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Death Cloud ysh-1

Page 14

by Andrew Lane


  »Naheliegend?« Sherlock zermarterte sich das Gehirn. Was konnte die naheliegende Erklärung für beulenartige Schwellungen sein, wenn Bienen involviert waren? Und dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. »Stachel!«, rief er.

  »Gut gemacht, mein Junge. Ja, Bienenstachel. Äußerst giftige Bienenstachel zudem. Die meisten Bienen hierzulande haben Stachel, die Schmerzen und leichte, punktartige Schwellungen verursachen. Aber nicht so etwas wie die Beulen, die MrCrowe beschrieben hat.«

  Er blickte Sherlock an. »Du musst sie auch gesehen haben. Wie groß waren sie?«

  Sherlock hielt die rechte Hand empor. »Ungefähr die Größe meines letzten Daumengliedes«, erwiderte er.

  »Das deutet auf eine äußerst starke Giftform hin. Und vermutlich auf eine äußerst aggressive Bienenart.«

  »Woher wissen Sie so viel über Bienen?«, fragte Sherlock.

  Der Professor lächelte. »Ich habe dir erzählt, dass ich ein paar Jahre in China verbracht habe. Die Chinesen halten Bienen bereits seit Tausenden von Jahren, und bei meinem Aufenthalt habe ich festgestellt, dass dort Honig wegen seiner medizinischen Wirkung sehr geschätzt wird. Laut den Aufzeichnungen des großen medizinischen Werkes Ben cao gang mu oder auch Das Buch heilender Kräuter, das vor ungefähr dreihundert Jahren von einem Mann namens Li Shi Zhen verfasst wurde, wirkt Honig stimmungsaufhellend, schmerzlindernd, entgiftend, beruhigend, sehkraftverbessernd und lebensverlängernd.« Er wandte den Blick von Sherlock ab und starrte an die Wand. Sherlock hatte den Eindruck, dass er sich an Dinge erinnerte, die vor vielen Jahren geschehen waren. »Hier in Großbritannien sind wir an die eher gutmütige Europäische Honigbiene, Apis mellifera, gewöhnt. Die in Asien vorkommende Riesenhonigbiene, Apis dorsata, ist beträchtlich aggressiver, und ihr Stich ist viel schmerzhafter. Trotzdem wird sie von den Chinesen wegen ihres Honigs in Bienenstöcken gehalten. Im Gegensatz zu unseren Stöcken, die wie Glocken geformt sind, benutzen die Chinesen ausgehöhlte Baumstämme oder zylinderförmige Webkörbe zur Bienenhaltung.

  Manchmal konnte man die chinesischen Bauern dabei beobachten, wie sie ihre Bienenstöcke hinauf in die Berge trugen. Zwei auf einmal, jeweils befestigt am Ende einer Bambusstange, die sie auf der Schulter balancierten. Ich erinnere mich daran, wie beim Klettern die Bienen wie eine Rauchwolke um sie herumgeschwirrt sind.«

  Wie eine Rauchwolke. Die Worte trafen Sherlock wie ein Schlag.

  »Das war es«, hauchte er.

  »Was war was?«

  »Ich hab gesehen, wie sich von einer der Leichen ein Schatten entfernt hat. Und mein Freund hat das Gleiche aus einem Fenster kommen sehen. In der Wohnung, in der die andere Leiche entdeckt wurde. Das müssen Bienen gewesen sein!«

  Der Professor nickte. »Sie müssten dann ziemlich klein sein. Andernfalls hättest du den Schwarm nicht mit einem Schatten verwechselt. Und vermutlich hatten sie nicht die auffällige gelb-schwarze Körperfärbung einer typischen Hummel, sondern waren eher dunkel. Ich habe irgendwo mal gelesen, dass es afrikanische Bienen gibt, die klein und außerdem nahezu schwarz sind. Und darüber hinaus auch sehr aggressiv.«

  »Würden Sie mir einen Gefallen tun?«, fragte Sherlock.

