Rabentod (Rabenblut Serie 2) (German Edition)
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Jaro schloss die Zimmertür ab, und Alexej und ich liefen auf Zehenspitzen durch den Flur und in einen angrenzenden Salon. Er machte kein Licht, und so ließ ich mich von ihm an der Hand führen. Ich lauschte nur auf seine gedämpften Schritte und genoss es, von ihm durch das Zimmer geleitet zu werden. Auch wenn ich sonst gerne voranging und es überhaupt nicht mochte, dirigiert zu werden, manchmal war es einfach schön, sich führen zu lassen. Zwischen uns gab es keine Machtspiele darüber, wer den Ton angab. Ich konnte genauso gut darauf verzichten wie Alexej. Meine Hand fest in seiner, würde ich ihm überallhin folgen, und ich war mir sicher, dass er auch mir folgen würde.
BLAUTON
ALEXEJ
In dieser Nacht lagen wir wach. Wir sprachen über das Rabenmädchen und Sergius, der sich davongemacht hatte. Wir sprachen von den Jägern und schmiedeten Pläne, die wir gleich wieder verwarfen. Es wäre völlig idiotisch gewesen, beispielsweise Wassilij zu täuschen, indem wir einen anderen weißen Raben schickten. Das hätte uns vielleicht über ein paar Tage gerettet, jedoch nicht länger.
»Wenn wir nur wüssten, was er sich von Ewa verspricht.« Ich küsste Isabeaus Nacken. Sie hatte sich auf die Seite gerollt, ihr nackter Rücken schmiegte sich an meine Brust. »Du könntest vielleicht deinen kleinen Zauberkasten benutzen«, sagte ich und grinste.
»Mein Smartphone?«
»Seit wann sind Mobiltelefone eigentlich so wahnsinnig interessant? Das war doch früher nicht so. Ich habe acht Jahre nur als Rabe gelebt und komme in eine Welt voller Zombies zurück, die nur auf ihre Geräte starren. Aber zu irgendwas muss das ja gut sein. Ich erzähle dir von Wassilijs Symptomen, und du findest über das Internet eine Lösung.«
»Das können wir uns schenken«, gab sie zu und ihre Schultern zuckten vor unterdrücktem Gelächter. »Die Antwort ist immer Krebs.«
»Tatsächlich? Wie einfallslos.«
»Aber es ist wirklich so. Selbst wenn du bloß Kopfschmerzen eingibst, landest du zwangsläufig irgendwann bei einem Gehirntumor. Im Prinzip kann man sich den Umweg über das Internet sparen und gleich Selbstmord begehen, um den Schmerzen zu entgehen. Denn es werden Schmerzen kommen.«
»Schmerzen, ja?« Ich biss sie in die Schulter und sorgte so dafür, dass sie sich zu mir umdrehte.
»Große Schmerzen«, bekräftigte sie lächelnd, dann wurde sie plötzlich ernst. »Und du denkst, dass es etwas mit den Untersuchungen zu tun hat, die Wassilij bei dir angestellt hat?«
Ich nickte. »Ich wusste schon immer, dass mein Blut etwas Besonderes ist, aber offenbar steckt da noch mehr dahinter. Wenn er wirklich krank ist, wovon ich fest überzeugt bin, dann verspricht er sich vielleicht etwas davon. Das ist jetzt nur eine Hypothese, aber stell dir vor, in Ewas Rabenblut – und vielleicht in unser allem – wäre etwas enthalten, das er für seine Genesung brauchen könnte?«
»Kommt mir arg konstruiert vor«, sagte sie, aber ihrem unsicheren Auflachen war deutlich anzumerken, dass sie das keineswegs völlig abwegig fand.
Ich musterte sie und hatte auf einmal das untrügliche Gefühl, dass sie etwas vor mir verbarg. Nicht dass sie mich anlog, so weit wollte ich nicht gehen, aber sie hing Gedanken nach, die sie nicht auszusprechen wagte. Vielleicht würden genau diese Gedanken es sein, die zwei Puzzlestücke miteinander verbanden.
