by Nikola Hotel
Ich färbte das zweite Präparat ein, bevor ich es in die Mitte des Sichtfelds legte, und tauschte den Kondensor gegen einen anderen aus. Die großen Leukozyten leuchteten nun dunkellila. Winzige Thrombozyten verschmolzen mit Fibrinfäden zu einer undefinierbaren Masse. Die Zellen, die ich eben für Fremdkörper gehalten hatte, weil sie an einer Stelle spitz zuliefen wie ein Tropfen, hatten sich rosa verfärbt. Mir stockte der Atem.
Es gab Erkrankungen, die Blutzellen deformieren konnten, aber diese Form hatte ich bisher noch nie gesehen. Diese Zellen waren definitiv rote Blutkörperchen und waren es doch auch wieder nicht.
Es hatte seinen Grund, dass Erythrozyten eine mehr oder weniger runde Form besaßen. Sie mussten schließlich feinste Kapillaren passieren, die Leber, die Milz – ganz egal ob menschlicher oder tierischer Art.
Aber dieses Rabenblut hier – das war anders.
BRUSTLEERE
ALEXEJ
Der Bösendorfer hockte in der Mitte des Ganges wie ein angespanntes Raubtier. Ich kannte seine gebieterische Art, den fast orchestralen Klang, den er mir aufzwang, und verehrte ihn dafür. Die gewölbte Decke warf die elegischen Töne der Morceaux de fantaisie zurück. Sie tropften violett von meinen Fingern und versponnen sich vor meinen Augen zu einem flüssigen Kaleidoskop.
Mein Atem hauchte Nebel in die kalte Luft der Kapelle. Ich hörte kaum, wie meine Großmutter – der General – eintrat. Aber als sie sich in der vordersten Bank niederließ, vernahm ich ein Ächzen im Holz. Die Wärme meiner linken Hand dämpfte die unruhige Begleitung der rechten. Das folgende Crescendo schien jeden Stein des Mauerwerks anzustoßen. Dann die Reprise – es kostete mich Mühe, den Flügel am Zaum zurückzureißen. Wehmütig, aber mit vollem Klang stieß ich die letzten Takte an.
»Immer wieder Rachmaninov?«, fragte der General so leise, als fürchtete sie den Nachhall ihrer Stimme.
»Er ist ein Gott.« Ich zuckte mit den Schultern und hörte, dass der General scharf die Luft einsog.
»Das ist blasphemisch. Und ausgerechnet hier in seinem Haus möchte ich das nicht hören.«
»Möchtest du denn die Prélude noch hören?«
Sie schüttelte den Kopf. »La Cathédrale Egloutie. Damit würdest du mir eine Freude machen.«
Mein Körper versteifte sich. »Debussy spiele ich nicht«, wehrte ich ab. »Niemals Debussy.«
»Du wirst ihn schon noch spielen, wenn der richtige Zeitpunkt da ist.«
Sie schien meine Reaktion zu genießen, denn sie lächelte. Ich wusste genau, was sie damit sagen wollte. Meine Mutter hatte Debussy geliebt. Ihn zu spielen, würde ihr beweisen, dass ich mit dem Verlust zurechtkam, ihn endlich überwunden hatte.
»Ich plane eine Matinee«, erklärte sie und riss mich aus meinen Gedanken. »Sie soll die Überschrift La Revue blanche tragen. Debussy wäre genau die richtige Wahl.«
Ich schloss den Deckel des Flügels nicht gerade sanft, und der Knall echote durch die Kapelle.
»Dann muss ich dich enttäuschen. Ich habe nicht vor, öffentlich zu spielen.«
»Wir werden sehen«, sagte sie gedehnt und lehnte sich zurück. »Ich habe einen Brief von Sara bekommen.« Als ich nicht darauf antwortete, holte sie tief Luft und rieb sich dabei über die Fingerknöchel. »Du erinnerst dich? Sie ist die älteste deiner drei Schwestern und –«
Ich hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Wie könnte ich das vergessen? Nun, sie wird sich ausgerechnet haben, wie alt du inzwischen bist. Vermutlich hofft sie, deinen Nachruf verfassen zu können«, brach es grob aus mir heraus.
»Ganz im Gegenteil«, widersprach der General und stand auf. Dabei zog sie einen verknitterten Umschlag aus ihrer Manteltasche und ließ ihn beinahe achtlos auf die Bank fallen, bevor sie sich daranmachte, zum Ausgang zu marschieren.
