Forbidden Royals 02 - Golden Throne

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Forbidden Royals 02 - Golden Throne Page 5

by Johnson, Julie


  Wenn man bedenkt, dass ich kurz davorstehe, mich zu übergeben, liegt die Messlatte nicht besonders hoch.

  »Eure Königliche Hoheit«, bellt eine barsche Männerstimme und lenkt meine Aufmerksamkeit auf den bulligen Mann im Kampfanzug, der ein paar Schritte links von mir steht. Er ist Mitte fünfzig, hat kurz geschorenes Haar und stahlgraue Augen. In ihnen liegt nicht der Hauch eines Willkommens.

  Bane.

  Nomen est omen.

  »Wir haben Sie erwartet.«

  Ich verziehe die Lippen. »Das sehe ich.«

  Ich bilde mir ein, ein Kichern von einer der Wachen zu hören, aber der Laut erstirbt schneller als die Flamme einer Kerze im Sturm, als Bane seinen kalten Blick auf seine Männer richtet. Ungehorsam wird hier nicht geduldet – man könnte meinen, dass ein unerlaubtes Lachen das ganze System ins Wanken bringt.

  Der Impuls, die Augen zu verdrehen, ist noch nie so stark gewesen.

  Bane schaut wieder zu mir und sieht mich abschätzend an. »Was für eine unerwartete Freude, Sie hier zu haben, Prinzessin.« Sein Tonfall macht jedoch deutlich, dass meine Anwesenheit in seinem Reich nicht die geringste Freude in ihm auslöst.

  »Ich entschuldige mich dafür, dass ich Ihre Trainingsstunde gestört habe. Ich verspreche, dass es nicht lange dauern wird.«

  »Ich bin bereits über Ihren Wunsch nach einer persönlichen Wache informiert worden.« Seine Miene wird noch steinerner, falls das überhaupt möglich ist. »Bei allem Respekt …«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Meiner Erfahrung nach sind die Leute, die einen Satz mit diesen Worten beginnen, diejenigen, die einem am wenigsten Respekt entgegenbringen.

  »Das ist ein lächerliches Anliegen, Eure Hoheit.«

  »Oh?«, frage ich. Ein Funken von … – Zorn? – erwacht flackernd in mir zum Leben.

  »Ich versichere Ihnen, dass diese Einheit nahtlos funktioniert«, sagt Bane mit einer Stimme, die schon deutlich wichtigere Personen als mich eingeschüchtert hat. »Eine sogenannte ›Prinzessinnengarde‹ ist nicht zu Ihrem Besten. Das wird nur dazu führen, dass das System, das wir aufgebaut haben, um Sie zu schützen, gespalten und geschwächt wird. Und ehrlich gesagt weigere ich mich, etwas von meinem ohnehin schon knappen Budget abzutreten, um zusätzliche Mittel für eine solche Farce bereitzustellen.«

  »Aber das wird Ihr Budget doch gar nicht zusätzlich belasten, weil sich die Soldaten doch ohnehin schon auf der königlichen Gehaltsliste befinden«, argumentiere ich durch zusammengebissene Zähne. »Ihr Sold wird der gleiche bleiben. Die einzige Veränderung wird darin bestehen, dass ich gern ein kleines Kontingent an Wachleuten hätte, die sich nicht täglich mit dem Dienst abwechseln, sondern ausschließlich mir zugeteilt sind. Eine festgelegte Einheit, die allein mir unterstellt ist, meinen Terminplan genau kennt und jegliche Bedrohung bereits im Keim erstickt.«

  »Wie ich schon sagte, das ist lächerlich. So, wie die Dinge jetzt geregelt sind, ist für Ihren Schutz optimal gesorgt.«

  Ich verschränke die Arme vor der Brust und lege den Kopf zur Seite. »Wirklich? Ich bin ›optimal‹ geschützt?«

  Er nickt steif.

  »Wie können Sie das nach den Ereignissen, die sich in den vergangenen zwei Monaten abgespielt haben – noch dazu direkt vor Ihrer Nase! –, sagen?« Ich schüttle ungläubig den Kopf. Entweder stellt er sich absichtlich dumm, oder er leidet einfach nur an Wahrnehmungsstörungen. »Wie können Sie so tun, als wäre ich sicher, wenn jeder in diesem Raum weiß, dass dort draußen jemand herumläuft, der verdammt entschlossen ist, die Lancasters vom Angesicht der Erde zu tilgen?! Und soweit ich das beurteilen kann, hat diese Person ihre Sache bislang ziemlich gut gemacht!«

