Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm

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Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm Page 24

by Peter Singewald


  Alle Städte, die irgendeine Bedeutung hatten, wurden mehr oder weniger von Priestern kontrolliert. Die Einwohner hielten dies für die natürliche Ordnung. Aber Enk kannte die Clanburgen, wo Priester nur Vorbeter waren und ihre Pflichten erfüllten. Die Priester von Sonne und Schwert wurden in seinem Heimatland nicht geduldet. Deshalb war er immer sehr erstaunt gewesen, die Priester in fast allen Städten an der Macht zu finden.

  In seinem Gewerbe jedoch verbrachte man viel Zeit mit Zuhören und Verstecken, oft an Orten, wo man wiederum gut zuhören konnte. So hatte er eines Tages einen Hohen Priester dabei beobachtet, wie er nicht zu seinem Gott betete, sondern unverhohlen einem Drachen huldigte. Seitdem war ihm klar gewesen, wer wirklich die Städte regierte.

  Yalamari hingegen, eine von zwei Städten mit einer Bibliothek in diesem Landstrich, hatte, genau wie ihre Konkurrentin, einen starken Rat, dem es immer wieder gelang, die Priester zu zügeln. Sie hatte einige der besten Schulen und eine fortschrittliche Landwirtschaft in ihrer Umgebung. Enk glaubte nicht an Zufälle. Es waren bisher nur Indizien, keine echten Beweise, aber für ihn wurde immer klarer, dass Shaljel Githon hier seine Finger im Spiel hatte. Er trieb die Städte an, sich von den Drachen zu lösen. Wer weiß, was er noch so anstellte.

  Aber was bedeutete das für seinen Auftrag? Nun, Enk hatte Prioritäten. Die erste war seine Familie. Und damit war klar, dass gleichgültig sein musste, welche Motive sein Auftraggeber hatte oder was er von seinem Opfer hielt. Er hatte Kinder, Frauen und Krüppel ermordet. Wenn er die Gelegenheit bekäme, dann würde er auch den Feen ohne Mitleid oder Bedauern töten.

  Zu wissen, was das Opfer motivierte, half aber dabei, mögliche Schwächen zu finden. Aber noch wichtiger, ließ sich damit vielleicht auch sein Aufenthaltsort ausmachen.

  Zehn Tage später war Enk in Langasa, der anderen Stadt mit einer Bibliothek. Er fand das Bild bestätigt, welches er sich in Yalamari gemacht hatte, zumindest insoweit, dass hier ähnliche Hinweise zu finden waren, wenn es denn wirklich Hinweise waren.

  Inzwischen hatte er Meister Infarn in einer kleinen Gaststube zurückgelassen und war mit Ramsan wieder herausgekommen, einem eigenwilligen, etwas kauzigen aber liebenswerten Wanderarbeiter. Ramsan konnte viel trinken, ein paar unanständige Lieder singen und erweckte bei allen den Eindruck, als würde er von Mitgefühl überschäumen. Ramsan, oder jemanden ähnlichen gleicher Natur, verwendete Enk oft, wenn er mit den Menschen der Straße und der Dörfer in Kontakt treten wollte, obwohl Ramsan es wohl anders ausgedrückt hätte.

  „... und weißt du, was er dann getan hat?” Ramsan sah den bierseligen Mann mitleidig an und schüttelte sanft den Kopf.

  „Er hat meinen ... meinen ... du weißt schon ... meinen Beutel, meinen Beutel mit den Münzen, ja Münzen, einfach in die noch glühende Esse gelegt.”

  „Jeh, dass is ja nun man nich recht, ne, nicht recht is sowas. Was haste denn dann jemacht, Mann.”

  „Was sollte ich schon ... schon tun, ne? Ich hab die Zange genommenen, und dann bin ich, ja dann bin ich so auf ihn los. Ich hät‘ ihn auch gekricht, hätte ich ihn. Aber die anderen haben mich festgehalten.”

  Mit solchen oder ähnlichen Gesprächen hatte Enk oder vielmehr Ramsan den halben Tag vertan. Wäre er als Enk hier gewesen und nicht als der etwas dumme Wanderarbeiter, den er gerade zu sein vorgab, dann hätte er dem betrunkenen Dummkopf schon längst einige unangenehme Wahrheiten auf die eine oder andere Weise beigebracht. Aber Ramsan hörte sich das alles an. Manchmal fragte er, nur ganz wenig und sehr allgemein, wenn sein Gegenüber sich an ihn gewöhnt hatte.

