Rabentod (Rabenblut Serie 2) (German Edition)
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SCHWARZFESSEL
ALEXEJ
Ein süßlicher Geruch nach Fleisch und Innereien. Fichtennadeln. Laub. Erde. Ich witterte den Wald und spürte eine unendliche Erleichterung, als ich erwachte. Meine Glieder schmerzten. Ich hatte so lange in dieser seltsamen Position geschlafen, dass ich mich kaum rühren konnte. Mit angewinkelten Knien hockte ich seitlich auf rauem Untergrund. Ich fror.
Fichtennadeln. Immer wieder blitzten grüne Fichtennadeln vor meinem inneren Auge auf, aber ich konnte die Erinnerung nicht fassen, weil ein unerträglicher Kopfschmerz meine Gedanken lähmte. Ich versuchte eine Hand zu heben, um nach meiner Stirn zu tasten. Unmöglich. Meine Handgelenke klebten aneinander. Ich wollte tief Luft holen, konnte aber meinen Mund nicht öffnen. Konnte mich nicht bewegen, nur blinzeln, aber doch nichts sehen. Da erst begriff ich, dass tatsächlich etwas mein Gesicht bedeckte. Eine Decke? Meine Finger ertasteten einen groben Wollstoff. Und etwas Fremdes an meinen Knien. Es war glatt und kalt, schmiegte sich an mich wie eine zweite Haut. Zuerst konnte ich es nicht einordnen. Hielt mich ein Traum gefangen, oder war es … Klebeband?
Ich stöhnte auf, als die Wirklichkeit in meine Fantasie einbrach. Ich war geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt worden. Jemand hatte meine Handgelenke vor meinem Bauch mit Klebeband umwickelt und eine Decke über mir ausgebreitet, die jedoch kein bisschen wärmte. Ich versuchte mich aufzurichten, erreichte damit aber nur, dass die Decke von meinem Gesicht rutschte. Die ruckende Bewegung brachte meinen Untergrund zum Schwanken und verriet mir, dass ich in einem Auto lag.
Jetzt, wo meine Sinne sich vom Wald lösten, nahm ich außer dem Fichtenduft einen weiteren Geruch wahr. Den Geruch eines anderen Menschen, eines Mannes. Ich war nicht allein, und doch schien keinerlei Bedrohung von diesem Mann auszugehen. Ich spürte seinen kalten Körper in meinem Rücken, jedoch weder eine Bewegung seines Brustkorbs noch hörte ich ihn atmen.
Ich stöhnte auf. Das war kein Mann, der neben mir lag. Das war eine Leiche! Übelkeit stieg in mir auf, und ich versuchte den Kopf zu drehen, um besser atmen zu können. Das wenige, was ich von dem Toten erahnen konnte, weckte nur neue Fragen in mir, denn er schien keine offensichtlichen Verletzungen zu haben, und auch das Gesicht war mir völlig fremd.
Wenn nur mein Kopf nicht so schmerzen würde, könnte ich mich vielleicht erinnern. Meine Finger klaubten den Rand der Decke mühsam zusammen, aber ich schaffte es nicht, die Arme zu heben. Wenn ich den Kopf hinabbeugte, würde ich vielleicht die schmerzende Stelle an meinem Kopf erreichen. Es kostete mich Mühe, den Oberkörper so weit zu krümmen, doch als ich endlich meine Stirn anfasste, spürte ich eine Schwellung und die Spur von geronnenem Blut auf meiner Haut.
Der Gewehrkolben!, erinnerte ich mich. Man hatte mich damit niedergeschlagen. Doch wie war ich danach in dieses Auto gelangt?
Als würde ich im Nebel über einen Abgrund balancieren, hangelte ich mich an einzelnen Erinnerungsfetzen entlang. Ein Kadaver, an dem grüne Fichtennadeln klebten. Ein Hinterhalt. Ich stöhnte auf, als mir bewusst wurde, wie spät ich diesen Fehler erkannt hatte. Dabei war es offensichtlich, dass das Tier an einer ganz anderen Stelle getötet worden sein musste. Einer Stelle, an der auch Bäume gefällt worden waren. Man hatte das Reh zu diesem Platz transportiert und wie ein Geschenk drapiert. Ein Geschenk des Todes.
