Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition)

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Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition) Page 4

by Engel, Kathinka


  »Alles klar, wir retten, was zu retten ist.«

  Ein paar Sommer lang habe ich mit Link auf Baustellen gearbeitet. Ein Freund seines Vaters hatte einen kleinen Baubetrieb, bei dem wir aushalfen. Auch Jahre nach Katrina mussten immer noch Häuser wiederaufgebaut werden. Jeder, der kräftig genug war, wurde gebraucht. Ein bisschen was weiß ich also über Häuser.

  »Wollen wir draußen weitersprechen? Die Luft hier drin …«, sagt Link, und ich kann es ihm nicht verübeln.

  Wir setzen uns auf die oberste Stufe der Veranda und lassen die Flaschen aneinanderklirren.

  »Soll ich mal Hugo fragen, ob er eine Idee hat?«, fragt Link. »Er hatte früher einen kleinen Baubetrieb.« Hugo ist der alte Mann, auf den Franzi in ihrem ersten Jahr in New Orleans aufgepasst hat. Und Jaspers Großvater.

  »Das wäre cool.«

  Wir schweigen eine Weile. Ich, weil ich darüber nachdenke, was alles zu tun ist. Link grübelt vermutlich über den Irrsinn der Aufgabe.

  »Du willst das Haus behalten?«, fragt er dann.

  »Ja, Mann.«

  »Ich helfe dir. Aber ich muss wissen, dass du weißt, was du tust.«

  »Wann weiß ich bitte nicht …«

  »Curtis!«, sagt er streng.

  »Okay, ja, Punkt für dich.« Ich kann nicht anders, als zu grinsen.

  »Erstens: das Dach«, sagt Link.

  »Ich brauche eins«, erwidere ich. »Offensichtlich.«

  »Fenster. Trocknung. Sanitäranlagen.«

  »Es soll doch kein Luxushotel werden«, sage ich und lache.

  Das Wellblech, das mein Grundstück von der Straße abtrennt, biegt sich leicht im Wind und ächzt unter der Bewegung.

  »Warum schläfst du auf Jaspers Couch?«, fragt Link.

  »Ich brauche Abwechslung.«

  »Abwechslung von Amory?«

  »Auch«, sage ich, spüre bei der Erwähnung ihres Namens aber diesen festen Klumpen in meinem Magen. Es ist der gleiche Klumpen, den ich hatte, als meine Eltern nicht wieder ins Apartment meiner Großmutter zurückkamen. Und dann noch mal, als meine Großmutter mich rauswarf. Der Klumpen, der macht, dass ich meine Hände zu Fäusten balle und Lust habe, die beschissene Veranda kurz und klein zu schlagen.

  »Hey«, sagt Link und boxt mir leicht in die Seite, »entspann dich.«

  »Ich bin entspannt«, gebe ich durch meine zusammengebissenen Zähne zurück.

  »Ich hör’s. So entspannt wie neulich Abend. So entspannt wie auf der Hochzeit von Amorys Cousine. So entspannt wie …«

  »Halt’s Maul«, sage ich, und Link lacht. Vermutlich über mich, aber das ist okay. Das habe ich verdient.

  »Weißt du, Mann, egal, was du machst, du bist einer von uns. Wir lieben dich. Wir halten dir den Rücken frei, stehen zu dir. Aber manchmal, ich schwöre, gehst du mir so hart auf die Eier.«

  Nun ist es an mir, zu lachen. »Danke«, sage ich.

  Doch Link hat anscheinend noch nicht genug von diesem Gefühlskram. »Wie geht’s dir?«

  »Passt schon«, erwidere ich.

  »Das sagst du jedes verdammte Mal.«

  »Es stimmt ja auch jedes verdammte Mal.« Ich klinge genervt.

  »Alter, hältst du jetzt mal die Luft an?« Links Tonfall ist auf einmal seltsam wütend. »Ich weiß, welchen Scheiß du durchgemacht hast. Ich war von Anfang an dabei. Ich habe gesehen, wie du aus einem ganz normalen Jungen innerhalb von ein paar Wochen zu diesem wütenden Kerl wurdest.«

  Ich schnaube, aber ich weiß, dass er recht hat.

  »Und jeder von uns, jeder, der dabei war, jeder, der nach Katrina zurückkam, war ein anderer. Deswegen sind wir zusammen. Deswegen funktionieren wir.«

  »Fängst du gleich an zu heulen?«, frage ich.

  »Du fängst gleich an zu heulen«, sagt Link.

