Death Cloud ysh-1

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Death Cloud ysh-1 Page 8

by Andrew Lane


  Sherlock kletterte rasch wieder auf die Mauer hinauf und blickte in den Innenhof hinab. Der Hund presste den Dachs mit den Vorderpfoten auf den Boden, schüttelte den leblosen Körper mit seinen starken Kiefern hin und her und riss dabei ganze Stücke aus dem Kadaver heraus. Als Sherlock sich auf den Boden hinabfallen ließ, brach der Hund abrupt ab. Argwöhnisch äugte er zu Sherlock hinüber, doch dann zerrte er weiter an der toten Kreatur herum. Entweder war er zum Schluss gekommen, dass Sherlock sein Freund war, weil er ihm so ein tolles Spielzeug geschenkt hatte, oder er hob ihn sich einfach für später auf. Sherlock hoffte inbrünstig, dass Ersteres zutraf.

  Bevor der Hund den Dachs in so kleine Teilchen zerfetzt hatte, dass sie für ihn nicht mehr von Interesse waren, sprintete Sherlock rasch über den Hof zur Scheune. In eine der Seitenwände war eine Tür eingelassen. Er öffnete sie einen Spalt weit und lugte vorsichtig hinein. Nichts außer Dunkelheit und Stille. Er drückte die Tür weiter auf, schlüpfte hinein und schloss die Tür wieder hinter sich.

  Er brauchte einen Moment, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Aber dann merkte er, dass die Scheune von Oberlichtern erhellt wurde. Das Sonnenlicht, das durch die schmutzigen Glasfenster drang, erzeugte in der staubigen Luft diagonale Lichtsäulen, was wie ein imaginäres Stützgerüst für das Dach aussah.

  Es roch nach alter trockener Erde und Schweiß. Eine Geruchsmischung, die jedoch etwas anderes überdeckte. Etwas, das irgendwie schwer und süßlich roch. An verschiedenen Stellen standen aufeinander gestapelte Boxen und Kisten herum, und weiter hinten auf der anderen Seite der Scheune luden gerade mehrere Männer ein paar Kisten auf einen Wagen. Der Mann, dem Sherlock durch Farnham bis hierher gefolgt war, befand sich auch darunter. Der Leinensack, den er getragen hatte, war einfach achtlos auf den Boden geworfen worden. An die Deichsel des Wagens hatte man bereits ein Pferd gespannt. Ruhig und geduldig fraß es Heu aus einem Nasensack, den man ihm um den Kopf gebunden hatte. Ein zweiter Wagen stand unbenutzt an einer der Seitenwände herum. Seine beiden leeren Deichseln ruhten auf dem Boden.

  In der Nähe lagen etliche leere Holzkisten in einem wirren Haufen übereinander, und Sherlock schlich sich leise hinüber, um sich dahinter zu verstecken. Aufmerksam beobachtete er, wie die Männer die – wie es aussah – letzte Fuhre beluden. Sie fluchten und stießen gegeneinander, als sie die Kisten aufnahmen und sie eine nach der anderen auf den Wagen hievten. Dem Dreck auf ihrer Kleidung und ihren verschwitzten Gesichtern nach zu urteilen, waren sie schon eine ganze Weile so beschäftigt.

  Der Mann, den Sherlock verfolgt hatte, half die letzte Kiste auf den Wagen zu heben. Dann rieb er sich die Hände einander und wischte sie anschließend theatralisch an seiner Weste ab, so als hätte er den ganzen Tag über im Schuppen mitgeschuftet. Das geheimnisvolle Puder, das er an den Händen gehabt hatte, hinterließ dabei gelbe Flecken auf dem groben Kleidungsstoff.

  Einem der anderen Männer – einem riesigen kahlköpfigen Schlägertypen – schien das Getue auf die Nerven zu gehen. An einem Riemen hing von seinem Gürtel eine brennende Öllaterne herab. Ihr Licht ließ auf seinen Armen eindrucksvolle Tattoos aufleuchten, die sich wie zwei Ärmel bis zu den Handgelenken hinunterzogen. Höhnisch musterte er seinen Kumpan.

  »Na, genießte deinen kleinen Ausflug?«

  »Hey, ich hab auch was getan«, erwiderte der erste Mann.

