Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment

Home > Other > Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment > Page 4
Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment Page 4

by Julie Johnson


  Ich fahre mit einer Hand durch mein Haar und atme scharf aus. »Ich bin heute Abend nicht so richtig in der Stimmung für Groupies.«

  »Ryder Woods lehnt eine willige Frau ab?« Lincoln legt eine Hand auf meine Stirn, als würde er prüfen wollen, ob ich Fieber habe. »Du musst krank sein …«

  Ich schüttle ihn ab. »Lass mich in Ruhe.«

  »Ich bin nur so schockiert. Ich kenne dich jetzt seit drei Jahren. Meiner Erfahrung nach sagst du nur dann Nein, wenn du so viel Whiskey getrunken hast, dass du es eh nicht mehr hinbekommen würdest. Und selbst dann lässt du es wenigstens auf einen Versuch ankommen.«

  »Linc, ich meine es ernst. Halt verdammt noch mal die Klappe.«

  Er zieht seine blonden Augenbrauen hoch. »Alter, welche Laus ist dir denn heute Abend über die Leber gelaufen?«

  Ich spanne den Kiefer an und wende mich von ihm ab. Ich wünschte, ich wüsste es.

  »Darf ich euch freundlich daran erinnern, dass ein paar von uns heute Abend gerne noch flachgelegt werden würden?«, mischt sich Aiden ein und macht sich in Richtung Theke auf. »Ihr schnappt euch die Mädels, ich hole die erste Runde. Wir treffen uns in fünf Minuten an unserem üblichen Tisch.«

  »Ich nehme einen Doppelten!«, rufe ich ihm hinterher.

  Mit genug Whiskey im Blut kann ich vielleicht diese seltsame Energie ertränken, die seit unserem Auftritt in mir brodelt. Was auch immer das für ein Gefühl ist …

  Ich habe es noch nie zuvor empfunden.

  Und es gefällt mir ganz und gar nicht.

  Eine Frau räuspert sich. »Hey, Arschlöcher.«

  Ich schaue von dem Dekolleté auf, das keine zehn Zentimeter von meinem Gesicht entfernt ist, und entdecke Carly, die vor unserem Tisch herumlungert. Sie starrt mit angewiderter Miene von den Frauen auf unseren Schößen zu der fast leeren Flasche Jack Daniel’s auf dem Tisch.

  »Carly, Baby«, sagt Lincoln gedehnt und grinst sie an. »Was gibt’s?«

  »Nenn mich nicht Baby.«

  »Warum bist du so angespannt?«, fragt er. »Hat dir die Abstinenz die Laune verdorben?«

  »Warum bist du so verzweifelt?«, kontert sie. »Hast du vom Viagra einen Dauerständer bekommen?«

  »Ah, jetzt flirtest du aber mit mir.« Er wackelt mit den Augenbrauen. »Wenn du mitmachen willst, brauchst du es nur zu sagen.«

  »Ich passe.« Ihre Stimme ist tonlos. Sie würdigt ihn nicht mal eines Blickes, sondern blickt stattdessen mir in die Augen. »Adam will mit dir reden, bevor ihr Jungs zu betrunken seid, um zusammenhängende Sätze zu bilden.«

  Vielleicht liegt es am Alkohol in meinem Blut oder einfach nur an der Vorstellung, dass mich Adam zu sich zitiert wie ein Vater sein ungehorsames Kind, aber plötzlich bin ich sauer. Ich neige den Kopf nach hinten, und obwohl meine Stimme träge ist, liegt eine Härte darin, die nicht zu überhören ist.

  »Sag Seiner Hoheit, dass er aufhören soll, Hof zu halten. Wenn er reden will, kann er zu uns kommen.«

  »Das wird ihm nicht gefallen.«

  »Und ich mag keine Montage, aber wir müssen alle irgendwie damit klarkommen.«

  »Könntest du wenigstens mal für zwei Sekunden damit aufhören, dich wie ein Vollidiot aufzuführen?«, schnauzt sie und verschränkt die Arme vor der Brust. »Wir sind heute Abend unterbesetzt, weil Dotty krank ist, eure Leadsängerin hat sich nicht die Mühe gemacht, zu ihrem Auftritt zu erscheinen, und ich bin damit beschäftigt, eine neue Kellnerin einzuarbeiten. Ich habe keine Zeit, mich zu allem Überfluss auch noch um eure Egos zu kümmern – ich habe alle Hände voll zu tun.«

  »Deine Hände hätten noch mehr zu tun, wenn du heute Abend mit zu mir nach Hause kommen würdest«, murmelt Lincoln.