  »In deinen feuchten Träumen.«

  »Glaub mir, mit meinen feuchten Träumen hast du so wenig zu tun wie Hygienestandards mit deinem Haus.«

  Link lässt mir Hugos Telefonnummer da und verabschiedet sich kurz darauf. Ich bleibe noch. Gehe wieder ins Haus und setze mich auf den schmutzigen Boden unseres ehemaligen Wohnzimmers. Aus meiner Hosentasche ziehe ich meine Schachtel Zigaretten und stecke mir eine an. Im dämmrigen Licht, das durch die offene Tür fällt, vermischt sich der Rauch mit feinen Staubwirbeln.

  Ich denke an meine Eltern. An meine Großmutter, die jedes Mal einen halben Herzinfarkt kriegte, wenn ich wieder mit einem blauen Auge nach Hause kam, weil ich mich auf dem Schulhof geprügelt hatte. Und die mich bat, aus ihrem Leben zu verschwinden, als ich achtzehn wurde. Und ich denke an Amory. Natürlich hat sie jedes Glück der Welt verdient. Dass ich kein Glück bin, ist jedem auf den ersten Blick klar. Ich nehme ihr nicht übel, dass sie mit Richard bumst. Dass sie mich nicht mehr will. Aber es ist kein schönes Gefühl. Hier zu sitzen ist kein schönes Gefühl. Kein Ventil zu haben ist kein schönes Gefühl. Ich nehme einen tiefen Zug von meiner Zigarette und stoße laut die Luft aus. Mein Herz beginnt zu rasen. Ich habe Lust, etwas kaputt zu schlagen. Und dann erhebe ich mich und trete mit einer Wucht, über die ich selbst im ersten Moment erschrecke, die Bretter vor einem der Fenster ein. Wieder und wieder kicke ich dagegen und stoße dabei laute Wutschreie aus, bis das Fenster frei ist. Dann widme ich mich einem weiteren. Auch hier trete ich die Bretter kaputt. Mein Fuß schmerzt inzwischen, aber ich höre nicht auf. Im Gegenteil: Beim nächsten Fenster nehme ich meinen gesamten Körper zu Hilfe. Werfe mich gegen das Holz, schlage mit den Fäusten dagegen. Der Schmerz hilft. Der Schmerz ist gut. Er entspannt mein Inneres, beruhigt meine Nerven.

  Als ich merke, dass meine Fingerknöchel aufplatzen, halte ich einen Augenblick inne. Denn ich brauche meine Hände. Darf es nicht übertreiben. Doch es ist ohnehin nur noch ein Brett übrig. Ich werfe mich mit der Schulter dagegen, aber es gibt nicht nach. Also trete ich mit meinem schmerzenden Fuß dagegen. Das Holz knackt und knarzt. Ich trete noch einmal und noch einmal, und endlich zerbirst auch dieses Brett und landet scheppernd auf der Veranda.

  Ich atme. Das Haus atmet. Endlich wieder. Die feucht-warme Abendluft strömt in den Raum und verdrängt den modrigen Geruch. Augenblicklich wird es freundlicher. Als würde das Leben von draußen nach drinnen wandern. Auf einmal ist alles ganz ruhig. Beinahe friedlich.

  Ausgelaugt von meinem Rausch, meiner Raserei lasse ich mich wieder in der Mitte des Raums nieder, stecke mir eine weitere Zigarette an. Ich blicke durch die Löcher in der Wand nach draußen und – denke an nichts.

  5

  Amory

  »Hi, Am«, ruft mein kleiner Bruder und winkt in die Kamera. Er sitzt am Schreibtisch in seinem Zimmer. Im Hintergrund sehe ich das Poster seines Lieblingsbaseballclubs, der Mississippi Braves.

  »Hi, Nicky.«

  »Ich werde jetzt Nick genannt«, korrigiert er mich. Sein rundes Kindergesicht ist auf einmal ganz ernst.

  »Haha, was?«

  »Meine Freunde in der Schule nennen mich Nick. Und du solltest das auch tun. Ich bin kein kleines Kind mehr.«

  »Ja, sicher«, sage ich grinsend. »Ich hab dir deine Windeln gewechselt, du Pimpf. Ich nenne dich auch noch Nicky, wenn du vierzig bist, einen Bierbauch und Geheimratsecken hast.«

  Er will ansetzen, etwas zu sagen, schluckt es dann jedoch hinunter. Er weiß, dass er gegen mich keine Chance hat. Stattdessen streicht er sich seine dunklen Locken aus der Stirn. Während ich meine blonden Haare von unserer Mom geerbt habe, kommt er nach unserem Dad. Nur die Statur haben wir beide von unserer Verwandtschaft mütterlicherseits. Wobei es natürlich sein kann, dass sich Nickys Babyspeck noch verwächst.

  »Wie geht’s Curtis?«, erkundigt er sich. Nicky ist ein großer Fan von Curtis. In den letzten zwei Jahren habe ich ihn zu Weihnachten mit nach Hause gebracht. Und zwischen meinem Bruder und meinem Mitbewohner machte es sofort klick. Beinahe hörbar.