  »Also, was war nun los in Wints Bude?«

  Der Neuankömmling schüttelte den Kopf. »Der Baron hatte recht. Wint hat hier heimlich Zeugs geklemmt und versucht, das zu verscherbeln. Neben dem Bett hab ich einen riesen Haufen Jacken und Hosen gefunden.«

  »Hat dich jemand gesehen?«

  »Niemand. War unsichtbar wie ein Geist.«

  »Haste alles erwischt?«

  Der Mann wies nickend auf den Leinensack. »Hab alles zusammengerafft und da reingestopft.«

  »In Ordnung. Schmeiß das Zeugs auch noch auf den Wagen.«

  Als der Neuankömmling sich in Bewegung setzte, um den Sack aufzuheben, rief ihm sein bulliger Komplize hinterher: »Haste Wints Bude abgefackelt?«

  Der Neuankömmling schüttelte den Kopf.

  Der bullige Mann zuckte die Achseln. »Das kannst du dann dem Baron selbst erklären, wenn du ihn triffst.«

  »Hey, Clem. Die andere Karre da brauchen wir nicht mehr, oder?«, rief plötzlich einer der Männer und wies mit dem Kopf auf den anderen Wagen.

  Der Tätowierte wandte sich halb zu den Arbeitern um. »Lass ihn stehn«, sagte er. »Wahrscheinlich brauchen wir den nicht mehr. Aber mit ›Wahrscheinlich‹ hat es der Baron nicht so. Is nämlich ’n vorsichtiger Mann, der Baron.« Er wandte sich wieder dem Neuankömmling zu und zeigte auf die gelben Puderflecken auf dessen Weste.

  »Du hast da noch was von ihrem Zeugs an dir. Wints Bude ist bestimmt auch damit beschmiert. Der Baron wird wollen, dass du sie abfackelst. Genauso wie diese Hütte hier. Sieh zu, dass du alle Beweise vernichtest.«

  Der Neuankömmling blickte an seiner Weste hinab. »Was ist das für ein Zeugs?«, fragte er.

  Sein Kumpan gab ein Lachen von sich, das wie eine Mischung aus Schnauben und Husten klang. »Besser man weiß nicht alles«, erwiderte er.

  Der Neuankömmling betrachtete zunächst seine Hände. Dann sah er wieder den Mann an. Sein Gesicht war auf einmal verkrampft und kreidebleich. »Hey, Clem, heißt das, dass das mit Wint auch mir passiert?«

  Clem schüttelte den Kopf. »Nicht wenn de es ordentlich abwäschst, wie der Baron gesagt hat.« Er blickte zu den anderen Männern hinüber, die nun, nachdem alle Kisten auf dem Wagen verstaut waren, untätig herumstanden und sich miteinander unterhielten. »In Ordnung, Leute. Zeit abzuhauen. Martin und Joe, ihr fahrt den Wagen. Ihr wisst, wo ihr hinmüsst. Stouffer und Flynn, ihr macht euch zum Baron auf.« Er drehte sich zu dem Neuankömmling um. »Denny, wir beide kümmern uns um die Bude hier. Brenn sie ab. Sie ist viel zu groß, um hundertprozentig auszuschließen, dass wir vielleicht nicht doch die ein oder andere Spur hinterlassen haben.«

  Der Neuankömmling – Denny – sah sich in der Scheune um. »Muss das sein?«, fragte er mit Bedauern in der Stimme. »Denk doch mal dran, was sich aus dem Schuppen hier machen ließe, sobald der Baron ihn nicht mehr braucht. Könnten zum Beispiel Geschäfte hier abziehen oder vielleicht die größte Kneipe im ganzen Umkreis aufmachen. Wir könnten Mädels zum Singen und Tanzen herholen und so was. Ist irgendwie ’ne Schande, das Ding einfach so abzufackeln.«

  Clems Gesicht nahm einen bedrohlichen Ausdruck an. Finster starrte er seinen Kumpan an. »Wenn du zum Baron gehen und ihm das verklickern willst, nur zu. Was mich anbelangt, werde ich einfach meine Anweisungen befolgen.«

  Denny schien unter dem drohenden Blick des anderen förmlich zu schrumpfen. »Hab ja nur gefragt«, antwortete er kleinlaut.

  Einer von den Männern, die am Wagen herumstanden, hob seinen Arm, um Clem auf sich aufmerksam zu machen. »Wann werden wir bezahlt?«, wollte er wissen.

  »Wenn die Klamotten abgeliefert worden sind«, knurrte Clem. »Wir treffen uns morgen in Mollys Kneipe. Ich krieg das Geld vom Baron und verteil’s dann.«

  »Und woher wissen wir, dass du da sein wirst?«, fragte ein anderer Mann, der halbherzig die Hand gehoben hatte.

