002 - Free like the Wind
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Sex wird ohnehin völlig überbewertet. Es ist einfach eine Form von Spaß, ein Ausblenden der Realität, ein paar Stunden, in denen man sich nur auf den Körper eines anderen konzentriert – spontan fällt mir nichts ein, wo Geben und Nehmen sich so großartig die Waage halten. Im optimalen Fall haben beide was davon, und man kann es wiederholen, bis es entweder langweilig wird oder Gefühle dazwischenkommen. Warum man meint, sich in jemanden verlieben zu müssen, nur weil man mit ihm schläft, werde ich nie kapieren.
Chase wohnt im Westwing Tower in einem hellen, weitläufigen Studio mit einem spektakulären Blick auf Edmontons Downtown District. Allzu viele Studenten gibt es hier nicht, und nach dem Gesichtsausdruck des Portiers in der feudalen Empfangshalle zu schließen, wäre er froh, würde im Westwing ein allgemeines Studentenverbot herrschen. Sein Lächeln bleibt höflich, doch es wirkt ein bisschen eingefroren, als er mich unter Zuhilfenahme eines Schlüssels mit dem Lift hinauf ins richtige Stockwerk schickt, bemüht, dabei die Whiskyflasche in meiner Hand zu übersehen.
Sobald sich die Türen des Aufzugs wieder öffnen, dröhnen mir Musik und die Stimmen vieler Menschen entgegen, die dagegen anbrüllen. Die Tür zu Chase’ Wohnung steht sperrangelweit offen, und jede Menge Leute drängen sich in dem mit dunkelblauem Teppich ausgelegten Vorraum herum. Gegenüber wohnt die ungefähr hundert Jahre alte Mrs. Roberts mit ihren Pudeln, zurzeit befindet sie sich allerdings in Europa. Besucht dort ihren Sohn, hat Chase erzählt und die Gelegenheit sofort genutzt, seine Partys noch etwas ausschweifender zu gestalten.
Mrs. Roberts hört zwar kaum noch etwas, ihre Hunde dafür aber umso besser, und wenn die zu heulen beginnen, hämmert kurz darauf der Portier gegen Chase’ Apartmenttür. Er muss hämmern, um sich überhaupt bemerkbar zu machen, seinem Gesicht dagegen ist nicht der Hauch von Unwillen anzumerken, wenn er überaus ruhig und höflich darauf hinweist, dass Mrs. Roberts darum bitte, den Geräuschpegel zu reduzieren. Chase verspricht alles und kümmert sich anschließend einen Scheiß darum.
Dass Chase’ Partys noch nie durch die Polizei aufgelöst worden sind, dürfte mit der Tatsache zusammenhängen, dass seinem Vater der Westwing Tower gehört. Kein Wunder also, dass Mrs. Roberts es vorzieht, wochenlang bei ihrem Sohn zu wohnen.
«Cay, hi!» Diane schlingt einen Arm um meinen Hals, kaum dass ich mich zwischen den eng beieinanderstehenden Grüppchen zur Tür hineingeschoben habe, und drückt mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie wieder loslässt.
«Hallo, Diane.» Wo Diane ist, sind normalerweise auch Stella und Kaylee. Beide haben es mir noch nicht wirklich verziehen, dass ich Jackson vor einigen Monaten von einer Aktion erzählt habe, die gegen Haven gerichtet war und die Kaylee mir gebeichtet hat, während wir noch etwas miteinander hatten.
Diane hakt sich bei mir unter. «Wie geht’s dir so? Kann es sein, dass du kaum noch in der Uni auftauchst?»
«Wie kommst du denn darauf?»
Suchend blicke ich mich nach Chase um. Der Anstand gebietet es, zumindest mal Hallo zu sagen, bevor ich mich an seinen Alkoholvorräten vergreife. Nicht nur auf der hohen Kücheninsel drängen sich Bitter Lemon und Tonic Water neben Gin, Wodka und Whisky, sondern auch auf der dahinterliegenden Arbeitsfläche stehen die Flaschen dicht an dicht, und ich wette, der Kühlschrank ist ebenfalls gut gefüllt.
«Was macht Jax so?», fragt Diane. «Kommt er auch noch?»
Ich beuge mich näher zu ihr, um sie besser zu verstehen, und stelle dabei meinen Whisky neben einen Tequila. «Der hatte keine Lust.»
Sie nickt nur, als habe sie nichts anderes erwartet. Hat sie vermutlich auch nicht.
