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Rabentod (Rabenblut Serie 2) (German Edition)

Page 23

by Nikola Hotel


  »Welchen Jungvogel?« Sergius blinzelte nicht einmal. Aber er wusste genau, wen ich meinte. Weshalb hätte er sich sonst angesprochen fühlen sollen? Aber Sergius hatte nicht vor, mir die Sache leichter zu machen. Er gehörte überhaupt nicht zu den Menschen, die anderen entgegenkamen. Im Gegenteil. Sobald er die Möglichkeit dazu hatte, legte er einem Steine in den Weg und versuchte, einen an seine Grenzen zu bringen. Ob er deshalb bei sich selbst immer wieder Grenzen überschritt, um festzustellen, wie weit er gehen konnte? Wie viel er noch aushielt?

  »Deinen Jungvogel«, sagte ich. »Den weißen Raben, um den du dich bisher nicht gekümmert hast. Hast du ihn überhaupt schon mal gesehen?«

  »Nicht dass ich wüsste. Ist er tatsächlich weiß?«

  Er hatte sich wirklich gut unter Kontrolle, das musste man ihm lassen. »Ist das die einzige Frage, die dir darauf einfällt?«, blaffte ich ihn an. »Es geht hier schließlich um dein Kind! Dich sollte vielmehr interessieren, was Wassilij damit bezweckt und wie du verflucht noch mal diesen Jungvogel davor schützen kannst.«

  Sergius gab ein Schnalzen von sich. »Es ist kein Kind.«

  »Nun gut«, gab ich zu. »Es ist nicht menschlich, aber das ändert doch überhaupt nichts daran, dass du dich darum kümmern musst. Du musst den Jungvogel wegschaffen, bevor Wassilij merkt, dass wir gar nicht daran denken, ihn herauszugeben. Mein Gott, Sergius, an deiner Stelle würde ich noch in dieser Minute aufbrechen!«

  »Du bist aber nicht an meiner Stelle«, sagte er kalt. »Auch wenn du es gerne wärst. Wie viel hat Wassilij dir denn für das Vieh geboten?«

  Geld? Sprach er von Geld? In mir kochte eine solche Wut hoch, dass sich meine Nickhaut vor die Pupillen zog und ich ihn mit einem weißen, kriegerischen Blick bedachte. »Ein Leben für ein Leben«, sagte ich. »Meins gegen das des Jungvogels.«

  »Na ja«, machte Sergius. »Im Augenblick hat er dich ja nicht, also kann er dich auch nicht eintauschen.«

  »Begreifst du eigentlich nicht? Das ist nicht bloß eine spontane Idee von ihm. Er will diesen Raben haben! Es ist ihm doch völlig egal, was mit mir ist. Und du musst das Tier schützen.«

  »Gar nichts muss ich.«

  Arwed schaltete sich ein. »Verdammt, Milo und ich haben nicht wochenlang unsere Energie in das Vieh gesteckt und Futter herbeigeschafft, damit wir ihn jetzt wegwerfen. Das kann nicht dein ernst sein, Alexej.«

  »Ich bin der Letzte, der das wirklich will!«

  »Wer denn dann?«

  So einfach war das gar nicht zu beantworten. »Nikolaus ist der Meinung, dass wir es versuchen sollten.«

  »Und Isa?«, fragte Sergius mit einem Seufzen. »Was meint sie dazu?« Das erste Mal zeigte er so etwas wie Interesse. Es war nur eine winzige Spur, die ich auch gar nicht bemerkt hätte, wenn ich nicht auf jede kleine Regung von ihm lauern würde. Und nun sah ich tatsächlich, wie seine Zehenkrallen sich lösten und er auf der Stelle trat. Er blinzelte, und der wache Ausdruck in seinen Augen strafte seinen gelangweilten Tonfall Lügen.

  Wieso interessierte ihn Isabeaus Meinung überhaupt? Sie gehörte nicht zum Schwarm. Genauso wenig, wie er sich für seinen Nachwuchs begeistern konnte, erwartete ich auch, dass Isabeau ihn kaltließ. Doch offenbar war das nicht der Fall, und mit einem mulmigen Gefühl dachte ich daran, dass die beiden stundenlang allein gewesen waren. Nun gut, nicht völlig allein. Soweit ich wusste, war Jaro die meiste Zeit bei ihnen geblieben, und Jaro war es inzwischen gewöhnt, auf Isabeau zu achten und Sergius mit Argwohn zu betrachten.

  Was genau war zwischen den beiden vorgefallen, als sie sich auf die Suche nach mir gemacht hatten? Gab es so etwas wie ein Einverständnis zwischen ihnen?