Ich ignorierte den Umschlag, klappte den Klavierdeckel wieder auf und schlug die ersten Takte der Prélude an. Doch das dramatische Timbre wollte nicht so recht zu meiner Stimmung passen. Was hatte sich der General dabei gedacht, mich mit diesem Brief zu konfrontieren? Ich konnte mir kaum vorstellen, was Sara dazu bewogen hatte, nach all den Jahren an unsere Großmutter zu schreiben. Und je länger meine Gedanken darum kreisten, umso mehr wurde mir bewusst, dass ich die Beweggründe gar nicht kennen wollte. Der Schutzpanzer, den ich mir über so lange Zeit aufgebaut hatte, spannte und würde dem Druck vielleicht nicht standhalten, sollte ich etwas von ihr lesen, das meiner Sehnsucht nahekäme.
Sara war ein Kleinkind gewesen, als meine Mutter mit meinen Schwestern fortgegangen war. Sicherlich besaß sie keine Erinnerung an die Zeit davor. Ich wünschte es ihr. Denn meine Erinnerungen waren kein bisschen tröstlich. Sie schmeckten mir bitter auf der Zunge, als bisse man in eine süße Frucht, nur um dann zu merken, dass sie bereits faulte.
Doch wider meinen Willen spürte ich einen Hauch Wärme. Die Wärme, als Sara unter meine Decke geschlüpft war. Die kleinen Füße eiskalt, die sich zwischen meine Beine schoben. Ihr Haarschopf, der so köstlich vertraut roch, die Hand, die im Schlaf auf meinen Bauch fiel, das leise Schnarchen, wenn sie erkältet war oder wüst vom Feuervogel träumte – einer Geschichte, die Mutter ihr damals beinahe jeden Tag vorgelesen hatte. Bei dem Gedanken an dieses Märchen stockte mein Spiel, und ich musste die herabregnende Kaskade abbrechen. Ich griff nach dem Brief, wog ihn nur kurz in den Händen, bevor ich ihn zerriss und die Schnipsel zu Boden fallen ließ.
Ich würde mich nicht einer sinnlosen Hoffnung hingeben. Und noch viel weniger würde ich mich noch einmal zurückweisen lassen. Ich trat durch die Kapellentür in den Innenhof. Der Wind trieb die Schneeflocken vor sich her und fegte mir in den Kragen. Vom anderen Ende des Hofes tönte ein Krächzen zu mir herüber. Mit den Fingern fuhr ich mir in den Nacken und ertastete eine Kälte, die unmöglich von der Witterung herrühren konnte. Es war die Rabenstimme, deren Ton mich frösteln ließ. Ich stellte den Kragen meines Mantels auf und ging Sergius entgegen, der unruhig auf dem Boden flatterte. Halb unter ihm begraben, entdeckte ich den Kadaver eines anderen Vogels. Ich erkannte ihn sofort an der Form seines Schnabels, der stärker gebogen war als der meine und schlank abfiel. Seine Brust war eingefallen und schneebedeckt, weil sie keine Wärme ausströmte, die ihn zum Tauen brachte. Ich hob ihn hoch und erschrak über die Steifheit. Er war erst wenige Stunden tot. Wie?, wollte ich ausrufen, aber die Frage blieb mir im Halse stecken, als ich seinen geöffneten Brustkorb sah.
Sergius spreizte die Flügel und machte einen Satz nach vorne.
»Was ist passiert?«, presste ich mühsam hervor. Sergius’ Laute klangen bedrohlich, aber ich verstand sie nicht.
»Rede mit mir!«, verlangte ich, aber er machte keine Anstalten, sich zu verwandeln. »Sergius, rede mit mir!«
Der Schmerz zog mir durch alle Glieder.
Ferenc hatte sein Herz verloren. Diese Erkenntnis traf mich mit voller Wucht. Das, was ich hier in den Händen hielt, war bloß ein Futteral.
Ich versuchte, die Bilder zu verdrängen, die sich vor meinen Augen bildeten. Die Vorstellung, was mit seinem Rabenherz passiert war. Nein, ich wollte diesen Gedanken nicht zulassen, und doch drängte er sich immer weiter an die Oberfläche. Seitdem ich wusste, dass es Nikolaus’ Vater war, der uns Raben jagte, hatte ich keinen Tag, keine Sekunde nicht daran denken können. Er hatte seinen eigenen Sohn, meinen besten Freund, dazu benutzt, uns aufzuspüren. Und nachdem er sich selbst enttarnt hatte, konnten wir uns nirgendwo mehr sicher fühlen. Er war ein verletzter Hund, der wahllos um sich biss. Und Ferencs Tod machte seine Drohung so real wie noch nie: Er würde uns alle ausrotten.
