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Midnight Chronicles 02 - Blutmagie

Page 5

by Bianca Iosivoni u . Laura Kneidl


  »Hey …«

  Überrascht blickte ich auf und entdeckte Shaw. Er stand in der Lücke zwischen den leicht aufgeschobenen Vorhängen, welche den Krankenpflegern einen stetigen Blick auf meine Mum gewährte.

  Ich richtete mich in meinem Sessel auf. »Hey. Was machst du hier?«

  »Roxy bringt gerade Finn zum Bus, und ich dachte, ich komm mal vorbei, um meine Rippen von eurer Ärztin abchecken zu lassen. Dr. Kivela ist wirklich nett.«

  »Verstehe«, brummte ich und sah wieder zu meiner Mum. Manchmal vergaß ich, dass nicht alle Menschen so schnell heilten wie wir Blood Hunter. Meine ausgekugelte Schulter war bereits seit Tagen auskuriert.

  Shaw schnaubte. »Danke der Nachfrage, Mann, wirklich nett, dass du dich so um mich sorgst. Falls du es genauer wissen willst: Ich werde es überleben.«

  »Gut.« Es war mir nicht egal, wie es Shaw ging, aber man musste kein Arzt sein, um zu sehen, dass er sich hervorragend von den Wunden erholte, die er im Kampf davongetragen hatte.

  »Darf ich mich setzen?«, fragte Shaw und deutete auf den zweiten, freien Sessel, der, solange ich mich erinnern konnte, neben dem Bett meiner Mum stand, obwohl es niemand außer mir gab, der sie besuchte. Früher waren öfter Leute hier gewesen, um sie zu sehen, aber je länger ihr Koma andauerte, desto weniger Besucher kamen. Nur Luisa, ihre Kampfpartnerin, hatte regelmäßig vorbeigeschaut, zumindest bis sie vor knapp einem Jahr spurlos verschwunden war.

  Ursprünglich waren wir davon ausgegangen, dass eine Wassernymphe Luisa erwischt hatte, aber nach neusten Erkenntnissen bestand auch die Möglichkeit, dass Amelia sie verschleppt hatte, so wie sie es mit Ripley, Dinah und vielen anderen getan hatte. Noch wussten wir nicht, was Amelia mit den entführten Huntern angestellt hatte, aber plötzlich bestand die klitzekleine Chance, dass sie noch am Leben waren und irgendwo dort draußen festgehalten wurden. Nala Madaki, die neue Leiterin des Quartiers in London, hatte zurzeit alle Hände voll damit zu tun, die Quartiere weltweit über diese neueste Erkenntnis zu informieren. Was die Quartiere daraus machten, blieb jedoch ihnen selbst überlassen.

  »Warden?« Shaw wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum.

  »Sorry, ich musste gerade nur an etwas denken.«

  Ein wissendes Lächeln trat auf Shaws Lippen. »An eine rothaarige Blood Huntress?«

  Ich verengte die Augen. »Wie kommst du darauf?«

  »Nur so.«

  »Shaw …«, mahnte ich.

  Er seufzte und setzte sich auf den freien Stuhl, obwohl ich ihm keine Antwort auf seine Frage gegeben hatte. »Wir haben mit Cain und Jules mittaggegessen.«

  Wieso überraschte mich das nicht?

  »Was hat sie euch erzählt?«

  »Nicht viel, nur dass ihr früher Kampfpartner gewesen seid.«

  »Wirklich? Sie hat nicht versucht, euch davon zu überzeugen, was für ein furchtbarer Mensch ich bin?«

  »Nein, aber ihr war deutlich anzusehen, dass sie kein Fan von dir ist.«

  Und ich bin kein Fan von ihr, schoss es mir durch den Kopf, aber ich sagte nichts, sondern wandte mich wieder meiner Mum zu. Es würde ihr das Herz brechen, wenn sie wüsste, wie sich die Dinge zwischen Cain und mir entwickelt hatten. Sie hatte Cain immer sehr gemocht und mir gegenüber kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie hoffte, wir würden irgendwann einmal mehr füreinander sein als Kampfpartner. Und ich Idiot hatte ihre Hoffnung geteilt, aber diese Zeiten waren lange vorüber.

  Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Shaw unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Vermutlich bereute er es bereits, sich zu mir gesetzt zu haben. Was ich ihm nicht verdenken konnte. Ich war heute ein ziemlich übel gelaunter Mistkerl – wie eigentlich an den meisten Tagen. Dennoch blieb er hocken und ertrug mich.