  Clem starrte den Fragenden an, bis er den Blick abwandte. »Weil der Baron unser Schweigen kauft«, antwortete er dann. »Eures und meins, vergesst das nicht. Wenn ihr nicht bezahlt werdet und dann jemandem erzählt, was wir gemacht haben, wird sich der Baron meine Wenigkeit vorknöpfen. Und das ist etwas, was ich absolut nicht will. Jeder wird bezahlt. Fair und anständig, kapiert?«

  Der Mann nickte zufriedengestellt. »In Ordnung.«

  Sherlock drängte sich noch dichter an den Kistenstapel, als die Männer sich zerstreuten. Zwei stiegen auf den Wagen und zwei andere öffneten die beiden massiven Torflügel, damit der Wagen hinausfahren konnte. Clem hingegen blieb zurück, um die Leute zu beaufsichtigen, während Denny verloren in der Gegend herumstand. Der Mann, der den Wagen lenkte, schnalzte mit der Zunge und gab dem Pferd mit einer langen Gerte einen Klaps auf den Rücken. Immer noch Heu aus dem Nasenbeutel vor sich hinf
utternd, setzte sich das Tier langsam in Bewegung.

  Clem ging auf die großen Torflügel zu und störte sich nicht daran, dass die Öllaterne, die an seinem Gürtel hing, permanent gegen seinen Oberschenkel stieß. Ohne sich umzusehen, wies er mit dem Daumen nach hinten zu der Stelle, wo Sherlock sich versteckt hielt. »Schließ die Seitentür ab«, knurrte er. »Dann komm nach vorn zum Tor.«

  Sherlock blieb vor Entsetzen das Herz stehen, als Denny auf sein Versteck zusteuerte. Wenn er um den Kistenstapel herumkam, würde er Sherlock zwangsläufig entdecken. Und wenn das geschah, war es um seine Überlebenschancen schlecht bestellt. Sherlock nahm eine andere Körperstellung ein und spannte die Muskeln an, bereit loszurennen. Könnte er es zur Seitentür schaffen, bevor Denny ihn erwischen würde? Sherlock war sich da nicht so sicher, aber noch weniger sicher war er, ob er überhaupt eine Alternative hatte.

  Denny war nun fast auf gleicher Höhe mit dem Kistenstapel, und Sherlock kam in den Genuss des sauren Schweißgeruchs, den seine Kleidung verströmte. Sherlock warf rasch einen Blick auf Clem, um zu sehen, ob der korpulente Riese noch nahe genug war, um Denny eventuell dabei helfen zu können, ihn zu schnappen. Clem hatte jetzt fast das Eingangstor erreicht. Sherlock glitt schnell um den Stapel herum. Als Denny an den Kisten vorbeiging, rückte Sherlock noch einmal ein Stück weiter herum. Wenn Clem sich noch einmal umdrehte, bevor er aus dem Tor hinausging, würde er Sherlock sehen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber er tat es nicht. Mit stockendem Atem beobachtete Sherlock, wie Clem draußen in der hellen Nachmittagssonne verschwand. Einen Augenblick später schwang der erste Torflügel langsam nach innen. Seine raue Holzunterkante schleifte durch den Dreck und die rostigen Angeln gaben ein nervenzerreißendes Quietschen von sich.

  Sherlock blickte über den Kistenstapel hinweg. Denny hatte sich gerade davon überzeugt, dass die Tür, durch die Sherlock gekommen war, richtig geschlossen war. Nun machte er sich daran, die Riegel vorzuschieben. Niemand würde dann mehr von außen reinkommen können. Aber sobald Denny weg war, würde es kein Problem sein, die Riegel wieder rauszuziehen, die Tür zu öffnen und zu verschwinden.

  Doch es sollte anders kommen. Denn Denny hob ein Vorhängeschloss vom Boden auf. Dann führte er den Bügel des Schlosses zunächst durch eine Öse am obersten Türriegel und anschließend durch einen Eisenring, der am Türrahmen angebracht war. Mit einem unmissverständlichen Klick rastete der Bügel im Schloss ein. Denny zog den Schlüssel aus dem Schloss und ließ ihn in seine Tasche gleiten. Daraufhin drehte er sich pfeifend um und ging durch die Scheune zum Tor zurück, während Sherlock wieder vorsichtig um den Stapel herumschlich, um nicht entdeckt zu werden.