  Er beißt die Zähne so fest zusammen, dass ich fürchte, sie könnten im nächsten Moment zerbrechen. »Prinzessin, ich versichere Ihnen, dass wir jede Maßnahme ergreifen, um für Ihre Sicherheit …«

  »Offensichtlich haben wir sehr unterschiedliche Auffassungen von ›Sicherheit‹, Bane. König Leopold und Königin Abigail sind in diesem Feuer ums Leben gekommen, zusammen mit fünf Mitgliedern des Palastpersonals. Prinz Henry liegt im Krankenhaus und wird möglicherweise nie wieder aufwachen. Mein Vater – Ihr König – wurde während seiner eigenen Krönung Opfer eines Giftanschlags.« Ich beuge mich vor und wende den Blick nicht eine Sekunde von ihm ab. »Also denke ich, dass wir alle nur zu gut wissen, dass sich hier einiges ändern muss, ungeachtet dessen, was Sie mir einreden wollen, ungeachtet dessen, was Sie Ihren Männern einreden mögen, ungeachtet dessen, was Sie sich selbst einreden mögen … Denn ich bin nicht bereit, meinen Namen der ständig wachsenden Liste mit Todesopfern aus dem Geschlecht der Lancasters hinzufügen zu lassen. Ich werde mich schützen. Und wenn ich Ihnen auf die Füße treten muss, um das zu bewerkstelligen.«

  Er zittert förmlich vor unterdrückter Gewaltbereitschaft. Ich bin mir sicher, dass er mir schon längst eine Ohrfeige wegen ungebührlichen Verhaltens verpasst hätte, wenn ich nicht die Prinzessin wäre. Ich bin noch nie so dankbar für meinen Titel gewesen.

  »Hören Sie mir gut zu, Mädchen«, zischt Bane aufgebracht. »Ich habe diese Position nun schon seit über zwanzig Jahren inne. Ich stehe bereits länger im Dienst der Krone, als Sie auf der Welt sind. Ich habe Herrscher kommen und gehen sehen und mehr Soldaten ausgebildet, als Sie sich vorstellen können. Ich halte dieses Schloss eisern im Griff. Meine Männer tun nichts ohne meine Zustimmung. Und ich sage Ihnen jetzt in aller Deutlichkeit: Ich unterstütze Ihr Anliegen nicht. Ich werde es niemals unterstützen.«

  Ich halte für endlose fünf Sekunden den Atem an, denn ich weiß, dass ich die Zeit brauche, um meine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Sie scheinen der irrigen Auffassung zu sein, dass ich Sie um Erlaubnis bitte.«

  Er bebt sichtlich und ballt die Hände zu Fäusten. »Ihre Dreistigkeit ist erstaunlich! Ich habe gehört, dass Sie unverschämt sind, aber das ist wirklich unglaublich …«

  »Lassen Sie mich raten – unsere geliebte Königin hat wieder mal ein Loblied auf mich gesungen?«

  Sein wütender Blick verfinstert sich noch mehr, aber er fällt nicht auf den Octavia-Köder herein. »Ist Ihnen nicht klar, wie beleidigend es ist, hier hereinzuspazieren und anzudeuten, dass wir – die beste Garde in diesem Land – nicht ausreichend in der Lage sind, unsere Prinzessin zu beschützen? Sind Sie wirklich so anmaßend, dass Sie ein seit vielen Jahren bestehendes System anzweifeln wollen?«

  »Sind Sie wirklich so blind, dass Sie weiterhin an besagtem System festhalten wollen, obwohl es nicht länger funktioniert?« Ich schüttle den Kopf. »Bei dieser Angelegenheit geht es um sehr viel mehr als verletzten Stolz. Tatsache ist, dass Ihre und meine Auffassung von ›Schutz‹ offenbar nicht in Einklang zu bringen sind. In keiner Weise. Sie denken, dass es mich irgendwie schützen wird, mich im Dunkeln zu lassen und mir den Zugang zu wichtigen Informationen zu verweigern. Aber ich bin kein Kind, das die Augen verschließt und so tun kann, als würden die Monster in der Nacht nicht existieren. Ich bin kein kleines Kind, das man vor der harten Realität schützen oder in einem Turm einsperren muss, bis ich alt genug bin, um von Nutzen zu sein.« Meine Stimme zittert vor Entschlossenheit, und ich schlucke schwer, um mich zu sammeln. »Jemanden abzuschirmen und jemanden zu ersticken sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Ich brauche Wachen, die mir die Wahrheit sagen, selbst wenn sie furchterregend ist. Vor allem wenn sie furchterregend ist. Ich brauche eine Einheit, die Transparenz ebenso sehr schätzt wie Sicherheit. Und das einzig Transparente an Ihnen, Bane, ist die Verachtung, die Sie an den Tag legen, weil ein sogenanntes ›kleines Mädchen‹ Ihre Einstellung hinterfragt.«

