Mein Puls hämmert in meinen Venen. Fragen rasen durch meinen Kopf. Aber sie scheint meine Unsicherheit nicht zu teilen. Sie weicht meinem Blick nicht aus, als sie langsam die rechte Hand an die Schläfe hebt, um feierlich vor mir zu salutieren. Als sie spricht, liegt so viel Überzeugung in ihrer Stimme, dass ich weiß, sie meint jedes Wort ernst.
»Eure Königliche Hoheit, ich bin Leutnant B. Galizia. Und falls das Angebot noch gilt … stehe ich Ihnen so lange zu Diensten, wie Sie mich benötigen.«
In ihren Worten liegt kein Zögern. Kein Spott.
Sie meint das ernst .
Sie hat tatsächlich vor, die Königsgarde zu verlassen, Banes Zorn zu riskieren, all die Männer im Stich zu lassen, mit denen sie jahrelang trainiert hat, und all ihre Pläne für eine lebenslange Karriere am Hof über den Haufen zu werfen …
Für mich .
In diesem Moment will ich mein Ansuchen tatsächlich zurückziehen. Ich will ihr sagen: Ich bin es nicht wert. Sie wären eine Idiotin, wenn Sie das für mich tun würden. Und doch bin ich gleichzeitig … so unfassbar dankbar, dass ich sie in meine Arme ziehen und so fest drücken will, dass ihr die Luft wegbleibt. (Da ich mir relativ sicher bin, dass ich damit gegen so ziemlich jedes militärische Protokoll verstoßen würde, unterdrücke ich den Impuls.)
Irgendwo in den Tiefen meiner Psyche muss eine von Lady Morrells Benimmlektionen endlich greifen, denn es gelingt mir, genug Haltung aufzubringen, um würdevoll und königlich zu nicken. Zumindest denke ich, dass es mir gelingt.
»Danke, Leutnant Galizia. Ich weiß Ihre Bereitschaft mehr zu schätzen, als ich das mit Worten zum Ausdruck bringen kann.« Ich schaue zu Bane. Er kocht vor Wut, gibt immer noch wüste Beschimpfungen von sich und droht ihr mit Vergeltung, falls sie es wagt, ihren Posten zu verlassen. »Also … Sollen wir so schnell wie möglich von hier verschwinden?«
Galizias ernste Miene verändert sich nicht, aber ich könnte schwören, dass ihre Lippen ein klein wenig zucken. »Das scheint mir eine kluge Entscheidung zu sein, Eure Hoheit.«
Und so lasse ich, während mein Herz mit doppelter Geschwindigkeit rast und ein Mann meinen Namen verflucht, das Torhaus mit meiner aus einer einzigen Frau bestehenden Prinzessinnengarde im Schlepptau hinter mir.
5. KAPITEL
Das Klopfen an der Tür ist leise, so zaghaft, dass ich es beinahe nicht höre. Ich erwarte niemanden. Um fast zweiundzwanzig Uhr an einem Freitagabend sind die einzigen Menschen, mit denen ich mich vor dem Einschlafen austauschen will, fiktiver Natur.
Also … wer steht da vor meiner Tür?
Ich spanne die Finger an den Seiten meines Buchs an, und mein Herz verkrampft sich vor ungestümer Hoffnung in meiner Brust. Bevor ich mich davon abhalten kann, schaue ich zu der Wand, die meine Suite von Carters trennt …
Sei nicht albern , rufe ich mich zur Räson und verdränge die verwegenen Gefühle, so gut ich kann. Er ist heute Abend ausgegangen. Und selbst für den höchst unwahrscheinlichen, statistisch so gut wie unmöglichen Fall, dass Carter Thorne an einem Freitagabend zu Hause hockt … Er hasst dich, schon wieder vergessen? Nicht in einer Million Jahren würde er an deine Tür klopfen und dich bitten, mit ihm zu plaudern, als wärt ihr alte Freunde.
Ich rede mir ein, dass es Lady Morrell mit einem Kleid für den morgigen Tag ist oder Simms, der eine Liste mit lästigen Aufgaben vorbeibringen will, oder eine Kammerzofe mit ein paar frischen Holzscheiten für meinen Kamin. Ich hole tief Luft, lege meine Ausgabe von Der Graf von Monte Christo beiseite und richte meine Aufmerksamkeit auf die Tür.