  Völlig unerwartet spürte ich ein Stechen in der Brust. Es raubte mir nicht gleich den Atem, aber es schraubte sich unaufhaltsam höher, bis ich glaubte, es in meiner Kehle spüren zu können. Als hätte ich einen Knochensplitter im Halse stecken, der sich weder vor- noch zurückbewegte.

  Ich sah dieses Flackern in Sergius’ Augen, das nichts Gutes bedeutete. Er wartete immer noch auf eine Antwort von mir. Sollte ich ihm sagen, dass Isabeau seinen Nachwuchs aus Liebe zu mir opfern wollte? Ich konnte nicht einschätzen, was diese Aussage in ihm provozieren würde. Sergius war nicht zu berechnen. Trotzdem schien zwischen Isabeau und ihm eine unerwartete Verbindung zu bestehen, und das Erschreckende daran war, dass es nach Vertrauen roch. War es möglich, dass ausgerechnet Sergius, der Rabe unter uns, der zu keinem je eine besondere Bindung aufgebaut hatte und auch keinen Hehl daraus machte, wir wären für ihn nur eine reine Zweckgemeinschaft, dass ausgerechnet er Isabeau vertraute? Oder war das wieder nur eines seiner ostentativen Spielchen?

  Dieses Gefühl in meiner Kehle ließ sich weder runterschlucken noch konnte ich es ausspucken. Und wie bitter es schmeckte! Dann wurde mir bewusst, dass es stark an Eifersucht erinnerte. Nutzlose Eifersucht.

  WUTKRUSTE

  ALEXEJ

  »Ist es so wichtig, was Isabeau davon hält?«, fragte ich, und meine Zunge klebte mir dabei am Gaumen fest.

  »Für mich nicht.« Mit einem Schnarren schüttelte Sergius sein Gefieder aus, als wollte er den Schlaf loswerden. Wieder nur ein demonstratives Zeichen einer Langeweile und Trägheit, die ich ihm nicht abkaufte.

  »Aber es ist bestimmt lustig zu beobachten, wie sie sich in ihrer beschissenen Moral windet«, sagte er und klang dabei tatsächlich ehrlich. »In ihrer beschissenen weiblichen Moral.« Er holte tief Luft. »Für sie ist es völlig okay, einen verfickten Mörder zu ermorden, aber nicht einen ach so Unschuldigen. Es ist okay, eine Schlampe zu ficken, aber kein anständiges Mädchen. Es ist okay, einen Jungvogel zu opfern, aber nicht dich. Es ist okay, sich den halben Kopf wegpusten zu lassen, aber nicht, wenn unser hochwohlgeborener Fürst Alexander von einem Habicht am Bauch gekitzelt wird.«

  Sergius hatte sich heißgeredet; etwas, was ihm sonst in meiner Gegenwart noch nie passiert war. Seine ganze Haltung drückte nun Imponiergehabe aus. Seine Federn an Kopf und Hals spreizten sich ab wie scharfe Lanzetten. Nun waren es seine Augen, die beinahe weiß waren, als sich seine Nickhaut darüberzog. Das war nichts, was er kontrollieren konnte. Vermutlich bekam ich das erste Mal den absolut echten und unverstellten Sergius zu sehen.

  Nein. Es gab kein Einverständnis zwischen Isabeau und ihm. Da war nichts außer Fragen. Doch dass Sergius tatsächlich Antworten auf diese Fragen haben wollte, war offensichtlich und etwas, das mich alarmierte. Plötzlich löste er sich vom Ast und hob ab. Ich sah ihm nach, wie er die nächste Fichte anflog.

  »Warte!« Ich stieß hinter ihm her und schloss zu ihm auf, als er wippend landete.

  Er hatte erwartet, dass ich ihm folgte, denn sein Krächzen hörte nicht auf, klang rau und geradezu wild. »Sie will pazifistisch sein, aber trotzdem einen Krieg gewinnen.« Er sprach immer noch von Isabeau.