  Seine Augen blitzen auf, und ich weiß, dass ich einen Nerv getroffen habe. »Sie verfügen nicht über die Autorität, um hier einfach hereinzuspazieren und ein hundertjähriges System auf den Kopf zu stellen …«

  »Oh doch, das tue ich.« Ich lächle und deute auf meinen Kopf, als würde darauf ein unsichtbares Diadem sitzen. »Ich bin die Prinzessin, schon vergessen?«

  »Das … Das …« Er stottert regelrecht. »So funktioniert das nicht! Ich werde das nicht zulassen!«

  Ich lächle süßlich. »Es steht Ihnen
frei, zu gehen, wann immer Sie möchten.«

  Einer der Wachmänner in der ersten Reihe lacht schnaubend und überspielt es dann schnell mit einem Hustenanfall. Als Bane das Geräusch hört, rast er vor Wut. Er wirbelt herum und hat förmlich Schaum vor dem Mund.

  »Eines steht jedenfalls fest: Jeder, der sich dieser Scharade namens ›Prinzessinnengarde‹ anschließt, verliert seinen Platz in dieser Einheit mit sofortiger Wirkung. Ihre Karriere wird vorbei sein. Man wird Ihnen Ihre Rente sowie sämtliche militärischen Verdienste aberkennen. Sie werden allem den Rücken kehren, worauf Sie ein Leben lang hingearbeitet haben.«

  Seine Drohung hängt einen Moment lang schwer in der Luft. Auch wenn ich bezweifle, dass Bane tatsächlich über die Autorität verfügt, um solch eine Strafe durchzusetzen, haben die Worte für seine Soldaten eindeutig erhebliches Gewicht. Schließlich ist er ihr Kommandant. Und er ist nicht für leere Drohungen oder haltlose Ultimaten bekannt. Ihrem kommandierenden Offizier den Rücken zuzukehren, um sich auf meine Seite zu stellen, kommt in seinen Augen Verrat gleich.

  Jegliche Belustigung, die noch in der Luft gehangen hat, verflüchtigt sich. Als ich mich umdrehe, um die Soldaten anzuschauen, sind ihre Gesichter eine lange Parade aus glatten Stirnen und angespannten Kiefern. Sie sehen aus wie Schaufensterpuppen, die jemand für den Kampf aufgereiht hat. Ein paar von ihnen erkenne ich von früheren Einsätzen wieder – sie haben mich auf meinen morgendlichen Spaziergängen zu den Stallungen begleitet, im Flur vor meiner Suite Wache gehalten und die Grenzen des Schlossgeländes bewacht. Die meisten habe ich jedoch noch nie zu Gesicht bekommen. Keiner von ihnen sieht auch nur ansatzweise so aus, als könnte er sich für das, was ich zu sagen habe, erwärmen.

  Ich spüre, wie meine Entschlossenheit ein wenig ins Wanken gerät.

  Wer bin ich, um das von ihnen zu verlangen?

  Wer bin ich, um irgendetwas von ihnen zu verlangen?

  Ich räuspere mich und quetsche die Worte aus mir heraus, die ich vorhin vor meinem Badezimmerspiegel einstudiert habe. »Ich will nicht so tun, als wüsste ich viel darüber, wie die Königsgarde funktioniert oder wie man eine königliche Familie beschützt. Wenn ich das wüsste, würde ich Sie nicht belästigen. Tatsache ist, dass Sie alle sehr viel mehr über die Sicherheitsmaßnahmen in diesem Schloss wissen als ich. Und Sie wissen besser als jeder andere, wie diese Monarchie funktioniert. Deswegen vertraue ich darauf, dass Sie trotz der großen Reden, die hier über Ihre Pflichten gehalten werden …«

  Bane schnaubt.