  »Natürlich.«

  »Könnten Sie Amyus Crowe einen Brief schreiben, in dem Sie erklären, was Ihrer Meinung nach die beiden Männer umgebracht hat? Ich nehme ihn dann für MrCrowe mit nach Farnham.« Er wandte den Blick vom Professor ab und spürte, dass er rot wurde. »Ich glaube, ich bekomme Schwierigkeiten mit meiner Tante und meinem Onkel, wenn ich zurück bin. Und vielleicht werde ich dann nicht bestraft.«

  Der Professor nickte. Er schüttete das gelbe Pulver – das harmlose gelbe Puder, wie Sherlock sich noch einmal in Erinnerung rufen musste – vom Pergamentbogen auf das Löschpapier. Er zog einen Federkiel aus einem Tintenfass und begann, auf dem Pergament zu schreiben. Die Handschrift war etwas krakelig, aber Sherlock konnte die Wörter gerade noch entziffern.

  Werter MrCrowe,

  heute hatte ich das unerwartete Vergnügen, die Bekanntschaft Ihres Schülers …

  »Wie ist dein Name, mein junger Freund?«, fragte er und wandte sich Sherlock zu.

  »Holmes, Sir. Sherlock Holmes.«

  Master Sherlock Holmes zu machen. Er hat mir eine Probe eines gelben Puders gebracht, das, wie er sagt, bei den unter so tragischen Umständen verstorbenen Männern gefunden wurde. Den Männern, deren Todesumstände Sie mir in Ihrem Brief beschrieben haben, welcher heute Morgen eingetroffen ist. Nach eingehender Untersuchung des Pulvers kann ich es als simplen Bienenpollen identifizieren und daraus schließe ich, dass die beiden Männer nicht an der Beulenpest oder einer vergleichbaren Krankheit gestorben sind, sondern durch Bienenstiche. Wenn Sie einen ortsansässigen Arzt darum bitten, die vermeintlichen »Beulen« zu untersuchen, wage ich zu behaupten, dass er in jeder »Beule« kleine Stachel finden wird … oder zumindest Male, die von Stacheln stammen.

  Ich muss diesem jungen Mann ein großes Lob dafür aussprechen, dass er mir die Pulverprobe gebracht hat. Wäre das nicht geschehen, hätten die Gerüchte über ein sich im Land ausbreitendes tödliches Fieber eine große Panik auslösen können.

  Ich würde mich sehr freuen, wenn wir unsere Bekanntschaft zu einem Ihnen genehmen Zeitpunkt erneuern.

  Hochachtungsvoll

  Arthur Winchcombe, (Privatdozent)

  Er faltete den Bogen zusammen und ließ ihn in einen Umschlag gleiten, den er aus einer Schreibtischschublade hervorholte. Dann nahm er einen Tropfen Wachs von der Kerze, die er für die Beleuchtung des Mikroskops verwendet hatte, versiegelte damit den Umschlag und händigte Sherlock das Schreiben aus.

  »Ich hoffe, dass dich das vor allzu schmerzhafter Bestrafung bewahren wird«, sagte er. »Bitte richte deinem Lehrer meine Empfehlungen aus.«

  »Werde ich machen.« Sherlock rang kurz nach Worten, ehe er fortfuhr. »Danke.«

  Professor Winchcombe läutete eine kleine Glocke, die neben dem Mikroskop auf dem Löschpapier bereitstand. »Mein Butler wird dich hinausbegleiten. Wenn du irgendwann noch mehr über tropische Krankheiten oder die Bienenhaltung in China wissen willst, zögere nicht, mich wieder zu kontaktieren.«

  Als Sherlock wieder auf der Straße stand, stellte er überrascht fest, dass die Sonne ihre Position nicht mehr als um ein paar Grade verändert hatte. Dabei war es ihm so vorgekommen, als hätte er Stunden bei Professor Winchcombe verbracht.

  Matty saß auf der Gartenmauer und aß irgendetwas aus einer Papiertüte. »Hast du erledigt, was du wolltest?«, fragte er.

  Sherlock nickte. Dann wies er auf die Papiertüte. »Was hast du da?«

  »Muscheln und Schnecken«, kam die Antwort. Er hielt Sherlock die offene Tüte hin. »Willste was?«

  Sherlock blickte hinein und sah einen Haufen Meeresmuscheln. »Sind die gekocht?«, fragte er.

  »Gesiedet«, erwiderte Matty knapp. »Bin einem Fischhändler begegnet, der sie an seinem Stand verkauft hat. Ist vermutlich heute Nacht aus Portsmouth rübergekommen. Hab ’ne Weile bei ihm ausgeholfen. Kisten sauber scheuern, mehr Eis besorgen und all so was. Im Gegenzug hat er mir die hier gegeben. Als Bezahlung.« Er langte in die Tüte und fischte eine Muschel raus. Dann legte er die Tüte auf der Mauer ab und holte ein Klappmesser aus seiner Tasche hervor. Mit der Klingenspitze stocherte er im Inneren der halb geöffneten Muschel herum, bis er das, was auch immer sich darin befand, aufgespießt hatte. Sekunden später zog er etwas Dunkles und Glibberiges heraus und steckte es sich in den Mund.