Drei Raben meines Schwarms waren getötet worden. Ich sah ihre Körper fallen, wieder und wieder. Sah die Hände, die sich um Laszlos Hals legten und ihm das Genick brachen, danach war nur noch Unschärfe. Eine trübe Suppe aus Schmerz und Vergessen. Und Kälte. Meine Glieder fingen an zu zittern, und meine Zähne schlugen unkontrolliert aufeinander. Ich riss an den Fesseln, aber das war völlig sinnlos, denn sie schnürten mich so fest ein, dass mir Arme und Beine bereits taub wurden. Ich horchte auf das Schlagen meines Rabenherzens, konzentrierte mich nicht, sondern ließ mich fallen, in der Hoffnung, dass mich eine Verwandlung von diesem verdammten Klebeband befreien würde. Aber ich konnte mein Rabenherz nicht spüren. Es war, als hätte die Kälte es betäubt, es vielleicht sogar eingefroren – doch das war unmöglich. Ich rollte mich hin und her, bis die Decke gänzlich von meinem Oberkörper rutschte, um einen Blick auf meinen Brustkorb zu werfen. Nur dass ich in der Dunkelheit so wenig sah. Ich war verflucht noch mal keine Eule!
An der Wut, die mir nun in der Kehle brannte, hätte ich ersticken können. Dann endlich blitzte ein Licht auf. Ein schmaler Streifen gelben Scheins, nicht mehr als das Zucken am Horizont bei Gewitter.
Jemand hielt den Strahl einer Taschenlampe auf das Auto gerichtet. Genau an der Stelle, wo die Klebefolie das Fenster nur unzureichend abdeckte. Es schimmerte, und in einem Anflug von Hoffnung gab ich einen grollenden Laut von mir, der jedoch vom Knebel gedämpft wurde. Ich rollte mich herum, stieß dabei gegen die Männerleiche hinter mir und brachte den Wagen zum Wanken. Wer auch immer dort draußen war, er musste merken, dass sich hinter den abgedunkelten Scheiben etwas bewegte. Doch das Licht erlosch, und die Finsternis, die sich ausbreitete, war tiefer als zuvor.
Minuten später hörte ich das Klackern der Zentralverriegelung.
SCHATTENWANDERER
ISABEAU
»Jaro!« Die Lampe glitt mir aus der Hand, knallte auf dem Boden und purzelte Stufe um Stufe nach unten. Das Licht flackerte kurz, dann ging es ganz aus.
»Schnell, komm rein ins Warme«, drängte ich ihn, nestelte an meinem Schloss und stieß die Tür auf. Nun gut, »ins Warme« war übertrieben, aber zumindest blies man in meiner Hütte beim Atmen keine Rauchwölkchen aus. Ich riss meine Decke vom Bett herunter und wickelte sie dem bebenden Jungen um den schlaksigen Körper.
»Du bist ja völlig durchgefroren. Komm, setz dich direkt an den Ofen.« Ich schob ihn zu meinem Stuhl und zerrte dann an meiner Schranktür, um ein paar dicke Wollsocken für ihn herauszufischen. Kein Wunder, dass er von oben bis unten klapperte, bei dieser Kälte da draußen. Er sah entsetzlich aus. Seine mageren Schultern stachen blass hervor, und das dunkle Haar hing wirr um seinen Kopf. Auf seinen schmutzigen Wangen hatten Tränen ihre Spuren hinterlassen, und er zog die Nase hoch wie ein Kleinkind. Er sah sich selbst überhaupt nicht mehr ähnlich. Seine blauen Augen waren weit aufgerissen und sein Blick ging hektisch hin und her, ohne wirklich etwas zu fokussieren. Ich hockte mich vor ihn auf den Boden und mühte mich ab, seine Eiszapfenfüße in die Wollstrümpfe zu stecken.
»Was ist passiert, dass du alleine draußen rumläufst?« Mit flachen Händen rubbelte ich über seine Fußsohlen, um sie warm zu kriegen. »Ich dachte, du bist beim Schwarm. Hast du die anderen verloren?«
Jaro öffnete den Mund, um zu antworten, aber sein Kinn fing so heftig an zu zittern, dass nur ein undeutliches Gestammel herauskam. Im nächsten Moment schlug er die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen.
Ich legte die Arme um seine Schultern und spürte, wie sich der hagere Körper hilflos an mich klammerte. Alles an ihm bebte, und mir zog sich augenblicklich das Herz zusammen. »Ist jemand verletzt worden? Bist du verletzt?«
Erst bei seinem dritten Versuch zu sprechen verstand ich, dass der Schwarm offenbar in eine Falle geraten war. Ich unterdrückte die Fragen, die mir auf der Zunge brannten, weil sie nur Alexej betrafen, und hier ging es um mehr als nur einen Einzelnen, auch wenn die Angst um ihn das Blut in mir förmlich zum Kochen brachte. Ruhig bleiben, Isa! Bleib ruhig und denk nach!