  „Und dann biste von Maranal glich hierher jekommen? Mann, da haste aber nen weiten Wech jemacht?”

  „Nö, ich, nö weißt du, ich bin erst bis Fasanal. Aber da, da war nichts los. Ne, nichts los. Haben alle Angst vor Fremden. Immer noch. Dabei sind die kleinen, die Hutzler schon 'n Jahr nich mehr da gewesen, ne. 'N Jahr nich.”

  „Mann, die habn Anchst vor den Hutzlern in Fasanal? Kann ich nich jlauben, Mann.”

  „Wenn ichs doch sach. Haben 'n paar Wachen umgebracht, heißt es. Deswegen düfen die nich meh rein.”

  „Du meinst, wie in Rakjahm.”

  „Rak-was? Nie gehört. Kenn ich nich.”

  „Liecht am Meer. Da ham die Hutzler mal de Wache aufjemischt, bis n Drache was jesacht hat.”

  „Nö, am Meer war ich noch nich. Das is doch ewich weit wech, ne?”

  In Enks Kopf begannen sich plötzlich die Überlegungen zu überschlagen. Er hatte damals die Sache in Rakjahm miterlebt. Die Priester hatten ihn beauftragt, Beweise gegen einen unliebsamen Ratsherrn zu finden. Enk hatte es schließlich so aussehen lassen, als wenn der recht junge Mann ein Feenling gewesen wäre. Er hatte sich die Hinrichtung nicht angesehen. Sinnloses Quälen war nicht nach seinem Geschmack und er Folterte nur, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab.

  Die Priester wollten ihn nach dieser kleinen Gemeinheit, die sie ziemlich teuer gekommen war, noch zu einer weiteren Sache verpflichten. Aber schließlich war sein Preis für sie dann doch zu hoch gewesen, selbst damals schon, und sie hatten ein paar der besseren Raufbolde ihrer Stadt angeheuert. Die meisten waren anscheinend dabei gestorben, weil sie ihr Ziel, eine kleine Gruppe Hutzler, die Handel in der Stadt getrieben hatten, unterschätzt hatten. Enk hatte es nicht gesehen, aber die entsetzte Reaktion in der Stadt mitbekommen, als die Wachen zurückgekommen waren, die die Hutzler verfolgt hatten. Sie hatten tatsächlich behauptet, sie wären einem Drachen begegnet, und alle hatten ihnen geglaubt, mit Ausnahme der Priester. Es war ihm damals schon etwas seltsam vorgekommen, denn niemand hatte einen Drachen heran- oder fortfliegen sehen. Aber damals hatte er noch nicht von der Verbindung zwischen Priestern und Drachen gewusst, sonst wäre ihm zu diesem Zeitpunkt schon bewusst gewesen, dass das, was die Wachen gesehen hatten, kein Drache gewesen sein konnte.

  Oder vielleicht hatten sie doch einen Drachen gesehen, aber es war keiner gewesen.

  Was hatte sein Auftraggeber gesagt? Shaljel würde die Gestalt wechseln und meist als Hutzler auftreten? Enk fluchte innerlich. Wie dumm von ihm, anzunehmen, der Feen würde sich sonst in Menschen verwandeln. Kein Wunder, dass die Drachen erbost waren.

  „... wasn los? Haste mich nich gehört?”

  „Wasn, Mann, ich hab nich zujehört, hab wohl zu viel jesoffen.”

  „Verträgst gar nichs, was?”

  Enk klopfte ihm noch auf den Arm, bezahlte und schwankte aus der Taverne. Jetzt galt es, jemanden zu finden, der einen Kampf mit Shaljel überlebt hatte, oder, wenn das nicht half, einen Hutzler, obwohl er nicht glaubte, dass man etwas aus ihnen herausbringen konnte, sonst hätten es die Drachen und Priester sicher schon lange getan. Aber vielleicht musste er nicht so weit gehen, wenn er den richtigen Priester in die Hände bekam. Aber zuerst nach Fasanal.

