Death Cloud ysh-1

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Death Cloud ysh-1 Page 7

by Andrew Lane


  In der einen Minute war er offensichtlich noch völlig normal durch die Gegend gelaufen, um in der nächsten schon wie ein Betrunkener im Kreis umherzutaumeln und kurz darauf zu stürzen. Und dann zu sterben.

  Sherlock blieb an der Stelle stehen, wo sich die Fußabdrücke veränderten. Verwirrt sah er sich um. Irgendetwas unmittelbar vor ihm auf dem Boden störte ihn. Er starrte einen Moment lang auf die Bäume, Büsche und schließlich auf das Gras, um herauszufinden, was ihn so irritierte. Dann erkannte er es. Das Gras vor ihm wies eine leicht andere Farbe auf als sonst im Wald. Es war gelber. Sherlock kniete sich nieder und berührte den Boden. Etwas Farbiges und Staubiges blieb an seinen Fingern haften. Irgendetwas war dort verstreut worden. Etwas, das nicht dorthin gehörte.

  Sherlock rieb die Fingerspitzen aneinander. Sie waren schmierig. Worum es sich auch immer bei dem gelben Pulver handelte, es fühlte sich nicht nach etwas an, das er schon einmal gesehen hatte. Einen Moment lang geriet er in Panik. Sein Herz raste bei dem Gedanken, dass vielleicht dieses gelbe Pulver die Krankheit ausgelöst haben könnte. Aber nach kurzem Nachdenken kam er zu der Überzeugung, dass Krankheiten wahrscheinlich nicht von ein paar Pulverflecken hervorgerufen wurden. Sie wurden übertragen. Und zwar von Mensch zu Mensch. Eine andere Möglichkeit war jedoch, dass es sich um Gift handelte. Aber welches Gift würde bei einem Menschen solche Beulen an Gesicht und Händen hervorrufen?

  Während er noch fieberhaft darüber nachdachte, zog Sherlock den Brief aus der Tasche, den er an diesem Morgen von Mycroft bekommen hatte. Er nahm den Brief aus dem Umschlag und steckte ihn wieder in die Tasche. Den Umschlag hielt er so an den Ecken, dass er sich wie ein kleiner Mund öffnete, und fuhr damit so über das Gras, dass ein wenig von dem gelben Staub darin hängen blieb.

  Er verschloss rasch den Umschlag und verstaute ihn wieder. Er hatte keine Ahnung, ob das Pulver von Bedeutung war. Aber vielleicht würde Amyus Crowe etwas damit anfangen können.

  Nachdem er eine Weile weiter durch den Wald gestreift war, stieß er schließlich auf eine Straße. Ob es die war, die ihn zurück nach Holmes Manor führen würde, konnte er nicht sagen. In beide Richtungen führte sie in einer Kurve von ihm fort, wodurch sich unmöglich sagen ließ, wo er sich befand. Er setzte sich an den Straßenrand und wartete. Irgendwann, so seine Überlegung, würde schon ein Karren oder eine Kutsche vorbeikommen, und dann könnte er nach einer Mitfahrgelegenheit fragen.

  Es war später Nachmittag. Sherlock überlegte, wo er jetzt hingehen sollte. Zurück nach Holmes Manor oder lieber in die Stadt? Nach ein paar Sekunden kam er zu dem Schluss, dass eine Rückkehr nach Holmes Manor einen Nachmittag in schrecklicher Langeweile bedeuten würde. Die Stadt klang da schon sehr viel interessanter.

  Die ersten zehn oder zwölf Kutschen, die vorbeikamen, fuhren alle in dieselbe Richtung und waren samt und sonders mit Schachteln, Kisten und Leinensäcken vollgestapelt. Die Gesichter der Kutscher und Passagiere wirkten ängstlich. Sherlock war sich nicht sicher, aber er hatte das Gefühl, dass sie von den beiden Todesfällen gehört hatten und nun Farnham verließen, um von der vermeintlichen Pest so weit wegzukommen wie nur irgend möglich. Er fragte sie auch gar nicht erst nach einer Mitfahrgelegenheit. Denn der Ausdruck auf ihren Gesichtern ließ vermuten, dass sie ihm nicht gerade wohlgesonnen sein würden. Es war schon eine halbe Stunde vergangen, als auf der harten staubigen Straße endlich das Rumpeln von Wagenrädern zu hören war, die sich aus der entgegengesetzten Richtung zu nähern schienen. Er stand auf und wartete, bis das Gefährt um die Kurve kam.

