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Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm

Page 34

by Peter Singewald


  „Jawohl, wohlehrwürdiger Herr.“ Der Soldat war mit dem Bauern und der Bäuerin in das Haus gegangen. Und wenig später zurückgekehrt. Er hatte einen Laib Brot in der Hand gehalten, und sich rückwärtsgewandt in das Haus hinein immer wieder bedankt. Als er sich wieder seinem Vorgesetzten zugewandt hatte, fehlte etwas von der Härte, die sein Gesicht immer zur Schau trug. Er hatte sich schnell wieder gefasst.

  „Von allem etwas, wohlehrwürdiger Herr. Die beiden Hexer haben Brot, Fleisch, und anderes gut haltbares mitgenommen. Dazu zwei Taschen, Trinkschläuche, Decken und verschiedene Kleidungsstücke. Sie haben sich vollständig ausgestattet.“

  „Laftin, reich mir bitte die Kasse.“

  „Wohlehrwürdiger Herr?“

  „Diese Bauern haben viel verloren. Der Winter steht bevor. Nicht nur, dass man ihnen etwas aus ihren Vorräten gestohlen hat, auch die Decken werden ihnen fehlen. Und alles, weil wir die Hexer noch nicht gefunden haben. Es ist nur ein kleines Übel, dass sie hier getan haben, verglichen mit all den anderen Dingen, die sie mit ihrem Zauberwerk anrichten werden. Aber es ist ein Übel.“ Owithir hatte einem Moment geschwiegen. Ihm war bewusst geworden, dass seine Worte wie die Predigten seiner Brüder klangen, die er immer verabscheut hatte, waren sie doch zu pauschal, verkündeten nicht die Wirklichkeit, die er kennen gelernt hatte. Er kannte jedoch die Nöte der Bauern, die er in so vielen Gedanken von Gefangenen gesehen hatte. Er war sicher, dass auch die beiden Hexer diese Nöte kannten, weswegen ihr Diebstahl doppelt verdammungswürdig war. Es war jedoch sein größter Fluch, dass er oft genug die Taten selbst der verdammungswürdigsten Häretiker verstehen konnte. Sie waren auf der Flucht und der Wald ernährte sie nicht mehr. Sie hatten keine andere Wahl, als zu stehlen. Sie würden es wieder tun, und es war seine Schuld. Wenn er sie schon nicht bei ihrer ersten Begegnung hatte töten können, so hätte er die Gabe seines Gottes doch besser nutzen müssen. Sie waren bald einen Monat hinter ihnen her und sie waren ihnen nur wenig näher gekommen. Er war es, der die Schuld trug, nicht seine Begleiter, und er fühlte sich ein wenig schlecht, dass er sie in seine Schuld mit einbezogen hatte. Er würde es wieder gut machen müssen.

  „Schätze, wie viel sie verloren haben, Laftin, und gebe es ihnen.“ Langsam hatte er den Kopf hin und her gewandt und seine Umgebung mit den Augen und der Gabe gesehen. Eine Spur, noch frisch und scheinbar von einem kleineren Menschen, hatte hinter das Haus geführt und von dort hatte er jemanden gespürt. Ein Kind. Ob Junge oder Mädchen, hatte er nicht erkennen können und er hatte sich auch nichts weiter dabei gedacht.

  Ihr Schatten war wenig später aufgetaucht. Natürlich war es möglich, dass erst jetzt ein Dämonenbeschwörer, ihre Spur aufgenommen hatte, der der Säuberung entgangen war, und sich jetzt rächen wollte. Warum sollte dieser ihnen jedoch Tage lang folgen, und so seinen Überraschungsmoment vollständig verlieren. Hätte er gleich, oder vielleicht in den ersten Tagen zugeschlagen, dann wären sie nicht so wachsam gewesen. Dennoch konnte man es nicht ganz ausschließen. Trotzdem glaubte Owithir nicht, dass sie Angst vor ihrem Verfolger zu haben brauchten.

