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Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment

Page 11

by Julie Johnson


  »Du meinst im Brustbereich?« Er löst den Blick kurz von der Straße und beäugt mein Dekolleté. »Denn diesen Teil von dir zähle ich zu deinen besten Eigenschaften, Felicity.«

  Wenn er nicht fahren würde, würde ich ihn schubsen. Ich begnüge mich mit einem bösen Blick.

  »Entspann dich, ich ziehe dich doch nur auf.« Er wackelt frech mit den Augenbrauen. »Das machen Freunde.«

  Mein Herz verkrampft sich, und ich wende mich schnell ab und schaue aus dem Fenster. Als ich schließlich etwas erwidere, klingt meine Stimme sanfter als normalerweise. »Sind wir jetzt Freunde?«

  Eine deutliche Pause entsteht. »Nun ja … Ich teile meine Donuts nicht mit jedem …«

  Ich lache. »Na gut.«

  »Da wir gerade davon sprechen, würdest du mir einen geben?«

  Ich greife in die Tüte, ziehe einen glasierten Donut heraus und reiche ihn ihm. Ich versuche, nicht zu sehr zu sabbern, während ich zuschaue, wie er einen großen Bissen davon nimmt.

  »Sabberst du schon wieder, weil ich so gut aussehe?«, fragt er mit vollem Mund und lenkt nur mit einer Hand.

  Ich ignoriere ihn und lecke die zuckrige Glasur von meinen Fingerspitzen. Plötzlich höre ich ein ersticktes Geräusch und stelle durch einen Blick nach links fest, dass mich Ryder beobachtet. Er hat die Augen fest auf meinen Zeigefinger gerichtet. Als ich ihn zwischen meinen Lippen hervorziehe, entsteht ein feuchter ploppender Laut.

  »Sabberst du schon wieder, weil ich so schön bin?«, necke ich ihn.

  Dieses Spiel kann man zu zweit spielen.

  Er lacht dünn und schaut wieder auf die Straße. Mir entgeht nicht, dass seine Knöchel ganz weiß sind, weil er das Lenkrad so fest umklammert hält. Ich schlucke schwer, schaue aus dem Fenster und tue so, als würde ich die plötzliche Anspannung zwischen uns nicht bemerken.

  Offensichtlich habe ich ihm Unbehagen bereitet.

  Aber er ist derjenige, der mit dem koketten Wortgeplänkel angefangen hat! Ich habe lediglich darauf reagiert.

  Kleine, wiederhole ich in meinem Kopf und berufe mich auf mein rettendes Wort, um mich daran zu erinnern, dass er so süß und charmant sein kann, wie er will … Wir sind nur Freunde. Selbst das kaum. Und ganz sicher nicht mehr als das.

  Kleine.

  Kleine.

  Kleine.

  Ich wiederhole es so oft, dass das Wort jegliche Bedeutung verloren hat, als wir von der Straße auf den Parkplatz von Elmwood Estates abbiegen. Er fährt in eine freie Parklücke, die mit einem Schild mit der Aufschrift BESUCHER gekennzeichnet ist und sich in der Nähe der Vordertür befindet, und stellt den Motor ab.

  »Danke fürs Mitnehmen.« Ich weiche seinem Blick aus, während ich mit einer Hand nach dem Türgriff taste. »Und für die Donuts.«

  »Jederzeit.«

  Ich hüpfe aus dem Auto, schlinge mir meine Handtasche über die Schulter und schlage die Tür hinter mir zu. Bevor ich meine Gitarre aus dem Laderaum holen kann, taucht Ryder neben mir auf. Ich blinzle überrascht, denn ich habe nicht mal gehört, wie er ausgestiegen ist.

  »Oh, das musst du nicht tun, ich kann sie …« Ich verstumme.

  Er zieht meinen Gitarrenkoffer aus dem Auto und reicht ihn mir. Mein Mund wird trocken, als er plötzlich sein Hemd auszieht und mir seine muskulöse Brust und ein Sixpack präsentiert, wie ich es so aus der Nähe noch nie gesehen habe. Sein Duft trifft mich wie eine Welle – Schweiß und Zigarettenrauch und etwas eindeutig Männliches. Es ist eine berauschende Kombination. Ich versuche, mich abzuwenden, aber meine Augen scheinen an seiner Haut festzukleben.