  »Entschuldigen Sie bitte«, rief er dem grauhaarigen Kutscher zu. »In welche Richtung fahren Sie?«

  Mit einem leichten Nicken wies der dünngesichtige Kutscher nach vorne auf die Straße, ohne sich die Mühe zu machen, Sherlock anzublicken. Aber wenigstens zog er an den Zügeln, damit die Pferde langsamer wurden.

  »In welcher Richtung geht es nach Holmes Manor?«, rief Sherlock zum Kutschbock hoch.

  Der Mann neigte seinen Kopf und wies mit einem leichten Nicken auf die hinter ihm liegende Straße.

  »Können Sie mich in die Stadt mitnehmen?«, fragte Sherlock.

  Der Mann überlegte einen Moment und nickte dann in Richtung der Ladefläche. Sherlock wertete das als ein »Ja« und kletterte hinauf. In diesem Moment fuhr die Kutsche auch schon an, was dazu führte, dass er fast wieder heruntergefallen wäre. Doch zum Glück purzelte er nach vorne in einen Strohhaufen.

  Der Fahrer gab während der gesamten Fahrt keine Silbe von sich, und auch Sherlock hatte nichts zu sagen. Stattdessen verbrachte er seine Zeit damit, abwechselnd über den toten Mann, den mysteriösen Reiter und den sonderbaren, jedoch auch faszinierenden Amyus Crowe nachzudenken. Nachdem ihm Holmes Manor und die Umgebung zunächst als Inkarnation tödlicher Langeweile vorgekommen waren, hatten sich diese Orte nun so ziemlich als das Gegenteil erwiesen.

  Seine Gedanken wanderten zu der Geschichte, die Matty erzählt hatte. Zu der Leiche, die aus dem Haus in Farnham getragen worden war, und der merkwürdigen Wolke, die er durch das Fenster hatte schweben sehen.

  Sherlock hatte die Geschichte seinerzeit einfach abgetan – zumindest den Teil mit der Wolke. Aber jetzt dachte er anders darüber. Was war, wenn Amyus Crowe mit diesen Krankheiten, die durch winzige Lebewesen verursacht und von Mensch zu Mensch übertragen wurden, nun recht hatte? War dann diese Wolke, die er und Matty gesehen hatten, nichts anderes als eine riesige Ansammlung dieser winzigen Krankheitserreger?

  Das machte keinen Sinn. Noch nie hatte Sherlock etwas von einer Wolke gehört oder gelesen, die aus derart winzigen Lebewesen bestand. Und bestimmt waren Sherlock und Matty nicht die Einzigen, die ihr zufällig begegnet waren. Es musste noch etwas anderes im Gange sein.

  Sherlock merkte erst, dass sie in Farnham angekommen waren, als die Kutsche rumpelnd zum Halten kam. Starr wie eine Statue saß der Kutscher auf dem Kutschbock und wartete, bis Sherlock herunterkletterte. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, setzte er dann gleich wieder die Kutsche in Bewegung, während Sherlock noch seine Taschen nach Kleingeld durchwühlte, da er davon ausgegangen war, den Mann für seine Umstände bezahlen zu müssen.

  Sherlock blickte sich um. Er wusste, wo er sich befand: Er stand auf der Hauptstraße, die durch das Stadtzentrum von Farnham führte. Weiter vor ihm erhob sich ein rotes, mit steinernen Zierbögen versehenes Backsteingebäude, das laut Matty als Getreidespeicher diente. Er blickte sich um. Die Marktstadt ging ihrem üblichen emsigen Treiben nach. Menschen überquerten eilig die Straße und bewegten sich zielstrebig auf den Gehwegen fort, während andere vor Schaufenstern oder einer Backstube stehengeblieben waren. Manche hielten ein kleines Schwätzchen miteinander, andere hingegen gingen einfach ihrer Arbeit nach. Einen stärkeren Gegensatz zur dunklen Einsamkeit des Waldes konnte man sich kaum vorstellen.

  Er mochte es sich nur einbilden, aber ihm fiel auf, dass sich ungewöhnlich viele kleine Gruppen an Straßenecken und vor den Läden gebildet hatten. Die Leute schienen die Köpfe zusammenzustecken, als würden sie leise miteinander reden, und jeder, der vorbeiging, wurde misstrauisch beäugt. Sprachen sie darüber, dass möglicherweise die Pest in der Stadt ausgebrochen war? Suchten sie in jedem Gesicht, das ihnen begegnete, nach ersten Anzeichen von Beulen oder Fieberrötungen?

