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[Ophelia Scale Serie 01] • Die Welt wird brennen

Page 33

by Kiefer, Lena


  »Und wo?« Fiore spähte mit bloßem Auge in die Flut winzig kleiner Zeichen.

  »Es ist kein Treffpunkt angegeben.« Dufort sah unzufrieden aus.

  »Vielleicht haben sie immer den gleichen«, sagte Lucien.

  »Oder er wurde angegeben, ist aber woanders zu finden.« Ich hob die Schultern.

  »Irgendwo in dem ganzen Müll«, ächzte Lucien. »Puh. Das wäre vor ein paar Jahren kein Problem gewesen, aber heute …«

  »Eden, wie lange würde ein Komplettabgleich dauern?«, fragte Dufort.

  Sie antwortete prompt. »34 Stunden und 28 Minuten.«

  Fiore grunzte unwillig. »Ach, zum Teufel mit der Abkehr.«

  Alle stockten, als hätte er etwas gesagt, für das eine automatische Waffe aus der Wandverkleidung fahren und ihn erschießen würde.

  Dann lachte Lucien.

  »Du sagst es, Mann.« Er schlug Fiore auf die Schuler. Dufort und ich fielen ein, aber der Anflug von Unbeschwertheit war schnell wieder vorbei.

  »Glaubt ihr, Ferro könnte selbst bei dem Treffen auftauchen?« Lucien hatte wieder diesen tödlichen Ausdruck in den Augen. Er hatte seinen Verdacht in Bezug auf den Mann hinter den Anschlägen auf die Schakale sofort an alle in Maraisville weitergegeben.

  Dufort starrte immer noch die Nachricht an. »Wenn wir das Rätsel nicht lösen, werden wir es nie herausfinden.« Der harte Zug um seinen Mund pflichtete Luciens Hoffnung trotzdem bei.

  Ich zeigte auf die Projektion. »Vielleicht kann man es eingrenzen. Eden, sind griechische Buchstaben in den Daten?« Schon seit 60 Jahren wurden Landkarten damit eingeteilt.

  »Negativ«, sagte Eden.

  »Buchstabenansammlungen mit Anagrammen?«

  »Negativ.«

  Konzentriert sah ich auf die Daten und zählte bis zehn. »Historische Kennzahlen vielleicht?«, fragte ich dann.

  Dufort runzelte die Stirn. »Kennzahlen? Wieso das denn?«

  »Ist doch klar.« Drei fragende Augenpaare sahen mich an. »Nein? Solche Kennzahlen sind doch ideal, um Treffen zu vereinbaren. Wenn es nur ein Gebäude in der Stadt gibt, das an einem bestimmten Datum gebaut wurde, hat man mit dieser Zahl auch den Ort.«

  »Woher weißt du so etwas?« Lucien musterte mich interessiert.

  »So verabrede ich meine Dates«, gab ich frech zurück.

  Dufort sah zwischen uns hin und her. Dann schüttelte er leicht den Kopf.

  »Eden?«, sprach er die KI an. »Bitte gleiche die Daten mit den Kennzahlen aller Gebäude in der Stadt ab.«

  »Sie kann die in der Altstadt weglassen«, fügte ich hinzu. »In Zone B sind zu viele Sicherheitspunkte.«

  Die KI startete den Suchlauf und spuckte nach und nach Treffer aus. Lucien ließ sie alles herausfiltern, was irrelevant war.

  »Moment.« Dufort skippte durch die Bilder und Dokumente. Es waren hauptsächlich Zeichnungen und Grundrisse, ab und zu der Scan einer vergilbten Fotografie. Manche davon sahen wirklich alt aus. »Hier. Das Castello della paura oben auf dem Berg.«

  »Ziemlich gefährlicher Ort, habe ich mir sagen lassen.« Lucien lächelte mich vielsagend an.

  Ich versteckte mein Grinsen. »Wie lautet die Kennziffer?«

  Dufort checkte die Daten. »1479-1365CKZ. Sie taucht irgendwo im Datenstrom auf. Vielleicht ist es Zufall.«

  »Nein, eher nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Die Zahl ist zu spezifisch.«

  »Das muss es sein.« Lucien nickte. »Es ist weit außerhalb und in direkter Nähe des Grenzzauns.«

  »Fragt sich nur, wie Ferro über den Zaun kommen soll.«

  »Als ehemaliger Schakal wird er Wege finden.« Dufort sah mich an. »Willst du dabei sein? Ich würde verstehen, wenn nicht. Wer immer es ist, war vielleicht mit dir befreundet.«

  Ich nickte ernst. »Vielleicht, aber ich wäre gern dabei.« Wenn auch lieber nicht mitten im Geschehen. Troy würde mich umbringen, wenn er mich dort sah. Er war ein Arsch, aber nicht dumm. Er würde wissen, wer ihm das eingebrockt hatte.

