Okay, also eine Infektion, die ich mir eingefangen habe, meint ihr das?«

  »Das wissen wir nicht«, sagt Violette und erdolcht ihre beste Freundin mit Blicken.

  »Blödsinn«, fügt Zoé mit hinterhältigem Lächeln hinzu. »Er ist genau der Typ, der sich so was einfängt.«

  Jason denkt leicht verwirrt nach, doch dann scheint er endlich zu begreifen und wirft Zoé einen überheblichen Blick zu.

/>   »Ha-ha, ich lache mich tot. Aids?«

  »Wir haben dir doch gesagt, es ist eine Infektion und keine Geschlechtskrankheit, du Idiot.«

  »Syphilis?«

  »Denk nach.«

  »Papillomviren?«

  »Himmel, will er sie jetzt alle durchgehen?«, regt Zoé sich auf. Violette lacht laut. »Mich wundert nicht, dass du sie auswendig kennst.«

  »Ich informiere mich eben«, knurrt Jason. Seine Wangen sind röter als sonst. »Chlamydien?«

  »Masel tov!«

  Er flucht leise vor sich hin, reißt sich das Post-it von der Stirn und wirft es verärgert weg. Jetzt sind nur noch Zoé und ich übrig. Zoé denkt nach, während Violette sich mein Glas Wein schnappt. Ich beobachte, wie sie ihre Lippen befeuchtet, ehe sie sich an mich schmiegt und ihre Beine über meine legt. Überrascht bleibe ich unbeweglich sitzen und zögere, die Arme um sie zu legen.

  Das Blut fließt schneller durch meine Adern, wie jedes Mal, wenn sich die Wärme ihres Körpers mit meiner vermischt. Schließlich schlinge ich doch einen Arm um ihren Rücken und lege die Hand in ihren Nacken.

  »Okay, ich muss zugeben, das ist lustig«, meint Zoé grinsend, die inzwischen erraten hat, was auf ihrem Post-it stand. »Jetzt bist du dran, Schönster«, fügt sie mit einem Raubtierlächeln hinzu.

  Ich bin ein lebender Mensch, ein blonder Mann, den ich nicht leiden kann. Die Beschreibung lässt keinen Zweifel zu. Zoés Blick verrät, was ich mir bereits dachte: Ich bin sicher, dass auf meinem Post-it »Clément« steht. Aber in diese Falle tappe ich nicht. Wenn ich seinen Namen ausspreche, offenbare ich damit allen, dass ich ihn nicht mag, aber ein solches Geständnis würde mir schaden. Das kommt nicht infrage.

  »Leute, ich komm nicht drauf, ich gebe auf.«

  Ich nehme das Post-it von meiner Stirn. Zoé verdreht die Augen.

  »Spielverderber.«

  Ich lese den Namen auf dem Papier: »Clément«. Absolut vorhersehbar.

  »Den Witz verstehe ich nicht, tut mir leid.«

  Nach einer lastenden Stille ist es Violette, die das Eis bricht. Sie richtet sich auf:

  »Hey, ihr seid alle Loser. Heute Abend habe ich gewonnen.«

  Ich trinke den Rest aus meinem Glas und sehe zu, wie sie aufsteht, um abzuräumen. Dabei bemerke ich den unfreundlichen Blick, den sie Zoé zuwirft. Zoé zuckt die Schultern. Kein Zweifel: Violette hat ihr erzählt, was wir getan haben. Ich seufze innerlich. Das hat mir gerade noch gefehlt. Jason geht zu meiner besten Freundin in die Küche und unterhält sich mit ihr über die unterschiedlichsten sexuell übertragbaren Infektionen. Ich nehme die Gelegenheit wahr, mich an Zoé zu wenden und ihr gelassen und bestimmt zu erklären:

  »Ich weiß, dass du es weißt, und es ist mir scheißegal. Allerdings fangen deine Anspielungen an, mich extrem zu nerven. Violette fühlt sich auch so schon schuldig genug, da brauchst du nicht noch ständig deinen Senf dazuzugeben.«

  Zoé nickt missmutig und räumt fertig ab. Nach einem Espresso verkündet Jason, dass er langsam nach Hause gehen will. Er verabschiedet sich mit Küsschen und macht sich auf den Weg. Fast unmittelbar danach verschwindet auch Zoé. Ich vermute, dass sie uns allein lassen will.