  Sherlock ging im Kopf schnell die Liste jener Orte durch, an denen Matty eventuell zu finden sein würde. Zu dieser Tageszeit hatten die Marktstände noch eine oder zwei Stunden geöffnet. Von daher war die Chance gering, dass Matty hier herumstrich und darauf spekulierte, weggeworfenes Obst oder Gemüse zu ergattern. Außerdem wusste Sherlock definitiv, dass vor heute Abend auch keine weiteren Züge mehr zu erwarten waren. Er hatte nämlich den Zugfahrplan für den Fall auswendig gelernt, dass er es auf Holmes Manor nicht mehr aushalten würde. Aber vielleicht, so Sherlocks Vermutung, trieb sich Matty vor einer der zahlreichen Kneipen herum, in der Hoffnung, dass einer der betrunkenen Gäste zufällig mal den einen oder anderen Penny fallen ließ.

  Am Ende jedoch wurde Sherlock klar, dass er nicht genug Anhaltspunkte besaß, um herauszufinden, wo Matty stecken könnte. Es war ganz so, wie Mycroft manchmal sagte:
»Theoretisieren ohne Anhaltspunkte ist ein verhängnisvoller Fehler, Sherlock.« Also streifte er einfach in den Straßen umher, bis er schließlich an die Stelle kam, die Matty ihm gezeigt hatte. Er stand vor dem Haus, in dem der Mann gestorben war. Aus dessen Fenster die Wolke des Todes gekrochen war, um gleich darauf, über Mauer und Dach emporgleitend, wieder zu verschwinden.

  Das Gebäude schien verlassen zu sein. Fenster und Türen waren verschlossen und an die Eingangstür hatte jemand ein Schild genagelt. Sherlocks Vermutung nach handelte es sich um eine Warnung, dass dort drinnen jemand an einem unbekannten Fieber gestorben war. Er spürte widerstreitende Gefühle in sich aufsteigen. Ein Teil von ihm wollte hineingehen und sich dort umsehen. Aber ein anderer, ein von primitiven Urinstinkten geprägter Teil, empfand nackte Angst und trotz des brandygetränkten Taschentuchs, das immer noch zusammengeknüllt in seiner Tasche steckte, wollte er sich nicht der Gefahr einer Infektion aussetzen.

  Plötzlich öffnete sich die Haustür einen Spalt weit, und Sherlock zog sich in den Schatten eines gegenüberliegenden Hauseingangs zurück. Wer mochte sich da drinnen wohl herumtreiben? Nahm jemand das Risiko auf sich, dort sauberzumachen? Oder war dort jemand – ungeachtet der Gefahr – eingezogen beziehungsweise wieder zurückgekehrt? Einen Augenblick lang ging die Tür nicht weiter auf, und Sherlock ahnte mehr, als er es wirklich sah, dass jemand in der Dunkelheit dahinter stand und die Straße beobachtete. Ohne zu wissen, warum er das eigentlich tat, drückte sich Sherlock mit klopfendem Herzen noch tiefer in den Schatten.

  Schließlich öffnete sich die Tür gerade so weit, dass ein Mann durch die Lücke hindurchschlüpfen konnte. Er war in verschiedene Grautöne gekleidet und blickte die Straße rauf und runter, bevor er aus dem Hauseingang glitt. In der einen Hand hielt er einen Sack gepackt. Und diese Hand war mit feinem gelbem Puder überzogen.

  Das Pulver und das Verhalten des Unbekannten, der offenbar nicht beim Verlassen des Hauses gesehen werden wollte, hatten Sherlocks Neugier geweckt.

  Sherlock beobachtete, wie der Mann dem Weg bis zu einer Stelle folgte, wo dieser auf eine größere Straße stieß. Dort bog er nach links ab. Sherlock wartete einige Augenblicke, ehe er ihm folgte. Er hatte keine Ahnung, was da vor sich ging, aber er war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.

  Etwas an dem Mann kam ihm merkwürdig bekannt vor. Irgendwo hatte Sherlock ihn schon einmal gesehen. Er hatte ein schmales, wieselartiges Gesicht und auffällige Zähne, die sich vom vielen Tabak gelb verfärbt hatten. Und dann fiel es Sherlock wieder ein: Er hatte das Wieselgesicht am Bahnhof gesehen, als er zusammen mit Matty dort gewesen war. Der Mann hatte Eiskisten auf einen Karren geladen.