  »Warum sitzt du eigentlich hier?«, fragte Shaw irgendwann, vermutlich weil er die Stille nicht mehr aushielt.

  »Ich besuche meine Mum.«

  Shaws Blick zuckte zu ihr. »Was ist passiert?«

  »Sie wurde von Vampiren angegriffen.«

  Ein kurzer Anflug von Angst flackerte über Shaws Gesichtszüge. Vermutlich dachte er an die Vampire, die uns in London attackiert hatten. Seinen entsetzten Blick, als ich einen von ihnen mit meiner Machete geköpft hatte, würde ich so schnell nicht vergessen. »Wann war das?«

  »Vor gut drei Jahren.« Es war merkwürdig, Shaw davon erzählen zu müssen, denn in den Reihen der Hunter, auch weit über die Grenzen von Edinburgh hinaus, war der Fall meiner Familie bekannt. Es passierte schließlich nicht jeden Tag, dass sich der König der Vampire zeigte und persönlich die Hände dreckig machte. »Isaac und ein paar seiner Vampire haben unser Haus überfallen. Meine Mum hat versucht, sie zu bekämpfen, und wurde dabei schwer verletzt. Seitdem liegt sie im Koma.«

  »Shit. Und dein Dad?«

  »Tot«, antwortete ich. Das Wort auszusprechen oder auch nur zu denken hatte mich früher viel Kraft gekostet, aber mittlerweile war es eine Tatsache, die ich zu meinem eigenen Schutz gelernt hatte zu akzeptieren.

  »Suchst du deswegen nach diesem Isaac?«

  Ich nickte.

  »Und er ist der König der Vampire?«, versicherte sich Shaw.

  »Ja. Er ist der erste Vampir, der jemals existiert hat, und der Schöpfer aller anderen. Jeder Vampir, dem du je begegnen wirst, ist ein Abkömmling von Isaac. Das ist es, was ihn so gefährlich macht. Er besitzt die Gabe, all seine Abkömmlinge zu kontrollieren und ihnen seinen Willen aufzuzwingen.«

  Shaw erschauderte. »Das heißt, wenn ich in einen Vampir verwandelt werde und Isaac mir den Befehl gibt … keine Ahnung, Roxy zu töten, müsste ich das tun?«

  »Genau, du kannst dich dem nicht entziehen.«

  »Mhh«, brummte Shaw nachdenklich und kratzte sich das Kinn. »Und warum gibt Isaac seinen Vampiren dann nicht einfach den Befehl, alle Menschen gleichzeitig zu verwandeln? Dann wäre er der König der Welt … oder so.«

  »Erstens hat er keine Möglichkeit, diesen Befehl allen Vampiren gleichzeitig zu geben. Es sei denn, es würde ihm gelingen, sie alle an einem Ort zu versammeln. Zudem brauchen die Vampire die Menschen, nur so können sie sich ernähren«, erklärte ich und stützte einen Ellenbogen auf der Sessellehne ab. »Und außerdem wäre das ein Krieg, den sie nicht gewinnen können. Vampire sind vielleicht stärker als Menschen, aber die Menschheit ist deutlich in der Überzahl und Vampire sind in ihrer Reproduktion eingeschränkt. Jeder von ihnen kann in seiner ganzen Existenz nur einen weiteren Vampir erschaffen – Isaac ausgenommen. Weshalb wir schätzen, dass die Zahl der Vampire eher ab- statt zunimmt.«

  »Beruhigend. Und wenn dieser Isaac stirbt, zerfallen alle anderen Vampire bestimmt zu Asche, oder?« Shaw klang hoffnungsvoll.

  »Keinen Schimmer. Das werden wir erst erfahren, nachdem ich Isaac getötet habe.«

  Shaw nickte anerkennend. »Klingt nach einem Plan …«

  Ich sah auf. »Aber?«

  »Könntest du Roxy helfen, bevor du die Welt von Isaac befreist?«

  »Würde ich gern, aber leider muss ich jetzt zuerst zum Nachsitzen«, antwortete ich mit einem genervten Blick auf die Uhr und stieß ein tiefes Seufzen aus. Es war nach acht, was bedeutete, dass ich gleich am ersten Abend zu spät zu meiner Schicht in der Waffenkammer kam.