  »Herrlich«, stöhnte er genüsslich und strahlte über das ganze Gesicht. »Die kriegste nicht oft, wenn du nicht am Meer lebst. Ist dann jedes Mal fast so wie ein Festessen.«

  »Ich glaube, ich verzichte«, sagte Sherlock. »Lass uns nach Hause gehen.«

  Auf dem Weg zum Fluss ging es diesmal die High Street bergab. Unten angekommen, folgten sie dem Flussufer, bis sie wieder auf das Boot stießen. Wie Matty vorhergesagt hatte, waren sowohl das Boot als auch das Pferd noch da.

  Sherlock fragte sich, wie es ihnen gelingen sollte, das Boot in die andere Richtung zu drehen. Aber Matty führte das Pferd in Stadtrichtung am Ufer entlang, bis sie zu
einer Brücke kamen, auf der er mit Albert den Fluss überquerte. Da Albert noch per Leine mit dem Boot verbunden war, schwang dabei dessen Bug herum, während Sherlock mit dem Bootshaken dafür sorgte, dass der Kahn nicht gegen das Ufer stieß. Und dann ging es auch schon in gemächlichem Tempo auf die Rückreise. Diesmal allerdings postierte Sherlock sich vorne an den Bug, um Albert in Bewegung zu halten, und Matty bediente hinten die Ruderpinne.

  Während das Boot langsam flussabwärts fuhr, berichtete Sherlock, was er erlebt hatte. Er erzählte von Professor Winchcombe und dessen Schlussfolgerungen bezüglich der Bienen und Stiche. Matty war zunächst skeptisch, aber schließlich konnte Sherlock ihn davon überzeugen, dass es keiner übernatürlichen Erklärung für die Todeswolke bedurfte. Matty schien in seinen Gefühlen hin- und hergerissen zu sein. Einerseits war er erleichtert, dass Farnham nicht von einer Seuche heimgesucht wurde, andererseits irritierte es ihn, dass sich die Lösung als so simpel herausstellte. Sherlock sagte nichts weiter, doch als sie so auf dem Fluss dahinfuhren, wurde ihm immer klarer, dass sie ein Geheimnis gelüftet hatten, nur um jetzt vor weiteren Fragen und Rätseln zu stehen. Warum hatten die Bienen an zwei verschiedenen Orten diese beiden Männer gestochen, aber niemanden sonst? Und vor allem: Wie kamen afrikanische Bienen überhaupt nach England? Und was hatte das alles mit dem Lagerschuppen, dem mysteriösen Baron und den Kisten zu tun, die von den Schlägertypen auf dem Wagen verstaut worden waren?

  Nach einer Weile bemerkte Sherlock, dass sich am Flussufer ein weiteres Pferd zu Albert gesellt hatte. Es war ein Hengst mit schwarzem, glänzendem Fell und einem braunen Fleck am Hals. Und auf seinem Rücken saß Virginia Crowe.

  Sie hatte ihre enge Reithose an und trug außerdem eine kurze Jacke über der Bluse.

  »Hallo!«, rief Sherlock. Sie winkte zurück.

  »Matty, das ist Virginia Crowe«, rief er über seine Schulter nach hinten. »Virginia, das ist Matthew Arnatt. Matty.«

  Matty nickte Virginia zu, und Virginia nickte zurück. Aber keiner von ihnen sagte etwas.

  Sherlock stellte sich auf die Bugkante, balancierte einen Moment lang unsicher auf der Stelle, während die Bootsspitze unter ihm auf- und abdümpelte, und sprang dann ans Ufer. Er packte Albert am Seilhalfter und führte ihn am Ufer entlang, während er neben Virginia und ihrem Pferd herging.

  »Das ist Albert«, brachte er schließlich hervor.