  „Marinam, ich weiß, dass ihr mich schützen wollt, Aber ich bin wirklich der Meinung, ich sollte mich um unseren Schatten kümmern.“

  „Und ich sage euch, wohlehrwürdiger Herr, dass wir das nicht zulassen können.“

  „Du weißt, dass ich mich durchaus verteidigen kann.“

  „Wohlehrwürdiger Herr, Veshtajoshs ist mit euch, aber ein Pfeil oder Speer reicht, aus dem Hinterhalt …“

  „Ich werde mich schützen.“

  „Nein, wohlehrwürdiger Herr“, inzwischen hatte sich Kalig hinter Marinam aufgestellt und auch die anderen näherten sich der kleinen Gruppe, „Wir können das nicht zulassen.“

  „Doch dass könnt ihr, ihr müsst sogar. Denn dieser Verfolger hält uns auf und gefährdet uns. Ihr könnt ihn nicht fangen, aber ich glaube, dass ich es kann. Vertraut mir.“ Er versuchte sich an ihnen vorbei zu drängeln, musste aber feststellen, dass sie nicht weichen wollten. Also gab er sich geschlagen. Vorerst. Vermutlich hätten sie sich bei anderen Priestern diese Insubordination nicht erdreistet, er konnte jedoch gut verstehen, dass sie ihren letzten Priester nicht unnötigen Gefahren aussetzen wollten. Wenn er starb, hätten sie niemanden mehr, der für sie bei einer Rückkehr zum Tempel sprechen würde. Wenn sie Glück hätten, würden man sie in diesem Fall nur verstoßen, vielleicht mit einem Fluch belegen. Wenn sie Pech hätten, wäre Owithir glücklicherweise nicht mehr dabei.

  Bereits auf dem Weg zum Versteck der Dämonenanbeter hatten die Soldaten das Lager bereitet. Die Priester hatten keine Bediensteten mit auf die Reise genommen, aber Owithir hatte immer seine eigenen Betten gemacht. Er war zwar kein niederer Bruder, dennoch besaß er nicht viel mehr, als ein paar Kutten, seine Reisekleidung, die Gebetsringe und seine Erinnerungsstäbe. Na gut, Schuhe, Gürtel, seine Schale und einige andere Gegenstände, die man so leicht vergaß, wenn man sein Eigenturm aufzählte. Dennoch war es immer seine eigene Aufgabe gewesen, sich um das seine zu kümmern. Auf den Reisen hatte er sogar gelernt, sich um ein Bataga zu kümmern. Er mochte die Tiere nicht, wie er auch seine Zelle nicht mochte, aber sie gehörten zu seinem Leben dazu, und er kannte kaum etwas anderes, als sich selber zu kümmern. Aber auf der Hinreise, als sie noch so viele mehr gewesen waren, hatte er sich nur den Spott der älteren Priester eingehandelt, als er die Soldaten von ihrer Arbeit abgehalten hatte. So hatte er es bleiben lassen, bis sie nur noch so wenige gewesen waren. Anfangs hatte er nicht die Kraft gehabt, mit zu arbeiten, Sobald er jedoch Abends nicht mehr einfach vor Erschöpfung zusammengebrochen war, hatte er begonnen, ebenfalls an der Bereitung des Lagers teilzunehmen. Tafgen hatte versucht, ihn davon abzuhalten, aber Kalig hatte ihn an der Schulter gepackt und still den Kopf geschüttelt. Seitdem hatte er so viel getan, wie er abends noch vermochte.

  Als der Mond aufging und seinen Schatten auf den Ring warf, hatte er geholfen, die Ges und sein Bataga zu striegeln, Holz zu sammeln und die Lagerstätte frei zu räumen. Er war müde, aber nicht mehr so müde wie er es noch vor zwei Wochen gewesen wäre. Deswegen konnte er verhindern, dass er einschlief, als sich auch die Männer hinlegten. Laftin und Kalig hielten die erste Wache, was Owithir entgegenkam. Was sein Unternehmen erschwerte, war, dass die Soldaten sich als eine Art Schutzwall um ihn gelegt hatten. Er würde allerdings ohnehin nicht in der Lage sein, vollkommen unbemerkt aus dem Lager herauszukommen. Als der Mond weit genug gewandert war, setzte er sich auf und blickte sich um. Kalig sah ihn an, als er das Geräusch hörte, blickte aber sofort wieder in den Wald zurück. Owithir betrachtete ihre leuchtende Spur, die zu diesem Lager führte, wie sie recht grade aus dem Wald neben Laftin kam und sich aufteilte, verwirrte und zu einem Knäul von Spuren wurde. Also ging er in diese Richtung. Auf ihren Spuren würde er den Verfolger finden. Jetzt galt es die Soldaten abzuschütteln und so weit in den Wald zu gelangen, dass er nicht mehr bei dem schwachen Mondlicht zu sehen war. Das Ringleuchten würde noch mehrere Stunden auf sich warten lassen, weswegen der Wald noch lange sehr dunkel bleiben würde. Allerdings hatte er nicht viel Übung mit Lügen und Täuschungen, weswegen er sich nicht sicher war, wie es von hier aus weiter gehen sollte.