  »Gut.« Dufort beendete die Holoprojektion. »Wir werden den Einsatz planen und dich dann beim Briefing informieren. Bis dahin gehst du am besten in den Unterricht. Wir wollen keinen Verdacht erregen.«

  Ich nickte und sah auf die Uhr. Es war kurz vor zwölf. In etwas mehr als acht Stunden würde jeder Verdacht von mir abgelenkt werden. Für immer.

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  »Wärst du nicht lieber da unten?« Ich spähte über die Mauer.

  »Doch, sicher. Aber ich muss auf dich aufpassen. Du und schwindelnde Höhen, das ist keine gute Kombination.«

  Ich boxte leicht gegen Luciens Schulter. Als Antwort darauf küsste er mich.

  »Das –«

  Schnell legte er mir den Finger auf den Mund und tippte an sein Ohr.

  »Die hören uns?«, gestikulierte ich, ohne etwas zu sagen.

  Er wartete einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Jetzt nicht mehr.«

  »Wie merkst du das?« Ich hörte in meinen EarLinks nur etwas, wenn jemand sprach. Mit HeadLock waren meine Sinne relativ normalsterblich.

  »Es ist ein leichtes Vibrieren im Ohr. Mit der Zeit spürt man das.« Lucien sah auf die Uhr. »Fünf vor acht. Bald geht es los.«

  »Warum bist du hier oben?«, bohrte ich nach. Da war dieser Ausdruck in seinen Augen gewesen, als er von Ferro gesprochen hatte. Trotzdem standen wir nun gemeinsam auf dem Turm des Castello und damit außer Reichweite, um jemandem den Hals umzudrehen.

  »Sagte ich doch schon«, meinte er lässig. »Ich passe auf, dass du nicht in den Tod stürzt. Außerdem nutze ich jede Chance, um mit dir allein zu sein.«

  »Das ist Bullshit.«

  »Ich mag deinen Scharfsinn. Und deine Ausdrucksweise.« Er grinste mich an und hob die Schultern. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich hier bin. Sicherer.«

  »Für den Verräter oder für dich?«

  »Vor allem für Ferro«, sagte er grimmig. »Ich habe Caspar versprochen, dass er den Vortritt bekommt. Er hat ältere Rechte.«

  Ich nickte und schwieg. Wenn es darum ging, Ferro leiden zu lassen, gab es wohl viele Freiwillige vor Ort.

  »Du warst wirklich gut heute«, sagte Lucien in die Stille hinein.

  »Danke«, erwiderte ich lächelnd.

  »Aber du verabredest nicht ernsthaft Dates mit historischen Kennziffern, oder?«

  Ich lachte leise. »Nein. Mein Vater hat früher Rätselspiele mit mir gemacht. Er hat mir eine Kennzahl gegeben und ich musste in den Datenbanken danach suchen. Daher weiß ich so was.«

  »Das beruhigt mich«, nickte Lucien. »Ich dachte schon, es gibt Konkurrenz.«

  »Du fürchtest Konkurrenz?« Ungläubig sah ich ihn an. »Das steht dir nicht, Luc.«

  »Mir steht alles«, empörte er sich halblaut.

  Wir warteten seit einer Stunde. Die ganze Mannschaft war früh eingetroffen, um kein Aufsehen zu erregen. Mittlerweile war die Sonne hinter den Bergen verschwunden und unter dem dichten Blätterdach herrschte graues Licht. In der Umgebung waren zwölf Schakale in Deckung gegangen, bereit für einen schnellen Zugriff. Haslock und die Garde waren von Dufort rausgehalten worden.

  Langsam wurde ich nervös. Würde mein Plan aufgehen? Ich hatte das alles hundertmal durchgespielt: Troy hatte ich eine Nachricht zukommen lassen, die ihn zu einem exklusiven Sondertraining einlud, damit er herkam – und die sich selbst sofort löschte, sobald er sie gelesen hatte. Dazu waren auf seinem Terminal nun mehrere Mitteilungen einer namenlosen Person, die Treffpunkte und Zeiten vorschlug, um sich zu »unterhalten«. Alles würde so aussehen, als hätte man Troy benutzt, um Zugriff auf Maraisville zu bekommen. Es war eine todsichere Sache. Aber nur, wenn er nichts ahnte.