»Du bist doch daran gewöhnt, wissenschaftlich an etwas heranzugehen«, sagte ich. »Eine Fähigkeit, um die ich dich wirklich beneide, nebenbei bemerkt. Was könnte es sein, das in meinem Blut enthalten ist und für einen kranken Mann von Interesse wäre? Irgendwelche Antikörper? Vielleicht haben wir, ohne es zu wissen, eine Immunität gegen bestimmte Erreger?«
Jeder meiner Sinne war darauf ausgerichtet, etwas zu erfassen, und sei es auch nur, dass ihr Puls sich beschleunigte und sie ihre Hände versteckte, was mir verriet, dass sie auch etwas anderes vor mir versteckte. Sie hatte zwar ihre Mimik im Griff, aber ihren Puls konnte sie nicht beeinflussen. Ebenso wenig wie ihre Pupillen, die sich nun zusammenzogen, weil ich offenbar eine Frage gestellt hatte, die sie auf irgendeine Art bedrohte.
»Das … wäre vorstellbar«, gab sie zu.
Das Thema schien ihr wirklich unangenehm zu sein. »Vielleicht trifft aber auch genau das Gegenteil zu?«
»Du meinst, nichts, das heilt, sondern etwas, das krank macht?«, fragte ich verblüfft. Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen. »Aber was könnte Wassilij mit diesem Wissen anfangen?«
Isabeaus Finger nestelten am Saum der Bettdecke. »Ich habe wirklich keine Ahnung. Doch wieso beginnt er, euch medizinisch genau zu untersuchen, wenn er euch doch eigentlich umbringen will? Möglich, dass ihm das eine Antwort bringt, wie er euren Tod noch leichter bewerkstelligen kann? Vielleicht ist in eurem Blut die Schwachstelle zu finden, nach der er immer gesucht hat?«
»Die Ferse des Achilleus«, flüsterte ich und nickte.
»Ich weiß, dass du dich für diese griechischen Sagen interessierst«, sagte sie und entspannte sich sichtlich. Dieses Terrain schien ihr offenbar ungefährlich. »Wir haben im Deutschen dafür aber das Nibelungenlied. Da war es nicht die Ferse, sondern eine Stelle zwischen Siegfrieds Schultern, die verwundbar war, weil sich ein Lindenblatt daraufgelegt hatte, bevor er im Drachenblut gebadet hat.« Ihre Finger tasteten über mein Rückgrat nach oben. »Ziemlich genau an der Stelle, wo du dein Rabentattoo hast.«
»Ich kenne diese Sage. Siegfried konnte deshalb auch die Sprache der Vögel verstehen.« Meine Mundwinkel verzogen sich zu einer Grimasse.
»Komischer Zufall, oder? Hätte ich diese Sage noch einmal gelesen, wäre mir bestimmt früher aufgefallen, was für ein ungewöhnlicher Mann du bist.« Jetzt lächelte sie. »Danke, dass du mein Buch gerettet hast.«
Trotz dieses abrupten Themenwechsels wusste ich gleich, wovon sie sprach. »Ich hänge ebenso daran wie du.«
»Warum hast du eigentlich ausgerechnet diese Stelle markiert?«
Sie hatte es also schon gesehen. Warum nur war ich überrascht? Ich wusste doch, dass Isabeau viel zu neugierig war. Natürlich war es ihr sofort aufgefallen.
»Weil es …« Ich stockte. Das war eigentlich kein Geheimnis und nicht wirklich schwer zu beantworten, trotzdem scheute ich davor zurück.
»Aus demselben Grund, warum wir jetzt nicht mehr länger nur reden sollten.«
Ich küsste sie, weil ich ihr nicht gestehen wollte, welchen infernalischen Gedanken ich nachhing. Der Tod war mir allgegenwärtig. Und es war nicht einmal tragisch. Nur dass ich jetzt mein Leben so genoss wie noch nie zuvor. Noch vor einem Jahr wäre es mir leichter gefallen zu gehen. Noch vor einem halben. Aber jetzt nicht mehr.
»Weil es meine größte Angst bei jedem Kuss von dir ist, dass es der letzte sein wird und mir nur die Erinnerung bleibt.«
Ihre Augen wirkten viel zu groß in ihrem Gesicht, als sie mich ansah.
»Erschreckt dich das?«
Sie schüttelte den Kopf, sagte aber laut: »Ja.«
»Mich auch.«
Und dann küssten wir uns wieder, und als ich ihre Zunge spürte, die Feuchte ihrer nachgiebigen Lippen, da hallte dieser Kuss wie ein wortloser Gesang in meinem Kopf wider. Blau, unendlich blau war mir. Und ihr Atem löste sich in vollen Mollakkorden in meiner Brust auf.
