Rabentod (Rabenblut Serie 2) (German Edition)

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Rabentod (Rabenblut Serie 2) (German Edition) Page 1

by Nikola Hotel




  Das Buch

  Isa und Alexej sind dem Jäger entkommen, aber ihr Glück währt nur kurz: Auf einem ihrer Streifzüge durch den Wald findet Isa einen Raben, dem das Herz herausgeschnitten wurde. Ihre dunkle Vorahnung wird zur Gewissheit, als sie erfährt, dass der tote Vogel tatsächlich ein Rabe aus Alexejs Schwarm ist. Dann wird Alexej entführt, und jeder Tag, der vergeht, hält für ihn neue Qualen bereit. Um ihn zu retten, muss sich Isa ausgerechnet mit dem Mann verbünden, der ihr am meisten Angst einjagt: Sergius. Zusammen schmieden sie einen verzweifelten Plan, bei dem jeder von ihnen einen hohen Preis zahlen muss. Doch ihnen bleibt keine andere Wahl, denn der Tod kommt mit schnellen Schwingen …

  »Rabentod – Auf Schwingen getragen« ist der zweite Teil einer Trilogie. Der erste Teil trägt den Titel »Rabenblut – Nur einen Flügelschlag entfernt«.

  Die Autorin

  Nikola Hotel, 1978 in Bonn geboren, arbeitete zunächst als Krankenschwester, bevor ihr großes Interesse an Geschichte sie zum Schreiben brachte. Ihr Debüt »Rabenblut drängt« wurde 2013 mit dem dritten Platz beim Autoren@Leipzig Award der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Seit dem großen Erfolg des heiteren Frauenromans »Fernsehköche küsst man nicht« ist sie ausschließlich als freischaffende Autorin tätig. Nikola Hotel lebt in Hennef, ist verheiratet und hat drei Söhne.

  Besuchen Sie die Autorin im Internet unter

  www.nikolahotel.de

  www.facebook.com/nikolahotel

  Deutsche Erstveröffentlichung bei

  Amazon Publishing, Amazon Media EU S.à r.l.

  5 Rue Plaetis, L-2338, Luxembourg

  April 2016

  Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016

  By Nikola Hotel

  All rights reserved.

  Umschlaggestaltung: bürosüdo München, www.buerosued.de

  Umschlagmotiv: © www.buerosued.de

  Lektorat: Daphne Großmann

  Satz: Monika Daimer, www.buch-macher.de

  ISBN: 978-1-503-93645-4

  www.amazon.de/amazonpublishing

  Meiner Seelenschwester Alexandra gewidmet, die für den schwingenden Untertitel sorgte. In Liebe.

  INHALTSVERZEICHNIS

  ANFANG

  PROLOG

  BLUTSCHNEE

  RABENBLUT

  BRUSTLEERE

  BLUTBILD

  HABICHTSGESANG

  JAGDKRALLEN

  NACHTFRAGE

  SCHWARMBANDE

  FICHTENGRÜN

  TODESSPUR

  SCHWARZFESSEL

  SCHATTENWANDERER

  SCHLÄFENBLUT

  DROHATEM

  WUTSCHWUR

  EISFINGER

  MONDERINNERN

  FAUSTEID

  HÖLLENKLANG

  LÜGENTANZ

  LUSTDRANG

  GIFTRAUSCH

  FROSTKADAVER

  TOTENTANZ

  HERZGEFÄNGNIS

  REGENFLUCHT

  RABENSPIEL

  PANIKSTRUDEL

  BLUTGERUCH

  TOTENBRAUT

  FREIWILD

  LIEBESVERGESSEN

  RABENWEISS

  SCHWARMOPFER

  HERZFRAGEN

  WUTKRUSTE

  FOTOFALLE

  RABENKIND

  WALDATEM

  NACHTRUF

  AASFRESSER

  WALDSCHULD

  STURMSTILLE

  BLAUTON

  GÄNSEHAUT

  BLINDVERTRAUEN

  TODFREUND

  NACHTJÄGER

  SEELENFALL

  FEUERFLUG

  HIMMELSSCHREI

  BLUTREGEN

  RABENTOD

  HERZRISS

  WUNDLIEBE

  LICHTKLANG

  EPILOG

  DANKSAGUNG

  […] he does not know what care is, he does not know what sorrow is, he does not know what remorse is, his life is one long thundering ecstasy of happiness, and he will go to his death untroubled […]

  Mark Twain, Following the Equator

  PROLOG

  Die Luft war getränkt vom süßlichen Geruch der Verwesung – das Tier musste bereits vor mehreren Tagen verendet sein.

