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Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment

Page 20

by Julie Johnson


  »Du meinst abgesehen von der Tatsache, dass du die ganze Zeit finster in die Gegend schaust …?« Sie kichert. »Keine Sorge, die Gruppenorgie im Pool sollte die Dinge später ein wenig auflockern.«

  Ich starre sie an.

  »Das war ein Witz!« Sie kichert erneut. »Gott, meine Witze zünden heute wirklich nicht, oder?«

  »Könnte sein, dass das nicht an dir liegt. Ich habe wirklich schlechte Laune.«

  »Bist du notgeil, hast du ein gebrochenes Herz, oder brauchst du dringend einen Schuss?«, fragt sie mit einem Augenzwinkern. Zum ersten Mal fällt mir auf, wie geweitet ihre Pupillen sind. Das Schwarz verdrängt das Hellblau ihrer Augen fast komplett. »Falls es Letzteres ist, gibt es hier jede Menge Leute, die dir etwas besorgen können.«

  »Nein, schon gut.«

  »Wie du willst.« Becca seufzt. »Gott, wie lange dauert es denn, hier einen Wodka Tonic zu bekommen? Diese Barkeeper haben noch kein einziges Mal in meine Richtung geschaut.«

  »Wenn du ihnen deine Brüste zeigst, kannst du den Vorgang vielleicht beschleunigen. Für sie scheint das funktioniert zu haben.« Ich deute mit einem Nicken nach links, wo eine Blondine mit riesigen falschen Brüsten an ihrem Himbeer-Rum-Punsch mit Zuckerrand nippt.

  Becca zögert keine Sekunde. »Das habe ich schon mal versucht. Dadurch verringert man die Lieferzeit der Getränke selten um mehr als eine Minute. Willkommen in L. A., wo jeder entweder Schönheitschirurg ist oder einen in Bereitschaft hat. Schicke Brüste sind hier nichts Besonderes.«

  Ich muss zum ersten Mal an diesem Tag lächeln. »Dann wirst du wohl einfach warten müssen.«

  »Das ist schon in Ordnung. Die Gesellschaft ist ja nicht schrecklich.« Sie grinst mich an. »Also, gehörst du zur Plattenfirma?«

  »Ich denke über einen Vertrag nach.«

  »Ah, also haben sie dich hergeflogen, um dich mit Poolpartys und ehemaligen Pornostars in Bikinis zu umwerben.« Sie wirft einen vielsagenden Blick zu der Blondine mit den großen Brüsten. »Oh, du meine Güte! Warte! Ryder Woods, oder?«

  Ich blinzle. »Du hast von mir gehört?«

  »Dein Ruf eilt dir voraus.«

  »Mir war nicht klar, dass ich hier bereits einen Ruf habe.«

  »Vielleicht nicht in der Öffentlichkeit, aber bei Red Machine ist der Name Ryder Woods durchaus schon öfter gefallen. Ich bin Clays zweite Assistentin. Auch bekannt als Chris’ Assistentin. Auch bekannt als Assistentin des Assistenten, wenn man so will.« Sie schlägt sich auf die Stirn. »Tut mir leid, ich hätte darauf kommen sollen, als du dich vorgestellt hast.«

  »Kein Problem.«

  »Sie haben dich für die Nacht im Hotel untergebracht, oder? Chris trug mir vor ein paar Tagen auf, die Reservierungen zu tätigen.«

  »Ja, das ist ziemlich schick. Die Aussicht auf die Stadt ist toll.«

  »Und es ist praktisch – wenn man betrunken ist und sein Bett finden muss, ist es nur ein paar Stockwerke weiter unten.«

  »Das hängt einzig und allein davon ab, ob ich noch in der Lage sein werde, einen weiteren Whiskey zu bekommen.« Ich drehe mein leeres Glas zwischen meinen Handflächen. »Zwei Barkeeper, um zweihundert Leute zu bedienen? Ich werde stocknüchtern sein, wenn diese Party vorbei ist.«

  »Nicht wenn ich da noch ein Wörtchen mitzureden habe!« Becca stößt mit ihrem leeren Glas an meins, greift in ihre Handtasche und zieht einen kleinen Beutel mit weißen Pillen hervor. Sie schnappt sich meine Hand und lässt etwa ein Dutzend davon auf meine Handfläche fallen. »Für später. Falls denen hier der Whiskey ausgeht.«

  »Was ist das?«

  »Oh, nur ein kleiner Muntermacher.« Sie zuckt mit den Schultern. »Nichts zu Heftiges.«

  »Ehrlich, ich weiß die Geste zu schätzen, aber ich bin eher ein Whiskeytrinker. Diese Pillen wären an mich nur verschwendet.« Ich will sie ihr zurückgeben, doch sie legt ihre Hand um meine und schließt die Pillen in meinem Griff ein.