  »Sie will Tiere schützen und gleichzeitig einen Braten essen.« Jetzt lachte er keckernd. »Dein Weibchen weiß immer noch nicht, was sie wirklich will. Am liebsten ist es ihr, zu den Guten zu gehören, aber sich der Bösen zu bedienen, wenn es ihr in den Kram passt; wenn die Bösen für sie nützlich sind. Und das ist eine beschissene Moral.«

  »Aber das geht uns doch allen so. Unser ganzes Leben quälen wir uns mit der Frage, ob etwas richtig oder falsch ist. Ob das, was wir tun, nicht nur gut für uns, sondern auch für andere ist. Oder ob es nicht sogar anderen schadet.«

  Sergius’ Körper erstarrte mit einem Mal. »Das ist das, was du glaubst, Fürst Mir-hat-man-das-ganze-Leben-über-Sahne-ins-Maul-gelöffelt«, schnarrte er. Und nun klang er nicht einmal wütend, sondern seltsam steif. »Dich quält das vielleicht, aber mir ist das verfickt noch mal völlig scheißegal.«

  »Denkst du nicht manchmal daran, was nach deinem Tod geschieht? Hast du nicht manchmal das Bedürfnis, zu jemandem gut zu sein? Und damit meine ich nicht aus Berechnung, weil du dir einen Vorteil davon versprichst. Hast du in deinem Leben nicht wenigstens ein einziges Mal etwas aus Liebe getan oder aus einem Glauben?«

  »Scheiße«, fluchte Sergius. »Jetzt komm mir nicht mit deinem beschissenen Gott! Ich sage dir eins, Alexej: Dein Gott hat dich und alle anderen an einem einzig
en Tag erschaffen. Aber nicht mich! Mich hat er fallen lassen. So oft, dass nachher nur noch Scherben übrig waren. Ein beschissener Haufen Splitter. Mich hat er nicht bloß an einem Tag gemacht, an mir hat er sich die ganze Woche abgerackert, bis ich diese Narben hatte, die du auf meiner Brust sehen kannst.« Mit dem Flügel schlug er gegen seinen Brustkorb. Sein Gefieder glänzte ebenso metallisch wie seine Augen.

  Wenn einer von uns für dieses Leben als Rabe geboren war, dann er, und wenigstens dafür musste man ihm Respekt zollen.

  »Ich bedaure, was dir passiert ist«, sagte ich. »Kein Mensch sollte so leben, so aufwachsen müssen.« Es fiel mir nicht schwer, mitfühlend zu klingen, denn ich meinte das vollkommen ernst.

  »Oh, der Herr bedauert das«, sagte Sergius. »Sorry, aber auf dein Bedauern lege ich keinen Wert. Spar dir das für deine nächste Beichte. Den Mann, der mir das angetan hat, habe ich nicht einfach so davonkommen lassen. Ich habe ihm sein Maul mit seinem eigenen Schwanz gestopft.«

  Seine obszön brutalen Worte ließen mich zusammenzucken. Heilige Maria, was für ein Leben war das? Und ich glaubte ihm jedes Wort. Sergius hatte im Gegensatz zu mir überhaupt nichts zu verlieren. Er würde irgendwann in seinen Tod rennen, ohne das geringste Bedauern. Vielleicht sogar mit einem Grinsen auf den Lippen.

  »Ich weiß genau, was du jetzt denkst«, krächzte er. »Ja, ich gehöre zum Gesindel, zum Abschaum, aber das pisst mich nicht an. Ich bin ein Spieler, ein Betrüger, ein Dieb; einer, der nichts bereut. Ich bin nicht nur vaterlos, sondern auch gottlos, respektlos. Ich habe keine Ahnung, was es bedeutet, sich um jemand anderen zu sorgen. Und wenn es eins gibt, wofür ich dankbar bin, dann ist es genau das! Ich habe vielleicht kein Gewissen. Aber ich bin verdammt noch mal kein Heuchler. Wenn ich etwas will, dann nehme ich es mir und frage nicht danach, ob es mir zusteht. Ich nehme es mir!«

  Als sein Krächzen verklang, war das, was zurückblieb, eine Stille ohne jede Melodie. Mir schauderte bei dem Gedanken, wie wahr sich seine Worte anhörten. Das war seine Wahrheit. Er würde sich ohne Rücksicht nehmen, was er wollte. Nur wüsste ich gerne, was er eigentlich wollte. Ich richtete mich auf. Selbst in meiner Rabengestalt war ich größer als er, doch wenn er auch an Geist und Körper so viel hatte entbehren müssen – Sergius war stark, wahrscheinlich stärker als wir alle zusammen. Doch ich würde nicht darauf vertrauen, dass er sich an irgendwelche Regeln hielt, weil für ihn keine Regeln galten. Für ihn gab es nur seine Bedürfnisse, seine Befriedigung. Alles andere nahm er nicht einmal wahr.