  Mit einem heiseren Aufschrei schob das Mädchen Schnee und Laubreste beiseite, bevor es sich über den Kadaver beugte, um seine Zähne in das faulige Fleisch zu schlagen.

  Weißblondes Haar fiel struppig ihren nackten Rücken herab. Durch die pergamentene Haut schimmerte es blau. Als sie den Kopf hob, stachen ihre Wangenknochen deutlich hervor. Die kindlichen Augen blickten in den Wald wie dunkle, seelenlose Höhlen.

  BLUTSCHNEE

  ISABEAU

  Ich hob das Fernglas an. Beißender Wind drang durch den Reißverschluss meines Parkas. Es war zu kalt, um das Nest zu bewachen. Zu kalt zum Denken. Zu kalt für die Ängste, die mich überfielen, wenn ich den Jungvogel betrachtete, der aus dem Ei geschlüpft war. Nieseln setzte ein und wandelte sich in hauchzarte Schneeflocken. Ich blinzelte, als eine dieser Flocken auf meinen Wimpern haften blieb.

  Die Rabenmutter kümmerte sich hingebungsvoll um ihr Junges. Eben erst war sie mit ihrer Beute zum Nest geflogen und hatte das erbärmliche Geschrei damit beendet. Das Jungtier schien nun satt und zufrieden. Von hier unten sah ich jedoch nur das Kopfgefieder hervorlugen, wenn es sich emporreckte.

  Weißes Gefieder.

  Das war es, was mich am meisten überrascht hatte: Sergius’ Nachwuchs war fast völlig weiß. Nicht das Weiß eines Albinos, dem alle Pigmente fehlten. Das Tier hatte blaue Augen wie seine Artgenossen und trotzdem einen hellen Schnabel, in dem der rosafarbene Rachen schimmerte. Und es hatte Glück, dass es der einzige Nestling war, denn bei dieser Farbe wäre es sonst von den Geschwistern sicher verstoßen worden.

  Ich ließ das Fernglas sinken. Abgesehen von seinem Äußeren hatte der Vogel bisher kein ungewöhnliches Verhalten an den Tag gelegt. Wir beobachteten ihn ständig. Jaro und Milo hatten die Aufgabe des Männchens übernommen, nachdem Sergius es im Kampf getötet hatte. Und noch immer hatte das Weibchen keinen neuen Partner gefunden.

  Als ich nun meinen Posten verließ, hörte ich weit entfernt den Ruf des Eichelhähers. Er ist der Herold des Waldes. Seine Stimme lässt jedes Reh den Kopf heben und nach Gefahr Ausschau halten. Diesmal galt seine Warnung mir, da war ich sicher. Denn ich war der Eindringling, der mehr Krach schlug als eine Horde Wildschweine.

  Der Schnee hatte den Boden mit einer dichten Schicht bestäubt und tarnte die Fährten der Wildtiere. Einzig die Spur eines Eichhörnchens konnte ich erkennen – es musste nur wenige Augenblicke zuvor über die frische Schneedecke gehoppelt sein. Die Hinterbeine hatten die Vorderpfoten im Sprung überholt, als wäre es in Eile. Das Profil meiner Stiefel wirkte daneben wie das eines Riesen, und ich stieg vorsichtig darüber hinweg, um das Bild nicht zu zerstören.

  Den Schatten sah ich über den Boden wandern, noch bevor ich die Stimme des Raubvogels hörte. »Eeeeek eeeek«, tönte es lang gezogen. Ich riss den Kopf hoch. Über mir zog ein Wanderfalke seine Kreise, die Brust gestrichelt, die gelben Füße leuchteten grell wie ein Stück Plastik. Er hatte die Flügel weit ausgebreitet und die Schwanzfedern aufgefächert. Die gelb umkränzten Augen suchten den Waldboden ab, der gebogene Schnabel gab ihm dabei ein drohendes Aussehen.