»Drei Männer?«, unterbrach ich schließlich seine Schilderung, weil mir der Geländewagen nicht aus dem Sinn gehen wollte. Der Geländewagen und die Reste der Munitionsschachtel, die ich gefunden hatte. Lara hatte jedoch nur von zwei Wanderern erzählt.
Jaro nickte, und ganz langsam schien er sich zu beruhigen. Ich wusste, dass ihn nicht nur mit Alexej, sondern auch mit Raban eine tiefe Freundschaft verband. Und nun hatte er mit ansehen müssen, wie einer von beiden skrupellos abgeknallt worden war. Mir fielen keine Worte ein, die ihn auch nur im Ansatz trösten konnten. Das alles war ein Albtraum. »Hast du gesehen, was sie mit Alexej gemacht haben? Haben sie die Raben mitgenommen?«
»Sie haben sie alle drei in einen Sack gestopft. In einen Müllsack.« Das Entsetzen darüber sprang ihm direkt
aus dem Gesicht.
»Vielleicht war es ein Unfall«, begann ich. Ein hilfloser Versuch, die Wahrheit, die nur grausam sein konnte, zu verdrängen. »Vielleicht wollten sie wirklich nur ein paar Rabenvögel töten. Ganz normale Rabenvögel … Ich meine …« Meine Stimme brach ab, und nachdenklich knetete ich Jaros Füße. »Hast du gehört, was die Männer miteinander gesprochen haben? Haben sie vielleicht gesagt, wo sie hinwollen? Und Alexej – war er bei Bewusstsein? Hast du gesehen, ob er … noch lebt?«
Mühsam unterdrückte ich das Gefühl der Panik und den damit verbundenen Wunsch, einfach nur Augen und Ohren zu schließen, die Decke über den Kopf zu ziehen und zu hoffen, dass dieser Albtraum sich wirklich nur als Traum entpuppte.
»Ich hatte Angst«, jammerte Jaro. »Sergius hat mich weggescheucht. Der Schwarm hat sich in alle Himmelsrichtungen verstreut. Ich habe keinen von ihnen mehr gesehen.«
Ich dachte an den Pathfinder mit dem polnischen Kennzeichen und tastete mich weiter vor. »Hast du denn vielleicht gehört, welche Sprache sie gesprochen haben? Tschechisch, Englisch? Oder Polnisch vielleicht?«
Ich reichte Jaro ein Taschentuch. Er zerknüllte es in der Faust, ohne es zu benutzen, und schüttelte den Kopf, bevor er sich besann und ganz langsam nickte. »Deutsch. Ich glaube, sie haben Deutsch gesprochen. Aber ich bin mir nicht sicher.«
»Okay.« Schwer atmend richtete ich mich auf. Auch wenn ich immer noch hoffte, dass kein Zusammenhang zwischen diesen Verbrechern und den Wanderern bestand, die ihr Auto hier abgestellt hatten – die Sache ließ mir keine Ruhe, und ich würde mir jetzt sofort den Wagen genauer ansehen. Völlig egal, was die beiden Männer hier trieben, normal war ihr Verhalten ganz und gar nicht. Ich drückte Jaro mein Mobiltelefon in die Hand.
»Nimm mein Handy, ich muss … kurz raus, etwas nachsehen. Und wenn dir irgendwas komisch vorkommt oder du sonst irgendwie Angst bekommst, tu mir einen Gefallen und ruf sofort Marek an.« Oder besser die Polizei, dachte ich, sagte es aber nicht laut.
Jaro klemmte sich das Telefon zwischen die Knie und putzte sich endlich die Nase. »Aber du gehst nicht weg?«
»Ich bin in fünf Minuten wieder da. Versprich mir, dass du hier drinnen bleibst und dich aufwärmst!«
Ohne seine Antwort abzuwarten, huschte ich durch die Tür nach draußen. Ich konnte einfach nicht glauben, was da passiert war. Drei Raben tot? Ich sprang von der letzten Treppenstufe herunter und bückte mich, um nach der Taschenlampe zu tasten. Drei Raben tot! Ein Schluchzen kroch in meiner Kehle hoch, während ich vergeblich versuchte, den gefrorenen Boden in der Dunkelheit abzusuchen. Und Alexej? Keuchend ging ich in die Knie. Meine Hände klopften den Schotter ab. Wo war diese verfluchte Taschenlampe?