  »W… Was machst du?«, stammele ich. Ich habe die Hand so fest um den Griff meines Gitarrenkoffers gelegt, dass ich überrascht bin, dass er nicht in zwei Hälften zerbricht.

  Ryder zwinkert mir zu und wirft sein Polohemd in den Laderaum des Transporters. Nachdem er ein paar Sekunden lang darin herumgewühlt hat, findet er ein ausgeblichenes graues Band-T-Shirt und zieht es sich über den Kopf. Ich kann die Buchstaben nicht erkennen. Lediglich der Schriftzug »Live im Ryman« ist am unteren Rand noch zu lesen.

  Er schließt die Schiebetür mit einem leisen Klicken und sieht mir ins Gesicht. Ich muss ein wenig erschüttert wirken, denn er grinst breiter als je zuvor.

  »Keine Sorge, diese Wirkung habe ich oft auf Frauen. Das geht vorbei. Warte einfach ein paar Minuten.« Er senkt die Stimme, um den monotonen Tonfall einer medizinischen Dauerwerbesendung nachzuahmen. »Wenn Ihr Zustand länger als vier Stunden anhält, konsultieren Sie bitte Ihren Arzt.«

  Ich erröte und schlage ihm leicht auf den Arm. »Halt die Klappe.«

  Er nimmt mir den Gitarrenkoffer aus der Hand und schaut mich erwartungsvoll an. »Bereit?«

  »Wofür …?«

  »Für das, weswegen wir hergekommen sind, was auch immer das sein mag.« Er schaut mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

  Ich werfe ihm den gleichen Blick zu. »Du kommst nicht mit mir.«

  »Du willst mich im Auto warten lassen wie einen Hund, dem man das Fenster einen Spaltbreit auflässt? Hier draußen herrscht glühende Hitze! Das ist unmenschlich, Felicity.«

  »Du musst nicht auf mich warten! Ich schaffe es allein nach Hause.«

  »Wie?«

  »Ich werde mir ein Taxi rufen.«

  Er schüttelt den Kopf. »Das ist doch Unsinn. Ich bin doch schon hier.«

  »Aber …«

  »Hör zu … Das hier ist eine Einrichtung für betreutes Wohnen, richtig?«

  »Ein Pflegeheim«, murmle ich. »Woher wusstest du das?«

  »Hier befinden sich etwa siebzig Behindertenparklätze in einem Radius von hundert Metern.«

  Ich muss lächeln. Das stimmt.

  »Ich vermute, dass es ein Wartezimmer gibt.« Er starrt mich an. »Korrigiere mich, wenn ich falschliege.«

  »Du liegst nicht falsch.«

  »Toll. Dann werde ich in besagtem Wartezimmer warten. Du erledigst das, weswegen du hergekommen bist. Und wenn du zum Aufbruch bereit bist, werde ich dich nach Hause fahren. So einfach ist das. Ich verspreche, dass ich dir keine weiteren Fragen über deine geheime Mission hier im schönen Ashcroft stellen werde.«

  »Elmwood«, berichtige ich ihn leise.

  »Was auch immer.«

  Mein Herz hämmert gegen meine Rippen, während ich zu ihm hochblicke. Mir fällt keine andere Frage ein außer: »Warum?«

  Er wirkt verwirrt. »Warum was?«

  »Warum würdest du das für mich tun?«

  »Weil wir Freunde sind, Felicity. Erinnerst du dich?«

  Was für eine merkwürdige Vorstellung für eine Frau, die nie welche hatte.

  Ich atme scharf ein. »Tja … Was willst du im Gegenzug dafür?«

  Etwas Trauriges blitzt in seinen Augen auf. Seine Stimme ist beinahe feierlich, als er spricht. Es hört sich seltsam an – normalerweise wirkt er vor lauter Begeisterung und Charisma immer so voller Elan.

  »Was ich will?«, wiederholt er.

  Ich nicke.

  Er macht einen Schritt auf mich zu und kommt mir damit ein wenig zu nah. Seine Augen sind fest auf mich gerichtet.

  »Ich will, dass du lächelst und es auch so meinst. Ich will, dass du lachst, ohne zweimal darüber nachzudenken. Ich will, dass du das Gefühl hast – auch wenn es nur für diesen einen Nachmittag ist –, dass du dich auf jemanden verlassen kannst, ohne dass dir der Boden unter den Füßen weggezogen wird.« Er betrachtet mich mit einer solchen Bedeutungsschwere, dass ich seinen Blick wie eine Liebkosung auf meiner Haut spüre. »Ich will alles Mögliche, Felicity.«

  Mir stockt der Atem.