  Ich zog meine Mütze tiefer in die Stirn, weil die Kälte mir ins Gesicht biss, doch die Wolle war bereits feucht. Der Schnee fiel jetzt dichter; große Flocken wirbelten durch die Luft und dämpften meine Schritte. Die Fichten hatten eine weiße Haube bekommen und ließen ihre Äste hängen. Der Raubvogel war verstummt, und das Knarzen der Bäume war nun das einzige Geräusch, das zu hören war.

  Winterwunderwald.

  Unter den Schneemassen lugten die spitzen Blä
tter des Ilex hervor, die roten Beeren glänzten wie Zauberperlen. Der Bachlauf, den die Tiere zum Trinken aufsuchten, war zertreten. Am Rand ragten Eisschichten über das Wasser. Die sumpfige Stelle, die normalerweise von Wildschweinen durchpflügt wurde, war verkrustet. Diese märchenhafte Atmosphäre hatte mich eingelullt, und deshalb erschrak ich, als das Wummern von Flügelschlägen die Stille störte.

  »Eeeek eeeek«, kreischte es wieder. Und dann kürzer und bedrohlicher »Eek eek eek«. Plötzlich fiel etwas vom Himmel. Erschrocken machte ich einen Satz rückwärts, als ein schwarzes Bündel erst meinen Arm traf und dann auf den Boden prallte. Der Wanderfalke hatte die Krallen noch geöffnet, als er davonschoss.

  Vor mir färbte sich der Schnee wie Himbeereis, und ich schlug die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien.

  Weiß wie Schnee.

  Rot wie Blut.

  Rabenschwarz.

  Ich fiel auf die Knie und zerrte meine Handschuhe von den Händen. Mit steifen Gliedern griff ich nach dem Rabenvogel. Sein Kopf baumelte zur Seite, und der Brustkorb klaffte auseinander.

  Als das noch warme Blut über meine Finger rann, dachte ich daran, dass Greifvögel ihrer Beute eigentlich immer das Genick brechen.

  Sie reißen keine Herzen heraus.

  RABENBLUT

  ISABEAU

  »Da waren’s nur noch neun.«

  Sergius’ dunkle Stimme ließ mich zusammenfahren. Ob vor Kälte oder Angst, wusste ich nicht. Noch immer hielt ich den toten Raben in den Händen. Meine Jeans waren an den Knien völlig durchgeweicht und meine Zähne schlugen aufeinander. Ich hatte auch keine Ahnung, wer der tote Vogel war. Aber es musste einer von ihnen sein. Ein Mitglied von Alexejs Schwarm.

  »Wer ist es?«, frage ich und ärgerte mich über den jämmerlichen Tonfall meiner Stimme. Doch bei der Vorstellung, dass ich einen der Männer in seiner Vogelgestalt in meinen Armen hielt, wurde mir schlecht.

  Sergius’ Füße zeichneten weiche Spuren in den Schnee, als er neben mich trat. Ich starrte auf seine Beine, die feinen blonden Haare, die Adern, die an seinem Fußrücken deutlich hervortraten, und konnte nicht verhindern, dass meine Hände anfingen zu zittern.

  »Es ist Ferenc.« Beim nächsten Satz meinte ich, ein Lächeln herauszuhören. »Alexej wird wohl nach Ungarn fliegen müssen.«

  Mein Kopf fuhr in die Höhe. Sergius lächelte tatsächlich, wenn auch eher in sich hinein. Die Schneeflocken, die auf seinen nackten Schultern landeten, schmolzen zu winzigen Wassertropfen, verknüpften sich und rannen über seine vernarbte Brust hinab.

  »Sein Herz«, ich deutete auf Ferencs Brustkorb und schluckte schwer, »es wurde herausgeschnitten. Greifvögel machen so etwas nicht. Das können sie gar nicht. Außerdem ist der Kolkrabe ihm viel zu groß. Das entspricht gar nicht seinem Beuteschema. Und warum sollte er ihn auch wieder fallen lassen? Ich verstehe nicht –« Sergius’ Gesichtsausdruck verunsicherte mich, und meine Stimme erstarb.

  Seine Lippen hatten sich spöttisch verzogen. Er warf einen prüfenden Blick hinter sich. »Sieht so aus, als wäre er über alle Berge.«

  »Wer?«

  »Der Jäger.«

  Ich verstand nicht, was er damit meinte.