Kurz darauf lag ich auf ihr. Ohne mich in ihr zu bewegen, genoss ich einfach nur diese Hitze, die mich umfasste. »Deine Stimme ist celloblau, wusstest du das?«, fragte ich sie, und gleichzeitig schalt ich mich einen Idioten, weil sie das natürlich nicht verstehen würde. Wie sollte sie auch wissen, dass mir alle Töne Farben waren und umgekehrt alle Farben einen Laut hatten? Wie oft hatte Nikolaus mich deshalb schon aufgezogen?
»Und du magst Celloblau?«, wollte sie wissen. Da war kein Spott in ihren Augen, wohl aber ein humorvolles Aufblitzen.
»Ein wenig, ja«, neckte ich sie. Ich begann mich in ihr zu bewegen, um mehr von diesem Celloblau zu hören. »Es ist dunkel und ruhig und gleichzeitig erregend.«
»Wie die Vokalise?«, keuchte sie atemlos.
Dass sie das nicht vergessen hatte! Meine Mundwinkel zogen sich ganz automatisch nach oben. »Ganz genau wie die Vokalise. Und jedes Mal, wenn ich ein Seufzen von dir hö
re, dann zieht es blaue Kreise. Konzentrische Kreise, als würde ich einen Stein ins Wasser werfen. Der Mittelpunkt bleibt gleich, aber die Ringe werden immer größer und größer.«
»Okay«, raunte sie. »Ich hab’s schon kapiert.«
Ich musste lachen. Und dann, weil ihr Blick auf einmal seltsam starr wurde, fragte ich: »Sag bitte nicht, dass du mich deshalb für verrückt hältst.«
»Das tue ich gar nicht. Nur …« Sie hielt inne. »Hast du das auch gehört?«
»Ich konzentriere mich ausschließlich auf dich, falls es dir entgangen sein sollte. Nein, ich höre nichts anderes.« Jetzt hatte sie mich doch so weit, dass ich lauschte.
»Nicht einmal dieses verfluchte Kratzen höre ich.«
Wir lösten uns voneinander, und das fiel mir nicht gerade leicht. »Dieses verfluchte Kratzen am Fenster. Wer auch immer es ist, er wird das bereuen«, zischte ich und half Isabeau, die Decke über sich zu ziehen, bevor ich aus dem Bett sprang.
Wir hatten nicht einmal die Vorhänge zugezogen, und ich hoffte ernsthaft, dass sich da nur eine Fledermaus verirrt hatte, von denen hier wahrlich genug Exemplare herumschwirrten. Innerlich grollend näherte ich mich dem Fenster. Das Schaben wurde heftiger, und in mir braute sich eine dunkle Vorahnung zusammen.
Der Riegel ließ sich ganz leicht drehen, und schon in der nächsten Sekunde krächzte es dunkel, als ich den Fensterflügel nach innen zog.
Milo.
Er flatterte auf der Stelle, dann krallte er sich Halt suchend am Rahmen fest. Sein Oberkörper bewegte sich rhythmisch vor und zurück, als er sein dumpf tönendes »Kraa« ausstieß. Immer wieder. Die Bedrohung war selbst für Isabeau deutlich herauszuhören, denn sie schlang sich die Decke um den Körper und trat hinter mich. »Sie kommen, oder?«, fragte sie alarmiert.
Milos Kopf wippte bei jedem Ausstoß.
»Ich befürchte, du hast recht. Sie sind bereits auf dem Weg hierher. Wie weit sind sie noch entfernt, Milo? Wie viel Zeit bleibt uns noch?«
Er krähte energisch, dann stieß er sich vom Fensterrahmen ab und segelte in die Dunkelheit. Ich schob das Fenster zu und versuchte, meine Gedanken zu sammeln, bevor ich ihre Frage beantwortete.
»Er meint, maximal noch eine Stunde. Eher weniger.«
Isabeau holte tief Luft. »Ich bin noch nicht so weit.«
»Hast du gedacht, sie würden warten, bis wir ausgeschlafen sind und gut gefrühstückt haben?« Meine Stimme klang bitter.
»Ich bin trotzdem noch nicht so weit«, wiederholte sie.