  »Ich bestehe darauf! Betrachte sie als Willkommensgeschenk für L. A.« Sie wackelt spielerisch mit den Augenbrauen. »Du kannst mir später danken.«

  Anstatt deswegen mit ihr zu diskutieren, verstaue ich die Pillen in meiner Tasche, damit ich sie wegwerfen kann, sobald Becca außer Sichtweite ist.

  »Äh, danke«, murmle ich, da mir nichts Besseres einfällt. Ich frage mich, in was für einer verrückten Welt ich hier gelandet bin, in der Leute Drogen wie Smarties verteilen, nachdem sie einen gerade mal fünf Minuten lang kennen.

  »Also …« Becca schaut zu Lacey, die immer noch mit ihrem neuen Freund im Pool herumplantscht. »Das ist deine Gesangspartnerin, richtig?«

  »Manchmal.«

  »Ist sie deine Freundin?«

  »Definitiv nicht.«

  »Hast du eine Freundin?«

  Als ich sie einfach nur schweigend anstarre, wirft sie den Kopf zurück und lacht. »Ach, komm schon. Du kannst einer Frau nicht vorwerfen, dass sie es versucht.«

  Ich ringe mir ein Grinsen ab und verbanne Felicitys Gesicht zurück in meinen Hinterkopf.

  Sie ist nicht meine Freundin. Das war sie nie.

  Also warum kann ich nicht aufhören, an sie zu denken? Warum kann ich nicht aufhören, mich zu fragen, wie es ihr geht? Warum stelle ich mir diese kleine Falte vor, die zwischen ihren Augen erscheint, wenn sie versucht, nicht zu lachen, oder die Art, wie sie die Hüften im Takt schwingt, wenn sie leise eine neue Melodie vor sich hin summt? Warum kann ich nicht aufhören, mich zu fragen, was sie sagen würde, wenn sie die Frau wäre, die neben mir auf diesem Barhocker sitzt?

  L. A. ist nichts für mich, teilte sie mir gestern Nacht mit und verzog dabei das Gesicht.

  Sie würde es hier hassen. Sie würde das alles hassen. Den Pool, in dem niemand schwimmt, die prahlerische Zurschaustellung von Reichtum, die höhnische Herablassung, die in jeder Unterhaltung mitschwingt. Die Drogen, die Getränke, den oberflächlichen Small Talk.

  Das ist der Albtraum eines introvertierten Menschen.

  Ich bin sauer, dass ihre Meinung in meinem Kopf so viel Gewicht hat, obwohl sie nicht mal hier ist, um sie auszusprechen. Ich weiß nicht, wann mir ihre Sicht auf die Dinge so wichtig geworden ist. Wann sie mir so wichtig geworden ist. Ich bin noch nie der Kerl gewesen, der ein Problem damit hat, nach dem Sex alle Verbindungen zu kappen. Am Morgen danach zu verschwinden ist praktisch meine Wahlsportart. Verdammt, wenn ich ehrlich bin, habe ich mir in den meisten Fällen noch nicht mal die Mühe gemacht, bis zum Morgen zu bleiben – normalerweise verschwinde ich, bevor die Laken trocken sind, und zwar ohne ein »Ich ruf dich an« oder einen Abschiedskuss.

  Aber letzte Nacht … wollte ich nicht gehen. Und als ich heute Morgen mit Felicity in den Armen aufwachte, brauchte ich meine ganze Kraft, um aus dem Bett zu steigen und mich anzuziehen.

  Sie zurückzulassen hat mich beinahe umgebracht.

  Ihr fernzubleiben könnte tatsächlich mein Tod sein.

  Als der Barkeeper endlich vor mir auftaucht, zwinge ich mich in die Realität zurück. Ich bestelle einen doppelten Whiskey ohne Eis, und der Mann wirft mir einen anerkennenden Blick zu, während er ein paar Fingerbreit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in einen Tumbler gießt und ihn zu mir schiebt. Ich nehme einen großen Schluck, sobald das Glas in meiner Hand ist.