«Wo ist Chase?», rufe ich.
«Keine Ahnung. Zuletzt war er auf dem Balkon, schau doch da mal nach.»
Gläser scheint es nirgendwo mehr zu geben, und nach einem Blick in den Kühlschrank mache ich mich mit einem Bier in der Hand auf die Suche nach Chase.
«Wir sehen uns bestimmt noch», ruft Diane mir hinterher.
Fast alle Gesichter hier sind mir bekannt, und nach links und rechts Grüße austauschend, arbeite ich mich bis zu dem riesigen Balkon vor, der sich die komplette Hauswand entlangzieht. Getöntes Glas trennt an beiden Enden Chase’ Anteil von dem seiner Nachbarn, und es ist voll genug, um mich hier draußen eine halbe Minute lang in der beginnenden Dämmerung nach ihm umzuschauen, bevor ich ihn inmitten einer bereits ziemlich feuchtfröhlichen Gruppe entdecke.
«Cay! Hi! Wie läuft’s, voll im Prüfungsstress?»
«Immer, und selbst?»
«Hab nur noch zwei Referate, kein Problem.»
Das ist nicht ganz richtig. Chase muss sich durch die meisten Kurse durchkämpfen, und ich persönlich würde mich niemals von ihm vertreten lassen, sollte es ihm tatsächlich jemals gelingen, sich bis zum Anwalt vorzuarbeiten. Trotzdem grinse ich jetzt nur und lasse mein Bier gegen sein Glas klirren, wobei ich einen genaueren Blick auf die Gruppe werfe, aus der Chase gerade einen Schritt herausgetreten ist. Ein paar Typen aus unserem Semester, noch einer in Motorradjacke, den ich nicht kenne und der sich bereits jetzt so in Schräglage befindet, dass er sich schwer auf den Schultern der Frau neben ihm abstützen muss.
Die Frau habe ich ebenfalls noch nie gesehen. Sie ist ziemlich attraktiv. Gute Figur, schlank, der tiefe Ausschnitt verspricht einiges. Ein dunkler Bob umrahmt ihr schmales Gesicht, ihr Alter ist schwer zu schätzen. Älter als ich auf jeden Fall … vielleicht Ende zwanzig? In diesem Moment wirkt sie ein wenig genervt, was wohl mit dem Kerl zusammenhängt, der an ihr hängt wie ein fettes Faultier. Trotzdem schätze ich, dass die beiden nicht zusammen sind, denn sogar im Suff hält der Typ seine Hände von bestimmten Körperteilen fern, und ich schließe mit mir selbst eine Wette ab, wie lange sie sich noch als Klammerhilfe zur Verfügung stellt, nachdem sie jetzt mitbekommen hat, dass ich sie bereits ein paar Sekunden zu lang mustere. Wenn sie ihn abschießt, wäre das doch schon was – warum erst die halbe Party durchkämmen?
«… schon gesehen?»
«Bitte?» Chase’ Frage ging an mir vorbei.
«Ob du Kaylee schon gesehen hast? Sie hat mich gefragt, ob du auch kommst.»
«Vermutlich nur, damit sie weiß, ob sie mir aus dem Weg gehen muss.»
Chase erwidert mein Grinsen, schüttelt aber den Kopf. «Mach dich lieber darauf gefasst, dass sie reden will.»
Darauf erwidere ich nichts. Unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
«Frauen, die reden wollen …» Der Motorradjackentyp beginnt zu lachen. «Pass bloß auf. Worüber will sie denn mit dir reden, hä?»
Ich mustere ihn nur und nehme einen Schluck aus der Flasche. Der bekäme eine Antwort selbst dann nicht sortiert, wenn ich mir die Mühe machen würde. Die Frau neben ihm hebt die Schulter an und schüttelt ihn mit einer kurzen, harten Bewegung ab. Der Kerl beginnt zu schwanken, Chase bekommt ihn zu fassen, bevor er der Länge nach hinschlagen kann. «Suchen wir dir einen anderen Platz, okay? Irgendwo, wo du dich hinsetzen kannst», sagt er und verdreht dabei die Augen in meine Richtung. «Vielleicht im Fahrstuhl auf dem Weg nach unten», fügt er halblaut hinzu.
«Wer ist das überhaupt?», frage ich zurück.
«Keine Ahnung.»
Den noch immer vor sich hin lachenden Typen mitschleifend, drängt er sich zum Balkoneingang durch.