  „Wie merkt ihr, wann es Zeit zum Wachwechsel ist.“

  Laftin winkte mit der Hand nach unten, um anzuzeigen, dass Owithir leise sein sollte. „Stundenglas, wohlehrwürdiger Herr“, flüsterte er. Owithir nickte.

  „Wie lange bist du schon bei den Wachen?“

  Wieder diese Handbewegung, dann hob er die Hand und zeigte drei Finger. In diesem Augenblick hörte er ein Geräusch aus dem Wald und zuckte erschreckt zusammen. Gleichzeitig kam ihm jedoch eine Idee. Er blickte zu Laftin hinüber. Dieser schüttelt jedoch beschwichtigend den Kopf. Ein leises Geräusch, das durch den dunklen Wald bedrohlich wurde. Nicht für Laftin, der zu oft in dunkler Nacht Wache gehalten hatte. Der Soldat kannte die Geräusche, die keine Bedrohung bedeuteten. Aber Owithir war sicher, dass ein lauteres Geräusch, Bewegung, die er nicht zuordnen konnte, etwas Neues und fremdes, ihn aufschrecken lassen würde. Er blickte in die Richtung, in die sie am nächsten Tag weiterreisen
würden. Seine Arme hingen herab, er hob jedoch die Finger seiner rechten Hand. Die Erinnerungen an den Stoß, den er beim Kampf um die Höhle der Hexer gegen die Angreifer geführt hatte, rührten sich langsam in den Tiefen seines Verstands. Damals war es eine Eingebung der Götter gewesen, ein Geschenk, mit dessen Hilfe er sein Leben hatte retten können. Nun versuchte er die Kraft erneut zu finden. Es fiel ihm leicht, leichter als er gehofft hatte. Er spürte die göttliche Kraft aus der Erinnerung in seine Finger fließen. Mit einem Zucken sprang sie heraus und fuhr in den Wald. Seine Hand zuckte zurück, er bezweifelte jedoch, dass Laftin es gesehen haben würde. Nur einen Herzschlag später war aus der Richtung, in die seine Finger gezeigt hatten, ein lautes Krachen zu hören, gefolgt von dem Knarren und Quietschen eines Baums, der langsam auf den Waldboden stürzte.

  Wie gehofft zuckte der Soldat neben ihm auf und machte ein paar Schritte auf die andere Seite des Lagers zu. Owithir war müde und gewiss selbst ausgeruht kein besonders guter Läufer. Dennoch nutzte er die Gelegenheit, schloss die Augen und rannte in die Dunkelheit, die für ihn von Farben erfüllt war, die seine Gefährten nicht sehen konnten. Er lief ein gutes Stück neben ihrer Spur, die ersten Schritte so schnell er konnte, als er sich außerhalb der der Sichtweite der Soldaten wähnte, langsamer. Während er immer noch die Augen geschlossen hielt, drehte er den Kopf in alle Richtungen, um alle Spuren wahrzunehmen. Der Wald war voll von ihnen. Natürlich ihren eigenen Spuren, groß, breit, frisch und mehrfach überlagert, übermannshoch. Dazu kamen die vielen Spuren von Tieren, die unablässig auf dem Boden in der Luft und auf den Bäumen hin und Her huschten. Manche der Spuren waren alt, andere ganz frisch. Als sie ihre Reise begonnen hatten, hatte er gerade mal die Spuren der Menschen gesehen. Vielleicht hatte er die anderen geahnt, sie waren für ihn jedoch nicht vorhanden gewesen. Das bedeutete wohl, dass er lernte, mit der Gabe besser umzugehen, was er als Geschenk betrachten musste. Allerdings konnte er dieses Geschenk nicht richtig zu würdigen wissen. Jede zusätzliche Spur, die er sah, machte seine Suche schwieriger. Wenn er noch besser wurde, würde er bald nur noch Spuren sehen, sobald er die Augen schloss. Zum Glück unterschieden sich die Pfade der beiden Hexer so sehr von dem aller anderen Wesen, dass er sie hier im Wald immer wiederfinden konnte, genau wie die seiner Gruppe, in der er sich selber erkannte.