Ich drückte Ferenc so fest, dass sein gefrorener Körper zwischen meinen Fingern knirschte.
»Was ist geschehen?«, ertönte eine Stimme in meinem Rücken. Der General ließ die Schneeschaufel fallen, die sie eben noch vor sich hergeschoben hatte. Sergius stieß sich abrupt ab und krähte laut, bevor er über die Außenmauer segelte und meinem Blickfeld entschwand. Meine Großmutter blieb wenige Meter vor mir stehen, die alten Augen seltsam weit.
Ich konnte nicht verhindern, dass sie den Schmerz in meinem Gesicht sah. Ihr Blick wurde hart, bevor sie nur den einen Satz sagte:
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br /> »Du wirst nicht dorthin zurückkehren!«
Mühsam rappelte ich mich auf. Obwohl die Kälte mich nicht dazu einlud, schälte ich mich aus meinem Mantel.
»Hörst du, Aki? Ich werde das nicht dulden! Ich brauche dich hier.«
Meine Augen brannten. »Sie haben Ferenc getötet. Wer weiß, wer als Nächstes an der Reihe ist. Erwartest du wirklich von mir, dass ich hierbleibe, während mein Schwarm abgeschlachtet wird?«
Sie zuckte zusammen bei meiner rüden Wortwahl, straffte aber sogleich ihre Schultern. »Es ist zu gefährlich. Nicht nur für dich«, redete sie auf mich ein. »Denk an dein Erbe.« Ihre krummen Finger, die sich ans Revers des Mantels krallten, konnten den Stoff kaum halten, so sehr zitterten sie.
Ich stieß sie von mir fort. »Es tut mir leid, wenn ich dich enttäusche.« Ich schlüpfte aus meinen Schuhen und knöpfte meine Hose auf.
Mit einer Schnelligkeit, die ich ihr auf ihre alten Tage gar nicht mehr zugetraut hätte, stürzte der General auf mich zu und packte mich am Hemdkragen. »Sara wird kommen. Sie hat es mir versprochen.«
Grob schüttelte ich ihre Hände ab und entlockte dem General damit ein Stöhnen. »Die Jagd hat begonnen«, sagte ich. »Unsere Jagd hat begonnen. Und ich werde nicht auf den Jäger warten wie ein williges Opfer. Wenn er sich in den Kopf gesetzt hat, uns zu töten, dann wird er erleben, dass sein Lamm zum Wolf wird. Sieh ihn dir an!«, stieß ich hervor und deutete auf den toten Raben. »Man hat ihm das Herz aus der Brust gerissen.« Bei diesen Worten würgte es mich im Hals.
Langsam nickte sie.
»Wassilij hat unendliche Möglichkeiten«, sagte ich nun mit fester Stimme, die immer ruhiger wurde, je klarer sich ein Gedanke in mir ausformte. »Aber wir sind ein Schwarm.«
BLUTBILD
ISABEAU
Immer wieder betrachtete ich das Foto auf dem Computer-Bildschirm, das die Kamera am Mikroskop geschossen hatte. Ich hatte das halbe Internet durchforstet auf der Suche nach einer Lösung, war aber nicht darauf gekommen, was mich an diesem Bild störte. Und schließlich hatte ich das Foto an das Labor in Prag geschickt, an das wir gewöhnlich unsere Proben abgaben. Aus irgendeinem Grund hoffte ich, es würde eine ganz natürliche Erklärung für mich haben. Eine Erklärung, die alles auflöste, was sich nicht mit meinen Naturgesetzen in Einklang bringen ließ.
Sicher, es gab Krankheiten, die das Blut veränderten, auch in ihrer Form, aber das hatte schwerwiegende Folgen. Ich drehte das Bild nach allen Seiten, aber es gab keine andere Möglichkeit. Das, was dort abgebildet war, waren eindeutig Erythrozyten. Rote Blutkörperchen, die in ihrer Tropfenform so irreal waren, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Doch was mich gleich noch viel mehr alarmierte, war der Gedanke, was mit Ferencs Herz passiert war.
Warum hatte Wassilij es herausgeschnitten? Vielleicht sollte es uns lediglich warnen. Vielleicht war das seine perverse Art, uns zu drohen. Es war aber möglich, dass er einen ganz besonderen Grund gehabt hatte, das Herz zu entfernen.