  »Okay.«

  Er zieht die Augenbrauen hoch. »Okay?«

  »Du kannst mit mir reinkommen.«

  Wir gehen schweigend durch einen Flur. Die Wände um uns herum weisen ein fröhliches gelbes Blumenmuster auf, das Wärme und Geborgenheit vermitteln soll.

  Ich verspüre jedoch nur Grauen.

  Hierherzukommen zer
rt meine Vergangenheit auf eine Art und Weise ans Licht, auf die ich nicht richtig vorbereitet bin. Ich werfe einen verstohlenen Blick zu Ryder. Wenn mir jemand vor ein paar Wochen erzählt hätte, dass ich mich eines Tages mit ihm an meiner Seite in einem Pflegeheim wiederfinden würde, hätte ich dieser Person den Rat gegeben, wegen Halluzinationen umgehend einen Neurologen zu konsultieren. Er wirkt hier auffallend fehl am Platz, aber er stellt sich ziemlich gut an, wenn man bedenkt, dass das gesamte Gebäude nach Desinfektionsmittel und pürierten Hamburgern riecht. Er hätte wie versprochen im Eingangsbereich gewartet, aber ich überraschte uns beide, indem ich ihm einen laminierten Besucherausweis reichte, den ich von der Dame am Empfangsschalter bekommen hatte.

  Da er nun schon mal hier ist, kann er ebenso gut bleiben, um sich das hier anzusehen.

  Er scheint meinen Blick auf seinem Gesicht zu spüren, denn er schaut in meine Richtung. »Was ist los?«

  »Nichts.«

  Er verzieht die Lippen, bedrängt mich aber nicht.

  Wir bleiben vor einem Zimmer mit der Nummer 102 stehen. Meine Hand zittert ein wenig, als ich nach der Klinke greife und sie hinunterdrücke. Die Tür schwingt lautlos nach innen auf, und ich hole Luft, um mich zu sammeln, bevor ich eintrete. Ich schaue mich suchend im Zimmer um, aber sie ist nicht hier.

  Ryder stößt einen leisen Pfiff aus, als er über die Schwelle tritt. Ich schaue ihn an, doch er starrt wie gebannt auf all den Kram an den Wänden. Ich habe ihn schon öfter gesehen, aber es ist trotzdem eine ziemlich beeindruckende Ansammlung. An den Wänden hängen Dutzende von Fotos von der legendären Bethany Hayes, die bis zu ihren ruhmreichen Tagen in den 1950ern zurückreichen. Ich lasse die Augen über das Schwarz-Weiß-Foto gleiten, auf dem sie eine junge Patsy Cline umarmt. Ein weiteres zeigt sie dabei, wie sie sich auf der Bühne des Grand Ole Opry ein Mikrofon mit Loretta Lynn teilt. Ich lächle, als ich den Schnappschuss von ihr und Elvis entdecke, auf dem sie beide lachen.

  »Sie muss im Gemeinschaftsraum sein«, murmle ich.

  Ryder reagiert nicht. Er starrt ehrfürchtig auf die mit einem Autogramm versehene puderblaue Gitarre, die in einem Glaskasten über dem Bett hängt.

  »Ist das …?« Er muss schlucken. »Ist das eine alte Gibson? Unterschrieben von Bethany Hayes?«

  »Ja.«

  Er starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Wo sind wir?«

  »Das wirst du in einer Minute sehen. Komm mit.«

  »Felicity …«

  Ich ignoriere seinen Protest und gehe in den Flur hinaus. Mein letzter Besuch ist zwei Jahre her, aber meine vagen Erinnerungen sagen mir, dass ich nach links gehen muss. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, als ich um eine Ecke biege und ihre Stimme durch die geöffneten breiten Türen des Gemeinschaftsraums hallen höre. Sie wird von leisen Klaviertönen begleitet.

  Ich bleibe im Durchgang stehen und beobachte sie. Ryder steht so dicht bei mir, dass ich spüren kann, wie seine Brust meinen Rücken streift, wann immer er ein- und ausatmet. Seine Ehrfurcht ist greifbar.

  Ich verstehe das – schließlich hört man Bethany Hayes nicht jeden Tag singen.