  In der Vergangenheit hatte ich Grants Androhungen und Strafen häufig einfach ignoriert, da ich ohnehin immer auf dem Sprung gewesen war. Dass ich damit ein ziemliches Arschlochverhalten an den Tag legte, war mir vollkommen klar, aber Grant hatte mich damit durchkommen lassen. Es schien, als hätte er meine Art und meine Methoden weitestgehend akzeptiert, auch wenn sie nicht mit den Regeln der Hunter konform gingen. Zumindest so lange ich niemanden in Gefahr brachte außer mir selbst.

  Doch dieses Mal war es anders. Dieses Mal hing Cain in der Sache mit drin, und ich wusste, dass sie mich mit meinem Bullshit nicht durchkommen lassen würde. Was mir keine andere Wahl ließ, als die Sache durchzuziehen und darauf zu hoffen, dass die nächsten sieben Tage schnell vorübergingen.

  5. KAPITE
L

  Warden

  3 Jahre zuvor

  1 Tag nach der Hunterprüfung

  Mein Herz schlug mir bis in die Kehle. Ich versuchte, meine Nervosität zu verbergen, aber ich war mir sicher, dass mich Cain längst durchschaut hatte. Genau wie ich sie. Ihr Gang wirkte selbstbewusst, aber die Angst stand ihr in die Augen geschrieben, und ich wünschte, ich könnte etwas tun, um sie ihr zu nehmen. Doch dafür war meine eigene Furcht viel zu präsent.

  Es war unsere erste Patrouille als anerkannte Hunter. Zwar waren wir schon Hunderte Male durch die Straßen von Edinburgh gezogen und hatten Dutzende von Kreaturen auf der Jagd getötet, aber bisher immer nur mit zwei erfahrenen Jägern an unserer Seite, die uns im Notfall unter die Arme greifen konnten. Wayne und Eva schlichen nun nicht mehr in den Schatten hinter uns her. Wir waren auf uns allein gestellt, und wenn heute Nacht etwas schiefging, jemand verletzt wurde oder gar starb, ging das auf unsere Kappe.

  »Warte«, sagte Cain plötzlich und blieb stehen.

  Meine Muskeln spannten sich an. »Was ist?«

  »Da liegt eine leere Plastikflasche.«

  Ich atmete schwer aus. Einen Moment hatte ich gedacht, Cain hätte eine Kreatur entdeckt.

  Sie sprang über die niedrige Steinmauer, welche die Promenade vom Strand trennte, und huschte über den Sand, um eine PET-Flasche einzufangen, bevor der seichte Wellengang sie erfassen und aufs Meer hinaustragen konnte.

  Man hatte uns das Gebiet rund um Portobello Beach zugeteilt, vermutlich ein kleines Geschenk zum Einstieg. Die Route war im Quartier heiß umkämpft. Sie glich mehr oder weniger einem Spaziergang am Meer bei Nacht, unter einem Sternenhimmel und in Abwesenheit der unzähligen Touristen, die tagsüber hier anzutreffen waren.

  Cain warf die Flasche in einen Mülleimer und kam zu mir zurück. In ihrer Uniform aus schwarzen Stiefeln, schwarzem Oberteil und einer ebenso dunklen Stoffhose, die saß wie eine zweite Haut, verschmolz sie beinahe mit der Nacht. Nur ihr rotes Haar ließ sich von der Dunkelheit nicht unterkriegen.

  »Hab ich was im Gesicht, oder warum starrst du mich so an?«

  »Nein, mir ist gerade nur aufgefallen, wie badass du in deiner Hunteruniform aussiehst.«

  Verdutzt sah Cain zu mir auf, immerhin hatte ich sie schon unzählige Male in diesem Outfit gesehen. Doch heute war irgendetwas anders. Heute trug sie es mit mehr Selbstbewusstsein.

  Sie lächelte. »Danke. Du siehst auch nicht schlecht aus, Prinslo.«

  »Nicht schlecht? Ich sehe echt scharf aus.«

  Cain schnaubte. »Absolut, schärfer als die Klingen deiner Macheten.«

  Ich hob die Augenbrauen. »Machst du dich etwa über mich lustig, Blackwood?«

  »Würde mir nicht im Traum einfallen«, sagte Cain mit verlogener Unschuld in der Stimme.