»Herein!«
Auch wenn ich mich noch so sehr dagegen wehre, empfinde ich große Enttäuschung, als sich die Tür öffnet und ich einen jungen Pagen sehe, der mit einem dicken Stapel Umschläge in den Händen auf der Schwelle steht. Das sind zweifellos offizielle Briefe. Das gehört alles zu meinen neuen Pflichten als »Aushängeschild der Lancaster-Familie«.
Da kommt Freude auf.
»Verzeihen Sie, Eure Hoheit«, platzt es aus dem Pagen heraus. Sein Gesicht ist kalkweiß. Er sieht aus, als wäre er gerade erst achtzehn und hätte fürchterliche Angst davor, mir in die Augen sehen zu müssen. »Es tut mir leid, Sie um diese späte Stunde zu stören, aber ich habe hier einige Briefe für Sie. Ich sollte sie schon früher abliefern, doch ich wurde durch andere Aufgaben aufgehalten und …« Er schluckt heftig. »Ich weiß, dass meine Verspätung unverzeihlich ist. Ich verspreche, dass es nicht wieder vorkommen wird, wenn Sie mir nur noch eine Chance geben, mich zu beweisen …«
»Hey. Entspannen Sie sich. Das ist schon in Ordnung.«
»Nein, das ist es nicht. Das ist ein Entlassungsgrund, wenn Sie mir also einen Verweis erteilen wollen …«
Ich seufze tief und hebe eine Hand, um ihn zu unterbrechen. »Das mag der Stil meiner geliebten Stiefmutter sein, aber es ist nicht meiner. Sie haben einen Fehler gemacht und sich dafür entschuldigt. Ziemlich ausgiebig , wie ich hinzufügen darf.« Ich verziehe die Lippen. »Also legen Sie die Post einfach dort drüben auf den Schreibtisch, damit ich mich wieder meinem Buch widmen kann und wir beide unseren Abend fortsetzen können. Hört sich das gut an für Sie?«
Erleichterung schleicht sich auf sein Gesicht. Sein Adamsapfel hüpft auf und ab, als er erneut schluckt und sich dann zum Schreibtisch vorwagt. »Danke, Eure Hoheit. Vielen Dank.«
Ich nicke und greife nach meinem Buch. Ehrlich gesagt ist es vermutlich unhöflich von mir, dass ich nicht aufgestanden bin, um ihm die Post abzunehmen, aber der Steinfußboden hier im Schloss ist nun, da uns der Winter fest im Griff hat, eiskalt. Und ich sitze gerade so gemütlich in eine weiße Fuchsfelldecke eingewickelt auf meinem Lieblingssessel am Kamin, dass ich mich einfach nicht aufraffen kann – auch wenn Lady Morrell das als unverzeihliches Fehlverhalten betrachten würde.
Ein greller Aufschrei des Pagen sorgt dafür, dass ich das Buch wieder weglege. Ich schaue gerade noch rechtzeitig in seine Richtung, um zu sehen, wie Galizia in mein Zimmer marschiert kommt. Bevor der Junge ihr ausweichen kann, entreißt sie ihm den Stapel mit Briefen. Als sie herumwirbelt, um mich anzusehen, spiegelt sich auf ihrem Gesicht eine Mischung aus Verärgerung und Fassungslosigkeit.
»Eure Hoheit. Rufen Sie immer einfach ›Herein‹, wenn jemand an Ihre Tür klopft, oder ist dies ein Sonderfall von Dummheit?«
Meine Wangen werden heiß, und meine Zunge fühlt sich plötzlich dick an. »Ich … Na ja …«
»Sie, na ja, was? « Sie schüttelt den Kopf. »Es hätte jeder sein können, Prinzessin. Er hätte Sie umbringen können, bevor Sie auch nur die Gelegenheit gehabt hätten zu schreien.«
Ich ziehe skeptisch die Augenbrauen hoch. »Er? Sprechen wir von demselben Jungen?« Ich schaue zu dem Pagen. »Nichts für ungut.«
»Schon in Ordnung«, flüstert er schwach.
»Mir ist egal, wie kümmerlich und unbeholfen er wirken mag …« Autsch, Galizia, wir sollten den Jungen nicht verbal kastrieren, während er direkt vor uns steht. »… Eine Bedrohung kann selbst von der scheinbar harmlosesten Quelle ausgehen.«
»Er arbeitet hier im Palast«, argumentiere ich. »Er stellt offensichtlich keine Bedrohung dar.«
»Wie können Sie das mit Sicherheit wissen?«, kontert sie. »Er könnte genauso gut ein Terrorist sein, der eine Palastuniform gestohlen und sich mit der Absicht hier hereingeschlichen hat, Sie im Schlaf zu ermorden.«
Der Page sieht aus, als würde er sich jeden Moment in die marineblaue Uniformhose mit der tadellosen Bügelfalte machen. »Ehrlich, Ma’am, ich bin hier angestellt …«
Eisige Stille macht sich im Zimmer breit.