  »Hast du noch nie was von Beizjagd gehört?«

  »D-doch, sicher«, stammelte ich. »Du meinst, dass jemand diesen Falken abgerichtet hat, um Vögel zu jagen. Rabenvögel?«

  Jetzt lächelte er. »Du kannst einen Falken jedenfalls nicht dazu bringen, etwas anderes zu jagen als Vögel im Flug. Da wird garantiert niemand misstrauisch. Wenn ich Jäger wäre und mir vorgenommen hätte, einen Rabenschwarm auszurotten, dann wäre der Falke meine erste Wahl. Der Falke oder der Habicht.«

  »Hast du ihn gesehen?«

  Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte nur Augen für dich.« Der Blick, den er mir zuwarf, ließ mir das Herz in die Hose rutschen. »Wusstest du nicht, dass ich dich beobachte?«

  »Hör auf.«

  »Womit?«, fragte er mit einem boshaften Grinsen. »Dich zu beobachten oder dir davon zu erzählen?«

  »Lass mich einfach in Ruhe, okay? Ich lege keinen Wert darauf, von dir verfolgt zu werden.«

  »Du solltest dich lieber freuen, dass ich dir so viel Beachtung schenke. Alexej hat anscheinend Besseres zu tun, sonst wärst du jetzt nicht allein. Hier mit mir.« Er fasste nach einer meiner Haarsträhnen, die aus der Mütze herausgerutscht war, und wickelte sie um den Finger.

  Mit einem Ruck zog ich meinen Kopf zur Seite, und er ließ seine Hand sinken.

  »Ich bin hier, weil ich deinen Nachwuchs bewache«, sagte ich. »Schon vergessen, dass du Vater geworden bist? Ihm solltest du deine Beachtung schenken.«

  Sergius’ Augenbrauen verengten sich.

  »Ein hübsches Rabenkind übrigens«, fuhr ich fort. »Es sieht dir sehr ähnlich. Sein Gefieder ist sogar noch heller als dein Haar. Willst du es sehen?« Ich rechnete damit, dass er mir meine Frechheit ins Gesicht schlagen würde, und schreckte zurück, als er einen Schritt auf mich zukam. Sergius war nicht gerade zimperlich. Umso mehr überraschte es mich, dass er nur mit den Schultern zuckte. »Das interessiert mich nicht.«

  »Das sollte es aber.«

  »Glaub mir, das Vieh kann froh sein, wenn ich mich nicht für es interessiere.« Er sagte das so drohend, dass ich mir sicher war, er hatte recht damit. Und obwohl mich das eigentlich hätte wütend machen sollen, drängte sich mir die Frage auf, weshalb er es so ablehnte. Warum er nicht einmal neugierig war. Ich wusste nichts über ihn. Und nun forschte ich in seinen Zügen nach einer Antwort auf die Frage, ob er als Kind froh gewesen wäre, nicht beachtet zu werden. Was hatte er erlebt, um zu diesem Mann zu werden?

  »Schmeiß ihn in die Tiefkühltruhe.« Sein Nicken lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Raben in meinen Händen. Wie konnte er nur so kaltschnäuzig sein? War er in seinem Rabenleben bereits so abgestumpft, dass ihn der Tod nicht mehr schreckte?

  »Wenn du nicht willst, dass er verfault, solltest du ihn kalt stellen«, wiederholte er und machte Anstalten wegzugehen.

  »Warte!« Ich richtete mich mühsam auf, die Arme weit von mir gereckt.

  »Kannst du ihn nicht mitnehmen?«

  »Warum sollte ich das tun?«

  Weil er zu dir gehört!, wollte ich ausrufen. Zu dir und deinem Schwarm! Diese Bande waren ihm aber anscheinend völlig gleichgültig. Doch Alexej musste schnellstmöglich benachrichtigt werden. Er musste wissen, dass ein weiteres Mitglied seines Schwarms getötet worden war.

  »Weil ich dich darum bitte.« Ich knirschte mit den Zähnen.

  Sergius musterte mich. Ein zartes Lächeln umspielte seine Lippen, als sein Blick über meine blutverschmierten Hände wanderte. Dann griff er nach Ferencs schwarzem Rabenkörper. Als seine Finger mich berührten, stellten sich die feinen Härchen auf meinem Arm auf. Meine Augen folgten einem Blutstropfen, der von mir hinunterlief und auf Sergius’ Handrücken landete.