  Trotzdem fand er nach einiger Zeit eine Farbe, die mal neben ihrer eigenen Fährte, mal auf ihr verlief. Was bedeutete, dass er bereits zu weit gelaufen war. Er kehrte um.

  Nachdem er die Farbe jetzt kannte, fiel es ihm jedoch nicht mehr schwer, ihren Verfolger aufzuspüren. Er hatte sich in einem Baum schlafen gelegt. Owithir lächelte. Er hatte recht gehabt. Es war kein Hexer, sondern ein kleines Mädchen. Und obwohl er sie nicht auf dem Hof gesehen hatte, erkannte er in ihr doch ihre Eltern. Irgendwie erkannte er sie, in der Dunkelheit, während sie schlief, zusammengerollt in einer Astgabel. Einen Augenblick lang war er am Überlegen, ob er hinaufklettern sollte, aber bei allem, was er auf seinen Reisen gelernt hatte, Klettern war nicht dabei gewesen. Deswegen rüttelte er am Baum und kam sich etwas lächerlich vor, weil seine Kraft kaum ausgereicht hätte, einen der großen Äste zu bewegen. Er bückte sich und suchte auf der Erde nach etwas, dass er nach ihr werfen konnte. Als er einen Zweig gefunden hatte, richtete er sich wieder auf, ließ ihn aber sofort wieder fallen, als er daran dachte, dass er das Mädchen vielleicht so sehr erschrecken konnte, dass sie herunterfiel. Deswegen setzte er sich unter den Baum und wartete auf den Sonnenaufgang.

  *

  Erst als die Chuor mit ihrem Boot wieder auf ihrer Seite angelegt hatten, war Streiter aus seinem Versteck gekommen. Die Ruderer hätten ihn vom Fluss aus nicht sehen können, trotzdem hatte er sich verborgen gehalten. Er war sich sicher gewesen, dass Shaljel und Estron erfolgreich gewesen waren, da hätte eine dumme Unvorsichtigkeit nur schaden können. Die anderen waren zu ihm gekommen und hatten gelächelt. Tro-ky hatte erleichtert ausgeatmet und alle hatten sich gefreut, ihn wiederzusehen. Dennoch war nur Kam-ma auf ihn zugekommen. Nicht nur in Streiter hatte sie den Eindruck erweckt, dass sie ihn hatte umarmen wollen. Stattdessen war ihre Hand nur sanft über seinen Arm gefahren.

  Nun waren sie wieder auf dem Weg. Es gab eine Straße, die auf möglichst geradem Weg entlang des Flusses verlief, auf der Händler ihre Waren transportierten, wenn sie sich die Chuorboote nicht leisten konnten und auf der Reisende in Kutschen und auf Reittieren unterwegs waren. Noch dichter am Fluss gab es einen Pfad, auf dem die Chuor ihre Boote gegen die Flussrichtung ziehen konnten. Allerdings war dieser Pfad inzwischen ein wenig überwachsen, da die Chuor lieber auf ihrer eigenen Flussseite blieben. Trotzdem mied die Gemeinschaft auch diesen Pfad. Zu leicht hätten sie gesehen werden können. Auch die Straße betraten sei nur, um sie zu überqueren. Vielmehr gingen sie zuerst ein wenig Landeinwärts, um irgendwann auf eine Seitenstraße zu treffen, die sie wieder zurück in Richtung ihres Ziels führen würde. Es war noch nicht an der Zeit, sich offen zu zeigen, was auch bedeutete, dass sie weder offenbarten, wohin sie gingen, noch woher sie kamen. Sie bewegten sich vorsichtig und langsam. Hinzu kam, dass Streiter und Estron jagen gingen, nicht für die Nahrung, obwohl der Chuor und die beiden Schüler das Fleisch nicht verschmähten. Es wurde zu kalt und sie brauchten die Felle, um sich warm zu halten. Als sie die ersten Tiere gehäutet hatten, war sich Kam-ma nicht sicher gewesen, wie sie daraus Kleidungsstücke fertigen sollten. Mit ihrem Meister und ihrem Freund hatte sie schon gesponnen, gewoben, gegerbt, genäht, geflickt und geschustert. Einen guten Teil, der Kleidung, die sie trugen, hatten sie selbst hergestellt oder irgendwann einmal geflickt. Auch dickere Kleidung, die sie im Winter überzogen, besaßen sie. Trotzdem suchten sie sich für gewöhnlich einen warmen Unterschlupf für die kalte Jahreszeit. Estron kannte viele Familien, die sie freudig aufnahmen und mit denen sie und Tro-ky ebenfalls Freundschaft geschlossen hatten. Dieser Luxus würde ihnen jedoch in den nächsten Wochen verwehrt bleiben. Sie waren auf dem Weg und würden es auch noch eine Weile bleiben. Trotzdem stand weiterhin die Frage im Raum, wie sie aus dem Fell etwas schneidern sollte, das mehr war als nur hinderlich. Estron und Shaljel beantworteten diese Frage nach einem längeren Streit, indem jeder von ihnen einige Teile zusammenfügte, sie hin und her schob, bis sie sich auf eigentümliche Weise verformt hatten und zwei Jacken heraus bekamen.