«Hi übrigens», lenkt die Frau meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. «Ich bin Tessa.» Sie lächelt mich auf eine Weise an, bei der die anderen Typen mir kurz zunicken, bevor sie beschließen, sich woanders umzusehen.
«Hi, Tessa. Ich bin …»
«Cayden. Hab schon von dir gehört. Nur Gutes, natürlich.»
«Beruhigend.» Ich lehne mich gegen die Balkonbrüstung, beide Ellbogen gegen die oberste Metallstange gestützt. «Was gibt es denn so über mich zu hören?»
«Du bist arrogant, nimmst nichts ernst und verlässt dich völlig auf dein gutes Aussehen. Außerdem bist du gefühllos, zynisch, oberflächlich und schießt die Frauen reihenweise ab – einmal im Monat opferst du eine Jungfrau.»
«Letzteres stimmt nicht.»
«Nur das Letzte?»
Ich leere die Flasche und lasse sie zwischen zwei Finger
n locker am Hals baumeln. «Gibt’s auch irgendwas über mich zu hören, das nicht ganz so gut ist?»
«Du sollst ziemlich begnadet im Bett sein.»
«Das ist natürlich furchtbar.»
«Ja, insgesamt eine ziemlich schreckliche Kombination.» Tessa tritt einen Schritt auf mich zu, nimmt mir die Flasche aus der Hand und stellt sie achtlos zu ihren Füßen ab. «Du hast Glück.»
«Inwiefern?»
«Dass mich das alles ziemlich anmacht.» Sie lächelt herausfordernd, und ich überlege nur kurz. Vor mir steht eine Frau, die quasi auf den Punkt gebracht hat, worauf sie sich mit mir einlässt, und die ebenso deutlich gemacht hat, dass sie sich gern darauf einlassen würde. Außerdem sieht sie heiß aus – das könnte doch der Beginn einer neuen, wunderbar oberflächlichen Beziehung werden. Als ihr Mund sich dem meinen nähert, bevor ich selbst die Initiative ergreifen kann, bin ich nur einen Moment lang überrascht, dann lege ich ihr eine Hand in den Nacken. Ihre Lippen öffnen sich sofort, und sie schließt dabei nicht die Augen.
«Wir könnten eigentlich direkt wieder gehen», murmelt sie.
Okay, so etwas habe selbst ich bisher nur ein paar Mal erlebt – und das war immer in Filmen. Aber irgendwoher müssen die Filmemacher ihre Inspirationen ja haben. Ich lege Tessa eine Hand auf den Rücken und dirigiere sie Richtung Tür.
«Cay – wo willst du … nicht dein Ernst, oder?», ruft Chase, während Tessa mich einfach weiterzieht. «Das ist ein neuer Rekord!»
«War eine nette Party», erwidere ich und quittiere seinen hochgereckten Daumen mit einem kurzen Kopfschütteln. Aber er hat ja recht. Das geht sogar mir fast zu schnell – ich werfe einen Blick auf Tessas Hintern, über den sich der kurze, enge Rock spannt.
Fuck, nein.
Bereits im Fahrstuhl schiebt sie beide Hände unter mein Hemd, ihre warmen Finger streichen über meinen Oberkörper, kratzen leicht über die Brustwarzen, und als ihre Nägel mit sanftem Druck meinen Rücken wieder hinunterwandern und sie sich dabei gegen mich presst, bedaure ich es, dass Chase’ Wohnung sich lediglich im siebzehnten Stock befindet.
«Du bist mit dem Wagen da?», raunt Tessa mir ins Ohr.
«Bin ich.»
«Der steht in der Tiefgarage, nehme ich an?» Das Lächeln auf ihren Lippen ist nicht schwer zu dechiffrieren.
Der Portier wartet bereits auf uns, als die Türen des Aufzugs sich öffnen. «Sie möchten zu Ihrem Wagen, Sir?», fragt er und kann dabei nicht verhindern, dass sein Blick über Tessas Ausschnitt gleitet.
«Will er», erwidert Tessa grinsend und greift mir direkt in den Schritt. In dieser Sekunde nur kaum merklich zusammenzuzucken, gehört zu meinen persönlichen Bestleistungen.
Ihre Hand liegt noch immer zwischen meinen Beinen, während der Lift sich schließt und seinen Weg nach unten wieder aufnimmt, und ihr Griff wird in dem Moment ein winziges bisschen fester, in dem sie mit der Zunge über meinen Hals fährt.