  *

  Die Menschen machten sich keine Vorstellung von der Zeit, die vergangen war, seitdem die Ra-ula sie erschaffen hatten. Damals hatten sie noch keine Schrift, keine Aufzeichnungen, und alles, was sie aufgeschrieben hätten, wäre in den langen Kämpfen zerstört worden. Die Menschen machten sich auch keine Vorstellung von den Ausmaßen der Vernichtung, die der Krieg zwischen den Ra-ula auf der einen und den Drachen und Feenlingen auf der anderen Seite angerichtet hatte. Wenn sie dachten, ein Drache, der in aller Ruhe eine Stadt mit seinem Feuerodem in Schutt und Asche legte, wäre furchtbar, so fehlten ihnen die Worte, sich ein Geschwader von hundert Drachen begreiflich zu machen, das gegen einen Feind anflog, unter denen es einige gab, die es allein mit Ihnen aufnehmen konnten.

  Aber auch die Ra-ula starben und schließlich begannen die wenigen, die übriggeblieben waren und tatsächlich noch an den Sinn des Krieges glaubten, ihre Fähigkeiten nicht mehr direkt gegen ihre Feinde einzusetzen, sondern Monstren zu züchten, die an ihrer statt kämpften. Die meisten dieser Monstren waren durch Klaue oder Klinge, Feuer oder Zauber getötet worden, und das war gut so. Aber einige hatten all dies und auch jene Jahrtausende überlebt, die für die Menschen so unwirklich waren, weil ihr Verstand sie nicht begreifen konnte.

  *

  Das Wesen, das seit langer Zeit in di
esem Erdloch gelegen und geschlafen hatte, erwachte langsam aus seiner Starre. Seine Gedanken, wenn man denn wirklich von Gedanken sprechen konnte, waren von seinem Hunger und seinem Wunsch zu jagen bestimmt. Es war gerissen und wäre es zu Sprechen in der Lage gewesen so hätte es von sich behauptet, dass es schlau sei. Die einzigen Laute, die es jedoch hervor bringen konnte, waren ein zischen, nicht besonders laut, und ein etwas lauteres grunzen der Zufriedenheit. Diejenigen die es erschaffen hatten, hatten es nicht für notwendig erachtet, ihm eine Stimme zu geben, genauso wie sie es nicht für notwendig erachtet hatten, sein Gesicht vollständig auszuformen, den Haarwuchs auf dem Körper zuzulassen oder auf die genaue Zahl von Fingern, Zehen und Zähnen zu achten. Sie hatten sich jedoch über die Form von Zehen und Zähnen sehr wohl Gedanken gemacht. Kurz und mit harten, langen Klauen besetzt waren die Finger, lang und spitz die Zähne, von denen es nicht nur eine Reihe, wie bei seinem Vorbild, oder zwei Reihen, wie bei einige Raubtieren, sondern ganze vier Reihen besaß.

  Es streckte seine beiden Arme, so gut es in dem Erdloch möglich war. Dann streckte es seine beiden Beine. Noch einen Moment, dann würde es beginnen sich ein wenig herauszugraben, nicht zu weit, denn es spürte noch keine Beute in der Nähe. Aber wenn es erst einmal heraus kam, dann würde es sich ganz ausstrecken, bis es aufrecht stand. Dann würde man es auf einige Entfernung wohl für einen Menschen halten können. Aber wenn man näher kam, würde man unwillkürlich den viel zu breiten Mund sehen. Oder es würde das fehlende Geschlecht auffallen. Oder vielleicht auch die kahle, gräuliche Haut. Die Augen waren jedoch das sicherste Anzeichen dafür, dass dieses Wesen kein Mensch war. Sie waren, wie der Mund, viel zu groß und orange vom einen Rand zum anderen. Neben den Augen viel es nur noch wenigen Menschen auf, dass das Wesen keine Nase besaß. Auch diese war seinen Erschaffern nicht wichtig gewesen. Sie hatten das Wesen mit etwas besseren ausgestattet, einem Sinn für die Seele einer Person. Hatte es erst einmal die Seele gespürt, würde es sie bis zu seinem Lebensende wiederfinden, gleichgültig, wo sie sich befand. Und es würde nicht zögern, mit der Suche zu beginnen. Und wenn es die Seele gefunden hatte, würde es dafür sorgen, dass sie sie nicht mehr spüren musste, denn nichts hasste es mehr, als diesen Sog zu spüren, den eine fremde Seele auf es ausübte.

