Auf der letzten Reise war Owithir mit einer Leibwache allein gereist. Man hatte ihn für eine Befragung gebraucht, so hatte es geheißen. Was er jedoch hatte tun müssen, war Menschen im Geheimen zu belauschen. Obwohl er damals nicht begriffen hatte, worum es gegangen war, hatte sein Bericht die erleuchteten Priester, die ihn dazu angefordert hatten, nahezu in Verzückung versetzt. Inzwischen hatte er eine sehr deutliche Vorstellung davon, was damals vorgefallen war, aber die Zeit war lange vorbei, als ihn das noch erschüttert hätte.
Auf dieser Reise waren sie so schnell geritten, wie Owithirs magere Reitkünste es erlaubt hatten. Die Welt war an ihm vorbeigeeilt und seine Gedanken waren nur darauf gerichtet gewesen, einfach auf dem Bataga sitzen zu bleiben. Auch wenn er zu Fuß unterwegs gewesen war, hatten sich seine Gedanken immer nur mit dem Weg und seiner eigenen Unzulänglichkeit beschäftigt. Aber diese Reisen waren jetzt ebenfalls schon lange vorbei.
Nun war die Gabe Aemavheas zur vollen Blüte gelangt und seine Reitkünste genügten, dass er sich nicht ständig mit dem Tier und den Zügeln beschäftigen musste. Diesmal hatte er die Zeit und auch die Kraft, seine Umgebung wahrzunehmen.
Und was er spürte, gefiel ihm nicht. Er wusste inzwischen, dass die Priester der großen Tempel nicht überall beliebt waren, da sie streng und gewissenhaft ihre Aufgaben versahen. Dass die Menschen jedoch flohen, sobald sie sie sahen, stimmte ihn nachdenklich. Denn es war nicht Furcht, die sie verspürten und was sie in die Häuser trieb. Furcht war nicht schlimm, Furcht konnte sogar hilfreich sein. Denn mit Furcht war man oft vorsichtiger als ohne. Was er jedoch spürte war pure Angst, nicht selten vermischt mit Hass.
Owithir hatte schon oft Angst und Hass in den Kammern gespürt. Die beiden Priester, die sich der Gefangenen annahmen, hatten sie immer wieder ausgetrieben. Hier draußen jedoch war der Hass überall verteilt und er würde nicht verschwinden, sobald sie weiter geritten waren. Diese Gefühle saßen tief und Owithir konnte ahnen, warum sie die Priester der Tempel und ihre Schergen hassten und ihrer voller Angst flohen.
Aus diesem Grund sah er den fliehenden voller Mitleid hinterher.
Erst als er dem Priester eines Dorfes, in dem sie die Nacht verbringen würden, gegenüberstand, begriff Owithir, dass es nicht nur das gemeine Volk war, welches die Priester der Tempel fürchtete. Selbst die niederen Priester der kleinen Dörfer hatten Angst vor ihnen.
Die Priester der großen Tempel waren allein in der Welt. Sie bestimmten über nahezu alles, was die Drachen außerhalb ihrer Kontrolle duldeten, aber sie taten es nur noch für sich.
Er diente einem Gott, der nur noch für die Priester da war.
Der Priester des Dorfes hieß Joimon. Er war ein bescheidener und stiller Mann, ganz anders als die Priester der Tempel. Owithir mochte ihn sofort, denn bis auf die Angst, die jeder vor ihnen hatte, konnte er nur Güte und Fürsorge in ihm spüren. Nun war es an Owithir, sich zu fürchten, denn so viel Hingabe bedrückte ihn, weil sie ihn an seine eigene Unzulänglichkeit erinnerte. Joimon tat alles, um seinen Gästen mit seinen bescheidenen Mitteln einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Im Laufe der Nacht las Owithir deutlich in seinen Gedanken, dass er allerdings fürchtete, dass die Gier der Soldaten sein Dorf in eine Hungersnot treiben würde. Owithir hatte es nicht lesen wollen, er schämte sich, dass er es getan hatte, aber Joimons Seele hatte seine Sorge dermaßen herausgebrüllt, dass Owithir sich wunderte, warum niemand anderes es gehört hatte. Er sprach darüber mit Asandarun. Auch wenn er von vornherein wusste, dass der Inquisitor wohl der falsche für ein solches Gespräch war, musste er einfach mit jemandem sprechen.