  Sherlock spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals klopfte und seine Handflächen ganz feucht wurden. Er warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück und musterte das Schloss. Es sah ziemlich stabil aus. Auf diesem Weg würde er nicht mehr herauskommen. Zumindest nicht schnell und ohne eine Menge Krach zu machen. Er würde eben einfach warten müssen, bis Denny und Clem verschwunden waren, vorsichtshalber noch fünf Minuten verstreichen lassen und dann auf demselben Weg hinausgehen, den die beiden Schurken genommen hatten.

  Denny erreichte das Tor gerade in dem Moment, als der zweite Flügel nach innen schwang. Der Lichtstreifen, der draußen vom Hof hereinschien, wurde schmaler und schmaler, schrumpfte zu einem Balken, zu einer Linie und dann … Schwärze und ein dumpfer Rums, als sich die Torflügel endgültig schlossen.

  Sherlock rutschte das Herz in die Hose und seine Stimmung wurde noch trüber als das Licht, als er einen unmissverständlichen Laut vernahm. Draußen wurde ein Sperrbalken in die dafür vorgesehene Halterung geschoben. Es gab keinen Weg mehr hinaus!

  Einige Augenblicke konnte er hören, wie sich die beiden Männer draußen unterhielten, ohne dass er mitbekam, was genau sie sprachen. Er richtete sich auf, um zum verschlossenen Tor hinüberzugehen. Vielleicht konnte er ja ein paar Worte aufschnappen. Aber ein plötzliches Geräusch ließ ihn erstarren.

  Clem hatte seine Öllaterne gegen das Tor geschmettert.

  Glas zerbrach und Flüssigkeit spritzte über das Holz. Stille. Dann ein Unheil verkündendes Knistern, als die Dochtflamme auf das ölgetränkte Holz übergriff.

  Clem und Denny hatten die Scheune tatsächlich angesteckt.

  Panik drohte Sherlock zu überwältigen. Er wollte wegrennen, aber er wusste nicht wohin, was dazu führte, dass er sich am Ende einfach nur mit zuckenden Gliedern auf der Stelle vor und zurück bewegte. Ein bitterer metallener Geschmack machte sich in seinem Mund breit, und sein Herz hämmerte so heftig, dass er seinen Pulsschlag in den Schläfen und dem Hals spürte. Einen Moment lang war er außerstande, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn einen Fluchtplan zu schmieden. Doch nach und nach gelang es ihm, die Panik zu unterdrücken, indem er sich gebetsmühlenartig vorhielt, dass es einfach irgendeinen Weg hinaus geben musste. Er musste nur herausfinden, welcher das war. Er spürte, wie sich sein Herzschlag allmählich normalisierte und das Zucken in Armen und Beinen nachließ.

  Rauch begann sich in der Scheune auszubreiten und erste Flämmchen wanden sich wie neugierige Finger zwischen den Bretterspalten hervor. Denk nach!, ermahnte er sich. Denk schärfer nach als jemals zuvor.

  Aufmerksam blickte er sich in der Scheune um. Die meisten Kisten waren von Clem und seinen Männern abtransportiert worden, ohne dass er herausbekommen hatte, was in ihnen war. Die Kisten, hinter denen er sich versteckt hatte, standen immer noch drüben an der verschlossenen Seitentür. Aber so leicht, wie sie sich hatten bewegen lassen, als er gegen sie gekommen war, waren sie vermutlich leer.

  Er stürmte auf eine Seitenwand zu und warf sich mit der Schulter gegen die Bretter. Das Holz erzitterte unter dem Aufprall, aber nicht ein Brett zersplitterte oder verbog sich. Er versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Wollte er die Wand einreißen, würde er mit der Schulter nicht weit kommen, sondern eine Axt oder einen Hammer oder so etwas brauchen.

  Verzweifelt blickte er sich in der Scheune nach irgendeinem Werkzeug um, mit dem er eventuell die Wand zertrümmern oder die Bretter auseinanderbiegen konnte. Da fiel sein Blick plötzlich auf den unbenutzten Wagen, den man achtlos zurückgelassen hatte. Er sah intakt aus, und der Mann namens Clem hatte zu verstehen gegeben, dass man ihn benutzt hätte, wären noch mehr Kisten zu transportieren gewesen. Konnte er vielleicht mit Hilfe des Wagens irgendwie entkommen? Und würde er sich überhaupt von der Stelle bewegen lassen?

  Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Sherlock flitzte zum Wagen hinüber und packte eine der beiden Deichseln, zwischen denen man sonst das Zugpferd anspannte. Obwohl die Deichselstange einiges wog, konnte Sherlock sie ohne allzu große Mühe anheben.