  »Das ist Sandia«, erwiderte Virginia. »Du solltest wirklich reiten lernen, weißt du.«

  Er schüttelte den Kopf. »Hatte nie die Gelegenheit dazu.«

  »Es ist ganz einfach. Aber ihr Jungs macht immer so ein Gewese darum, wie schwierig es doch angeblich ist. Führ’ das Pferd einfach mit den Knien, nicht mit den Zügeln. Nimm die Zügel nur, um das Pferd langsamer gehen zu lassen.«

  Darauf fiel Sherlock beim besten Willen keine Antwort ein, die ihm passend erschien. In peinliches Schweigen versunken, gingen sie eine Weile nebeneinander her.

  »Wo bist du gewesen?«, fragte sie schließlich.

  »In Guildford. Ich musste da jemanden besuchen.« Plötzlich fiel Sherlock etwas ein. Er langte in seine Jacke und zog den Brief hervor, den Professor Winchcombe geschrieben hatte. »Den muss ich deinem Vater geben. Weißt du, wo er ist?«

  »Nach dir suchen zum Beispiel? Du solltest doch jetzt eigentlich Unterricht haben.«

  Er blickte zu ihr hoch, unsicher, ob sie es ernst gemeint hatte. Doch auf ihren Lippen zeigte sich ein leises Lächeln. Sie sah ihn an, und er wandte den Blick ab.

  »Gib mir den Brief«, sagte sie. »Ich sorge dafür, dass er ihn bekommt.«

  Er hielt ihr den Brief entgegen, doch gleich darauf zog er die Hand auch schon wieder etwas zurück. »Es ist äußerst wichtig«, sagte er mit zögernder Stimme. »Es geht um die beiden toten Männer.«

  »Dann sorge ich dafür, dass er ihn sofort bekommt.« Sie nahm ihm den Brief aus der ausgestreckten Hand. Ihre Finger berührten ihn nicht. Aber Sherlock meinte fast, die Wärme zu spüren, die von ihnen ausstrahlte, als sie so dicht an ihm vorbeistreiften.

  »Die Männer sind an der Pest gestorben, nicht? Das sagen jedenfalls die Leute.«

  »Es ist nicht die Pest. Es waren Bienen. Deswegen musste ich auch nach Guildford. Um mit einem Experten für Krankheiten zu sprechen.« Er ertappte sich dabei, wie er immer schneller redete. Aber irgendwie schien er machtlos dagegen zu sein. »Ich habe ein gelbes Pulver bei einer der Leichen gefunden. Ich wollte, dass mir jemand sagt, was es ist, und so hab ich etwas davon nach Guildford gebracht. Es hat sich herausgestellt, dass es Bienenpollen sind. Deswegen sind wir auch zu dem Schluss gekommen, dass Bienen für die Todesfälle verantwortlich sind.«

  »Aber das hast du nicht gewusst, als du das Pulver gefunden hast«, stellte Virginia fest.

  »Nein.«

  »Oder als du es eingesammelt und den ganzen Weg nach Guildford transportiert hast.«

  »Nein.«

  »Bei dem, was du gewusst hast – oder besser gesagt, was du nicht gewusst hast –, hätte das Pulver auch genauso gut etwas sein können, das die Seuche verursacht. Etwas Ansteckendes.«

  Sherlock kam sich vor, als würde man ihn in die Ecke drängen. »Ja«, sagte er und dehnte dabei das Wort so auseinander, dass es eher klang wie »Jaa-haa.«

  »Also hast du dein Leben aufgrund der Tatsache riskiert, dass du dachtest, alle anderen wären auf dem Holzweg und du könntest ihnen das beweisen.«

  »Ähm, vermutlich.« Er fühlte sich irgendwie verlegen. Sie hatte recht. Dem Geheimnis auf den Grund zu gehen, war für ihn wichtiger gewesen als seine eigene Sicherheit. Er hätte sich auch irren können – schließlich wusste er nicht viel über Krankheiten oder wie sie übertragen wurden. Bei dem gelben Pulver hätte es sich um eine Substanz handeln können, die als Folge der Krankheit von den Körpern der Männer produziert worden war. Zum Beispiel so etwas wie trockene Hautschuppen. Etwas, das den Krankheitserreger in sich getragen und weiterverbreitet hätte. Er war so versessen darauf gewesen, das Puzzle zu lösen, dass er daran gar nicht gedacht hatte.

  Den Rest des Rückweges legten sie schweigend zurück.