  Carly verdreht die Augen und holt zum verbalen Vergeltungsschlag aus, aber meine Aufmerksamkeit liegt bereits woanders. Um genau zu sein, hat sie sich auf ihre Erwähnung der neuen Kellnerin gerichtet. Bevor ich darüber nachdenken kann, was ich tue, schiebe ich das Groupie mit einem entschuldigenden Augenzwinkern von meinem Schoß und rappele mich mühsam auf. Ich bin ein bisschen wacklig auf den Beinen, weil ich so viel Whiskey getrunken habe.

  Carly beäugt mich misstrauisch, als ich mich an ihre Seite begebe. »Wie betrunken bist du?«

  »Gerade betrunken genug, um mich mit Adam abzugeben.« Ich zucke mit den Schultern. »Ich kann allerdings nicht versprechen, dass ich mich nicht wie ein Vollidiot aufführen werde.«

  »Offensichtlich wäre das zu viel verlangt.«

  Wir bahnen uns einen Weg durch die Menge in Richtung Theke. Ich entdecke Isaac, den Besitzer, der Gläser poliert und seinem Barkeeper beim Mixen der Getränke hilft. Das habe ich schon immer an ihm gemocht, seit ich angefangen habe herzukommen – er ist zusammen mit seinen Angestellten direkt an vorderster Front und kümmert sich persönlich um alles … Er versteckt sich nicht in irgendeinem Hinterzimmer wie Adam und spielt den Wichtigtuer.

  Wir schlüpfen durch eine Tür in den hinteren Bereich der Bar. Im Vergleich zum Hauptraum ist es hier unheimlich still. Die gedämpften Klänge der Musik und der Unterhaltungen dringen kaum durch die dicken Wände, während wir den Flur entlanggehen, vorbei an Schränken für die Angestellten, Toilettenräumen und einem Pausenraum.

  »Also. Diese neue Kellnerin«, sage ich beiläufig.

  Carly spannt die Schultern an. Sie wirft einen Blick nach hinten, um mich anzuschauen. »Was ist mit ihr?«

  »Wie ist sie so?«

  »Warum fragst du?«

  »Ich will mich nur unterhalten.«

  »Aha.« Sie wirkt skeptisch. »Klar willst du das.«

  »Was denn? Darf ich mich etwa nicht beiläufig über die neue Kellnerin unterhalten?«

  »Du machst nichts beiläufig. Du verfolgst immer ein Ziel. Und dieses Ziel ist normalerweise Sex.«

  »Ich habe gefragt, wie sie so ist, nicht welche Farbe ihre Unterwäsche hat.«

  Sie schnaubt. »Vertrau mir einfach, wenn ich sage, dass sie nicht dein Typ ist.«

  »Was soll das bedeuten?«

  »Das bedeutet, dass sie zuckersüß und viel zu jung ist, um verdorben zu werden.« Sie wirft mir einen Seitenblick zu. »Außerdem geht sie nicht mit Musikern aus.«

  Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. »Was für eine schwachsinnige Regel ist das denn?«

  »Vermutlich eine kluge, wenn sie weiterhin hier arbeiten will.« Sie klopft zweimal an Adams Tür und öffnet sie dann, um den Kopf hineinzustecken. »Hey, Boss. Ich habe Ryder hergebracht.«

  Ich höre Adam seufzen, als wäre das eine unglaubliche Zumutung – als würde ich seinen Abend stören und nicht umgekehrt. Ich balle die Hände zu Fäusten.

  »Wenn du ihm eine reinhaust, wird er dich nie wieder hier auftreten lassen«, flüstert Carly, als sie davongeht. »Lauf nicht in die Falle.«

  Ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse, löse die Fäuste und trete in das kleine, schrankartige Zimmer. Es gibt nicht mal ein Fenster. Hier drinnen ist es so stickig, dass ich kaum atmen kann, auch wenn das weniger an der mangelnden Luftzirkulation, sondern eher an dem Mann liegen könnte, der hinter dem Schreibtisch sitzt.

  Mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtet er, wie ich das Zimmer betrete. Ich lasse mich auf den unbequemen Klappstuhl fallen, der ihm gegenübersteht, und starre ihn schweigend an. Ich weigere mich, als Erster zu sprechen. Ich bin nicht derjenige, der dieses kleine Treffen einberufen hat.

  »Wir müssen reden.« Seine Stimme klingt angespannt.

  »Willst du mich schon wieder nach meiner Telefonnummer fragen? Denn die Antwort lautet immer noch Nein.«

  »Ich meine es ernst«, schnauzt er. »Es geht um Lacey.«

  »Was ist mit ihr?«

  »Wo zum Teufel ist sie?«

  »Ich bin nicht ihr Babysitter. Woher soll ich das wissen?«

  Er starrt mich an, und sein Kiefer zuckt wie eine Bombe mit Zeitzünder. Du solltest es wissen, klagt er mich mit seinen Augen an. Nach dem, was du getan hast.

  »Hör zu.« Ich atme aus
. »Ich weiß nicht, was zwischen dir und Lacey vorgefallen ist, nachdem …«

  Er wird ganz starr vor Wut.

  Ich hebe beschwichtigend die Hände. »Ich bin nur ihr Bandkollege. Das ist alles. Und ich weiß, dass man nicht versuchen sollte, Lacey zu kontrollieren. Sie tut, was sie will, wann sie es will. Das war schon immer so, und daran wird sich auch nichts ändern.«

  »Glaub mir, das ist mir bewusst«, schnauzt er. »Aber wenn sie bei eurem nächsten Auftritt nicht auftaucht, geht ihr nicht auf die Bühne.«

  »Wade hat kein Problem damit, dass ich für sie einspringe.«

  »Wade mag das Programm zusammenstellen, aber er ist nicht hier, um es durchzusetzen. Das ist meine Aufgabe. Ich habe in diesem Bereich das Sagen.« Adams Stimme klingt beinahe hämisch. »Und ich sage dir, dass ihr erledigt seid, wenn ihr euch noch einen Patzer erlaubt. Und zwar nicht nur hier. Ich habe in jeder Bar in der Stadt Freunde. Ich kann dafür sorgen, dass ihr nie wieder einen Auftritt bekommt. Einfach so.« Er schnippt mit den Fingern.

  Gott, er ist so ein Arsch.

  Offensichtlich ist das seine Rache für jenen Abend. Ich nahm ihm etwas weg, das ihm gehörte, also nimmt er mir jetzt etwas weg. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Lacey eigentlich nie ihm gehörte. Sie hat nie jemandem gehört. Dafür ist sie viel zu egoistisch.

  »Das ist nichts Persönliches«, sagt er mit einem kalten Lächeln. »Es ist rein geschäftlich.«

  Ich stehe auf und ringe darum, meine Wut an der kurzen Leine zu halten, um ihm nicht an die Gurgel zu gehen. Meine Stimme ist emotionslos. »Sie wird beim nächsten Mal hier sein.«

  Selbst wenn ich sie an ihren falschen Haarverlängerungen herzerren muss, um sie auf die Bühne zu bekommen.

  »Gut«, sagt Adam mit einem fiesen Grinsen. »Und jetzt schieb ab. Ich habe zu tun.«

  Ich knalle die Tür so fest zu, dass sie im Rahmen wackelt, und marschiere durch den Flur. Ich würde gerne gegen etwas schlagen. Mit voller Wucht. Am liebsten gegen Adams Kiefer, aber da das keine Option ist, werde ich mich mit einer Wand begnügen müssen.

  Ich bin zu aufgewühlt, um an den Tisch zurückzukehren, also schiebe ich die Notausgangstür auf, stolpere die drei Stufen hinunter und finde mich auf dem düsteren Mitarbeiterparkplatz wieder. Ich durchsuche meine Taschen nach einer Zigarette und fluche, als mir klar wird, dass meine Packung auf dem Tisch in der Bar liegt. Ich lehne die Unterarme gegen die kühle Zementfassade des Gebäudes, beuge den Kopf und atme tief ein. Die schwüle Mailuft fühlt sich in meiner Lunge wie Sirup an.

  »Geht es dir gut?«, fragt eine sanfte Stimme.

  Ich zucke erschrocken zusammen und drehe den Kopf nach links. Auf den Stufen sitzt eine junge Frau. Ich kann sie kaum erkennen, da sie sich außerhalb des Lichtkegels der nächstgelegenen Parkplatzlampe befindet. Ich bin so schnell nach draußen gestürmt, dass ich sie nicht mal gesehen habe.