  »Mir gefällt diese grüblerische James-Dean-Nummer, die du abziehst«, sagt Becca gedankenverloren. »Das ist gut. Ausgefallen. Damit hebst du dich von allen anderen ab.«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Das ist keine Nummer.«

  »Du meinst, dass du tatsächlich so grüblerisch bist?« Sie schnappt mit gespielter Überraschung nach Luft. »Wie furchtbar un-Zen von dir.«

  »Zen gehört nicht unbedingt zu den Worten, die ich benutzen würde, um mich zu beschreiben. Im Großen und Ganzen.«

  »Das ist schade.« Sie schüttelt den Kopf. »L. A. steht total auf Zen.«

  »Ich habe eher den Eindruck, dass L. A. total darauf steht, jede Menge Geld zu scheffeln und es anderen Leuten unter die Nase zu reiben, während es so t
ut, als wäre es Zen.« Ich zucke mit den Schultern und trinke einen weiteren großen Schluck Whiskey. »Ich bin mir nicht sicher, ob irgendjemand, den ich bislang gesehen habe, wirklich Zen ist.«

  »Oh Mann.« Becca lacht wieder, als wäre ich der witzigste Mensch, dem sie jemals begegnet ist. »Ich kann kaum erwarten zu sehen, was Clay mit euch vorhat. Wie Öl und Wasser. Bette und Joan. Tay und Kanye. Das wird großartig werden. Komm schon, lass uns nachschauen, wo er steckt.«

  Ich sorge dafür, dass mir der Barkeeper noch einmal nachschenkt, bevor ich ihr ins Partygewühl folge.

  »Da ist er ja! Ryder!«, ruft Clay, als wir auf die Dachterrasse hinausgehen. »Wie geht es Ihnen? Gut? Oh, freut mich so, das zu hören.«

  Offenbar haben wir eine vollständige Unterhaltung geführt, ohne dass ich auch nur ein verdammtes Wort sagen musste. Zumindest in seinem Kopf. Clay sitzt mit einem Weinglas in der einen und seinem Handy in der anderen Hand auf einem üppigen weißen Sofa. Sein braunes Haar ist an den Seiten zu einem angesagten Undercut frisiert, wie man ihn normalerweise eher bei Teenagern als bei Männern Anfang vierzig sieht. Chris sitzt ihm gegenüber und tippt hektisch auf seinem Handy herum.

  Was auch sonst.

  Ich schnaube beinahe – ich bin dem Kerl jetzt schon zweimal begegnet, und er hat mir noch kein einziges Mal in die Augen geschaut.

  »Wie war der Flug? Gut?« Clay hebt sein Glas, als wollte er mir zuprosten, und grinst breit. »Und wie ich sehe, haben Sie bereits Becca kennengelernt. Zweifellos an der Theke. Sie wird Sie unter den Tisch trinken, passen Sie bloß auf! Diese Frau säuft wie ein Loch.«

  Sie wirft den Kopf zurück und kichert wie eine Hyäne. Als sie es zum ersten Mal tat, dachte ich, ihre Belustigung wäre echt, doch jetzt wird mir klar, dass das alles nur gespielt ist.

  »Ich musste ihn retten«, sagt sie und lässt sich neben Chris auf das Sofa fallen. »Er sah absolut unglücklich aus!«

  »Tja, das können wir natürlich nicht zulassen. Kommen Sie, setzen Sie sich.« Clay deutet auf den freien Sessel auf der anderen Seite des eleganten gläsernen Tischs. Durch die Mitte verläuft eine Gasfeuerstelle, in der niedrige funkenlose Flammen in einer ordentlichen Reihe brennen. »Ryder, ich bin so begeistert, Sie endlich hier bei uns zu haben, wo es wirklich zur Sache geht! Nun müssen Sie sich nicht länger in der Provinz verstecken und in heruntergekommenen Spelunken spielen, habe ich recht?«

  »Es ist toll, hier zu sein«, sage ich, während ich mich setze. Ich wünschte wirklich, dass ich es auch so meinen würde. »Danke, dass Sie uns eingeladen haben.«

  »Uns? Ist Ihre liebreizende Partnerin ebenfalls hier?«

  »Ja, Lacey …« Ich lasse den Blick über die Dachterrasse schweifen und seufze. Sie steht bis zur Taille im Pool und hat sich um den blonden Kerl gewickelt wie ein Oktopus.

  »Genießt die Party, wie es scheint.« Clays Zähne blitzen in der zunehmenden Dunkelheit grell auf. »Ganz zu schweigen von dem Bassisten von Hot Shot.«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Ich wusste gar nicht, dass Hot Shot bei Red Machine unter Vertrag ist.«

  »Das ist eine unserer wenigen noch verbliebenen Punkbands. Leider kann ich Emo nicht mehr verkaufen. Ich versuche ständig, sie dazu zu bringen, etwas leichtere Musik zu machen, aber …« Er zuckt mit den Schultern, als könnte er nicht begreifen, warum ein Künstler ein Problem damit haben könnte, seine ganze musikalische Identität vollkommen auf den Kopf zu stellen. »Wie dem auch sei! Sie sind hier. Trinken Sie was.«

  Ich hebe mein Glas voller Whiskey.