  Magie!

  Kam-ma, und auch Tro-ky, blickten mit großen Augen auf das Zauberwerk. Sie wussten beide, dass Estron nicht gerne auf die Macht der Natur zurückgriff. Aber Shaljel hatte Estron schon so lange bedrängt, seine besonderen Fähigkeiten zum Wohl der Gruppe einzusetzen, dass er anscheinend dieses Mal zu ihm vorgedrungen war. Vermutlich war ihr Meister inzwischen erschöpft von dem andauernden Streit. Steter Wind biegt den Baum, wie Kam-mas Volk sagte. Ihn solche Macht ausüben zu sehen, auch wenn es nur zum Fertigen von Jacken war, fühlte sich erhebend an, bedeutete es doch, dass ihr Meister, der Keinhäuser, ihr Liebhaber und Lehrer, eine Verbindung zu der Natur besaß, die so innig war, dass er die Priester in ihrem Glauben übertraf, die nur von Wundern sprachen, sie aber nie zeigten.

  Andererseits war es auch erschreckend. Estron wollte nie Macht ausüben, weder über Lebewesen noch über Dinge, und was anderes waren diese Zauber als Macht, auch wenn er sagte, er sei nur der Mittler der Kraft, die aus seiner Umgebung selbst stammte. Kam-ma spürte jedoch, dass es noch einen weiteren Grund gab, den Estron offensichtlich nicht zu erklären bereit war.

  Es dauerte fünf Tage, bis sie drei Jacken zusammen hatten, eine für jeden der Schüler und eine für einen weiteren Menschen. Estron weigerte sich jedoch, die Jacke zu tragen, weil er beteuerte, sie sei nicht für ihn. Er brauchte sie nicht, behauptete er. Und tatsächlich schien ihm seit dem Aufenthalt bei den Aleneshi nicht mehr Kalt zu werden. Dass er nur ungerne den Pelz toter Tiere trug, spielte in solchen Fällen keine Rolle, denn er hatte bisher immer die Notwendigkeiten zu überleben über sein schlechtes Gewissen gestellt, welches ihm sagte, dass er niemanden und nichts töten sollte, wenn er es verhindern konnte. Lange mussten sich die beiden Schüler trotzdem nicht wundern, für wen die dritte Jacke bestimmt war, denn Shaljel ve
rschwand eines Morgens für kurze Zeit hinter einem Gebüsch. Als er zurückkehrte, sprangen Kam-ma und Tro-ky auf. Denn aus dem Busch kam nicht Shaljel heraus, wie sie ihn kannten, sondern ein Mensch. Er ähnelte den Schülern mit seinem dunklen Haar, der kräftigen Nase und dem eckigen Gesicht. Es war jedoch genügend von dem Aleneshi in dem Gesicht des Menschen, dass Kam-ma vorsichtig auf ihn zuschritt und ihre Hand nach seinem Gesicht ausstreckte: der kleine Knubbel, der die Nasenspitze bildete, der Mund, der bei ihren Schritten zu grinsen begann, das Funkeln in den Augen. Was jedoch offensichtlich machte, dass der Mensch Shaljel war, war, dass es sonst niemanden gab, der sich so leichtfüßig bewegte, wie der Aleneshi, oder vielmehr das Wesen, welches bis vor kurzem ein Aleneshi gewesen war.

  Estron gesellte sich zu den zweien und reichte Shaljel seine Ersatzkleidung.