  Ich verpasste ihr einen spielerischen Stoß in die Seite. Sie lachte und versuchte mich ebenfalls mit ihrem Ellenbogen zu treffen, doch ich wich ihr geschickt aus. »Etwas mehr Professionalität, wenn ich bitten darf. Wir sind hier auf einer offiziellen Patrouille.«

  Cain schnalzte mit der Zunge. »Du hast angefangen.«

  »Und du hast mitgemacht«, neckte ich zurück und legte ihr einen Arm um die Schultern.

  Sie zu berühren, ihr nahe zu sein, fühlte sich natürlich an. Immerhin kannten wir uns bereits seit unserer Kindheit und trainierten fast jeden Tag miteinander. Auf den Matten fanden wir uns ständig in kompromittierenden Positionen wieder, in der sich mein Körper gegen ihren drängte oder umgekehrt. Das war nichts Ungewöhnliches. Und dass ich in Momenten wie diesen außerhalb des Trainings hin und wieder das Verlangen spürte, sie zu berühren, war lediglich eine Gewohnheit, nicht mehr und nicht weniger. Das hatte nichts zu bedeuten.

  Wir verließen die Strandpromenade und bogen in eine schmale Gasse ein, die zwischen zwei Reihen aus Wohnhäusern verlief. Es waren kleine, süße Häuser mit schiefen Dächern und liebevoll gepflegten Gärten. In unserem Rücken erklang weiterhin sanft das Rauschen des Meeres. Ein geradezu idyllischer Moment … wäre da nicht schlagartig dieser vertraute Duft gewesen. Nicht nach Rosmarin, Lavendel, Rauch oder Benzin. Sondern nach Blut. Menschlichem Blut.

  Ich nahm meinen Arm von Cains Schultern und tastete nach einer meiner Macheten. »Riechst du das auch?«

  Der spielerische Ausdruck war schlagartig aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie war nicht länger Cain, meine beste Freundin, sondern Cain, die jahrelang zum Töten ausgebildet worden war. Und auch ihre Angst war verflogen. An ihre Stelle war wilde Entschlossenheit getreten. Sie zog eines ihrer Khukuri aus dem Gürtel und nickte in die Richtung, aus welcher der süßliche Gestank kam.

  Ohne ein weiteres Wort zu tauschen, wussten wir beide, was zu tun war. Mir gehörte die rechte Seite, Cain die linke. Schritt für Schritt sicherten wir die Umgebung, bis wir die Gasse erreichten, aus welcher der Geruch kam.

  »Oh Shit«, fluchte Cain.

  Beim Anblick der Leiche, die neben einem umgefallenen Fahrrad lag, verzog ich angewidert die Lippen. Sie war bis zur Unkenntlichkeit geschändet. Ihre Kehle war zerfetzt und ihr Oberkörper vollständig aufgerissen, als hätte jemand, nein, etwas versucht, an ihre Organe zu kommen. Dies war nicht das Werk eines Vampirs, sondern einer anderen, gewaltigeren Kreatur. Vampire hatten kein Interesse daran, eine dermaßene Sauerei anzurichten. Meistens verbissen sie sich ziemlich sauber in den Hals ihres Opfers, manchmal auch in den Arm oder Oberschenkel. Im Anschluss töteten sie den Menschen in der Regel mit einem Genickbruch, falls der Blutverlust ihm nicht bereits das Leben geraubt hatte.

  »Ich rufe das Quartier an. Sie sollen …«, setzte Cain an, doch ihre Worte wurden von einem lauten Knurren unterbrochen, das hinter uns ertönte.

  Wir wirbelten herum – und fanden uns Auge in Auge mit einem Werwolf wieder. Er hatte dunkles, borstiges Fell. Blut klebte an den Klauen, mit denen er vermutlich den Brustkorb seines Opfers aufgerissen hatte. Obwohl Werwölfe aufrecht gehen konnten, pirschte sich die Kreatur auf allen vieren an Cain und mich heran. Ihr warmer, nach verrottetem Fleisch stinkender Atem schien die komplette Gasse zu erfüllen.

  Mein Magen zog sich zusammen, doch Flucht war keine Option – weder für mich noch für Cain. Nicht nur, dass das hier unser Job war. Wir hatten auch etwas zu beweisen, immerhin war dies unsere erste offizielle Jagd als Hunter und Huntress. Wir wollten mit einem Sieg ins Quartier zurückkehren.