»Du wirst sie auch nicht zu sehen bekommen. Ich treffe mich mit den anderen im Innenhof, und du wirst mit Ewa zum General gehen und dich mit den beiden irgendwo verbarrikadieren. Am besten in der Bibliothek. Wir haben ein Alarmsystem wegen der Kunstschätze. Es ist aktiviert. Sollte jemand versuchen, mit Gewalt einzudringen, wird automatisch ein Notruf abgesondert.«
»Gott sei Dank«, sagte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Da muss ich dich leider enttäuschen. Das Erste, was ich jetzt mache, ist, diesen Alarm auszustellen. Trotzdem werden sie den Teufel tun und dort eindringen.«
Sie sah mich an, als wäre ich nicht ganz bei Trost. »Wieso um Himmels willen willst du den Alarm abstellen? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.«
»Isa«, begann ich und merkte, dass sich in meinem Brustkorb Unwillen anstaute. Sie verstand einfach nicht, dass ich keine Hilfe bekommen würde, ohne mich vollständig auszuliefern. »Ich bin ein Rabe, Isabeau! Ein Rabe!« Meine Stimme wurde immer lauter. »Ich kann die Polizei nicht verständigen, verstehst du das denn nicht? Ich … Es dürfte mich eigentlich gar nicht geben.« Mit beiden Fäusten schlug ich gegen die Wand und presste meine Stirn an die kratzige Tapete. Als ich ihre Hand viel zu sanft und tröstend auf meiner Schulter spürte, stieß ich mich ab.
»Und sie suchen nach mir! Das ist genau das, was Wassilij bezweckt hat, als er mich dazu brachte zu fliehen. Jeder gottverdammte Polizist in diesem Land hat inzwischen ein Bild von dieser Überwachungskamera. Jeder gottverdammte Polizist weiß, wie der Rabe auf meinen Schultern aussieht.«
GÄNSEHAUT
ISABEAU
Daran hatte ich nicht gedacht, und die Intensität, mit der Alexej mich erinnerte, zog mir den Boden unter den Füßen weg. Sein Haar fiel ihm zerzaust in die Stirn, und seine Augen leuchteten wie Kobaltglas. Er klang verzweifelt, und das machte mir mehr Angst als alles andere. Keine Polizei. Söldner, die bewaffnet und viel zu gut ausgerüstet waren, befanden sich auf dem Weg zu uns, und es war keine Hilfe zu erwarten.
Kurz blitzte der Gedanke in mir auf, dass es eventuell das kleinere Übel für Alexej wäre, sich der Polizei zu stellen, dann könnten wir wenigstens das Kind in Sicherheit bringen. Aber Mord? Sollte er für einen Mord ins Gefängnis gehen, den er nicht begangen hatte? Oder öffentlich machen, dass er ein Rabe war, der wiederum von Raben abstammte? Ich wollte mir gar nicht erst ausmalen, welche Konsequenzen das nicht nur für ihn, sondern auch für alle anderen Familien des Schwarms hatte.
»Ich wecke Jaro und schicke die Kleine dann zu dir«, sagte Alexej. »Glaubst du, dass du mit dem General fertig wirst?«
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich gegen seine Großmutter keine Chance hatte. Falls sie sich also querstellen würde, dann konnte ich nur hilflos zusehen. War Lara schon äußerst energisch und willensstark – gegen Alexejs Oma hätte selbst sie schlechte Karten. Mit mir würde sie kurzen Prozess machen. Laut sagte ich aber: »Wir werden schon zurechtkommen. Mach dir um uns keine Gedanken. Wenn es hart auf hart kommt, habt ihr doch bestimmt so was wie eine Waffenkammer hier, oder?« Es war als Scherz gemeint, und Alexej grinste, wenn auch nur gequält.
»Haben wir tatsächlich. Ich befürchte nur, die Gewehre sind alle an der Wand befestigt. Der Draht ist nicht kaputt zu kriegen. Dürfte auch ziemlich mühsam sein, sie zu laden. Sergius hatte leider recht, wir hätten die Pistole doch besser behalten sollen.« Alexej schlüpfte hastig in seine Hosen und knöpfte sich sein Hemd zu.
Das meinte er bestimmt nicht ernst, aber sicher war ich mir nicht.
»Gibt es hier eine Küche?«
»Hast du Hunger?« Jetzt griente er. »Zweite Tür neben dem Eingang der Wohnung.« Als ich nichts darauf erwiderte, fügte er hinzu: »Aber die Jagdmesser und Hellebarden findest du im Rittersaal.«
»Hör auf, dich über mich lustig zu machen. Ich will mich nur irgendwie verteidigen können.«
»So Gott will, wird das gar nicht nötig sein.« Er hatte den zweiten Schuh zugebunden und lief zur Tür.
Mir kam unweigerlich Sergius’ Aussage in den Sinn, dass er nicht an Gott glaubte, sondern nur an seinen eigenen Arsch. Und gerade in diesem Moment war mir das unheimlich sympathisch. Ich würde jedenfalls nicht ergeben auf mein Schicksal warten und beten, wenn es drauf ankam.