  Versuchsweise zog er daran, doch der Wagen rührte sich nicht. Er zog noch einmal. Diesmal fester. Der Wagen bewegte sich leicht, aber die andere Deichsel lag immer noch auf dem Scheunenboden, und Sherlocks Versuche drückten sie nur noch tiefer in den Dreck, so dass sich der Wagen nicht weiter von der Stelle bewegte.

  Logik. Hier war Logik gefragt! Wenn er schon nicht in der Lage war, den Wagen zu ziehen, würde er ihn vielleicht schieben können. Sherlock ließ die Deichsel fallen und warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Frontseite, wo normalerweise der Kutscher saß. Er bewegte sich! Der Wagen rollte ein paar Zentimeter nach hinten.

  Welche Schutzgöttin auch immer über ihn wachen mochte, Sherlock dankte ihr jedenfalls, dass sie ihm gegen den mysteriösen Baron beiseite stand. Dem Baron, der seine Arbeiter mit seiner Manie, nichts dem Zufall zu überlassen, so beeindruckt hatte, dass sie nicht nur einen Ersatzwagen besorgt, sondern darüber hinaus auch dessen Achsen sorgfältig geschmiert hatten. Sherlock machte ein paar Schritte zurück und stürmte dann wieder auf den Wagen zu. Heftig krachte er mit der Schulter gegen das Gefährt. Es war dieselbe Seite, mit der er sich gegen die Scheunenwand geworfen hatte, und er spürte, wie ihm ein stechender Schmerz in Arm und Nacken schoss. Aber der Wagen rollte ein paar Meter weiter, ehe er wieder stehenblieb.

  Rauch wehte ihm ins Gesicht und brachte seine Augen zum Tränen. Er drehte sich um und sah, dass nun schon F
lammen am Eingangstor emporzüngelten. Logischerweise würde das Feuer die Widerstandsfähigkeit des Tores schwächen und es somit zur idealen Stelle machen, um dort mit dem Wagen durchzubrechen. Das hieß, wenn er ihn denn weit und schnell genug bewegen konnte. Außerdem müsste er ihn erst wenden, um auf das Tor zuzusteuern, und zu allem Überfluss machten ihm auch die Flammen ziemlich Angst. Seine einzige realistische Chance, schnell rauszukommen ohne gegrillt zu werden, bestand darin, den Wagen durch die hintere Scheunenwand krachen zu lassen.

  Den scharfen Schmerz ignorierend, der ihm erneut durch die Schulter fuhr, stemmte sich Sherlock mit beiden Händen gegen den Wagen. Er ging in die Knie und drückte beide Füße fest in den weichen Boden. Sein Körper befand sich nun fast in der Waagerechten, und er quetschte jedes bisschen Energie aus seinem Körper, das er hatte – mehr als er es jemals beim Rugbyspielen auf dem Schulsportplatz oder bei den Boxkämpfen in der Turnhalle getan hatte. Eine Ewigkeit lang schien es so, als würde sein Körper zwischen zwei unbeweglichen Objekten in der Schwebe hängen, aber dann begann sich der Wagen zu bewegen. Eines der Räder stieß gegen einen Gegenstand – vielleicht einen Stein oder einen Dreckhaufen – und der Wagen drohte wieder zum Ausgangspunkt zurückzurollen. Aber Sherlock stemmte seine Beine in den Boden und drückte sich so heftig gegen das Gefährt, dass seine Muskeln kreischten. Das Rad überwand das Hindernis und der Wagen begann, nach hinten zu rollen. Sherlock hob seinen linken Fuß, machte einen großen Schritt nach vorn und ließ dann den rechten Fuß folgen. Der raue, schmutzige Boden gab seinen Füßen Halt und mit aller Kraft bewegte er das Fuhrwerk Zentimeter für Zentimeter voran. Ähnlich wie eine Lokomotive nahm der Wagen allmählich Fahrt auf. Aus einem lahmen Kriechtempo wurde innerhalb weniger Sekunden langsame Schrittgeschwindigkeit, die alsbald in einen zügigen Marsch und schließlich in einen strammen Trab überging. Sherlock spürte, wie es Ping in seiner Schulter machte, als eine Sehne über einen Knochen flutschte, wie eine Violinensaite, an der ein Finger zupfte. Sein Arm drohte einfach kraftlos herunterzugleiten, aber mit einer gewaltigen Willensanstrengung schaffte er es, die Hand oben am Wagen zu behalten, und einen Augenblick später ließ das taube Nadelstichgefühl nach.

 

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