«Steht dein Wagen auch hier?», will ich wissen, als die Türen sich zur muffigen Kühle der Tiefgarage hin öffnen, und höre selbst, dass meine Stimme ein wenig heiser klingt.
«Ich bin mit Anthony gekommen», erwidert Tessa. «Wo steht dein Auto?»
Anthony. Okay – keine Ahnung, wer dieser Anthony ist, aber ich spanne niemandem die Freundin aus, selbst wenn diese wild darauf zu sein scheint. «Seid ihr zusammen?»
«Nein, er ist nur ein Freund.» Das letzte Wort betont sie auf eine Art, bei der ich mir zusammenreime, dass Tessas Freunde sie ähnlich gut kennenlernen dürfen wie mich meine Freundinnen. Das Geräusch ihrer Absätze hallt von den grauen Betonwänden wider.
Mein Wagen steht in einer Nische, das Licht der Neonröhren wird von einem Kombi auf der einen und einem Mercedes auf der anderen Seite weitestgehend abgeschirmt. Der Porsche scheint zwischen den beiden wuchtigen Gefährten mit den Schatten zu verschmelzen.
Ich öffne Tessa die Beifahrertür, und als ich einen Moment später selbst einsteige, lässt sie an ihrem Zeigefinger etwas Schwarzes vor meiner Nase hin und her schwingen, das ich erst auf den zweiten Blick als Slip erkenne. Unwillkürlich gleitet mein Blick über ihren engen Rock, und mit einem Ruck bringe ich die Innenbeleuchtung des Wagens zum Erlöschen, indem ich die Tür hinter mir schließe.
Im Lichtstreifen der flackernden Neonröhren schiebt Tessa das Stückchen Stoff in ihre Tasche und öffnet den Knopf meiner Hose. Ich packe ihr Handgelenk und erledige alles Weitere selbst. Kondome habe ich dabei, kurz spanne ich die Muskeln an, während ich mir die Hose samt Shorts von den Hüften streife. Dann zieht Tessa ihren Rock nach oben, legt ihr Bein über meine Oberschenkel und lässt sich auf mir nieder.
Es wird ein schneller, harter Fick, genau das, was wir beide wollen. Danach sackt sie zusammen, umschlingt meinen Hals mit beiden Armen und legt ihren Kopf auf meine Schulter. Minutenlang sitzen wir so da, meine Hände noch immer auf ihrem Hintern. Ich kann spüren, wie jeder meiner Muskeln sich weiter und weiter entspannt, und gleichzeitig kriecht das seltsam leere Gefühl in mir zurück, breitet sich in mir aus, bis nichts mehr von der Befriedigung, die der Sex hervorgerufen hat, übrig ist.
Tessa bewegt sich. «Übrigens bin ich mit Miles zusammen», murmelt sie und lacht leise. «Aber wir führen eine offene Beziehung – er würde dich mögen, garantiert. Sehr sogar. Er steht auf Typen, die aussehen wie du.»
Einige Sekunden verstreichen, in denen ich das soeben Gehörte einsortiere, und als mir das gelungen ist, fühle ich mich nicht nur ausgehöhlt, sondern auch noch irgendwie … benutzt.
4.
Rae
Es ist Freitagabend, gerade habe ich geistesabwesend die letzte Popcorntüte gefüllt und stelle sie beiseite. Haven hat mir da eine Idee in den Kopf gesetzt, die ich einfach nicht mehr loswerde. In den letzten Tagen habe ich immer wieder darüber nachgedacht, und während ich jetzt meinen Platz hinter der Theke verlasse, um die Tür des Phoenix aufzuschließen, grübele ich einmal mehr darüber nach. Mittlerweile habe ich gedanklich eine halbe Tour ausgearbeitet, nur ich und ein Rucksack, mit dem ich mich quer durch den Jasper National Park durchschlage, jeden Tag mindestens zwanzig Meilen laufe, abends irgendwo mein Zelt aufstelle und über absolut nichts mehr nachdenke. Kein Mensch, mit dem ich mich unterhalten müsste, niemand, der etwas von mir erwartet, und sollte es mir zu einsam werden – was ich mir gerade nicht vorstellen kann –, rufe ich eben Haven an.
Die ersten Leute warten draußen bereits, vor der Kasse bildet sich direkt eine kurze Schlange. Ich verkaufe Tickets und Schokoriegel, Popcorn und Cola, ohne dass mein Gedankenstrom dabei wirklich abreißen würde.