  »Du hast vor niemandem Respekt. Bitte«, flüsterte ich, »bitte hab wenigstens Respekt vor dem Tod.«

  Das Leben schien keinerlei Spuren in Sergius’ Gesicht zu hinterlassen. Und auch jetzt ließ er sich nicht anmerken, ob ihn der Tod seines Kameraden kümmerte. Er sah aus wie ein Engel. Aber ich wusste, wie teuflisch er sein konnte.

  »Es ist nur ein Rabe«, gab er zur Antwort. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass es eine Frage war, denn er hatte die Augenbrauen angehoben.

  »Aber er wird sich bestimmt zurückverwandeln. So wie Pavel.« Es würgte mich im Hals.

  »Wird er nicht.«

  »Woher willst du das wissen?«

  »Ich weiß es einfach.« Er nahm mir den Rabenkörper ab und drehte meine Hände nach außen. Mit dem Daumen zog er mit Ferencs Blut eine Spur darüber und beugte sich vor. Noch bevor ich meine Hand zurückziehen konnte, hatte er einen Teil des Blutes von meiner Handfläche geleckt.

  »Du solltest dir die Hände waschen«, sagte er. Dann drehte er sich um und lief los. Er schwang sich in die Luft, und seine weißen Glieder schmolzen zu einem schwarzen Federbündel zusammen. Das Gewicht des toten Raben wog schwer, und er musste sich mit kräftigen Schlägen nach oben kämpfen. Dann verschluckte ihn da
s Schneetreiben.

  Ich streifte mir die Wachsjacke von den Schultern, als ich zu Hause ankam. Bemüht, keinen Tropfen Blut von Ferenc darauf zu verteilen. Der Gedanke an Sergius’ Zunge ekelte mich. Ich rannte zum Waschbecken in mein winziges Badezimmer, öffnete den Hahn und ließ warmes Wasser über meine klammen Hände laufen. Rosafarben strudelte es im Kreis, bevor es im Ausguss verschwand.

  Blut.

  Ich runzelte die Stirn. Irgendein Gedanke versuchte, sich in meinem Kopf zu formen, aber ich konnte ihn nicht greifen. Mit dem Fingernagel kratzte ich an einer besonders hartnäckigen Stelle herum und musste die Bürste zu Hilfe nehmen, weil das Blut bereits eingetrocknet war. Dann bekam ich den Gedanken plötzlich zu fassen: Rabenblut.

  »Sakra!« Abrupt zog ich meine Hände zurück und stoppte den Wasserfluss. Wieso hatte ich nicht gleich daran gedacht? Noch tropfnass knallte ich die Badezimmertür hinter mir zu und lief aus dem Haus.

  Wenn es wirklich Ferenc war, den ich eben tot in meinen Händen gehalten hatte, dann war es sein Rabenblut, das da an mir klebte. Das war eine einmalige Gelegenheit. Eine Gelegenheit, die ich nutzen sollte und von der ich Alexej niemals etwas erzählen durfte. Ganz sicher wäre er nicht damit einverstanden, überlegte ich, während ich die Stufen zum Labor nach oben sprang. Ich riss die Tür auf und schaltete die Deckenbeleuchtung ein.

  Auf der schmalen Theke stand das neue Dunkelfeld-Mikroskop, das Marek erst vor wenigen Wochen bestellt hatte. Ein Mikroskop mit Weißlicht-LEDs, bei dem man auch ohne Schwierigkeiten eine Spiegelreflexkamera anschließen konnte. Ich griff nach der Schachtel mit den Objektträgern und verteilte mithilfe einer Pipette etwas Blut auf den Träger. Dann fertigte ich gleich noch ein zweites Präparat an. Erst danach wagte ich es, mir die Hände abzutrocknen.

  Angespannt ließ ich mich auf dem Drehstuhl nieder. Mit einem Klistierball blies ich möglichen Staub fort. Meine Finger zitterten, als ich das Deckglas unter das Objektiv schob.

  Ein großer Zellklumpen bedeckte fast das ganze Sichtfeld, völlig bewegungslos, deformiert. Am Rand klebten einige kernlose Zellen. Wahrscheinlich war das Präparat verschmutzt, denn die Form war absolut untypisch für Erythrozyten. Diese Zellen waren gar nicht rund.

 

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