„Was meinst du? Sollen wir etwa unsere Wachen hungern lassen?“ Asandarun machte sofort den Anschein, als sei er von den Worten Owithirs beleidigt worden. Die Wut, die von ihm ausstrahlte, bestätigten Owithir diesen Eindruck nur.
„Nein, so habe ich es doch nicht gemeint. Aber die Menschen dieses Dorfes haben nicht viel und wenn wir wieder gehen, werden sie noch weniger haben.“
„Und was können wir dagegen tun? Es ist ihre Pflicht, ihre Priester zu versorgen, so wie es unsere Pflicht ist, sie vor der Häresie zu schützen.“ Asandarun war wieder etwas ruhiger geworden, zu sicher war er sich, dass Owithir nichts auf seine Worte erwidern können würde. Wie hätte er auch die heilige Ordnung anzweifeln können.
„Wenn wir ihnen aber die Nahrung nehmen“, Owithirs Stimme war voller flehen, „dann machen wir doch gerade das Gegenteil davon. Wir treiben sie von uns fort, in die Häresie.“
Asandaruns Wut entflammte erneut: „Wilst du mir etwa vorwerfen, dass ich meine Pflicht vernachlässigen würde?“
„Nein, so etwas würde ich ...“
„Wenn die Bauern zu wenig Nahrung haben, um sich selbst zu versorgen, dann kann dies nur zwei Gründe haben: entweder sie waren faul oder ihr Glaube war schwach. In beiden Fällen haben sie es nicht besser verdient.“ Er schien sich sichtlich zusammenreißen zu müssen, brachte es aber schließlich fertig, ein väterliches Lächeln aufzusetzen. „Mach dir keine Gedanken, es hat schon alles seine Richtigkeit ... Und nun will ích nichts mehr von diesem unsinnigen Thema hören.“
Damit war ihre Unterredung zu Ende gewesen und Owithir hatte nach kurzem Zögern, als ihm klar geworden war, dass er nichts mehr hätte sagen könne, was den anderen erreicht hätte, den Raum verlassen. Er war nur froh gewesen, dass keiner der Bewaffneten dabei gewesen war, um zu sehen, wie er zu Recht gewiesen worden war.
In der Nacht hatte er, was er an Münzen und Nahrungsmittel entbehren konnte, und wovon er ausging, dass es nicht vermisst würde, heimlich vor die Tür des Priesters gelegt.
Seitdem waren sie durch viele Dörfer hindurch und an vielen Gehöften vorbeigekommen. Und überall hatten sie den Bauern und lokalen Priestern die Nahrung weggenommen, weil sie ja ein Anrecht darauf hatten.
Owithir versuchte sich seit jener Besprechung jedoch von Asandarun fernzuhalten. Denn inzwischen konnte er die Gefühle des Inquisitors zu leicht spüren. Schon zuvor hatte Owithir immer eine gewisse Abscheu gegenüber den Priestern von Sonne und Schwert gehabt, denn ihm war in ihrer Nähe immer unwohl geworden. Aber Asandarun war jetzt ein ganz besonderer Fall, denn er versprühte förmlich seine Abneigung, Verachtung und seinen Hass gegenüber allen, die Minderwertiger waren als er. Und dazu gehörte auch Owithir, der zu weich war und wohl auch nie das stolze Amt eines Priesters der Inquisition innehaben würde.
Dennoch versuchte Asandarun Owithir ab und an in ein Gespräch zu verwickeln. Er war dabei sehr freundlich und zuvorkommend, aber diese Freundlichkeit war aus einer Art Mitleid und seinem Gefühl der Überlegenheit geboren nicht aus seiner Güte. Die Gespräche waren denn auch immer schnell vorbei und ihre Inhalte belanglos, was es für Owithir leichter machte, sie durchzustehen. Es war nur Schade um die Zeit, die man damit vertat.
Manchmal fragte sich Owithir was der ältere Priester wohl zu sagen gehabt hätte, und wie seine Reaktionen ausgefallen wären, wenn er gewusst hätte, dass er, Owithir in ihm zu lesen vermochte wie in einem offenen Buch.
Nach eineinhalb Wochen trafen sie auf eine zweite Gruppe Bewaffneter, die von einem weiteren Inquisitor namens Jurgandiha und seinem Akolythen, Traldanka, geführt wurden. Boten hatten ihnen übermittelt, dass es darum ginge, ein Nest von Schwarzmagiern auszuräuchern, weswegen sie um Verstärkung gebeten worden seien. Asandarun hatte die Gruppe deshalb extra einen Umweg machen lassen, um diesen Priestern ein wenig entgegenzukommen. Sie begegneten ihnen jedoch früher als gedacht, da die Soldaten auf Ges ritten.