  „Danke.“ Shaljel nahm das Bündel entgegen und reichte dem Keinhäuser seine eigene Kleidung, die ihm jetzt zu klein war.

  „Du solltest dich anziehen.“

  „Warum, es sieht uns doch keiner.“

  „Mir ist nicht wohl dabei, dich in dieser Kälte nackt zu sehen.“

  „Hab dich nicht so. Streiter ist auch nackt … mehr oder weniger …Ich werde mich schon bekleiden, aber es eilt nicht.“

  „Err hatt rerrt. Nackt sen Mennsen alberrn aus.“ Streiter stieß einige bellende Laute aus die Tro-ky herumfahren ließ. Nicht nur er war erstaunt, dass der große Chuor lachte.

  „Albern will ich natürlich nicht aussehen.“ Er begann sich vor aller Augen anzuziehen und nahm dabei keine Rücksicht darauf, wem er gerade seine Front oder sein Hinterteil zeigte. Estron wandte sich kopfschüttelnd sich.

  Inzwischen waren sie auf eine der größeren Straßen gestoßen, die sie zur Handelsroute bringen würde. Auf diese waren sie über einen Feldweg gelangt, der zu einem Dorf führte, dass sie umgangen hatten. Shaljel und Estron waren sich sicher, dass sie nicht beobachtet worden waren, als sie wieder in die Welt der Wege eingetreten waren. Erst an der Mündung des Trampelpfades in die Straße war eine kleine Reisegruppe an ihnen vorbeigezogen, vermutlich Pilger, denn es fehlten die Karren und Wagen, die selbst Bauern auf dem Weg zum Markt mitführten. Sie hatten Streiter misstrauisch und auch ängstlich beobachtet und so hatten sie sie ziehen lassen und eine Pause gemacht. Sie würden sie wieder einholen und auch überholen, sie waren erfahrene Wanderer. Der Plan war, noch ein paar Tage gut voran zu kommen, um sich dann einer anderen Gruppe anzuschließen, Es war üblich, sich mit anderen zusammenzutun, um sich besser vor Banditen schützen zu können, Die Wanderer machten sich jedoch weniger Sorgen um ihre Sicherheit, als vielmehr, welchen Eindruck sie auf der Straße hinterließen. Es war besser in einer großen Gruppe in Imanahm einzutreffen, und nur ein paar Gesichter unter anderen zu sein. Estron war überraschend vielen Leuten bekannt und es würde schwierig genug sein, nicht den Priestern aufzufallen. Sie mussten sich auch etwas Streiters wegen einfallen lassen. Chuor waren in der Handelsmetropole an sich kein Seltenheit. Auch, dass Chuor mit Menschen zusammen gingen, würde nicht auffallen. Was jedoch besonders Shaljel immer gerne vergaß, war, dass Streiter ein Ausgestoßener war. Die kahle Stelle auf seiner Stirn machte es allzu deutlich und nicht nur andere Chuor würden es erkennen. Eigentlich hätte es kein Problem sein sollen, denn Shaljel hätte ohne weiteres die Haare zwischen Streiters Ohren wieder wachsen lassen können. Er hatte es ihm auch bereits mehrfach angeboten, aber Streiter hatte immer abgelehnt. Shaljel hatte es sich nie erklären können, aber Estron verstand ihn nur zu gut. Deswegen hatte er sich etwas anderes überlegt. Wenn sie es nicht herauswachsen lassen konnten, dann mussten sie es verbergen. Ein Hut war für den riesigen Wolfskopf undenkbar. Wenn der Winter überwältigend Kalt war, warfen Chuor sich eine Decke über den Kopf, ebenso, wenn ihnen die Sonne zu heiß aufs Haupt schien, nur war die Decke dann dünner. Sobald es jedoch möglich war, entblößten sie wieder ihr Haupt. Es gab keine Möglichkeit, Streiter etwas aufzusetzen, das er auch aufbehalten hätte. Estrons Idee war jedoch kein Hut, Wie Shaljel wollte er auf Magie zurückgreifen, Shaljels Magie, natürlich. Shaljel sollte ein Bild von Haaren über die Stelle legen, nur so tun, als ob es an der Stelle Haare gäbe. Ein Trugbild von Haaren, so wie man gelegentlich in der Wüste Trugbilder sehen konnte, wenn die Sonne den Sand zu schmelzen schien und die Luft flimmerte, nur viel kleiner.

 

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