  Sherlock folgte dem Mann quer durch die Stadt von einem Ende Farnhams zum anderen. Sherlock hielt sich den ganzen Weg über hinter ihm. Er duckte sich in Hauseingänge oder verbarg sich hinter anderen Passanten, wenn er das Gefühl hatte, dass sich der Mann gleich umdrehen würde. Schließlich bog er in eine Seitenstraße ein, die Sherlock wiedererkannte. Es war diejenige, in der er bereits früher am Tag mit Matty gewesen war. Dort, wo sie fast die Kutsche überfahren hätte, in der der seltsame Mann mit den rosafarbenen Augen gesessen hatte.

  Der Mann schlich an einer hohen Backsteinmauer entlang, bis er das hölzerne Tor erreichte, aus der die Kutsche gekommen war. Er klopfte an das Tor und benutzte dabei einen ganz bestimmten, aber komplizierten Rhythmus, den Sherlock sich trotz aller Mühe nicht merken konnte. Die Torflügel öffneten sich mit lautem Knarren und der Mann schlüpfte hinein. Ehe Sherlock eine Chance hatte, einen Blick hineinzuwerfen, schloss sich das Tor auch schon wieder.

  Frustriert blickte er sich um.

  Zu gerne hätte er einen Blick über die Mauer geworfen, um zu sehen, was sich dort drinnen befand. Aber wie es aussah, gab es dazu keine Möglichkeit. Irgendwie hatte alles miteinander zu tun: die beiden Todesfälle, die sich bewegenden, geheimnisvollen Wolken, das gelbe Puder … Aber er konnte nicht erkennen, wie die einzelnen Glieder der Kette zusammenhingen. Die Antworten darauf lagen vielleicht nur ein paar Meter entfernt hinter dieser Mauer, aber wie die Dinge im Moment lagen, hätten sie auch genauso gut in China auf ihn warten können.

  Die Sonne stand tief und rot am Himmel. Nicht mehr lange, dann müsste Sherlock wieder zurück in Holmes Manor sein, um sich rechtzeitig für das Abendessen fertig zu machen. Er hatte nicht viel Zeit. Verzweifelt blickte er sich um. Hinter ihm, dort, wo die Mauer einen Knick um die Ecke machte, hatten sich große Teile des Putzes gelöst. Wahrscheinlich waren dort im Laufe der Jahre immer wieder Kutschen und Karren im Vorbeifahren gegen die Mauer gestoßen und Wind und Wetter hatten dann ihr Übriges getan. Die Rillen zwischen den groben Ziegelsteinen, die der abgeplatzte Putz entblößt hatte, könnten seinem Fuß genug Halt bieten, um sich auf die Mauerkrone hinaufzuschwingen.

  Einen Versuch war es zumindest wert.

  Sherlock beschloss, nicht weiter nachzudenken und die Sache in Angriff zu nehmen. Er pirschte sich zur Mauerecke und blickte sich um. Niemand beobachtete ihn. Er langte so weit nach oben, wie er konnte, und krallte seine Finger in einen Spalt zwischen zwei Ziegelsteinen. Dann tastete er mit seinem rechten Fuß über die Mauer, bis auch dieser Halt fand. Sherlock war nun bereit und zog sich nach oben. Vor plötzlicher Anspannung fingen seine Beinmuskeln heftig an zu brennen, aber er würde jetzt nicht aufgeben. Er schwang seine linke Hand, so weit er konnte, nach oben und spürte, wie sich seine Finger um den Rand der Mauerkrone krallten. Während er sich so fest wie möglich ans Mauerwerk klammerte, zog er zunächst den linken Fuß hoch, um dann die Fußspitze langsam wieder die Mauer hinabgleiten zu lassen, bis sie irgendwo Halt fand. Er verlagerte sein Gewicht von dem rechten auf den linken Fuß und betete, dass das Mauerwerk nicht wegbröckelte.

  Aber es hielt. Er stemmte sich mit dem linken Fuß in die Höhe und hievte sich gleichzeitig mit der linken Hand nach oben. Sein Körper schrammte an der Mauer empor, und ehe er wusste, wie ihm geschah, fand er sich lang ausgestreckt auf der Mauerkrone wieder. Noch taumelnd vom Schwung und kurz davor, gleich wieder über die Kante in den Innenhof zu stürzen, der sich unter ihm erstreckte.