  »Du solltest besser nichts wollen, was mir gehört«, sagte ich kalt. »Ansonsten werden wir beide feststellen müssen, dass auch ich gewissenlos handeln kann.«

  Jetzt zwinkerte er, und sein Blick wurde wieder klar. In seinem Rabengesicht ließ sich keine Mimik ablesen, doch wenn es einer Regung am Nächsten kam, dann war es ein Lächeln, und ich meinte auch in seinen Augen etwas aufblitzen zu sehen, das mit Humor vergleichbar war. Aber das war Sergius’ Art von Humor, und ich spürte, wie mich eine Gänsehaut überlief.

  »Lass uns den Jungvogel holen«, sagte er unerwartet. »Solange seine Mutter unterwegs auf Nahrungssuche ist.«

  Damit überraschte er mich, aber ich sagte nicht Nein, obwohl ich eigentlich gehofft hatte, dass er sich dagegenstellen würde. Wenn er unbedingt diese perverse Freude ausleben wollte, Isabeau in einem Gewissenskonflikt zu sehen – ich konnte es nicht verhindern, weil es auch mein Konflikt war.

  Wir stießen uns beide zeitgleich ab. Jetzt war ich es, der voranflog. Sergius wusste nicht einmal, wo sich das Nest befand. Ich hingegen hatte es mehrmals aus der Ferne gesehen, es aber nicht angeflogen, um die Rabenmutter nicht in Panik zu versetzen. Sie war daran gewöhnt, dass Jaro und Milo sich abwechselten, Nahrung zu beschaffen, und auch Arwed, was ich bisher nicht gewusst hatte. Der Gedanke, dass sich der Schwarm so verantwortlich gefühlt hatte, erleichterte mich. Wir waren Raben durch und durch, hatten uns trotz allem aber noch genug Menschliches bewahrt, auch wenn wir seit so vielen Jahren im Wald hausten und die Menschen gemieden hatten. Sogar unsere eigenen Verwandten.

  Auf der Fichtenkrone, deren markante Spitze völlig kahl in den Himmel ragte, sah ich Jaro sitzen. Etwa zwei Meter unter ihm befand sich das Nest. Wir waren noch mehrere Ruderschläge entfernt, da entdeckte ich den weißen Flaum, der zwischen den Zweigen klebte. Die Ränder des Nestes waren von außen kotbespritzt, ein paar Knochenreste hingen darin fest, Überbleibsel von Gewölle, ansonsten war das Nest leer.

  Jaro fing mich noch im Flug ab. »Es ist weg. Ich bin sofort los, um als Erstes nach ihm zu sehen, aber da war es schon fort.«

  Einen Fluch unterdrückend landete ich mitten auf dem Nistplatz. Sergius erreichte ihn nur eine Sekunde später.

  »Das Vögelchen ist bereits ausgeflogen.« Es klang spöttisch.

  »Ich kann nicht glauben, dass wir zu spät gekommen sind«, brach es aus mir heraus.

  »Wir sind auch nicht zu spät. Den Vogel hat sich bestimmt niemand anderes geholt«, sagte Sergius, und ich musste ihm recht geben. Der Geruch des Vogels war nur noch schwach ausgeprägt. Das Nest musste bereits seit ein paar Tagen verlassen sein. Und vor ein paar Tagen hatte Wassilij vermutlich noch nicht an diesen Jungvogel gedacht. Und woher er überhaupt davon wusste, war mir ohnehin schleierhaft. »Wann war die Mutter das letzte Mal am Nest?«, fragte ich Jaro.

  »Seitdem wir in Český Krumlov waren, kann ich dir das nicht genau sagen. Aber ich habe auch nicht mehr nach dem Jungen gesehen. Mann, Aki, das stand auf meiner Prioritätenliste nicht besonders weit oben, nachdem sie dich verschleppt hatten. Es ist schließlich schon so groß, und die Mutter kam mit dem Nachschub inzwischen auch allein zurecht.«

  »Ich mache dir ja keinen Vorwurf«, wandte ich ein, wurde aber von Sergius unterbrochen.

  »Was für eine beschissene Überwachung ist das eigentlich? Kriegst du sonst überhaupt was auf die Reihe? Ich fass es nicht. Jetzt können wir den ganzen Nationalpark nach einem weißen Kolkraben absuchen. Zum Kotzen ist das.« Sergius stieß sich ab und schoss durch die Bäume davon. Sein plötzlicher Wutausbruch passte so gar nicht zu ihm, und er kam mir auch nicht echt vor. Fast schien es, als spielte er ihn nur, um Jaro zu kritisieren, den er von Anfang an abgelehnt hatte.

  Jaro schrumpfte trotzdem vor meinen Augen zusammen. »Er ist ein solcher Arsch.«

  Ja, das war er, da gab ich Jaro uneingeschränkt recht. Aber leider ein Arsch, von dem zu viel für mich abhing.