Als meine Finger endlich das kalte Aluminium zu fassen bekamen, schluchzte ich auf und umklammerte die Lampe wie einen Rettungsanker. Keine Panik, Isa!, sagte ich mir immer wieder. Ich wusste doch gar nicht, was Jaro wirklich richtig gesehen hatte. Er hatte Angst, die Situation war in Sekundenbruchteilen umgeschlagen und er hastig davongeflogen. Vielleicht war alles halb so schlimm. Vielleicht hatte er etwas falsch gedeutet. Vielleicht hatten die Männer ja gar nicht … getötet.
Hör auf damit, Isa!
Auf wackeligen Beinen stolperte ich den Weg hinunter zum Parkplatz, meine Nerven zum Zerreißen gespannt. Das Knirschen, das meine Sohlen auf dem Schotter verursachten, reichte schon aus, mir so viel Angst einzujagen, dass ich den Kopf herumriss. Aber in dem fahlen Mondlicht war nicht viel mehr zu sehen als die beiden Gebäude, die zum Park gehörten, und rechts und links davon ein Bollwerk aus schneebedeckten Bäumen. Dicht und undurchdringlich. Ich erreichte den Parkplatz und sah den Pathfinder noch immer an derselben Stelle, nur wenige Meter von der einzigen Straßenlaterne entfernt. Die verrücktesten Überlegungen schwirrten mir durch den Kopf: Wieso sollten sie ihren Wagen hierlassen, wenn sie ihr Ziel längst erreicht hatten? Das muss ein schrecklicher Irrtum sein. Nur ein Irrtum. Außerdem ist doch niemand so blöd, sein Auto in der Nähe einer Laterne abzustellen, wenn er etwas zu verbergen hat, oder?
Mit wild pochendem Herzen schob ich den Riegel der Taschenlampe nach oben und hielt den Schein auf die Fahrerkabine gerichtet. Gott sei Dank war niemand da drin! Ich presste meine Stirn gegen die Scheibe und konnte nichts Ungewöhnliches festsellen. Ein eingeschlagenes Lenkrad. Zwei Pappbecher. Auf dem Beifahrersitz lag ein Schal, nein, eher so was wie eine Weste. Irgendwelche Papiere, mit der beschrifteten Seite nach unten, sodass ich nicht viel mehr erkennen konnte, als dass sich die Tinte an manchen Stellen stärker durchdrückte als an anderen. Daraus ließ sich schließen, dass sie jemand von Hand beschrieben hatte.
Einen Fuß vor den anderen setzend, umrundete ich das Auto, um den Kofferraum näher in Augenschein zu nehmen.
Eine Aluminiumabdeckung schützte die Ladefläche vor Kratzern. Sie war verschmutzt durch Spritzer und Klumpen aus Erde und ein paar festen Bestandteilen, Tannennadeln oder etwas Ähnlichem. Ich zerrieb etwas davon zwischen Daumen und Zeigefinger. Es roch stark nach einem ätherischen Öl. Fichtenöl.
Meine linke Hand glitt über die Scheibe. Warum nur hatte man eine Folie aufgeklebt, wo der Wagen ohnehin über stark getönte Scheiben verfügte? Billige Folie, die stümperhaft verarbeitet worden war, als wäre jemand in Eile gewesen. Etliche Falten zogen sich über das Fenster, und an den Rändern schloss die Folie nicht einmal dicht ab. Das passte so gar nicht zu diesem teuren Auto. Ansonsten ließ nichts darauf schließen, dass dieser Wagen Jägern gehörte. Zumindest zierte kein Aufkleber eines Jagdsportvereins das Heck, und auf der Frontscheibe befanden sich nur zwei Autobahn-Vignetten. Nichts, was den Wagen irgendwie personifizierte. Es könnte sich genauso gut um einen Mietwagen handeln.
Ein dumpfes Geräusch ließ mich zusammenfahren, und sofort presste ich die Lampe an meinen Parka, um den Schein zu verdecken, obwohl das blödsinnig war, denn ich war im Licht der Laterne sicher schon von Weitem zu sehen. Aus einem Impuls heraus ging ich neben dem Wagen in die Hocke und lauschte angespannt, konnte das Geräusch aber nicht lokalisieren.
War jemand hier draußen?
Nervös presste ich mich an den Wagen, versuchte mich so klein wie möglich zu machen und senkte die Lider. Wie ein kleines Kind, das sich die Augen zuhält, um nicht gesehen zu werden. Ich sehe dich nicht, dann siehst du mich auch nicht. Siehst mich nicht. Siehst mich nicht.