  »Gute Nacht«, antwortet Violette, ohne von der Spüle aufzuschauen.

  Die Wohnung ist ruhig und friedlich. Man hört nur das Geräusch des Geschirrtuchs an den Gläsern. Ich lehne mich mit der Hüfte gegen die Küchenzeile, verschränke die Arme und kann nicht aufhören, sie anzuschauen.

  »Würdest du mir einen Witz erzählen, um den Abend lustig zu beenden?«

  Ich schnappe mir das zweite Geschirrtuch und helfe ihr abtrocknen. Dabei beobachte ich ihre Reaktion und erkenne den Anflug eines Lächelns in ihrem Mundwinkel.

  »Nein. Keine Witze mehr.«

  »Komm schon!«

  Sie seufzt.

  »Du nervst, Loan Millet. Ich rate dir, nicht weiter darauf zu bestehen, sonst …«

  »Sonst?«

  Mit rosigen Wangen und Lippen steht sie mir gegenüber. Ich muss mich zwingen, nicht ihren Mund anzustarren. Wie gern würde ich sie jetzt küssen.

  »Sonst sage ich … das Wort.«

  Ich verbeiße mir das Lachen. Das Wort. Sie weiß, dass ich es hasse. Keine Ahnung, ob ich der einzige Spinner bin, der ein bestimmtes Wort hasst, aber Violette benutzt diese Drohung oft, um mich zum Schweigen zu bringen.

  »Sag das Wort nicht«, flehe ich sie leise an.

  Ein freches Lächeln erhellt ihren sinnlichen Mund.

  »Welches Wort?«

  »Du weißt genau, welches Wort.«

  »Das Wort, von dem du weißt, dass ich es kenne?«

  »Ganz genau.«

  »Dieses Wort?«

  »Ja.«

  »Dann sage ich dieses Wort nicht.«

  »Danke«, lächle ich amüsiert.

  Mit triumphierendem Gesicht wendet sie sich ab, ändert aber plötzlich ihre Meinung.

  »Warte! Meinst du etwa das Wort ›Schlüpfer‹?«

  Ich knurre, verdrehe die Augen zum Himmel und wünsche mir, ich könnte vergessen, dass sie es gesagt hat. Das Wort verursacht mir eine Gänsehaut.

  »Violette«, brumme ich bedrohlich.

  »Okay, noch mal, als kleiner Abschluss.«

  Ich stürze mich auf sie, noch ehe sie ihren Satz beendet hat. Sie quietscht und rennt im Slalom zwischen den Wohnzimmermöbeln hindurch, um mir zu entkommen.

  »Komm her!«

  Sie lacht aus vollem Hals, und ich kann mein Herz nicht davon abhalten, sich in dieses Lachen zu verlieben. Es klingt durch den ganzen Raum und hallt tief in meiner Brust wider.

  »Schlüpfer, Schlüpfer, Schlüpfer, Schlüpfer, Schlüpfer«, ruft sie wie ein Kind durch die Wohnung.

  Sie rennt den Flur entlang und öffnet gerade meine Schlafzimmertür, als ich sie endlich erwische. Ich packe sie um die Taille, hebe sie rasant hoch und wirble sie herum.

  »SCHLÜPFER!«

  Ich lasse uns auf mein Bett fallen. Sie lacht noch immer. Plötzlich scheint sie sich der Stellung bewusst zu werden, in der wir uns befinden. Ihr Lachen erstirbt und ihr Lächeln schwindet wie Schnee in der Sonne. Ich bleibe über ihr, unsere Finger hinter ihrem Kopf verschlungen, ein Knie zwischen ihren Schenkeln. Meine Augen fixieren ihre Lippen, die nur Zentimeter von meinen entfernt sind. Ihre Brust hebt und senkt sich und führt mich jedes Mal, wenn sie mich streift, in Versuchung.