Selbst Alexej wusste nicht, wie sich sein Rabenblut über Generationen übertragen konnte. Und wenn ich mich in diesen kranken Geist von Nikolaus’ Vater hineinversetzte, dann würde ich wahrscheinlich auch versuchen, Ferencs Herz und vor allem das Blut darin genauer unter die Lupe zu nehmen. Wassilij wollte die Raben ausrotten. Dazu musste er erst einmal wissen, wie er verhindern konnte, dass sie sich überhaupt erst verwandelten.
Als sich die Tür in meinem Rücken öffnete, zuckte ich ertappt zusammen und klickte das Bild weg.
»Isa, kannst du mir sagen, wo die Auswertungen von Peter sind? Ich weiß genau, dass ich sie ausgedruckt habe. Sein Revier hat sich in den letzten drei Wochen deutlich verschoben. Wir sollten vielleicht …« Sie hielt inne und starrte mich überrascht an. Mein Kopf war glühend heiß angelaufen, und ich schwang unruhig mit dem Drehstuhl herum.
»Was ist los?« Mit einer Handbewegung schob Lara sich ihre Locken aus dem Gesicht. »Du siehst so schuldbewusst aus.« Jetzt grinste sie. »Wobei habe ich dich erwischt?« Sie trat näher und warf einen Blick an mir vorbei auf den Computerbildschirm, wo ihr aber lediglich das Hintergrundbild eines Luchsweibchens angezeigt wurde.
Verflixt. Wieso schaffte ich es auch nie, meine Gesichtszüge einigermaßen unter Kontrolle zu halten? Ich sollte dringend bei Alexej in die Schule gehen, er war schließlich ein Meister darin, ein Pokerface aufzusetzen.
Demonstrativ lehnte ich mich im Stuhl zurück und reckte meine Arme nach oben, als hätte ich von der langen Schreibtischarbeit bereits Verspannungen. »Ich habe nur ein paar Daten übertragen. Nichts Weltbewegendes also.« Dabei war alles, was mit Alexej und seinem Schwarm zu tun hatte, absolut weltbewegend für mich. Doch ich konnte Lara nicht sagen, was passiert war. Sie war völlig ahnungslos. Ich konnte ihr nicht erzählen, dass ein Rabe getötet worden war, weil sie gar nicht wusste, dass es sie gab. Noch immer glaubte sie daran, dass irgendein Irrer Alexej im Wald angegriffen hatte und dass die Sache mit den Bluthunden ein schrecklicher Unfall gewesen war. Meinen Bruder Timo hatte ich nur mit Flehen und Betteln davon abhalten können, ihr die Wahrheit zu sagen. Er war neben Nikolaus’ Familie der Einzige, der von den Raben wusste. Und das musste um Himmels willen so bleiben, wenn ich Lara und Marek nicht in Gefahr bringen wollte.
»Machst du dir immer noch Sorgen wegen dieses Verbrechers?« Sie streichelte mir tröstend über die Schulter. »Die Polizei hat hier alles abgesucht. Er ist ganz sicher nicht mehr in der Nähe, sonst hätten sie ihn gefunden.«
Ich schluckte und kämpfte gegen den Drang an, die Wahrheit hinauszuschreien, ihr zu gestehen, dass mich dieser Mann kein bisschen kümmerte, dass er längst tot war und dass Sergius ihn meinetwegen umgebracht hatte. Noch immer quälte mich der Gedanke, dass ich – wenn auch nicht absichtlich – ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Die Polizei hatte die Leiche nicht finden können, weil eine Invasion von Rabenkrähen sich auf sie gestürzt hatte. So musste es auf einem mittelalterlichen Schlachtfeld ausgesehen haben, dachte ich mit Schaudern. Und nun war Ferenc tot. Ich wusste nichts über ihn, hatte ihn noch nie in seiner Menschengestalt gesehen und trotzdem spürte ich, wie die Hitze sich hinter meiner Stirn ausbreitete und mir Tränen in die Augen schossen. Da war diese unendliche Erleichterung, für die ich mich schämte. Erleichterung darüber, dass es nicht Alexej erwischt hatte.
»Du hast immer noch Albträume deswegen, oder?«, fragte sie teilnahmsvoll und schob meine Hand zur Seite, um nach der Computermaus zu greifen.
»Nein, es ist schon besser. Ich denke eigentlich kaum noch daran«, log ich. Dabei beobachtete ich, wie ihre Hand, die die Maus führte, auf dem Tisch hin und her glitt.