»Kommst du noch einmal zurück?«, fragte ich und ärgerte mich gleichzeitig, dass ich so eine Heulsuse war, die schon wieder die Tränen zurückhalten musste. »Küss mich«, bat ich und schluckte. »Küss mich, denn bald schon müssen wir dies Paradies verlassen, und dann wird alles anders, und du gehst fort.«
Alexej erstarrte in der Bewegung. Seine Hand, die schon die Klinke heruntergedrückt hatte, rutschte daran herunter. Ich wollte es ihm wirklich nicht so schwer machen, aber was, wenn ihm etwas zustieß? Dann wäre dies der letzte Augenblick zwischen uns gewesen.
Mit wenigen Schritten war er bei mir und umfasste mein Gesicht mit beiden Händen. »Küss mich und umarme mich«, zitierte er die Stelle weiter, und viel zu kurz berührten sich unsere Lippen.
Isa, nicht heulen! Jetzt bloß nicht heulen!
Dann war er durch die Tür, doch ich erlaubte mir nicht eine Sekunde der Schwäche. Dafür war später noch Zeit. Die Bettdecke warf ich aufs Bett. In Windeseile schlüpfte ich in meine Unterwäsche und streifte mir die Jeans über. Darüber mein Langarmshirt. Irgendwo hatte ich verflucht noch mal ein Haargummi. Auf dem Nachttisch herumtastend fand ich es endlich und band mir die Haare zusammen, bevor ich in meine Stiefel schlüpfte und den Reißverschluss hochzog. Vom Flur her waren Geräusche zu hören.
Das musste Jaro sein.
Ich riss die Tür auf, da knip
ste er schon die Lampe im Salon an. Sein Haar war völlig wirr und seine Augen so groß wie Untertassen. Mit Entsetzen dachte ich daran, dass er genauso zum Schwarm gehörte und sich unten im Hof aufhalten würde, sobald die Söldner kamen. Aber Jaro war erst fünfzehn.
»Schläft Ewa noch?«
Er schüttelte den Kopf. Seine Kehle war sicher staubtrocken, denn er leckte sich nervös über die Lippen und schluckte. »Sie ist dabei, sich … Also so genau weiß ich auch nicht, was sie da macht. Ist in etwa so, als würde sie sich ihr Gefieder putzen.« Es klang völlig hilflos. »Nur dass sie …« Mit der Hand machte er eine undefinierbare Geste über seinem Kopf.
Er kam mir so entsetzlich jung vor, dass ich spontan beschloss zu lügen. Ich war eine miserable Lügnerin, aber wenn eine Lüge auf fruchtbaren Boden fällt, dann kann sie – selbst wenn sie von mir kommt – geglaubt werden.
»Alexej hat mir gesagt, dass du dich mit Ewa und dem General in der Bibliothek einschließen sollst. Du darfst auf keinen Fall in den Hof, hörst du?«
Jaro nickte hastig. In seinem Blick lag Erleichterung. Er wollte mir glauben, und genau deshalb nahm er mir meine Worte ab, auch wenn sie alles andere als selbstsicher klangen.
»Sie kommen nur, um sich Ewa zu holen. Und ich bin sicher, sie kümmern sich keinen Deut darum, ob einer von uns dabei draufgeht.«
Das dachte ich wirklich.
»Das Einzige, was also zählt, ist, dass ihr in Sicherheit seid, und du bist der beste Mann dafür zu sorgen. Ich gehe jetzt zu Alexejs Großmutter und wecke sie. Drück mir die Daumen, dass sie mir nicht den Kopf abreißt.«
»Viel Glück.« Jaro zog zweifelnd die Schultern in die Höhe.
Ich zählte die Türen, die vom Flur abgingen. Nachdem ich Bad und Küche ausgeschlossen hatte, blieben nur noch zwei weitere Zimmertüren übrig. Ich wollte die alte Dame nicht zu Tode erschrecken, deshalb machte ich kein Licht, sondern öffnete die Tür nur so weit, dass der Schein vom Flur weit genug hereinreichte, um festzustellen, ob es ihr Schlafzimmer war. Dummerweise erwischte ich mit dem ersten Zimmer natürlich das falsche. Ich hatte nicht gewusst, dass sich ein Mann hier aufhielt, und sog erschrocken die Luft ein, als dieser mit einem Räuspern auf sich aufmerksam machte.