Ich verziehe das Gesicht. Eine Elitesoldatin wie Galizia mit »Ma’am« anzusprechen, ist in etwa so, als würde man einen hochrangigen Militärgeneral mit »Alter« anreden. Das gehört sich einfach nicht. Der Page scheint seinen Fauxpas erkannt zu haben, denn er läuft knallrot an und stammelt eine Entschuldigung.
»Tut mir leid … Ich wollte nicht … Das war nicht …«
»Sie können jetzt gehen.« Sie entlässt ihn, ohne auch nur eine Sekunde den Blick von mir zu nehmen. Er stürzt so schnell aus dem Zimmer, dass er nur noch ein verschwommener Fl
eck aus marineblauem Stoff ist, als er im Flur verschwindet. Als Galizia auf mich zukommt, wünsche ich mir ehrlich gesagt, dass ich ihm nach draußen folgen könnte.
»Hören Sie, es tut mir leid, dass ich nicht überprüft habe, ob es sich bei ihm um einen Attentäter handeln könnte, aber seien wir doch mal ehrlich: Glauben Sie ernsthaft, dass ich auch nur die geringste Chance gehabt hätte, ihn abzuwehren, wenn er ein Attentäter gewesen wäre? Die Tatsache, dass er vor meiner Tür und in meiner Suite stand, bedeutet, dass er bereits ein Dutzend Sicherheitsvorkehrungen überwunden haben müsste. Was könnte ich in einer solchen Situation noch tun, um ihn davon abzuhalten, mir die Kehle aufzuschlitzen?«
»Wenn das Ihre Einstellung ist, warum haben Sie sich dann überhaupt die Mühe gemacht, mich anzuheuern? Wenn Sie einfach nur aufgeben und sterben wollen, sobald Sie mit den ersten Anzeichen von Gefahr konfrontiert werden, was zum Teufel mache ich dann hier? Oder ist diese Prinzessinnengarde, die Sie ins Leben gerufen haben, nur Schau?«
»Natürlich nicht!« Mein Puls schlägt schneller. »Mir ist vollkommen bewusst, dass ich keine Expertin darin bin, mich selbst zu schützen. Genau aus diesem Grund brauche ich Sie doch!«
»Und ich werde mein Bestes tun, um Sie zu beschützen. Aber das bedeutet nicht nur, dass ich als Ihr Schutzschild fungieren werde. Es bedeutet auch, dass ich Ihnen beibringen werde, Bedrohungen zu erkennen und sich selbst gegen sie zu wappnen, auch wenn Sie allein sind. Selbst wenn Sie unbewaffnet mit dem Rücken zur Wand stehen, der Angreifer immer näher kommt und keine Hilfe in Sicht ist.«
Mein Magen verkrampft sich. »Nur fürs Protokoll, ich hoffe wirklich, wirklich, wirklich sehr, dass das niemals passieren wird.«
»Fürs Protokoll?« Ihre Miene wird sanfter, und die Schärfe weicht ein wenig aus ihrem Tonfall. »Was das betrifft, sind wir uns einig, Prinzessin.«
Eine ganze Weile lang herrscht Schweigen, während wir einander anblicken. Tatsächlich bin ich ein wenig erschüttert – es ist lange her, dass mir jemand so den Marsch geblasen hat. Es ist lange her, dass mich jemand wie eine normale Collegestudentin behandelt hat – eine junge Frau, die Fehler macht und sich verkalkuliert hat und hin und wieder zu ihrem eigenen Besten in die richtige Richtung gelenkt werden muss.
Seit man mir diese Krone auf den Kopf gestülpt hat, wollen mich die meisten Leute, denen ich begegne, entweder auf ein Podest stellen, eine Marionette aus mir machen oder sich einfach nur vor mir verstecken. Feinde versuchen, mich zu manipulieren, Fremde behandeln mich wie eine Berühmtheit, und die Angestellten haben regelrecht Angst davor, dass ich sie beim geringsten Anlass in den Schlosskerker sperren lasse. (Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir längst keine Schlosskerker mehr haben, aber das scheint nicht den geringsten Unterschied zu machen.)