  Ich blicke ihr direkt in die Augen und flüstere auf ihren Mund:

  »Ich bevorzuge das Wort ›Slip‹.«

  Einige Sekunden bleiben wir unbeweglich liegen, bis ich meine Hände aus ihren löse und aufstehe. Violette bewegt sich nicht, sie bemüht sich wahrscheinlich, wieder zu Sinnen zu kommen. Ihr weicher Rock ist ein wenig hochgerutscht und enthüllt einen weißen Slip unter der Strumpfhose. Ich setze mich neben sie und schiebe ihren Rock zärtlich zurecht.

  »Willst du einen Film anschauen?«, flüstere ich.

  Mit Wangen, die so rot sind wie ihre Bluse, setzt sie sich ebenfalls auf und streicht sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr.

  »Warum nicht …«

  Sie lehnt sich an mein Kopfteil und kuschelt sich unter die Bettdecke, während ich nach einer DVD suche. Ich entscheide mich für The King’s Speech, weil ich weiß, dass sie total auf Colin Firth (für die Unwissenden: Er spielt den Mr Darcy in Stolz und Vorurteil) steht.

  Als der Vorspann beginnt, schalte ich das Licht aus, öffne meine Nachttischschublade und reiche Violette eine Tafel Milka-Schokolade. Ich habe mir angewöhnt, immer Schokolade in meinem Nachttisch zu haben, weil ich weiß, dass es für Violette undenkbar ist, ohne Schokolade einen Film anzusehen.

  Sie schenkt mir ein strahlendes, naschhaftes, glückliches Lächeln.

  »Ich warne dich, ich gebe dir nichts davon ab.«

  »Stell dir vor, damit habe ich gerechnet«, antworte ich und lege ihr einen Arm um die Schultern.

  Die erste Stunde vergeht in tiefem Schweigen.
Trotz ihrer Warnung hebt sie manchmal den Kopf, um mir ein Stück Schokolade zwischen die Lippen zu schieben.

  Ich bemerke kaum, dass in der Wohnung eine Tür geht. Ich höre es zwar, doch ich achte nicht darauf. Aber weniger als zehn Minuten später sind Violette und ich wie versteinert. Ich wage nicht, etwas zu sagen, aus Angst, mir etwas eingebildet zu haben, aber der Gesichtsausdruck meiner besten Freundin ist ziemlich eindeutig. Ich träume nicht.

  »Liegt es an mir, oder …« flüstere ich. Ich will es aus ihrem Mund hören.

  »Bestimmt nicht. Oder wir sind beide paranoid.« Violette greift nach der Fernbedienung und schaltet den Fernseher stumm. Jetzt ist im Zimmer so still, dass wir das Stöhnen aus dem gegenüberliegenden Raum hören können. Zoé hat Besuch. Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass sie jemanden mitbringt. Violette schläft dann bei mir. Wir sind es sogar gewohnt, darüber zu lachen. Aber dieses Mal ist es anders. Denn Zoé hat gleich nebenan Sex, und das macht mich nicht nur eifersüchtig (den hätte ich jetzt nämlich auch gern), sondern es geht mir auf die Nerven.

  Das Stöhnen von der anderen Seite des Korridors ist immer schwieriger zu ignorieren.

  »Mach den Ton wieder an!«, bitte ich Violette.

  Sie nickt und will es gerade tun, als uns das, was wir hören, auf der Stelle erstarren lässt:

  »Oh, Jason, ja … bitte … oh …«

  Violette reißt die Augen auf und schlägt eine Hand vor den Mund. So. Eine. Scheiße. Der Mistkerl hatte recht! Meine beste Freundin und ich schauen uns schockiert an. Plötzlich überkommt mich ein solcher Drang zu lachen, dass ich es nicht mehr aushalten kann. Violette und ich platzen gleichzeitig heraus.

  Das Stöhnen auf der anderen Seite geht unbeirrt weiter, aber ich versuche es zu ignorieren. Ich kann nur hoffen, dass sie kein Paar werden, denn dann könnte ich ihre Sexgeräusche in Violettes Anwesenheit nicht ertragen.

  »Ich denke, irgendwann musste es so kommen …«, murmelt Violette mit leerem Blick.

  »Wie meinst du das?«

  Nachdenklich zuckt sie die Schultern. Ich würde gern den Ton wieder einschalten, damit ich Jason und Zoé nicht zuhören muss, aber ich bin neugierig, was Violette denkt.

 

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