  »Nervös?« Lucien berührte mich am Arm. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich von einem Fuß auf den anderen trat.

  »Schon«, gab ich zu und zupfte am Saum meiner schwarzen Jacke. »Wenn niemand kommt, habe ich alle umsonst aufgeschreckt.«

  »Es ist schon Schlimmeres passiert.« Er lächelte. »Wenn du mich fragst, ist deine Karriere bei den Schakalen längst beschlossene Sache. Jeder schwärmt davon, wie toll und talentiert du bist.«

  »Jeder? Auc
h Phoenix?« Ich hob eine Augenbraue. Phoenix war der Boss. Das vergaß man leicht, wenn man ihn nie zu Gesicht bekam.

  Lucien winkte ab. »Vergiss Phoenix. Er ist ein paranoider alter Mann mit überzogenen Ansprüchen.«

  Meine Augenbraue blieb, wo sie war. »Meinst du die Ansprüche, die du erfüllst?«

  Er schnaubte belustigt. »Wo hast du das denn gehört? Niemand erfüllt Phoenix’ Anforderungen. Auch ich nicht.«

  »Er hat doch gesagt, dass du der beste Agent wärst, den er je ausgebildet hat.«

  »Ja, aber das bedeutet nicht, dass ich der Traum seiner schlaflosen Nächte bin.« Lucien zuckte mit den Schultern. »Du hast keine Ahnung, wie oft ich während meiner Ausbildung gehört habe, dass ich die Schande aller Schakale bin.«

  Wenn ich daran dachte, wie Phoenix dem sechzehnjährigen Lucien sagte, dass er nicht gut genug sei, kochte Zorn in mir hoch. Zum Glück hatte der Typ mit meiner Ausbildung nichts zu tun. Dufort und die anderen waren zwar streng, aber immerhin fair.

  »Es geht los.« Das war die Stimme eines Schakals in meinem Ohr. »Jemand nähert sich aus Richtung Stadt.«

  »Die andere Seite ist sauber.« Das war das Team außerhalb des Zauns. »Ich glaube nicht, dass dort noch jemand auftaucht.«

  »Wahrscheinlich haben sie etwas gemerkt«, antwortete Dufort. »Dann wird uns der Verräter sagen müssen, wo wir Ferro finden.«

  Lucien und ich spähten über die abgebrochenen Zinnen des Turms und sahen in die Tiefe. Da in der Nachricht nicht gestanden hatte, wo das Treffen genau stattfinden sollte, hatten die Schakale rund um die Ruine Stellung bezogen. Lucien und ich verfügten über einen guten Blick auf den Innenhof, die Felsen und die Lichtung. Im Zwielicht schimmerte der Zaun.

  Es raschelte in der Nähe und ich hielt die Luft an. Aber es war unnötig, denn Troy gab sich keine Mühe, leise zu sein. Es knackte, als er auf Äste trat, seine Schritte waren laut und deutlich zu hören. Er kam näher und bog Zweige zur Seite, die mit einem federnden Geräusch zurückschwangen. Blätter raschelten. Mein Blick heftete sich auf die Stelle, an der Troy aus dem Dickicht auftauchen würde. Bald war ich ihn für immer los.

  Eine Gestalt kam aus dem Wald, geduckt unter einem Kapuzenshirt. Ich jubelte innerlich, meine Hand griff nach Luciens Arm. Es hat geklappt! Aber dann sah der Besucher hoch und ich erkannte sein Gesicht. Meine Freude blieb mir im Hals stecken.

  Die Gestalt dort unten war nicht Troy.

  Es war Emile!

  Die angespannte Stille schlug binnen Sekunden in lauten Lärm um. Jeder bewegte sich, nur ich war wie erstarrt. Hilflos musste ich zusehen, was passierte.

  »Zugriff!«, brüllte es in meinem Ohr. Ich konnte den Ruf nicht zuordnen, so laut pochte das Blut in meinem Kopf. Mehrere schwarz gekleidete Gestalten rannten auf Emile zu, packten ihn, drehten ihn um, warfen ihn zu Boden. Er schrie und wehrte sich, rief unverständliches Zeug. Sie hatten Probleme, ihn festzuhalten, so stark hielt er dagegen. Moos spritzte hoch, als er seine Fußspitzen in den weichen Untergrund bohrte.