Anscheinend wussten die beiden Priester um Owithir und beäugten ihn misstrauisch. Für einen Moment lang blickte er zurück, lächelte den Akolythen freundlich an, gab dann jedoch die Hoffnung fürs Erste auf, dass er ihre Meinung über ihn schnell würde ändern können. Mit einem hörbaren Ausatmen wendete er mühsam sein Bataga um etwas Abstand zu gewinnen.
Erst am Abend kam er im Lager den "neuen" nahe genug, um ein paar Worte mit ihnen wechseln zu können. Er versuchte sie in ein belangloses Gespräch zu verwickeln. Genau wusste er eigentlich auch nicht, wieso, denn durch ihre Gefühle wusste er eh bereits, was in ihnen vorging. Aber i
hn hungerte nach einigen freundlichen Worten, ohne gleichzeitig die Verachtung Asandaruns spüren zu müssen. Bereits nach dem ersten Satz war ihm jedoch klar, dass er mit Jurgandiha kein Thema finden würde, über das es sich zu sprechen lohnte. Zu sehr war der ältere Priester in seiner Angst vor den fremden Kräften und seinem Drang, die eigene Stellung in der Priesterschaft zu verbessern, gefangen. Er war freundlich, gewiss, aber seine Freundlichkeit war nur auf seinen eigenen Überlegungen aufgebaut, dass man jemanden wie Owithir, der für viele Leute wertvoll schien, nicht verärgern sollte.
Mit seinem Akolythen war es jedoch leichter. Er war noch zu jung, um wie die anderen Priester in seinen Ansichten vollständig festgefahren zu sein. Gut, er hatte Angst, Angst vor Owithirs Fähigkeiten, über die sich die unheimlichsten Gerüchte verbreitet hatten, aber auch Angst vor seiner Autorität, so wie es bei vielen jungen Priestern gegenüber den erfahrenen Priestern üblich war, selbst wenn diese erst Subdiakone waren, und wie auch Owithir es lange und zum Teil immer noch verspürte. Er war jedoch noch nicht gebrochen und der Hochmut hatte erst einen winzigen Teil seiner Gedanken erreicht.
Später, als Owithir Zeit hatte, darüber nachzudenken, wie erfreut er über den Kontakt zu einem nahezu gleichgestellten war, dessen Gefühle ihn nicht beständig gegen sie ankämpfen ließen, fiel ihm erst auf, wie einsam er wirklich sein musste.
Aber dank Traldanka war die Reise jetzt viel interessanter geworden, denn Owithir setzte sich nun das Ziel, wenigstens ein freundliches Gespräch mit ihm zustande bringen zu können, auch wenn dies bedeutete, dass er die beiden Inquisitoren gegen sich aufbrachte.
Und zu seiner Überraschung hatte er schneller Erfolg damit, als er erwartet hatte.
*
Es heißt, die Wege der Götter wären unergründlich. Doch die Wege der Götter sind nur die Wege, die die Träume - und Alpträume - der Menschen beschreiten, die sie nicht selbst zu gehen wagen.
Und ich bin alle Götter. Ich kenne diese Träume und weiß, um was die Menschen beten. Doch bin ich mehr als die Götter. Tief unter den Schichten, die der Glaube über mich gelegt hat, lebt immer noch Anai, ein Ra-ula mit eigenen Wünschen, Zielen und Sehnen.
Es wäre vermessen, zu behaupten, dass die Ra-ula besonders weise und sogar allwissend gewesen wären. Auch fehlte den Ra-ula immer das Verständnis für die Ängste der anderen denkenden Wesen. Aber sie waren immer diejenigen gewesen, die die Abläufe der Welt am besten begreifen konnten, was von vielen schon für Weisheit gehalten wird.
Ich habe diese „Weisheit“, aber auch die Erfahrung vieler Lebensalter, und ich habe gelernt, dass Götter oft grausam zu einzelnen sein müssen, wenn sie das Wohl aller im Auge haben und versuchen, Ereignisse in Bewegung zu setzen, die andernfalls am Widerstand der Gegner des Glaubens scheitern würden.
Es tat mir leid, was ich mit Ohnfeder hatte tun müssen, aber sie würde die Mutter eines starken und mächtigen Volkes werden müssen, damit die Aleneshi endlich ohne Sorge vor den Drachen leben konnten.