Ich könnte mir danach den Banff National Park vornehmen. Erst einmal quer durch Jasper, dann Banff. Das Einzige, was ich vorab klären müsste, wäre, ob Philippe für mich nur einen Ersatz einstellen oder mich gleich komplett ersetzen würde. Aber selbst wenn Letzteres geschähe – es ist nur ein Job. Will ich mein ganzes Leben lang in einem Kino arbeiten und bei meinen Eltern wohnen?
Eben.
Vielleicht wäre das der Tritt, den ich offenbar benötige, um mein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Natur im Übermaß soll doch sehr heilsam sein, oder? Ich könnte Yoga unter Bäumen machen, im sonnenwarmen Moos, eingesprüht mit genügend Insektenabwehrmittel, um dabei nicht von Kriebelmücken aufgefressen zu werden.
Bliebe allerdings das Problem, das Ganze irgendwie meiner Mutter schmackhaft zu machen. Sie würde vermutlich eher mitkommen, als mich eine solche Aktion allein durchziehen zu lassen, und in ihren Rucksack würde sie nicht nur ihr geliebtes Bärenspray packen, sondern auch Handfeuerwaffen, eine Machete und eine Bärenfalle.
Nein, Blödsinn. Sie würde es mir ausreden, ganz einfach. Mich an meinem schlechten Gewissen packen und mich überzeugen, dass mein Wunsch, den Jasper National Park zu durchwandern, ohnehin nur eine Art fixe Idee ist, etwas, woran ich mich gerade aufrichte, aber das ich nicht wirklich ernst meine.
«Hi. So sieht man sich wieder.»
Ich muss nur kurz nach seinem Namen kramen. Dunkle Haare, Schönling, nasser Fleck auf einem Kinositz. Igitt. Zane. Der Typ vor mir heißt Zane, und er ist ein Idiot. Heute hat er seine Freundin zu Hause gela
ssen.
«Einmal möglichst weit hinten bitte und außerdem eine mittlere Popcorn und eine Cola. Schön, dich wiederzutreffen.»
«Große, kleine oder mittlere Cola?», entgegne ich.
«Groß, natürlich.»
Er grinst, während er mir einen Schein rüberreicht, und er grinst immer noch, als er das Wechselgeld in Empfang nimmt. Außerdem ist er tatsächlich so dreist, dabei völlig offensichtlich meine Finger zu streifen.
«Viel Spaß», sage ich, ein Automatismus, für den ich mich in Zanes Fall unmittelbar darauf selbst verfluche, denn sein Grinsen verbreitert sich sogar noch. «Danke, den werde ich hoffentlich haben.»
Heute läuft The Fog – Nebel des Grauens aus dem Jahr 1980, und ich könnte mir vorstellen, dass Zane dieser Film besser gefällt als Sommersby.
Die Vorstellung ist nicht besonders gut besucht, kaum die Hälfte des Saals ist besetzt, und nach dem Film leert es sich, noch während der Abspann über die Leinwand flimmert. Die Süßigkeitenständer sind für morgen bereits aufgefüllt, und die Popcornmaschine ist geputzt, während ich darauf warte, dass auch die Nachzügler verschwinden, damit ich aufräumen kann. Es gelingt mir nur gerade eben so, nicht mit den Augen zu rollen, als Zane sich aus der Reihe derer herauslöst, die zum Ausgang laufen.
«Der war nicht schlecht», erklärt er, als sei seine Meinung für mich irgendwie von Bedeutung. «Überraschendes Ende. Und die Musik war gut.»
«Mh.» Ich gebe mir keine Mühe, Interesse zu heucheln, wieso auch. Er soll einfach gehen.
«Hast du den Film gesehen?»
«Schon vor Ewigkeiten.»
«Und wie hat er dir gefallen?»
«Weiß ich nicht mehr.»
«Welche Filme magst du denn so?»
Okay. Ich atme aus. So langsam ist mal Klartext angesagt. Höflicher Klartext, denn Philippe ist heute im Vorführraum. «Zane, ich muss hier arbeiten.»
«Halte ich dich ab?»
Der letzte Besucher hat vor wenigen Sekunden die Schwingtür hinter sich zufallen lassen, und Zane steht mittlerweile als Einziger noch immer im Vorraum. Man sollte meinen, er könnte sich diese Frage also selbst beantworten.