»Hab ich dich!«, sagte sie mit zusammengekniffenen Augen. Ihre Zungenspitze schob sich zwischen ihre Lippen hervor, während sie mit einem Klicken ein Dokument öffnete. »Ich drucke das nur schnell aus, dann kannst du weitermachen, bei … nun, was auch immer du da gerade machst.« Sie schnappte sich das Blatt, das mit einem Surren ausgespuckt wurde. Im selben Moment machte es pling, und das Mailprogramm verkündete, dass eine Nachricht eingetrudelt war.
»Was ist das denn jetzt schon wieder?« Noch bevor sie erneut nach der Maus greifen konnte, schnappte ich danach und überspielte meine Panik mit einem Lächeln. »Ich mach das schon, keine Sorge. Du hast auch so schon genug zu tun.«
»Allerdings.«
Ihr dankbarer Gesichtsausdruck machte mir sofort ein schlechtes Gewissen. Nachdem einer unserer Luchse bei Strážný von einem Jäger erschossen worden war, wanderte Peter, den wir vor einigen Monaten gemeinsam eingefangen und besendet hatten, immer weiter ab, und wir vermuteten, dass er das verwaiste Revier bald vollständig übernommen haben würde.
»Ich könnte die Nachsuche morgen früh für dich übernehmen, wenn du möchtest«, bot ich ihr an. »Dann kannst du dich ganz auf Peter konzentrieren.«
»Du bist ein Schatz!« Sie drückte mich und gab mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie mit dem Ausdruck wedelnd das Labor verließ. Beinahe in derselben Sekunde schoss ich mit dem Drehstuhl herum und klickte hektisch den Button, um die E-Mail zu öffnen.
AW: Bilddiagnose – Erythrozyten?
 
; Von: Gnezda, Roman
An: Radek, Isabeau
Was soll das sein? Ein Satellitenbild vom Mars? Unbrauchbares Material. Nimm noch einmal Blut ab und schick mir ein Foto davon, wenn es NICHT geronnen ist. ;-P
Oder besser: Schick mir das Präparat per Kurier.
Roman
Wenn es nur so einfach wäre! Ich seufzte tief und tippte eine Antwort.
Re: AW: Bilddiagnose – Erythrozyten?
Von: Radek, Isabeau
An: Gnezda, Roman
Lieber Roman, ich dachte, wenn einer etwas aus diesem Material herausholen kann, dann du. Könnte dir höchstens meinen Objektträger schicken, aber da siehst du auch nicht mehr als auf dem Bild. Streng dich an! Bitte. Hast du schon mal Erythrozyten in dieser Form gesehen? Ist das krankhaft?
Liebe Grüße
Isa
Ich musste nicht lange auf eine Antwort warten. Offenbar saß Roman ebenso gespannt vor dem Rechner wie ich. Ich wusste nur nicht, ob das ein gutes Zeichen war.
AW: Re: AW: Bilddiagnose – Erythrozyten?
Von: Gnezda, Roman
An: Radek, Isabeau
Sehr witzig. Ich tippe auf eine extrem schwere Anämie. Gib es zu, das Bild ist gephotoshopt. Was soll das, Isa? Der erste April ist erst in sechs Wochen. Wie geht es denn dem Tier? Oder dem Alien. ;-)
Re: AW: Re: AW: Bilddiagnose – Erythrozyten?
Von: Radek, Isabeau
An: Gnezda, Roman
Der Vogel ist tot.
Darauf fiel ihm wohl keine Antwort ein, denn Roman meldete sich nicht mehr. Dass er aber dachte, ich wollte ihn mit dem Bild auf den Arm nehmen, gab mir zu denken. Das bewies doch, dass er so etwas auch noch nie gesehen hatte, oder nicht? Roman arbeitete bestimmt seit zehn Jahren in diesem Labor in Prag. Vermutlich gab es nichts, was ihm noch nicht unter die Linse geraten war. Wenn diese Form der roten Blutkörperchen also krankhaft wäre, dann müsste Roman das sofort sehen. Es war schließlich sein Job, so etwas zu erkennen. Ich wusste auch nicht, warum ich mich so sehr an den Gedanken klammerte, dass es eine wissenschaftliche Erklärung für Alexejs Verwandlung geben musste. In meiner Welt war einfach kein Platz für Fantasy. Ich hatte begonnen, Biologie zu studieren, einfach weil ich Tiere mochte und um die Natur zu verstehen und zu erforschen, und nun hangelte ich mich an den Naturgesetzen entlang, um einen festen Boden unter mir zu spüren.