  »Alles in Ordnung, abgesehen von dem Herzinfarkt, den du mir gerade verpasst hast.«

  Sie lacht, und es klingt wie eine Melodie. Ich blinzle in die Dunkelheit hinein, während sie aufsteht und aus den Schatten tritt, damit ich ihr Gesicht sehen kann. Ich spüre, wie sich mein Herz in meiner Brust verkrampft, als ich erkenne, dass sie es ist. Die neue Kellnerin. Die, von der ich während des Auftritts die Augen nicht lassen konnte.

  »Tut mir leid.« Ihr Lächeln ist zögerlich, beinahe so, als wäre sie aus der Übung. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Du sahst nur so … aufgewühlt aus.«

  »Ich habe dir doch gesagt, dass alles in Ordnung ist.«

  »Klar«, sagt sie tonlos und starrt mir ins Gesicht. »Weil es vollkommen normal ist, in dunklen Gassen herumzuhängen. Allein.«

  »Ich bin nicht allein. Du bist hier.«

  Sie seufzt. »Stimmt auch wieder.«

  »Warum versteckst du dich hier draußen in der Dunkelheit?«

  »Ich habe fünfzehn Minuten Pause.«

  »Ah.«

  Ich neige den Kopf und mustere sie aus der Nähe. Carly hatte recht, was ihr Alter betrifft – sie ist definitiv jung. Egal wie viel Eyeliner sie aufgetragen hat, um die Welt vom Gegenteil zu überzeugen, würde ich meinen linken Hoden darauf verwetten, dass sie nicht älter als neunzehn ist. Außerdem ist sie hübscher, als ich ursprünglich dachte. Mit ihren riesigen, ausdrucksstarken Augen, der vorwitzigen Nase und dem üppigen kleinen Mund, der fürs Küssen gemacht wurde, ist sie sogar so hübsch, dass sie eine regelrechte Ablenkung darstellt. Als ich endlich meine Stimme wiederfinde, klingt sie ein wenig rauer als normal.

  »Gibt es dafür nicht den Pausenraum?«

  Sie zuckt ganz leicht mit ihren schmalen Schultern. »Ich brauchte etwas frische Luft. Da drinnen ist es ein wenig … erdrückend.«

  »Ich habe dich hier noch nie gesehen. Du musst neu sein.«

  »Das ist meine erste Schicht«, bestätigt sie. Sie errötet ganz leicht, aber ich kann es sogar im Halbdunkeln sehen. Ihr Haar hat sich fast vollständig aus dem Zopf gelöst, als hätten die dichten Strähnen einen eigenen Willen.

  Verdammt, sie ist bildhübsch. Ich spüre, wie mein Schwanz in meiner Jeans zuckend zum Leben erwacht.

  »Ich meinte, dass du neu in Nashville sein musst«, sage ich sanft und trete einen Schritt näher an sie heran. »Nicht neu im Nightingale.«

  »Ist das so offensichtlich?« Sie lächelt wieder, dieses Mal breiter, und ich spüre, wie mein Puls ins Stocken gerät. »Ich bin gerade hergezogen. Genau genommen vor …« Sie wirft einen Blick auf die schmale silberne Armbanduhr an ihrem Handgelenk. »Etwa zwölf Stunden.«

  Ich beiße mir auf die Innenseite meiner Wange, bevor ich mich noch zu einer Dummheit hinreißen lasse, zum Beispiel anzubieten, ihr die besten Orte in der Stadt zu zeigen. Ich bin kein Kerl, der Stadtrundführungen anbietet. Die einzige Sehenswürdigkeit von Nashville, die ich Frauen einigermaßen regelmäßig vorführe, ist die beeindruckende Aussicht auf meine Schlafzimmerdecke. Also … warum muss ich mich gerade so sehr zusammenreißen, um die Worte »Ich würde dich irgendwann gern mal herumführen« nicht auszusprechen?

  »Lebst du schon lange hier?«, fragt sie.