  Es brauchte keinen Countdown. Keinen Befehl. Und auch kein Startsignal. Instinktiv setzten wir uns im selben Augenblick in Bewegung. Cain machte einen Satz auf mich zu und löste die Pistole aus meinem Gurt, nur eine Sekunde bevor ich mich mit der Machete auf den Werwolf stürzte.

  Die Kreatur kam mir entgegen, aber ich hielt die Klinge vor mich wie ein Schutzschild. Das Monster konnte mich nicht fassen, ohne sich selbst zu verletzen, aber das hielt es nicht auf. Das Vieh sprang mich an, und seine Krallen bohrten sich in meinen Körper. Ein brennender Schmerz explodierte in meiner Schulter, und ich wurde zu Boden gerissen. Zeitgleich drückte sich meine Machete der Länge nach in den Brustkorb des Werwolfs. Keine tödliche Wunde für eine solche Bestie, aber eine schmerzhafte.

  Der Werwolf stieß ein Brüllen aus, das mehr an einen Löwen als an einen Wolf erinnerte. Und in der Sekunde, in der sein Maul sperrangelweit offen stand, erklang das Geräusch dumpfer Schüsse – zwei, drei, vier Kugeln schlugen im Rachen der Kreatur ein und eine fünfte bohrte sich zielsicher zwischen ihre Augen.

  Ich spürte, wie die Kraft aus den Klauen des Werwolfs wich und stemmte mich gegen seinen Körper, der um die dreihundert Pfund schwer sein musste, um ihn zur Seite zu schieben, bevor er leblos auf mir zusammensacken konnte. Danach blieb ich schwer atmend liegen, während Cain prüfte, ob die Kreatur wirklich tot war. Wie selbstverständlich löste sie die Machete mit einem Ruck aus dem Brustkorb des Werwolfs und trieb sie zur Sicherheit noch ein letztes Mal mit einer kraftvollen Bewegung in seinen Schädel, wo sie sie stecken ließ.

  Gott, ich liebte diese Frau.

  Bevor ich den plötzlichen Gedanken greifen und
mich fragen konnte, woher zum Teufel er gekommen war, sank Cain neben mir auf die Knie. Ihre Wangen waren gerötet. Blutspritzer, die sie überhaupt nicht zu stören schienen, klebten an ihrer Wange. »Warden? Geht es dir gut?«

  »Ja, alles bestens«, log ich, obwohl der Schmerz noch immer durch meinen Körper pulsierte. Ächzend richtete ich mich auf, dankbar für die Dunkelheit, die verbarg, wie schlimm es um meine Schulter stand. Doch ich konnte das wärmende Kribbeln der Heilung bereits spüren. Mein Blick zuckte zu dem toten Werwolf. »Gut geschossen, Blackwood.«

  »Danke.« Sie lächelte stolz und rief das Quartier an, bevor sie einen Arm um mich legte, um mir auf die Beine zu helfen.

  Und obwohl mir etwas schwindelig war und die Wunde trotz der einsetzenden Heilung heftig pochte, konnte ich es nicht erwarten, morgen wieder gemeinsam mit Cain auf die Jagd zu gehen. Und übermorgen. Und überübermorgen.

  Und all die Morgen danach.

  6. KAPITEL

  Cain

  Es war zwanzig Uhr, und wie von Grant angeordnet, war ich an der Waffenkammer anstatt auf der Straße. Die Tür, die normalerweise nur mit einem persönlichen Code entriegelt werden konnte, war offen, da ein Schichtwechsel bevorstand.

  Als ich die Kammer betrat, stieg mir sofort der Geruch nach Metall und Öl in die Nase. An den Wänden und in Vitrinen waren besonders prachtvolle oder bedeutsame Waffen ausgestellt wie das Schwert des ersten Quartiersleiters. Doch all jene Klingen, Pistolen und Armbrüste, die im aktiven Dienst benutzt wurden, lagerten in Regalen, Schubladen und Kisten, so waren sie für alle gut zugänglich. Obwohl die meisten Hunter und Huntresses, die ich kannte, eine persönliche Waffensammlung besaßen. Dennoch kamen viele von ihnen vor ihrer Patrouille hier her, um sich zusätzlich auszustatten oder um die Waffen abzuholen, die sie zur Pflege oder Reparatur abgegeben hatten.

  »Hallo Cain«, begrüßte mich Ronja, eine Grim Huntress, die gerade dabei war, die Waffenkammer mit einer Armbrust zu verlassen. Ihr Sohn, Gregory, besuchte meinen Grundlagenkurs.

 

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