  »Was soll das?!«, hörte man ihn rufen. Dann wieder ein Schreien, weil jemand seine Arme schmerzhaft auf den Rücken drehte.

  Endlich tat mein Körper wieder seinen Dienst.

  »Nein!«, rief ich. »Das kann nicht sein! Er ist es nicht!«

  Niemand außer Lucien hörte mich. Ich spürte seinen Arm, den er um mich legte. Wütend riss ich mich los.

  »Das ist ein Irrtum! Emile kann es nicht sein!«

  Wieso war er hier? Ich hatte alles auf Troy hinweisen lassen, ich hatte alles so gut geplant. Es hätte nicht schiefgehen dürfen!

  »Hey!« Luciens Stimme war ungewohnt streng. »Ich weiß, dass er dein Freund ist, okay? Aber das bedeutet in diesem Geschäft nichts.«

  »Doch, es bedeutet eine Menge!«, rief ich. Ich musste Emile helfen. Ich konnte nicht zulassen, dass er bestraft wurde! Er hatte nichts getan! Das hat Troy auch nicht. – Ja, aber Troy ist ein widerlicher blöder Arsch. Er hat es verdient.

  Man hielt Emile am Boden fest und schien auf etwas zu warten. Ich wusste, worauf. Das Protokoll sah in solchen Fällen eine Durchsuchung des Zimmers vor, deswegen hatte ich bei Troy die Nachrichten auf dem Terminal hinterlassen. Dort würden sie jedoch nicht nachsehen, sie würden es nicht einmal in Erwägung ziehen. Aber Emile war unschuldig. Wenn sie also nichts bei ihm fanden, dann –

  »Wir haben etwas.« Die Stimme zerstörte meine Hoffnung. Sie gehörte Echo. »Es sind eindeutige Nachrichten von einer unbekannten Person, die dieses Treffen und ein paar weitere vereinbart haben. Es ist auch eine dabei, in der es um die Villa Mare geht.«

  Eindeutige Nachrichten? Bei Emile? Wer hatte das getan? Und wie?

  »Bayarri ist es.«

  »Nein.« Mein Widerspruch war nur noch ein Flüstern. Ich sah zu, wie Dufort und Fiore Emile abführten. Er war ganz still geworden und wehrte sich nicht mehr. Aber als würde er etwas ahnen, sah er zu mir hoch, und sein Blick brach mir das Herz. Nicht, weil Emile wusste, was ich getan hatte. Sondern weil er vollkommen ahnungslos war.

  Mein Plan hatte sich in eine Katastrophe verwandelt. Den ganzen Tag war ich herumgelaufen, als wäre ich unbesiegbar. Arrogant, größenwahnsinnig und dumm! Ich hatte es vermasselt und Emile musste nun dafür bezahlen. Das würde ich mir nie verzeihen. Bei der Beweislage würde er nicht mit einem bloßen Rauswurf und ein paar Jahren Clearing davonkommen. Und selbst wenn doch, war es zu viel. Für Emile viel zu viel.

  Aber dann stahl sich ein wahnwitziger Gedanke in meinen Kopf: Es gab eine Möglichkeit, meinen Freund zu entlasten. Ich musste nur zu Dufort gehen und sagen, dass ich hinter alldem steckte. Dass ich den Tipp mit der Villa Mare gegeben hatte und Teil des Widerstandes gewesen war. Dass ich mich ins Programm geschlichen hatte, um den König zu töten. Ich hatte keine Wahl, ich musste es tun. Ich musste das wieder in Ordnung bringen.

  Wie ferngesteuert setzte ich mich in Bewegung und ging zu dem Vorsprung, den wir hochgeklettert waren. Weich landete ich im Gras, eilig lief ich dem Trupp hinterher. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich blieb stehen.

  »Was machst du denn da, Stunt-Girl?« Lucien drehte mich sanft zu sich herum.

  »Ich muss etwas tun«, murmelte ich. »Er ist unschuldig, ich kann nicht zulassen, dass er …« Ich brach ab.

  »Du stehst unter Schock«, hörte ich Lucien sagen. »Das ist normal, okay? Es dauert, zu begreifen, was gerade passiert ist.«

  »Aber ich muss das richtigstellen, ich muss do–«

  »Du musst gar nichts«, sagte er und fasste mich an den Schultern, damit ich ihn ansah. Und das tat ich. Ich schaute ihm in die Augen, in diese wunderschönen blaugrauen Augen, die mich voller Zuneigung ansahen. Wenn ich mich stellte, würden sie mich nie wieder so ansehen. Wenn ich die Wahrheit aussprach, dann war alles vorbei.