  »Seit zweiundzwanzig Jahren. Ich wurde in einem Außenbezirk der Stadt geboren und bin auch dort aufgewachsen.«

  »Du Glücklicher.«

  »Wenn man so will.« Ich lache, aber es klingt hohl. Wenn sie nur wüsste, wie sehr ich versucht habe, diesen Ort hinter mir zu lassen …

  »Glaub mir, du kannst dich glücklich schätzen. Objektiv betrachtet.« Sie verzieht die Lippen. »Wenn du dort groß geworden wärst, wo ich aufgewachsen bin, würdest du es niemals bereuen, an einem Ort wie diesem hier zu leben. Du würdest nie wieder dorthin zurückkehren wollen.«

  »Und wo kommst du her?«

  »Oh, aus einer Kleinstadt namens Haw…« Sie bricht mitten im Wort ab und klappt den Mund fest zu. In der Dunkelheit lässt es sich nur schwer beurteilen, aber ich könnte schwören, dass sie blass geworden ist.

  »Alles in Ordnung?«, frage ich und ziehe die Augenbrauen hoch.

  Sie nickt schwach, sagt aber kein Wort mehr. Sie hat Geheimnisse in den Augen, die nicht allzu tief unter der Oberfläche verborgen sind. Seltsamerweise will ich wissen, was für Geheimnisse das sind.

  Das ist neu. Normalerweise bin ich ein Freund der »Sofort flachlegen, niemals Fragen stellen«-Strategie. Auf diese Weise bleibt das Leben so, wie ich es haben will – unkompliziert und frei von jeglichem Drama.

  »Mist!« Sie verzieht das Gesicht und schaut auf ihre Armbanduhr. »Ich muss wirklich los. Meine Pause ist vorbei. Aber es war nett, mit dir zu reden.«

  Sie dreht sich um, um zu gehen. Bedauern überkommt mich. Ich kenne nicht mal ihren verdammten Namen. Ich suche nach etwas – irgendetwas –, das ich sagen kann, um sie zum Bleiben zu bewegen, selbst wenn es nur für eine weitere Sekunde ist. Doch mein Kopf ist vollkommen leer.

  Ich, Ryder Woods … der legendäre Süßholzraspler, der schamlose Flirtexperte, das Objekt zahlloser weiblicher Sexfantasien … bekomme wegen einer Cocktailkellner
in kein Wort mehr heraus?

  Das ist nahezu lächerlich. Wenn Aiden oder Lincoln das mitbekommen hätten, würden sie glattweg vom Glauben abfallen.

  Sie zögert eine Sekunde lang auf der oberen Stufe und schaut zurück. Das Licht, das aus dem Flur nach draußen fällt, während sie die Tür aufhält, umrahmt ihre Silhouette.

  »Du warst heute Abend übrigens toll.«

  »Danke«, bringe ich brummend hervor.

  Wortgewandt. Wirklich verflucht wortgewandt.

  »Und … was auch immer dich dazu gebracht hat, hier rauszukommen und so aufgewühlt auszusehen …« Ihre Augen leuchten in der Dunkelheit wie die einer Eule. »Ich hoffe, dass es besser wird.«

  Damit macht sie auf dem Absatz kehrt. Ihr Zopf schnellt hinter ihr durch die Luft wie eine Flagge im Wind. Sie verschwindet im Gebäude und lässt mich allein in der dunklen Sommernacht zurück. Mein Puls schlägt ein wenig zu schnell. Ich starre noch lange auf die Stelle, an der sie gestanden hat … und ich kann mich ums Verrecken nicht mehr daran erinnern, was mich so wütend gemacht hat, dass es mich nach hier draußen verschlagen hat.

  4. KAPITEL

  Felicity

  Es ist zwei Uhr früh, als die letzten Künstler die letzten Akkorde ihres Auftritts spielen. Gegen halb drei gelingt es uns dann endlich, die letzten Gäste durch die Tür nach draußen zu schieben, damit wir schließen können. Wir arbeiten alle schweigend, weil wir nach acht Stunden kellnern zu erschöpft sind, um zu reden. Jay füllt die Bar mit neuen Flaschen aus dem Hinterzimmer auf. Carly kümmert sich um die Bühnenausrüstung und die Tonkabine. Adam ist in seinem Büro, zählt Geld und geht den Arbeitsplan durch. Isaac gleitet wie ein Schatten von Aufgabe zu Aufgabe und überwacht alles schweigend. Ich wische den Boden und die Tische und versuche, nicht zu sehr über einen gewissen Musiker nachzudenken, der meine Gedanken beherrscht, seit ich ihn in der Dunkelheit zurückgelassen habe.

 

‹ Prev