  Ihre Stimme ist mittlerweile fast verschwunden. Sie klingt trillernd und schwach. Aber sie bietet immer noch einen beeindruckenden Anblick, selbst mit einer Häkeldecke über den Knien und einem Schopf aus schneeweißem Haar. Auch mit neunzig Jahren trägt sie immer noch ihren berühmten knallroten Lippenstift. Ich habe sie noch nie ohne gesehen.

  »Das ist Bethany Hayes«, murmelt Ryder.

  »Ja«, bestätige ich leise.

  »Felicity.«

  Ich schaue zu ihm auf. »Was?«

  »Warum sind wir hier?« Er nickt in Richtung des Klaviers. »Dir ist doch klar, dass diese Frau eine der berühmtesten Countrysängerinnen ist, die die Bühnen dieser Welt je mit ihrer Anwesenheit geehrt haben, oder? Sie ist Mitglied in der Country Music Hall of Fame. Sie hat zwei Grammys gewonnen.«

  »Das magst du so sehen.« Ich verziehe die Lippen. »Aber für mich ist sie hauptsächlich einfach nur meine Oma.«

  9. KAPITEL

  Ryder

  Ich wäre weniger überrascht gewesen, wenn ich erfahren hätte, dass wir hier sind, um das Pflegeheim mit vorgehaltener Waffe auszurauben. Zu erfahren, dass Felicity von einer Königin der Countrymusik abstammt, haut mich vollkommen um.

  Bethany Hayes ist ihre Großmutter.

  Das ist so, als hätte man Johnny Cash als Großonkel oder Hank Williams als Stiefvater oder Willie Nelson als Nachbarn. Die Frau ist eine Legende. Diese signierte Gibson, die über ihrem Bett hängt, ist mindestens einhunderttausend Dollar wert. Vielleicht mehr, wenn sie je versteigert werden sollte.

  Also warum arbeitet ihre Enkelin in einer Bar und wohnt in einer besseren Abstellkammer?

  Ich bleibe im Hintergrund, während Felicity in den sonnigen Gemeinschaftsraum geht und den ältlichen Bewohnern zulächelt, die überall im Raum verteilt sitzen. Ihr hübsches Sommerkleid weht bei jedem Schritt um ihre Beine herum. Sie ist heute so umwerfend, dass ich ganz abgelenkt bin. Ihr offenes Haar fällt ihr in weichen Wellen über die Schultern. Nun, da es nicht wie üblich zu einem Zopf zusammengebunden ist, ist es wild und frei. Es schmerzt beinahe, sie direkt anzusehen.

  Sabberst du schon wieder, weil ich so schön bin?, neckte sie mich im Wagen.

  Wenn man bedenkt, dass ich beinahe von der verdammten Straße abgekommen wäre, als ich sah, wie sie sich Zucker vom Finger leckte, würde ich diese Frage mit Ja beantworten. Tatsächlich sogar mit einem »verdammt noch mal Ja«.

  Ich sehe zu, wie sie sich mit einem sanften Lächeln auf den Lippen neben Bethany auf die Klavierbank gleiten lässt. Die Musik verstummt, als die alte Frau aufschaut. Ich warte auf den Moment des Erkennens. Auf die typische Umarmung zwischen Großmutter und Enkelin.

  Doch das alles passiert nicht.

  Stattdessen beobachte ich, wie Felicity eine Frage stellt, die ich auf die Entfernung nicht verstehen kann. Was auch immer sie fragt, Bethany scheint ihr zuzustimmen, denn eine Sekunde später legen beide die Fingerspitzen auf die Tasten. Ohne Umschweife beginnen sie zu spielen, als hätten sie das Duett den ganzen Tag lang geprobt. Die Musik ist wundervoll, aber alles wirkt recht … höflich.

  Andererseits, was weiß ich schon? Meine Großmutter war Grundschullehrerin, kein Superstar.

  Ich lasse mich langsam auf einen Stuhl am Fenster sinken, da ich den Moment nicht stören will. Eine vorbeigehende Pflegerin steckt den Kopf in den Raum und hält inne. Der Anblick der beiden Frauen am Klavier fesselt sie ebenso sehr wie mich.