Doch neben der Sorge um die Zukunft der Aleneshi, meiner Kinder, gab es andere Dinge, mit denen ich mich beschäftigen musste, denn die Drachen hatten ihre eigenen Träume. Und von diesen wusste ich nichts, denn sie glaubten an keine Götter und beteten zu niemandem.
*
Abends dachte Enk an seine Familie, immer in der Zeit, wenn er neben Sheka gelegen und ihr Haar gerochen hätte. Nur dann erlaubte er sich, seine Gedanken von seinem Auftrag abschweifen zu lassen. Es war eine Katastrophe, dass die Drachen ihn und seine Familie gefunden hatten. Immer wieder verfluchte er seine Liebe zu seiner Frau, die sie so sehr in Gefahr gebracht hatte. Was hatte er sich dabei gedacht? Der Drache hatte recht gehabt: von seinem Beruf setzte man sich niemals zur Ruhe. Er kannte keinen einzigen großen Mörder, der seinen Ruhestand lange überlebt hätte. Alle waren sie von ihrer Vergangenheit eingeholt worden und auf die eine oder andere Art brutal zu Tode gekommen. Enk wusste, dass er nicht war wie die anderen seines Gewerbes. Er war besser. Aber dennoch hatte er den ältesten und dümmsten Fehler gemacht, den man machen konnte. Er hatte versucht, eine Familie zu gründen. Und dies würde nun sein Untergang sein. Er machte sich keine Illusionen darüber, dass er einen Feen besiegen könnte, gleichgültig, wie gut er sich vorbereitete, wie gut sein Hinterhalt sein mochte oder wie sehr er sich bis dahin in Form gebracht hatte. Aber seiner Familie zu Liebe würde er es versuchen und dabei sterben.
Solche Überlegungen hatte er nur abends, wenn seine Gedanken schweiften. Tagsüber konnte er sie sich nicht erlauben, denn Verkleidungen aufrecht zu erhalten war anstrengend, besonders wenn er es mit den Gelehrten zu tun hatte, denen er Gelehrsamkeit vorzugaukeln versuchte.
„Und hier haben wir ein weitere Schriftrolle aus der Zeit der Stadtgründung.“ Es gab nicht viele Bibliothekare, denn es gab nicht viele Bibliotheken oder Archive, denn wenig wurde wirklich geschrieben und aufbewahrt. Wie der Zufall es wollte gehörten die zwei größten Bibliotheken, von denen Enk jemals gehört hatte, zwei konkurrierenden Stadtstaaten am Fuße des Taanen-Gebirges, jenem Gebirge, in dessen Nähe sich sein Ziel häufig aufzuhalten schien. Aber inzwischen war er sich nicht mehr ganz sicher, ob dies wirklich Zufall war.
„Es tut meinem Herzen gut, dass sich endlich mal wieder jemand für diese alten Schriftstücke interessiert, zudem noch jemand, der die nötige Bildung besitzt, um sie auch würdigen zu können.”
Der Bibliothekar war spindeldürr, fast schon hager, und machte den Eindruck, als sei er ein Teil der Bibliothek, vielleicht ein Buchständer oder ein Stab, auf den man eine Schriftrolle aufrollen konnte, nur die großen Ohren ließen gelegentlich den Eindruck entstehen, einem Affen gegenüber zu stehen. Enk hoffte, dass er sich diesem gelehrten aber etwas eigenwilligen Herrn gegenüber nicht verraten würde, denn es wäre schade, ihn töten zu müssen.
„Herzlichen Dank, Meister Chaldanon. Ich hoffe ihr habt nicht zu viele Umstände mit mir.”
„Aber das sind doch keine Umstände, Meister Infarn. Wer so weit gereist ist, um etwas über unsere Stadt zu erfahren, sollte alle Unterstützung erhalten, die man ihm geben kann.”
Meister Infarn hatte Enk erfunden, nachdem er zwei Tage lang die Bibliothek beobachtet hatte. In ihm vermengten sich verschiedene alte Personen, die er früher schon verwendet hatte, aber vor allem Humolaidi aus Quarin, der den Akzent seiner Region und einige Manierismen lieh. Humolaidi war gestorben, als er bei einem Festessen vergifteten Wein getrunken hatte, was dazu geführt hatte, dass sein regloser Körper in der ganzen Aufregung ohne große Bewachung ins Sanktuarium des Tempels von Quarin gelegt worden war. Dort war er nach zwei Stunden aufgestanden und hatte einen Priester der inneren Gemeinschaft mit einem Kissen erstickt. Aber hier, in Yalamari, war es sehr unwahrscheinlich, dass sich jemand an Humolaidi erinnerte, nur wenige hätten die fünf Wochen Wegs zurückgelegt. Händler vielleicht, aber in diesen Kreisen bewegte sich Meister Infarn nicht.