  »Oh, Sie haben bereits etwas zu trinken. Gut, gut. Das ist ausgezeichnet.«

  »Hören Sie, Clay.« Ich räuspere mich. »Ich bin dankbar, hier sein zu dürfen. Wirklich. Aber es gibt etwas, das ich gerne mit Ihnen besprechen würde, bevor wir anfangen.«

  Er zieht die Augenbrauen hoch. »Oh? Und das wäre?«

  »Ich habe versucht, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen, bevor ich Nashville verlassen habe. Eigentlich sogar mehrfach. Ich weiß nicht, ob Sie meine Nachrichten erhalten haben, aber ich wollte mit Ihnen über meine Bandkollegen reden …«

  »Klar, klar. Natürlich! Aber wir müssen jetzt nicht übers Geschäft reden!« Er lacht und lässt sich mit einem Seufzen in die Sofakissen sinken. »Sie müssen sich entspannen, Ryder! Amüsieren Sie sich ein wenig. Das hier ist eine Party.«

  »Oh, ich habe durchaus Spaß«, lüge ich. Ich beiße die Zähne zusammen und ringe mir ein Lächeln ab, das sich eher wie eine Grimasse anfühlt. Ich trinke einen weiteren Schluck von meinem Whiskey.

  »Freut mich, das zu hören. Ich will unbedingt, dass Sie zufrieden sind!« Er ist so voller Energie, dass es beinahe unangenehm ist. Zugegeben, ich bin ihm nur dieses eine Mal im Nightingale begegnet, aber seine Augen wirken ein wenig wilder, als ich sie in Erinnerung habe, und sein ganzes Auftreten ist vollkommen hektisch. Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass er etwas Stärkeres zu sich genommen hat als den Weißwein in seinem Glas.

  »Sind Sie wegen der Präsentation aufgeregt? Nervös? Das müssen Sie nicht sein.« Er lehnt sich zu mir vor, als wären wir engste Freunde und als wollte er sich mir anvertrauen. »Sie haben den morgigen Tag ganz für sich, um sich ein wenig umzuschauen. Aber für Montagmorgen haben wir für Sie und Lacey in aller Frühe einen Termin im Studio gebucht, damit wir ein paar Soundchecks machen können. Am Nachmittag kümmern wir uns dann um die Promofotos. Keine Sorge wegen der blauen Flecken – unsere Make-up-Abteilung könnte mit genug Zeit und Mitteln dafür sorgen, dass Sie wie Gwen Stefani aussehen. Und was sie nicht abdecken können, kann mit Airbrush entfernt werden.«

  Clays Angewohnheit, Fragen zu stellen und dann einfach weiterzureden, ohne die Antworten abzuwarten, genügt, um mich in den Wahnsinn zu treiben. Er macht es so nahtlos, dass man kaum merkt, dass man manipuliert wird.

  »Clay, wegen dieser Präsentation …«, falle ich ihm ins Wort, doch er unterbricht mich sofort.

  »Oh, machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Das ist eine reine Formalität. Sie schauen am Dienstag bei unserer jährlichen Vorstandssitzung vorbei, singen ein Lied für die hohen Tiere, und die werden uns daraufhin grünes Licht geben, damit wir Ihnen offiziell ein Angebot machen können. Sie haben gerne das Gefühl, dass sie immer noch ein Wörtchen mitzureden haben, obwohl sie ehrlich gesagt nur Aushängeschilder sind. Wir sind diejenigen, die alle Entscheidungen treffen, wenn es um Talentfragen geht.« Er schaut abrupt zu Becca. »Da wir gerade von Talent reden, haben wir schon was von der Agentur dieser neuen Frau gehört? Wer vertritt sie? Gott, ich hoffe, es ist nicht Cynthia Firestone. Ich schwöre, die ist halb Frau und halb Pitbull. Eine totale Schreckschraube …«

  Chris, Clay und Becca reden über eine andere Künstlerin, die sie unter Vertrag nehmen wollen, die Zweitplatzierte der letzten Staffel von America’s Got Tunes, dem beliebtesten Gesangswettbewerb des Landes. Ich schalte nach ein paar Minuten einfach ab und schaue mich auf der Party erfolglos nach Anzeichen für intelligentes Leben um.