  Ich ignoriere ihn. »Ich vertraue darauf, dass Sie die Wahrheit kennen. Die Situation ist nicht unter Kontrolle – und zwar schon seit einer ganzen Weile nicht mehr. Wir sind nicht sicher – nicht einmal innerhalb der Mauern dieses Palasts. Und auch wenn es einige Leute verärgern mag … müssen Veränderungen stattfinden. Ansonsten werden weiterhin Menschen sterben.« Ich schlucke schwer. »Also bitte ich Sie um Hilfe. Ich frage Sie, ob irgendjemand von Ihnen bereit ist, direkt für mich zu arbeiten. Mich in Bezug auf das, was wirklich in diesem Schloss und in diesem Land vor sich geht, auf dem Laufenden zu halten.« Ich schaue jedem Einzelnen der Reihe nach ins Gesicht. Ich hoffe, dass sie die Ernsthaftigkeit in meinem Blick erkennen. »Dies ist keine königliche Anordnung. Sie dürfen Nein sagen. Sie dürfen sich dafür entscheiden, Ihre derzeitige Stellung beizubehalten, ohne dass das negative Auswirkungen für Sie hat. Ich möchte nur diejenigen unter Ihnen in meiner persönlichen Garde haben, die sich ihr aus freien Stücken anschließen. Denn … ich hätte lieber niemanden, der auf mich aufpasst, als jemanden, der dazu gezwungen wird. Loyalität, die man anordnen muss, ist keine echte Loyalität.«

  Schließlich verstumme ich.

  Die Stille ist so dicht, dass sie mich von allen Seiten zu erdrücken scheint. Niemand sagt ein Wort. Niemand regt sich. Niemand scheint auch nur zu atmen. Das Gewicht von fünfundsiebzig prüfenden Augenpaaren lastet schwer auf mir und sorgt dafür, dass ich mich mit jeder Sekunde, die verstreicht, kleiner fühle. Ich zwinge mich dazu, aufrecht zu stehen, da ich unter ihrer kollektiven Beurteilung keine Schwäche zeigen will.

  Können Sie sehen, wie meine Knie zittern?

  Ihre Mienen geben nichts preis. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie sie mich wahrnehmen. Vielleicht geht es ihnen wie ihrem Kommandanten, und ich bin auch für sie nicht mehr als ein kleines Mädchen mit lächerlichen Bedenken, das man einfach abweisen kann. Ein anmaßendes, bockiges Kind, das seine Nase in Angelegenheiten steckt, die es nichts angehen.

  »Tja. Wenn Ihre Königliche Hoheit hier dann fertig ist …« Banes Stimme hallt laut durch den Raum und trieft nur so vor Selbstgefälligkeit. Meine Rede hat ihn offensichtlich nicht im Geringsten beeindruckt. Er wendet sich an seine Männer. »Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Sie dürfen wegtreten.«

  Ich bereite mich innerlich auf den Schlag vor, sie gehen zu sehen, aber zu meiner großen Überraschung …

  Regt sich niemand.

  Ich atme scharf ein. Links von mir höre ich, wie Bane das Gleiche tut.

  »Was stehen Sie noch hier herum?«, schnauzt er. »Ich sagte, wegtreten!«

  Sie rühren sich immer noch nicht vom Fleck.

  Bane macht drei Schritte auf sie zu. Sein Gesicht ist vor lauter Wut mit roten Flecken übersät. Sein Brüllen ist laut genug, um die Fensterscheiben zum Klirren zu bringen.

  »RAUS HIER! Das ist ein direkter Befehl Ihres Vorgesetzten!«

  Ich halte die Luft an und warte. Seine Wut verklingt in der Stille. Und in der vollkommenen Reglosigkeit, die darauf folgt, denke ich für einen Augenblick, dass ich es vielleicht, aber auch nur vielleicht , tatsächlich geschafft habe. Dass ich diese hartgesottenen Kerle irgendwie überzeugt habe, ihre Befehle zu missachten, mir zur Seite zu stehen und mich vor den Gefahren zu beschützen, die mit jedem Tag näher zu kommen scheinen …

  Der Eindruck verflüchtigt sich jedoch gleich wieder, als ich sehe, wie sie alle in ordentlichen Reihen kehrtmachen und in Richtung Tür davonmarschieren. Ein paar von ihnen werfen mir dabei Blicke zu, die entschuldigend wirken, aber die meisten blicken einfach starr geradeaus. Entweder ist ihnen egal, dass sie mich im Stich gelassen haben, oder sie wollen es nicht riskieren, Banes Zorn auf sich zu ziehen. Ein Dolch aus nicht zu leugnendem Schmerz durchbohrt mein Herz, als sie die riesige Arena einer nach dem anderen verlassen, bis ich mit ihrem Kommandanten allein bin. Meine Unterlippe zittert, also beiße ich meine Zähne hinein. Fest.

  Spar dir die armseligen Tränen für einen Moment auf, in dem du allein bist, Emilia.

  Nachdem die Tür hinter dem letzten Soldaten zugeschlagen ist, herrscht kurz Stille. Ich reiße mich zusammen, kann aber nicht verhindern, dass ich zusammenzucke, als Bane näher an mich herantritt. Er lacht angesichts meiner Niederlage leise in sich hinein.