  Tief holte ich Luft, öffnete den Mund … und sagte kein Wort. Keine Erklärung, kein Geständnis, nichts. Stattdessen schloss ich die Augen und lehnte meine Stirn an Luciens Schulter. Er nahm mich in seine Arme und hielt mich fest. Eine Weile standen wir nur so da. Dann hörte ich über die EarLinks die Stimme von Dufort.

  »Hey, Luc, wo steckst du? Ich brauche dich beim Verhör.«

  »Bin gleich da.« Lucien löste sich von mir und sah mich an. »Ich bringe dich in die Festung. Dort kann sich jemand um dich kümmern, bis ich zurück bin.«

  Jemand sollte sich um mich kümmern? Mir gut zureden, während Emile verhört wurde? Nein. Das konnte ich nicht.

  »Ich gehe lieber eine Runde laufen«, sagte ich also. »Dann kann ich den Kopf freikriegen.«

  »Bist du sicher?«, fragte er besorgt. »Ich will dich hier nicht allein lassen.«

  Ich löste den EarLink von der Haut unter meinem Ohr und deaktivierte mit einem doppelten Zwinkern die EyeLinks. »Mir geht es schon besser. Ich brauche nur etwas Bewegung.«

  »Gut.« Er lächelte und strich mir über die Wange. »Ich sage dir Bescheid, sobald wir fertig sind. Dann kommst du ins Juwel und wir reden, okay?«

  »Okay.« Ich nickte. »Bitte versprich mir, dass ihr ihn fair behandelt.«

  »Werden wir.« Er lächelte und ging. Aber nach ein p
aar Schritten drehte er sich um und kam noch einmal zurück. Sanft küsste er mich, dann nahm er mein Gesicht in beide Hände und sah mich an, ernst und aufrichtig. Ich erschrak über die Offenheit in seinem Blick.

  »Das ist garantiert nicht der richtige Zeitpunkt, um es zu sagen, aber …« Er holte Luft. »Ich liebe dich, Ophelia. Ich wollte, dass du das weißt.«

  Er küsste mich noch einmal, wandte sich ab und lief los, ohne auf eine Antwort zu warten. Ich blieb allein zurück, mit dem schönsten und dem schrecklichsten Gefühl in meiner Brust. Sie kämpften gegeneinander, aber keines gewann.

  »Ich liebe dich auch«, sagte ich in die Stille hinein. Es war die Wahrheit. Aber sie hinterließ ein schales Gefühl. Auf wie vielen Lügen baute ich diese Liebe auf? Wie sollte sie das überstehen?

  Nur langsam setzte ich mich in Bewegung. Ich suchte mir einen Weg durch das dichte Geäst des Waldes, um von niemandem gesehen zu werden. Nur halb bewusst steuerte ich den See an, ging bergab, auf die dunkle Fläche in der Ferne zu. Es war weit bis dorthin, aber ich wollte ohnehin nichts, außer zu laufen. Ich hatte Emiles Freiheit gegen Luciens Liebe eingetauscht. Solange ich mich bewegte, konnte ich den Schuldgefühlen vielleicht entkommen.

  Bald gelangte ich auf einen schmalen Pfad und kam schneller voran. Gierig sog ich die kühle Luft ein und beschleunigte meinen Lauf. Nichts war zu hören, nur mein Atem und meine Schritte. Oder doch? Was war das für ein Geräusch?

  Ich fuhr herum, aber ich war zu langsam. Jemand packte mich und ich spürte etwas Kaltes an meinem Hals.

  Dann versank die Welt in Schwärze.

  35

  »Aufwachen, Prinzessin. Wir müssen uns unterhalten.«

  Die Stimme drang nur schwer durch die Watte in meinem Kopf. Es war hell, ich spürte das Licht trotz der geschlossenen Lider. Hell und kühl, fast schon kalt. Wo war ich? Was war passiert?

  Plötzlich wusste ich es wieder. Emile, Lucien, der Weg zum See, und dann … Ich riss die Augen auf. Sofort fuhr ein stechender Schmerz hinein. Keuchend schloss ich sie wieder.

  Schritte kamen auf mich zu, dann spürte ich erneut einen Injektor an meinem Hals. Ich öffnete die Augen erneut, diesmal ging es. Das Licht war immer noch hell, aber nicht mehr unerträglich.

 

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