Hätte ich mich nicht so dicht an den Wagen gelehnt, hätte ich die Bewegung vermutlich gar nicht gespürt. Doch meine Wange berührte das kalte Blech, und als der Wagen plötzlich wankte, nahm ich den Druck wahr. Oh mein Gott! Da war etwas im Auto! Etwas Lebendiges. Bitte lass es nur einen Hund sein, betete ich inständig. Auch wenn das bei diesen Temperaturen an Grausamkeit grenzte, ein Tier auch nur länger als ein paar Minuten allein im Wagen zu lassen, ohne Heizung oder Frischluft. Vorsichtig richtete ich mich auf und strahlte in den hinteren Bereich des Wagens und gegen eine Wand. Der Kofferraum war durch eine Art Gitter abgegrenzt. Und als ob das noch nicht genug wäre, hatte man eine Decke daran befestigt. Ich sah also nichts als Schwärze. »Hallo?«, raunte ich leise und wunderte mich kein bisschen über den dünnen Klang meiner Stimme. Ich war jetzt schon durchgefroren, obwohl ich einen gefütterten Parka trug, wie musste es da erst diesem Tier gehen? Mit der Lampe fuhr ich außen am Fenster entlang, bis zu der Stelle, an der die Folie wenige Millimeter frei ließ, und leuchtete ins Innere.
»Co hledáte tady?«
Ich schreckte zurück. Zwischen zwei parkenden Autos kam eine Gestalt auf den Pathfinder zu.
»Guten Abend. Dobrý … večer«, stammelte ich und ließ die Lampe unauffällig in meine Tasche gleiten. Der Mann, der mir entgegenkam, trug jedenfalls keinen Overall, wie Jaro ihn von den Jägern beschrieben hatte, sondern eine blaue Jeans und darüber eine sportliche rote Jacke. Nicht gerade Tarnfarben, dachte ich erleichtert. Auf seinem Kopf saß eine Fellmütze, deren Ohren er hochgeklappt hatte. Aber es war trotzdem zu dunkel, um das Gesicht näher zu erkennen.
Meine Gedanken rotierten. Ich rief mir in Erinnerung, was Jaro mir sonst noch erzählt hatte, und sprach auf Deutsch weiter. »Ist das Ihr Wagen?«
»Ja«, sagte der Man
n lässig, trat direkt neben das Auto und lehnte sich an die Fahrertür. »Gefällt er Ihnen? Ist ein Dreiliter-Diesel.«
Ein polnisches Kennzeichen, aber Deutsch war eindeutig seine Muttersprache. Der Schatten in seinem Gesicht stammte von einem Dreitagebart, wie ich nun erkennen konnte.
»Nein. Äh, ja. Ich meine, deswegen habe ich ihn mir nicht angesehen.« Meine rechte Hand umfasste die Lampe in der Tasche. Besonders schwer war das Teil nicht. Ob man sie im Notfall trotzdem als Waffe gebrauchen konnte?
»Ich dachte, ich hätte ein Geräusch aus ihrem Auto gehört. Sie haben nicht zufällig einen Hund da drin?«
Der Mann antwortete nicht, sondern ließ seinen Rucksack von den Schultern gleiten und stellte ihn zwischen mir und dem Wagen ab. An dem hektischen Atem, der sich in der kalten Luft deutlich abzeichnete, erkannte ich, dass er eben noch gerannt sein musste.
»Ist nicht sehr angenehm, bei diesen Temperaturen die Nacht im Auto zu verbringen. Wollen Sie ihn nicht lieber rausholen? Ich könnte das Tier zu meinen Kollegen ins Haus bringen.« Mit einem Kopfnicken deutete ich auf das Hauptgebäude, in dem sich unser Büro befand. Ganz sicher waren Lara und Marek nicht mehr dort, aber das musste ich dem Typen nicht unbedingt auf die Nase binden. Überhaupt sollte ich ihm gleich klarmachen, dass ich nicht alleine hier war.
»Ist ja gut, Nico!«, brüllte ich über meine Schulter in die Dunkelheit, als hätte jemand nach mir gerufen. »Ich komme gleich!«
Der Mann schob beide Hände in die Taschen und überkreuzte bequem die Beine. »Danke für das Angebot, aber ich habe gar keinen Hund.«
»Ach, wirklich nicht?«
»Nein.«
»Ist ja komisch«, sagte ich. »Tja, so kann man sich täuschen.« Ich machte einen Schritt rückwärts und verlagerte mein Gewicht. »Gehören Sie zu den Wanderern, die für die Nacht keine Unterkunft gefunden haben? Meine Kollegin hat mir erzählt, dass Sie morgen früh weiterfahren. Wohin soll’s denn gehen?« Ich biss mir auf die Lippe. Aus Nervosität hatte ich angefangen zu plappern, und das merkte er mir sicher an.