„Ihr seid zu gütig. Ich hätte noch eine Frage. Seht ihr, hier? An dieser Stelle habe ich einen Hinweis auf einen Häretiker gefunden, dessen man nicht habhaft werden konnte. Gibt es vielleicht noch irgendwelche Aufzeichnungen über einen solchen oder ähnlichen Fall? Vielleicht Zeichnungen?”
Meister Chaldanon betrachtete die besagte Stelle gründlich. „Warum glaubt ihr, dass man ihn nicht erwischt hat.”
„Ist das nicht eindeutig? Bei allen anderen Häretikern und Verbrechern wird das Datum seiner Hinrichtung mit angeführt. Nur bei diesem Häretiker nicht.”
„Kann das nicht ein Zufall sein?”
„Es ist dieselbe Hand, nicht hastig geschrieben. Warum sollte der Schreiber einmal, ein einziges Mal eine Ausnahme gemacht haben?”
„Ihr könntet Recht haben. Ich muss nachsehen, ob ich etwas dazu finden kann. Wartet einen Augenblick.”
Und damit ging der gute Meister aus dem kleinen Raum und verschloss ihn hinter sich, damit keines der Dokumente gestohlen werden konnte. Enk blickte ihm kurz nach. Er hatte gelogen, denn es gab mehrere Stellen, an denen ein Häretiker nur erwähnt und nicht hingerichtet worden war. Aber da ihm das Schema solcher Hinweise vertraut war, war er sich trotzdem sicher, dass m
an diesen Zauberer nicht hatte fangen können. Schwarzmagier, Dämonenanbeter und wie die Schreiber es auch immer nennen mochten, in dieser Stadt waren die Priester von Sonne und Schwert erstaunlich ineffektiv bei ihrer Verfolgung.
Und, hier war Enk erst hellhörig geworden, es war nie die Rede von toten Priestern. Normalerweise, wenn ein Magier entkam, pflasterten Leichen seinen Weg, weil die meisten Mitglieder dieser Zunft sich auf Zauber zu konzentrieren schienen, die töteten.
Das waren natürlich keine Beweise, aber in Enks Kopf formte sich langsam ein Bild seines Gegners. Angefangen hatte es damit, dass die Drachen einen Feen tot sehen wollten. Wenig wussten die Menschen wirklich von den Drachen, aber eins war bekannt: sie mieden die Feen, wenn es sie denn wirklich gab. Enk wusste, dass es sie gab und er konnte sich nur zwei Gründe vorstellen, warum sie ihn nicht selber umbrachten, wenn sie sonst kein Problem damit hatten, ganze Städte in Schutt und Asche zu legen: es war ihnen zu gefährlich oder sie konnten ihn nicht finden. Da sie aber über viel mehr Einfluss verfügten als er, konnte es letzteres nicht sein. Aber warum wollten sie ihn tot sehen? Diese Frage war recht einfach zu beantworten, denn die Drachen töteten jeden, der sich ihnen widersetzte. Aber auf welche Weise widersetzte sich Shaljel den Drachen? Hier kamen die Hutzler ins Spiel, die man nur noch so selten in den Städten sah. Und niemand wusste, wo sie lebten. Das musste die Drachen wirklich wurmen, wenn sie es tatsächlich nicht wussten. Wenn sich Shaljel jedoch nur der Kontrolle der Drachen entzog, war der Mordauftrag noch nicht berechtigt, dann hätten sie ihm genauso gut befehlen können, alle Hutzler umzubringen. Nein, Shaljel musste mehr getan haben. Er widersetzte sich nicht nur aktiv, sondern sorgte auch dafür, dass es andere taten. Der Drache hatte gesagt, dass der Feen die Gestalt wandeln würde und meist als Hutzler aufträte. Komisch, wie kleine Worte Hinweise geben können. Er war nur meist als Hutzler unterwegs, aber er nahm auch andere Gestalt an. Sehr wahrscheinlich menschliche.
Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm Page 23