  9

  »Du enttäuschst mich, Junge.« Sherrinford saß hinter seinem mächtigen Eichenholzschreibtisch in seinem Studierzimmer, während Amyus Crowe hinter der linken und MrsEglantine hinter der rechten Schulter seines Onkels Position bezogen hatten. Die schwarze Kleidung der Hauswirtschafterin fügte sich so perfekt in die dunklen Schatten ein, dass nur ihr Gesicht und ihre Hände zu sehen waren. In Kombination mit Onkel Sherrinfords langem weißen Bart und den diversen hebräischen, griechischen, lateinischen und englischen Bibelausgaben, die sich überall auf dem Tisch stapelten, wirkte das Ganze Sherlocks Empfinden nach so, als würden Gott und zwei hinter seinem Thron stehende Racheengel ihn gerade zur Rechenschaft ziehen. Ein Effekt, der nur durch den Umstand verdorben wurde, dass Onkel Sherrinford seinen Morgenmantel über dem Anzug trug.

  Sherlocks Gesicht brannte vor Scham und Zorn. Er wollte protestieren und erklären, dass er für sein Verhalten einen guten Grund gehabt hatte.

  Aber ein kurzer Blick in das Gesicht seines Onkels verriet ihm, dass das Debattieren zu nichts führen würde. »Es tut mir leid, Sir«, brachte er endlich hervor, als ein langer Moment vergangen war und er merkte, dass sein Onkel eine Antwort erwartete. »Ich werde es nicht wieder tun.«

  »Dein Vater – mein Bruder – vertraute dich meiner Obhut an. In der Annahme, dass ich mit deiner moralischen Erziehung fortfahren und dich davon abhalten würde, in schlechte Gesellschaft zu geraten und sittlich zu verwahrlosen. Es beschämt mich zutiefst, feststellen zu müssen, dass ich bei beiden Aufgaben versagt habe.«

  Wieder eine lange Pause. Sherlock fühlte sich gedrängt, noch einmal zu versichern, dass es ihm leid tue. Doch wenn er sich wiederholte, so sein Gefühl, würde ihm das als vorlautes Verhalten ausgelegt werden. »Ich weiß, dass ich mich nicht allein auf den Weg nach Guildford hätte machen sollen«, log er schließlich.

  »Das ist noch dein geringstes Vergehen«, verkündete Sherrinford. »Heute früh hast du dich vor Sonnenaufgang wie ein gemeiner Krimineller aus meinem Haus geschliche
n und …«

  »Sein Bett war nicht einmal berührt«, unterbrach ihn MrsEglantine. »Er muss noch vor Mitternacht gegangen sein.«

  Sherlock musste sich so zusammenreißen, seinen Ärger zu unterdrücken, dass er spürte, wie seine Schultern bebten. Er wusste, dass sie log. Er hatte geschlafen. Mehrere Stunden lang. Und er hatte das Haus kurz vor Tagesanbruch verlassen. Aber trotz seines brennenden Verlangens, alles richtigzustellen, konnte er ihr nicht widersprechen. Sie versuchte, ihn noch tiefer in den Schlamassel zu ziehen, und wenn er mit ihr stritt, würde ihm das bloß als Trotz ausgelegt und entsprechend bestraft werden.

  »Ich werde deinem Bruder schreiben«, fuhr Sherrinford fort, »und ihm sagen, dass du das Vertrauen, das ich in dich gesetzt habe, enttäuscht hast. Und ab sofort wird es dir eine Woche lang verboten sein, das Haus zu verlassen.«

  »Wenn es gestattet ist«, ergriff Amyus Crowe von seiner Position hinter Sherrinford aus mit gedehnter Stimme das Wort, »würde ich gerne ein oder zwei Worte zugunsten des Jungen vorbringen.« Er langte in sein blendend weißes Jackett und holte einen Briefumschlag hervor. »Dieser Brief, den der Junge von dem berühmten Professor Winchcombe mitbrachte, hat unsere Gegend vor einem Panikausbruch wegen der vermeintlichen Pest bewahrt.

  Dass er die Pollenprobe auf eigene Faust zur Analyse gebracht hat, zeugt von einem starken Willen, einem Hang zur Unabhängigkeit und dem Widerstreben, die Dinge einfach so für bare Münze zu nehmen. Alles Eigenschaften, die man fördern sollte, würde ich sagen.«

  »Schlagen Sie etwa vor, dass der Junge um eine Bestrafung herumkommen sollte, MrCrowe?«, ließ sich MrsEglantine mit aalglatter Stimme vernehmen.

 

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