Als Prinzessin, als Ihre Königliche Hoheit Emilia Victoria Lancaster , bin ich für die meisten Menschen auf diesem Planeten unantastbar. Sogar Simms und Lady Morrell verbergen ihren Ärger trotz aller Kritik hinter höflicher Konversation, so wie sie ihren Verdruss hinter sorgsam einstudierten Plattitüden verstecken. Aber meine neue Leibwächterin scheint sich nicht im Geringsten für königliche Gepflogenheiten zu interessieren. Und sie macht sich definitiv keine Gedanken darum, dass sie mich beleidigen könnte, indem sie offen ihre Meinung sagt.
Das ist eine erfrischende Abwechslung.
»Warum haben Sie es getan?«, frage ich plötzlich.
Sie zieht die blonden Augenbrauen hoch.
»Warum haben Sie eingewilligt, für mich zu arbeiten?« Ich schüttle verwirrt den Kopf. »Alle anderen haben Banes Befehle befolgt. Alle anderen sind der Meinung gewesen, dass der Ärger, den es nach sich ziehen würde, der Königsgarde den Rücken zu kehren, es nicht wert sein würde … Also. Warum? Warum sind Sie das Risiko eingegangen?«
Sie schweigt sehr lange. Ich bin mir schon sicher, dass sie meine Frage nicht beantworten wird, als sie schließlich seufzt und ein leises schnaubendes Lachen ausstößt. »Die Jungs in der Garde – die meisten von ihnen sind toll. Ehrenwert, gut ausgebildet, intelligent. Sie sind genau die Leute, von denen man will, dass sie einem auf feindlichem Gebiet den Rücken freihalten, wenn einem die Munition ausgegangen ist. Sie würden sich ohne Frage für einen Kameraden in die Schusslinie werfen. Aber das bedeutet nicht, dass sie von der Vorstellung, eine Frau stößt zu ihrer Truppe, begeistert waren.«
»Im Ernst? Wir leben doch nicht mehr im letzten Jahrhundert, um Himmels willen. Frauen müssen nicht mehr zu Hause bleiben und am Herd stehen.«
»Glauben Sie mir, ein paar der Jungs haben sehr deutlich gemacht, dass sie der Meinung sind, ich würde mich besser für den Einsatz am Herd als für den Umgang mit einer tödlichen Waffe eignen.«
»Das ist so sexistisch. Sie haben die gleichen Prüfungen abgelegt. Sie haben die gleiche Ausbildung absolviert. Sie haben sich Ihren Platz in der Garde ebenso verdient wie alle anderen.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Das spielt keine Rolle. Frauen, die in Männerdomänen arbeiten, werden sich immer doppelt so sehr ins Zeug legen müssen, um zu beweisen, dass sie sich ihre Stellung verdient haben. Wissen Sie, wie oft man mich gefragt hat, ob ich mich in die Einheit hochgeschlafen habe? Wissen Sie, wie viele Ausbilder mich gefragt haben, ob ich mich verlaufen habe, wenn ich zu den körperlichen Eignungstests aufgetaucht bin? Wie viele von ihnen die Köpfe geschüttelt, gelächelt und mich als ›niedlich‹ bezeichnet haben, wenn ich sagte, dass ich die erste Offizierin in der Königsgarde werden will?«
Wut kocht in mir hoch. Ich bin regelrecht empört.
»Jeder in der Einheit hat einen Spitznamen«, fährt Galizia fort. »Bane wählt sie während unserer ersten Woche im Dienst aus – so eine Art rückständiges Schikanierungsritual. Yates trägt eine Brille, also heißt er Brillenschlange. Anderson stammt aus einem kleinen Bergdorf, also heißt er Alm-Öhi. Riggs ist unser bester Schütze, also wird er Adlerauge genannt. Sie können sich vorstellen, wie das läuft.«
»Verstehe.«
»Wissen Sie, welchen Namen er mir gegeben hat? Wie man mich unter den Jungs nennt?« Sie presst die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. »Hocker . Weil Frauen …« Vor lauter Wut atmet sie rasselnd ein und schluckt ihre Empörung hinunter. »Weil ich mich hinhocken muss, um zu pinkeln. Weil sie für mich eine abgetrennte Toilettenkabine in die Kaserne bauen mussten. Weil ich die Frechheit besaß, anatomisch anders gebaut zu sein.«
Ihr eigener Kommandant.
Ihre engsten Kameraden.
Die Männer, denen sie ihr Leben anvertrauen soll.