  Wie zum Teufel bin ich hier nur gelandet?

  So habe ich mir das alles nicht vorgestellt. Ganz und gar nicht.

  Natürlich bin ich in meinen Vorstellungen immer davon ausgegangen, dass Aiden und Lincoln bei mir sein und jeden Moment mit mir genießen würden. Ich versuche, mir einzureden, dass es besser werden wird, sobald wir tatsächlich im Studio sind. Sobald ich den Plattenvertrag in den Händen halte. Sobald ich auf einer Bühne stehe und das Einzige tue, das ich schon immer einigermaßen gut konnte: eine Show abliefern.

  Ich klammere mich mit beiden Händen fest an diesen Gedanken, weil er alles ist, was mir noch geblieben ist. Mein einziger Rettungsanker. Ich ertrinke in einem Sturm aus Scham und Selbsthass, der so heftig ist, dass er droht, mich unter den Wellen zu begraben.

  Ein Plattenvertrag.

  Los Angeles.

  Freiheit.

  Ich lebe den Traum.

  Warum fühle ich mich dann so verdammt elend?

  Zwei Stunden, drei Whiskeys und vier Zigaretten später fühle ich mich langsam besser. O
der wenn schon nicht besser, dann zumindest … gefühllos. Mit leerem Blick beobachte ich, wie Chris schließlich doch mal sein Handy weglegt. Ich dachte schon, dass das verdammte Ding an seiner Hand festgewachsen wäre. Er zieht etwas, das beinahe wie ein Zippo-Feuerzeug aussieht, aus seiner Gesäßtasche und dreht den Deckel ab. Ich sehe zu, wie er ein Häufchen Kokain auf den Glastisch streut und sich daranmacht, mit der Kante seiner Kreditkarte dünne Linien zu ziehen.

  »Hey, Boss!«, ruft er und winkt Clay von der Terrasse aus zu. »Brauchst du einen Muntermacher?«

  Clay kommt mit einer Frau im Bikini im Schlepptau herüber. Sie ist etwa halb so alt wie er – sie könnte eher seine Tochter als eine Eroberung sein –, doch niemand zuckt auch nur mit der Wimper, während sich beide hinsetzen, Kokain schnupfen und dann anfangen, auf dem Sofa herumzumachen.

  Becca gönnt sich ebenfalls etwas von dem Kokain und macht einen markigen Witz darüber, dass sie sich »die Nase pudern« muss, bevor sie einen Dollarschein zusammenrollt und tief einatmet. Ihr ganzer Körper zittert, als die Droge durch ihren Kreislauf rauscht.

  »Ryder?« Chris dreht den Kopf ruckartig zu mir. »Wollen Sie auch?«

  »Nein, mir reicht das hier.« Ich hebe mein Glas und kippe den Rest des Inhalts hinunter. Dann stehe ich schwankend auf. »Tatsächlich denke ich, dass ich jetzt ins Bett gehen werde. Es war ein langer Tag.«

  Er hängt schon wieder an seinem Handy.

  »Arschloch«, murmle ich, als ich mich abwende und in Richtung Ausgang gehe. Ich schaue mich nach Lacey um, doch sie ist mit ihrer neuesten Eroberung verschwunden. In der Aufzugskabine schließe ich die Augen und lehne mich nach hinten gegen die Wand, während die Kabine nach unten in den neunten Stock fährt. Ich bin froh, den Lärm der Party hinter mir zu lassen. Ich muss betrunkener sein, als mir klar ist, denn ich stolpere ein paar Minuten lang durch das Labyrinth aus Fluren, bis ich mein Zimmer finde. Danach brauche ich wieder ein paar Minuten, um meine Schlüsselkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz zu stecken.

  Als ich endlich in meinem dunklen Hotelzimmer bin, ziehe ich mich bis auf die Boxershorts aus, werfe meine Klamotten in einem Haufen auf den Boden und lasse mich aufs Bett fallen. Vielleicht liegt es am Whiskey, aber dieses Palmenparadies fühlt sich eher wie die Hölle auf Erden an, während ich aus dem Fenster auf die Skyline von L. A. starre und das endlose Meer aus Lichtern vor meinen müden Augen verschwimmt. Die Stadt scheint in der Dunkelheit ewig weiterzugehen, und die Luft ist sogar nachts stark vom Smog verschmutzt. Die einzigen sichtbaren Sterne hier sind die Berühmtheiten – der Dunst ist so dicht, dass man keine Chance hat, je ein echtes Sternbild zu entdecken.

 

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