  »Ich habe versucht, Sie zu warnen – meine Männer tun nichts ohne meine Erlaubnis. Haben Sie wirklich geglaubt, dass Sie sie überzeugen könnten, Posten aufzugeben, die sie seit Jahren innehaben? Wenn ja, sind Sie wirklich naiv. Haben Sie tatsächlich …?«

  »Eure Hoheit.«

  Banes giftige Worte werden von einer anderen Stimme übertönt. Ich schaue ruckartig auf und sehe voller Erstaunen, dass sich die Halle nicht geleert hat – nicht vollständig. Eine einzige Gestalt steht da, wo vorhin noch fünfundsiebzig gestanden haben. Der einzige Soldat, der tapfer genug – oder vielleicht dumm genug – ist, zurückzubleiben und einen direkten Befehl zu missachten. Ich reiße die Augen sogar noch weiter auf, als ich sehe, dass es gar kein Mann ist.

  Es ist eine Frau.

  Sie war mir vorhin nicht aufgefallen, weil sie in einer der hinteren Reihen stand. Aber sie hätte mir auffallen sollen – Frauen in der Königsgarde sind eine Seltenheit. Tatsächlich sind sie sogar solch eine Seltenheit, dass ich nicht überrascht wäre, wenn sie die einzige in der gesamten Einheit ist.

  Jahrelang war es Frauen nicht einmal erlaubt, den körperlichen Eignungstest abzulegen. Man hielt sie für zu zerbrechlich, um in einer solchen Eliteeinheit dienen zu können. Für zu emotional, um mit der nötigen Besonnenheit, die solch ein Job verlangt, Sicherheitsbedrohungen einschätzen zu können.


  Und doch …

  Ist sie der eindeutige Beweis für das Gegenteil.

  Ihr dunkelblondes Haar ist in ihrem Nacken zu einem festen Knoten zusammengebunden. Sie steht in Habachtstellung da – die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Schultern gereckt, das Kinn erhoben. Unsere Blicke treffen sich in dem leeren Raum, und ich sehe, dass ihre Augen hellblau sind.

  »Galizia«, bellt Bane. »Was machen Sie noch hier?«

  Die Soldatin schaut ihn nicht an, als sie mit klarer, fester Stimme antwortet. »Ich warte auf Befehle.«

  »Ihr Befehl lautete wegzutreten.«

  »Nicht von Ihnen, Sir.« Sie hält inne und blickt mich immer noch unverwandt an. »Von ihr.«

  Mein Magen schlägt Purzelbäume.

  Könnte es sein …?

  »Galizia, so wahr mir Gott helfe …« Bane macht mehrere Schritte auf sie zu und stellt sich direkt vor sie. Ich warte darauf, dass sie in Deckung geht, sich zurückzieht oder einfach davonläuft. Aber sie hebt das Kinn nur noch ein wenig mehr, um ihm direkt in die finsteren Augen zu schauen.

  Wie schon gesagt – entweder ist sie bemerkenswert tapfer oder bemerkenswert dumm.

  »Wenn Sie mir nicht innerhalb der nächsten fünf Sekunden aus den Augen treten«, knurrt er, »verspreche ich Ihnen, dass Sie die ganze nächste Woche über Toilettenfußböden schrubben werden.«

  »Bei allem Respekt, Sir … das ist nicht länger Ihre Entscheidung.«

  »Galizia! GALIZIA! Wo wollen Sie hin …?«

  Sie schreitet nachdrücklich um ihren brüllenden Kommandanten herum und kommt direkt auf mich zu. Ihre Miene ist vollkommen unbeeindruckt. Man würde nicht meinen, dass nur wenige Schritte entfernt ein Mann steht, der sie lauthals anbrüllt. Ihre Gleichgültigkeit scheint ihn nur noch wütender zu machen.

  »Das werden Sie bereuen, Galizia! Hören Sie mich? Sie sollten mir dafür, dass ich überhaupt eine Frau in dieser Einheit zulasse, die Stiefel küssen … Niemand wollte Sie hier haben, aber ich habe es toleriert … und so revanchieren Sie sich bei mir? Mit Fahnenflucht?«

  Aus der Nähe betrachtet ist sie umwerfend – groß wie ein Topmodel und mit dieser seltenen, natürlichen Art von Schönheit gesegnet, die nicht das geringste Make-up benötigt. Wenn ich raten müsste, würde ich sie auf Ende zwanzig oder Anfang dreißig schätzen.

 

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