  Man brauchte schon einen besonderen Verstand, um eine Kreatur mit einem solchen Fluch zu erschaffen.

  Das Wesen erinnerte sich kaum mehr daran, wie es zum ersten Mal den Ruf zum Schweigen gebracht hatte, obwohl es in seiner Starre ab und zu einige angenehme Träume davon gehabt hatte.

  Seine Meister, vor denen es vor so langer Zeit geflohen war, hatten es einmal angeblickt und es hatte den Ruf gehört. Es war losgesprungen und die Tore waren vor ihm aufgeflogen. Es war gerannt und gerannt, mal auf zwei Beinen, mal mit Hilfe der Arme. Schließlich, nach Tagen und Nächten des ständigen Rennens war es endlich zu einer Festung gekommen. Ein großer Erdwall, mit Rampe und zwei Palisadenringen. Es war früher Morgen gewesen und die Wachen hatten ihn schnell erblickt. Sie hatten es gerufen, aber es war nur weiter nach oben gerannt, bis es an der Palisade angelangt war. Als es über das Holz hinüber geklettert war, waren plötzlich Dinge auf es zugeflogen und hatten es getroffen, aber alles war einfach an der dicken Haut abgeprallt. Die Rufe waren lauter geworden, bis das Wesen endlich oben angelangt war. Einige Menschen waren herumgerannt und hatten nach ihm geschlagen. Das Wesen hatte sich nicht darum gekümmert, außer es hatte sich jemand zwischen ihn und den Ursprung des Rufs gestellt. Zwei Hiebe mit den Klauen oder auch nur ein Biss waren normalerweise genug, um den Weg frei zu bekommen. Irgendwann war keiner mehr im Weg gewesen und das Wesen war in ein Haus eingedrungen, wo ein alter Mann gesessen hatte. Er hatte sich kaum gewehrt. Der Ruf war leiser geworden und schließlich verklungen. Nun erst hatte das Wesen den salzigen Geschmack im Mund geschmeckt. Ein anderes verlangen war plötzlich erwacht. Es war leicht, diesem Verlangen nachzukommen. Mit seinen kräftigen Händen begann es, den Körper des Menschen aufzureißen und Gliedmaßen zu zerbrechen, bis es schließlich durch einige Knochen gestoßen war und das Herz herausholen konnte. Erst, als es das Herz in der Hand gehalten hatte, war auch dieses Verlangen gestillt gewesen. Achtlos wurde das Herz in eine Ecke geworfen und das Wesen hatte die Hütte verlassen.

  Auf dem Weg zurück zu seinen Meistern hatte es noch zweimal den Ruf vernommen. Der Ursprung war jedoch jedes Mal gleich in der Nähe gewesen.

  Bald darauf stellte sich dem Wesen niemand mehr in den Weg. Es schien, als wenn sie wüssten, was geschehen würde. Oft versuchte der Ursprung wegzulaufen, was die Jagd jedoch nur verlängerte aber niemals dazu führte, dass das Wesen aufgab. Solange der Ruf erscholl, gab es niemals auf.

  Die Menschen nannten das Wesen deshalb nur den Verfolger, denn es verfolgte sie sogar noch in ihren Träumen.

  Und dann war der Tag gekommen, als der Meister verschwand und ein neuer Meister kam. Das Wesen wusste nicht, was geschehen war, doch plötzlich hatte es keinen Sinn mehr darin gesehen, nach einer Jagd wieder zurückzukehren. Der Ruf war noch ein paar Mal erklungen, von selbst, und es hatte ihn zum Verklingen gebracht. Aber schließlich war es vorbei gewesen. Kein Ruf mehr, keine Meister, um zu ihnen zurückzukehren. Nichts.

  Der Verfolger hatte zuerst auf einer Lichtung gestanden, schließlich in einem Busch, unter einem Baum. Irgendwann hatte er sich gesetzt, schließlich hingelegt. Und dann war alles schwarz geworden.

  Aber jetzt war es wieder hell.

  *

  Zwei Wochen hatten sie benötigt, um vom Tempel, in dem Owithir diente, über die Dörfer zum Versteck der Magier zu gelangen. Wären sie so schnell geritten, wie Asandarun es gewollt hatte, dann wären sie wohl drei Tage früher hier eingetroffen. In diesem Fall wären die Priester jedoch allein gewesen, denn die Söldner hätten nicht mithalten können.