  FOTOFALLE

  ISABEAU

  »Wir können das unmöglich der Versicherung melden.« Lara schüttelte eindringlich den Kopf, woraufhin Marek sie über den Rand seiner Lesebrille streng anblickte.

  »Sollen wir den Schaden etwa aus eigener Tasche bezahlen? Du weißt genau, dass wir uns das nicht leisten können.«

  Die beiden diskutierten bereits seit mehr als einer Stunde, was wegen der abgebrannten Hütte unternommen werden sollte. Marek wollte den Brand der Versicherung melden, weil es schließlich aufgrund des altertümlichen Ofens auch ein Unfall hätte sein können. Lara war strikt dagegen. Ihr machte die Sorge zu schaffen, dass man den Brand genauer untersuchen könnte.

  »Alexej hat keine Brandbeschleuniger verwendet, außer die Grillanzünder, die Isa eh immer für den Ofen genommen hat, das hat er mir gesagt. Was also sollen sie schon groß finden?«

  »Reicht es nicht, dass es überhaupt einen Brand gegeben hat? Sie könnten doch auch Reste von den Rabenkrähen finden. Womit willst du das erklären? Was ist denn mit den Fördergeldern, die uns zur Verfügung stehen? Vielleicht können wir etwas davon abzwacken.«

  »Ausgeschlossen!« Mit einer gereizten Geste raufte sich Marek durch das schüttere Haar, wodurch es nur noch mehr abstand, als es das ohnehin schon tat, und ihn aussehen ließ wie einen wütenden Kobold.

  Ich fand es schrecklich, dass die beiden sich deswegen stritten. Schließlich war es gewisserweise auch meine Schuld. Innerlich hatte ich bereits meinen Notizblock gezückt und ausgerechnet, was sich noch auf meinem Sparbuch befand. Es war nicht allzu viel, hätte aber zumindest meine Miete für die nächsten sechs Monate abgedeckt, wenn ich nicht hier bei Lara und Marek ohnehin für Ko
st, Logis und einem Taschengeld arbeitete. Außerdem brauchte ich so gut wie nie etwas extra. Ich hatte genug Klamotten im Schrank (obwohl ich genau genommen nun keinen Schrank mehr besaß), und mein Mobilfunkvertrag war äußerst günstig. Was brauchte ich denn sonst zum Leben?

  »Ich bezahle euch den Schaden«, sagte ich.

  Marek und Lara waren so vertieft in ihren Disput, dass sie meinen Einwand erst gar nicht hörten. »Ich bezahle die Hütte«, wiederholte ich.

  »Was?« Beide fuhren mit demselben genervten Ausdruck im Gesicht zu mir herum.

  »Ich habe gesagt, dass ich den Schaden bezahle. Auf meinem Konto habe ich knapp viertausend Euro. Okay, das wird keine Luxushütte, aber zumindest können wir damit den Schutt wegräumen lassen. Und vielleicht kann Janosch ja auch die Schreinerarbeiten übernehmen. Wenn es nur das Material ist, wird das bestimmt nicht so teuer. Und das Fundament ist doch noch zu gebrauchen, oder?« Als ich ihre ungläubigen Blicke sah, plapperte ich schnell weiter. »Ich weiß, ich bin nicht übermäßig begabt in solchen Dingen, aber ich könnte Janosch und Filip bei allem helfen. Und eventuell wäre auch der Schwarm bereit –«

  »Das kommt überhaupt nicht infrage!«, wiegelte Lara gleich ab. »Du brauchst das Geld noch für dein Studium. Da fällt mir ein, dass dein Vater schon seit ein paar Tagen versucht, dich zu erreichen. Hast du dein Handy gar nicht an? Er hat uns auf den Anrufbeantworter gesprochen.«

  Auweia. Das war außerdem ein Punkt, den ich ihnen gegenüber dringend ansprechen musste. »Die Sache ist die«, begann ich vorsichtig, »dass mein Studium wohl … eher … nicht so drängt. Also jetzt nicht mehr.«

  »Was soll das heißen?« Mareks Augenbrauen gingen in die Höhe und formten sich zu zwei Dächern, wie ich sie sonst malte, wenn ich beim Telefonieren reimend auf einen Block kritzelte. Das ist das Haus vom Nikolaus, und nebenan vom Hampelmann. Und das Dach von diesem Haus – é voila – Mareks viel zu streng aussehende Augenbrauen. Zwei Dreiecke. Bösartige Dreiecke, um genau zu sein.

 

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