  »Es ist immer schön, Bethany lächeln zu sehen«, murmelt sie. »Sie haben Glück, dass Sie an einem guten Tag vorbeigekommen sind. Sie ist natürlich nicht klar im Kopf, aber sie hat gute Laune. Musik ist so ziemlich das Einzige, was noch zu ihr durchdringt.«

  »Oh …« Ich versuche, sie zu unterbrechen und ihr mitzuteilen, dass mich das nichts angeht, doch sie redet einfach weiter.

  »Schrecklich, dass sie nicht mal mehr ihre eigene Familie erkennt. Einfach schrecklich.« Sie schnalzt mit der Zunge. »Aber es ist gut, dass Sie sie besuchen kommen. Sie hatte schon seit Ewigkeiten keinen Besuch mehr. Und sie mag ihre Enkelin nicht erkennen, aber sie weiß, dass sie jemand ist, der ihr wichtig ist. Das können Sie an der Art erkennen, wie sie sie anschaut. Sehen Sie?«

  Ich schaue zu den beiden Frauen auf der Klavierbank hinüber, und mein Herz verkrampft sich, während sie die schleppenden Noten eines vertrauten Lieds spielen. Ich brauche einen Augenblick, um es einzuordnen, aber schließlich erkenne ich die Melodie – »I Fall to Pieces« von Patsy Cline.

  »Ja«, bringe ich schnaufend hervor und habe das Gefühl, als hätte mir jemand mit einem Stahlkappenstiefel in den Magen getreten. »Ich sehe es.«

  Die Pflegerin seufzt leise. »Rufen Sie mich, wenn Sie irgendetwas brauchen, okay?«

  Mit einem Quietschen ihrer Turnschuhe auf dem gefliesten Boden verschwindet sie den Flur hinunter.

  Ich schaue wieder zu Felicity. Ich dachte, dass ich ein
paar Antworten auf meine Fragen erhalten würde, indem ich sie hierherbrachte, aber nun habe ich noch mehr Fragen als je zuvor. Das Verlangen, diese Frau zu durchschauen, das Rätsel zu lösen, das Felicity darstellt, beherrscht nach und nach jeden meiner Gedanken. Seit unserer Begegnung in jener Nacht bekomme ich sie nicht mehr aus dem Kopf, und das treibt mich fast in den Wahnsinn. Als ich sie vorhin an dieser Bushaltestelle sitzen sah, dachte ich fast, dass ich halluzinieren würde – dass ich eine Vision der Person heraufbeschworen hätte, die ich am dringendsten sehen wollte.

  Ich bin mir nicht sicher, warum sie mir so wichtig ist. Sie ist es einfach. Irgendwo in meinem Inneren ist ein Schalter umgelegt worden, und egal wie sehr es mir gegen den Strich geht, ich kann ihn offenbar nicht wieder in seine ursprüngliche Position bringen.

  Sind wir Freunde?, fragte sie mich und sah dabei so jung und schutzlos aus, dass es mich fast umgebracht hätte. Ich wollte Nein sagen. Teufel nein. Ich will nicht mit ihr befreundet sein. Ich will ihr dieses Sommerkleid vom Leib reißen und jede Kurve erforschen, die darunterliegt. Aber eine nagende Stimme erinnert mich an meine bevorstehende Abreise nach L. A.

  Lass sie in Ruhe.

  Du wirst ihr nur wehtun.

  Ihr wurde schon genug wehgetan.

  Mir wird klar, dass ich sie ziemlich intensiv angestarrt haben muss, als sie einen Blick über ihre Schulter wirft und amüsiert eine Augenbraue hochzieht. Bevor ich mich abwenden kann, winkt sie mich zu sich hinüber. Ich öffne den Koffer zu meinen Füßen und hole die Gitarre heraus. Sie sieht ein wenig mitgenommen aus. Die Saiten sind brüchig und vom vielen Spielen abgenutzt, aber sie wird es noch tun. Ich stimme sie ein wenig, während ich den Raum durchquere, um mich neben das Klavier zu stellen. Ich warte auf die Überleitung, um einzusteigen, und finde die Akkorde per Gehör.

  Bethany schaut auf, als sie die Gitarre hört, und lächelt breit. Auf ihrer perlweißen Zahnprothese ist eine kleine Schliere ihres roten Lippenstifts. Ich schaue Felicity in die Augen und halte ihren Blick, während wir zu dritt unseren Rhythmus finden. Bethany singt die letzte Strophe. Ihre Stimme ist zittrig und dünn, aber auf ihre Weise immer noch wunderschön.

 

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