  Hätte Owithir es nicht schon vorher gewusst, spätestens am Ende des Rittes wäre er sich sicher gewesen, dass Asandarun ein ehrgeiziger, gewissen- und rücksichtsloser Priester war. Owithir zweifelte nicht daran, dass er bei der ersten Gelegenheit, die ihm sicher genug erscheinen würde, einen Priester über ihm in der Hierarchie verunglimpfen würde, um seinen Platz einzunehmen. Niedere Priester ignorierte er entweder oder strafte sie mit Verachtung, so wie er es mit Traldanka, dem Akolythen, tat. Jurgandiha hingegen trat er jovial gegenüber auf. Aber unter dieser Jovialität konnte Owithir deutlich die Vorsicht und Verschlagenheit spüren. Die beiden Inquisitoren umgarnten sich, prahlten, schmeichelten und taten alles, um den anderen als Verbündeten für spätere Zeiten zu gewinnen, immer in dem Bewusstsein, dass der andere ähnliche Ziele hatte, die nicht mit den eigenen vereinbar waren. Und beide konnten ihn, den Gottbegnadeten, nicht in ihre in langen Jahren entwickelten Schemata einpassen, weswegen sie ihn mal wie einen Gleichgestellten, mal wie einen niederen Priester, den es zu fördern galt, behandelten.

  Erst in der zweiten Woche der Reise hatte Owithir schließlich begriffen, dass ihm dies nicht unerhebliche Macht über die beiden Priester gab, wenn er sich denn vorsichtig verhielt. Meist überließ er den beiden Älteren die Führung und ritt mit Traldanka etwas weiter hinten. Nachdem der Akolyth begriffen hatte, dass Owithir nicht willkürlich seine Gaben einsetzte, war er mutiger geworden. Sie führten lange Gespräche, in denen Owithir den Jungen immer wieder auf die Probe stellte, ohne dass jener es bemerkt hätte. Er kitzelte Traldankas Glaubensgrundsätze aus ihm heraus, seine Lebensgeschichte, seine Sorgen, seine Ängste und vor allem seine Ungewissheit, wie es mit der Priesterschaft stand. Immer wieder ließ er Andeutungen darüber einfließen, dass etwas nicht stimmte mit ihrem Glauben und mit dem, wie die Gläubigen ihn sahen, vor allem die Priester von Sonne und Schwert. Einmal, abends, als sie rasteten, wagte Traldanka tatsächlich seinen Meister zu fragen, warum die Menschen vor ihnen flohen.

  Er fragte nie wieder. Besonders, nachdem Owithir ihm noch einmal eingeschärft hatte, dass er mit solchen Äußerungen vorsichtig sein sollte. Vielleicht, dachte er bei sich, konnten sie etwas bewegen, wenn sie langsam selbst in der Hierarchie aufstiegen und andere Priester überzeugten. Es war einer der ersten hoffnungsvollen Gedanken, der seit langen
Jahren in Owithir aufgestiegen war.

  Aber jetzt waren sie seit einer Woche an ihrem Ziel. Zuerst waren sie durch das Dorf hindurch geritten, um sich einen Überblick zu verschaffen. Dann, als sie sich sicher waren, dass sie nicht mehr beobachtet wurden, hatten sie Späher ausgesandt, die die gesamte Umgebung auskundschaften sollten. Ihr Lager war gut verborgen und Owithir hoffte, dass sie nicht irgendeinen Fehler machten, so dass einer der Dörfler sie finden würde. Denn Asandarun hatte bereits durchsickern lassen, dass er gewillt war, das ganze Dorf zu besetzen, zu foltern und notfalls niederzubrennen, wenn es nötig wurde. Es dauerte dem Inquisitor bereits zu lange, und Owithir musste ihm zumindest insoweit zustimmen, dass mit jedem Tag das Risiko größer wurde, entdeckt zu werden. Außerdem fegte der Herbstwind die Blätter von den Bäumen und machte den Wald licht, so dass ihr Versteck immer schwerer aufrecht zu erhalten war. Von der Kälte gar nicht zu reden.

  „Ich hatte mir diese Mission anders vorgestellt.” Auch diesen Abend saß Traldanka mit Owithir etwas abseits der Inquisitoren.

  „Wie hattest du es dir denn vorgestellt?”

 

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