Die Männer, die sie stärken sollen.
Stattdessen … versuchten sie, sie fertigzumachen.
Ich bin entsetzt, finde aber keine Worte, um sie zu trösten. Es gibt nichts zu sagen, um das wieder in Ordnung zu bringen. »Galizia, es … es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es für Sie so war.«
»Ich habe es Ihnen nicht erzählt, weil ich Ihr Mitleid will. Ich habe es Ihnen erzählt, weil ich wollte, dass Sie verstehen, dass mir die Entscheidung, die Königsgarde zu verlassen, nicht schwergefallen ist. Mein ganzes Leben lang habe ich meinem Land in einer hohen Position dienen wollen, um dort, wo ich am meisten gebraucht wurde, mein Bestes zu geben.« Sie verzieht den Mund. »Von daher scheint mir, dass mein Platz momentan … an Ihrer Seite ist, Eure Hoheit. Sie brauchen jemanden, der Ihnen Rückendeckung gibt. Ich sah diese Gelegenheit und beschloss, sie zu nutzen. So einfach ist das. Ich bereue meine Entscheidung nicht.«
»Trotzdem hätte das nicht jeder getan. Tatsächlich hat sich jeder andere Soldat in der Halle strikt geweigert, es auch nur in Betracht zu ziehen. Also … danke. Was auch immer Ihre Gründe waren, ich bin froh, Sie zu haben.« Ich halte inne. »Selbst wenn Sie mich anbrüllen.«
»Da wir gerade davon sprechen …« Sie hebt den Stapel mit Briefen an, den sie immer noch in der Hand hält. »Ich habe dafür gesorgt, dass diese Post auf mögliche Gefahren untersucht wurde, bevor der Page sie in die Finger bekam. Aber von jetzt an werden Sie nichts mehr annehmen, bis Sie nicht sicher sind, dass ich es persönlich überprüft habe. Ein Attentäter könnte problemlos einen Umschlag mit Anthrax oder einem anderen chemischen
Kampfstoff präparieren. Ziemlich geschmacklos, ja – aber dennoch eine recht effektive Tötungsmethode.«
Ich spüre, wie ich plötzlich blass werde. »Wird nicht ohnehin alles, was hier ankommt, untersucht? Das gehört doch zu den regulären Sicherheitsmaßnahmen, oder?«
»Angeblich.«
Ich ziehe die Augenbrauen hoch, aber sie führt das nicht weiter aus.
»Schlafen Sie ein wenig, Prinzessin.«
Galizia legt die Briefe auf einen kleinen Beistelltisch, dreht sich um und geht zur Tür. Mit ihren langen Schritten hat sie das Zimmer in wenigen Sekunden durchquert. Auf der Schwelle hält sie inne. Wenn ich mich nicht täusche, liegt nur mühsam zurückgehaltene Belustigung in ihrer Stimme.
»Ich an Ihrer Stelle würde zuerst mit dem Absender des Umschlags mit der Goldprägung ausgehen. Der Kerl mag genau so ein Treuhandfondsidiot wie der Rest der Bande sein, aber wenigstens versucht er sich nicht in scheußlicher, blumiger Poesie wie der Kerl mit der blauen Schönschrift …«
»Was?«, frage ich, aber sie ist bereits in den Flur entschwunden und schließt meine Tür mit einem resoluten Klicken hinter sich. Erst als ich meine Aufmerksamkeit auf den Stapel aus Umschlägen richte, wird mir klar, was sie meint.
Vorhin lag ich nämlich falsch. Ich ging davon aus, dass die Post offizielle Schreiben enthalten würde, in denen es um bevorstehende Veranstaltungen im Palast, wichtige politische Treffen und Berichte über den aktuellen Stand zu den Ermittlungen bezüglich der Brandstiftung gehen würde …
Nein.
Die über ein Dutzend Briefe, die ich in meinen Händen halte, stammen ausnahmslos von Leuten, die man nur als … Freier bezeichnen kann.
Geeignete, ausgesprochen wohlhabende caerleonische Freier. Männer mit Ländereien und Titeln und – du lieber Himmel, dieser erste Brief lässt vermuten, dass Galizia recht hatte – extrem schlechtem Poesiegeschmack. Mein Entsetzen wächst, als ich einen Brief nach dem anderen durchgehe und die unterschiedlichen Angebote für ein erstes Treffen lese, die alle in ausladender männlicher Handschrift gehalten sind.
Forbidden Royals 02 - Golden Throne Page 6