  5

  Im Liegen konnte Sherlock von der Mauerkrone aus den gesamten Innenhof überblicken. Es war niemand zu sehen. Ein fensterloses Gebäude – eigentlich eher als Scheune oder Schuppen zu bezeichnen – nahm einen Großteil des Hofes ein, während die freie Fläche drum herum Dreck und Unkraut überlassen worden war. Diverse Wagenspuren führten vom riesigen Holztor an der Gebäudevorderseite zu dem Tor in der Mauer. Bei einigen handelte es sich um kaum mehr als Kratzspuren, während andere sich tief in den Untergrund gedrückt hatten und immer noch mit Wasser vom jüngsten Regen gefüllt waren. Sherlock kam zu dem Schluss, dass die dezenten Wagenspuren von leicht beladenen Kutschen oder Karren stammten, die auf dem Weg zur Scheune gewesen waren. Auf dem Rückweg jedoch waren sie schwer beladen gewesen, so dass sie tiefer in den weichen Boden eingesunken waren. Aber was wurde dort drinnen im Schuppen gelagert oder hergestellt? Und hatte es irgendetwas mit dem gelben Pulver und dem Todesfall zu tun, den Matty mitbekommen hatte?

  Sherlock schwang ein Bein über die Mauer und wollte sich auf den Boden hinabgleiten lassen. Aber ein plötzlich einsetzendes Pfotengetrappel ließ ihn zurückzucken. Etwas Dunkles und Schnelles hatte sich aus dem Schatten neben der Scheune gelöst und kam nun auf wirbelnden kurzen Beinen auf ihn zugeschossen. Sherlock konnte einen großen muskulösen Kopf mit kleinen Ohren erkennen, die das Tier eng an den Schädel gelegt hatte, und einen kleinen, mit borstigem Fell bedeckten Körper. Der Hund bellte ihn nicht an, sondern knurrte stattdessen: ein tiefer Kratzton, ähnlich einer Säge, die sich durch hartes Holz fraß.

  Speichel tropfte von seinen entblößten Zähnen. Der Hund kam schlitternd zum Stehen – genau unterhalb der Stelle, wo Sherlock auf der Mauer lag. Unverwandt starrte er Sherlock an. Den Schwanz senkrecht in die Höhe gestreckt und unruhig auf den kleinen stämmigen Beinchen tänzelnd.

  Sherlock musste unbedingt in diese Scheune kommen. Er hatte es hier mit einem ungelösten Puzzle zu tun und nichts hasste er so sehr wie ungelöste Puzzles. Aber der Hund sah zi
emlich hungrig aus und schien auf Angriff abgerichtet zu sein.

  Er blickte zurück auf die Mauerseite, an der er hochgeklettert war. Gab es einen anderen Weg hinein? Unwahrscheinlich. Und außerdem würde ihm der Hund jetzt, da er seine Witterung aufgenommen hatte, einfach überall hin folgen. Ob er sich vielleicht mit ihm anfreunden konnte? Nicht sehr wahrscheinlich. Jedenfalls nicht, ohne von der Mauer herunterzukommen, und die Folgen eines Scheiterns waren zu schrecklich, um sie sich auszumalen. Er könnte sich nach einem losen Ziegel oder einem großen Stein umschauen und ihn auf das Tier hinabfallen lassen. Aber das kam ihm unangemessen brutal vor. Ob er ihn vielleicht irgendwie betäuben konnte? Vermutlich könnte er zurück auf den Markt laufen und von dem wenigen Geld, das er hatte, ein Stück Fleisch kaufen. Aber was dann?

  In der Hoffnung, etwas zu finden, das ihm eventuell weiterhelfen könnte, suchte er den Boden auf beiden Seiten der Mauer ab. In der Nähe des Tores sah er etwas am Fuß der Mauer liegen. Etwas, das aussah wie eine liegengelassene alte Pelzmütze. Es war der tote Dachs, den er bereits am Tag zuvor gesehen hatte. Schnell ließ er sich von der Mauer fallen und rannte ein paar Schritte bis zu der Stelle, an der der zusammengekrümmte Körper des Dachses lag. Er hob ihn auf. Das Fell war trocken und staubig, und der Körper so leicht, als hätten die Lebensgeister, die ihn bei seinem Tod verlassen hatten, tatsächlich etwas gewogen.

  Ein ekelhafter, ranziger Geruch drang ihm in die Nase. Eine Entschuldigung murmelnd, beugte er sich leicht nach hinten, streckte seinen Arm aus und schleuderte den Dachs über die Mauer hinüber. Mit abgespreizten Gliedern segelte der um die eigene Achse rotierende Körper durch die Luft und verschwand dann auf der anderen Seite. Sherlock hörte einen dumpfen Aufprall, als er auf dem Boden aufschlug. Sekunden später vernahm er das Geräusch, auf das er gehofft hatte: rasch über die trockene Erde trippelnde Pfoten, gefolgt von wütendem Geknurre, als der Hund seine Zähne in den toten Körper schlug.

 

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