  »Ähm, ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Er war nicht viel zu Hause in letzter Zeit.«

  »Warum? Wo war er?« Sofort tritt Sorge in Nickys Blick.

  »Keine Ahnung«, erwidere ich auf die zweite Frage. Die erste ignoriere ich.

  »Habt ihr euch gestritten?«,
fragt er weiter.

  »Du bist zu neugierig«, sage ich.

  »Also, habt ihr?«

  Nicht nur neugierig, sondern auch schnell im Kopf. »Nicht wirklich.« Ich versuche mich elegant um die Wahrheit herumzulavieren. Aber ich weiß, dass er es früher oder später aus mir herausquetschen wird.

  »Muss man dir alles aus der Nase ziehen?«, fragt er und äfft offensichtlich unsere Mom nach.

  »Du kleine Kröte«, sage ich scherzhaft.

  »Ich hab gestern einen Frosch gefangen!«, ruft er ganz aufgeregt. »Beim Weiher hinterm Haus. Da sind jetzt jede Menge. Die sind ganz kalt in der Hand. Wenn du das nächste Mal kommst …« Er unterbricht sich selbst. »Wann kommst du das nächste Mal?«

  »Noch nicht so bald, leider«, sage ich. »Erst an Weihnachten wieder.« So weit ist Eagle Bend, der Ort, aus dem ich komme, gar nicht von New Orleans entfernt. Es sind knapp dreieinhalb Stunden mit dem Auto bis Vicksburg und dann noch einmal dreißig Minuten durchs Hinterland. Trotzdem ist es mir für ein Wochenende oft zu stressig.

  »Bis dahin sind die Frösche sicher nicht mehr da.« Er klingt enttäuscht. Dann: »Ich will Rosie dazu kriegen, dass sie einen küsst«, sagt Nicky kichernd. Rosie ist die siebenjährige Tochter unserer Nachbarn. »Ich hab ihr erzählt, dass Frösche verwunschene Prinzen sind.«

  »Boah, bist du gemein!«

  Er grinst breit und schämt sich kein bisschen. »Also, Am«, fährt er dann fort, »was bedeutet es, wenn man sich nicht wirklich streitet?«

  »Ich glaube, Curtis mag den Kerl, mit dem ich ausgehe, nicht.«

  »Hast du einen Freund?« Nicky kriegt ganz große Augen.

  »Ich schätze schon«, sage ich, und mein Herz hüpft auf einmal.

  »War er mal ein Frosch?«

  Ich lache. »Nein, ich glaube nicht.«

  In diesem Moment wird die Wohnungstür aufgesperrt. Wenn man vom Teufel spricht. Ich höre, wie Curtis seine Schuhe von den Füßen kickt. Dann macht er zwei Schritte, schaut ins Wohnzimmer. Drei weitere Schritte, dann ist er bei der Küche.

  »Amory?«, ruft er.

  »Ist das Curtis?«, fragt Nicky.

  »Bin in meinem Zimmer.«

  Im nächsten Moment steckt Curtis den Kopf durch meine Tür. Er sieht müde aus. Irgendwie blass. Das ist nichts Ungewöhnliches, Curtis hat oft Phasen, in denen es ihm schwerer fällt zu schlafen – und ganz allgemein zu sein. Trotzdem berührt mich sein Anblick.

  »Hi«, sagt er und klingt ein bisschen heiser, so als hätte er die letzten Nächte über zu viel getrunken. Oder geraucht. Vermutlich beides.

  »Ich skype gerade mit Nicky.«

  »Oh, cool«, sagt Curtis. »Rutsch rüber.«

  Er lässt sich neben mich auf mein Bett fallen. Unsere Beine streifen sich ganz kurz, dann rückt er ein paar Zentimeter von mir weg.

  »Hey, Kumpel«, sagt er in die Kamera.

  »Amory hat gesagt, sie weiß nicht, wie es dir geht, weil du nicht da warst.«

  »Ja, das stimmt. Ich hatte … ein paar Sachen zu erledigen.«

  »Was für Sachen?«

  »Sachen für mich.«

  »Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen«, sagt Nicky wieder in diesem mütterlichen Tonfall.

  »Was labert er?«, fragt Curtis an mich gewandt, doch ich zucke nur mit den Schultern.

  Ich bin zu sehr damit beschäftigt, Curtis in dem kleinen Bild oben in der rechten Ecke meines Laptops zu mustern. Dieses etwas ramponierte Gesicht mit der leicht schiefen Nase – das erste Mal hat er sie sich mit vierzehn Jahren gebrochen –, seine unrasierten Wangen, die Bartstoppeln über der Oberlippe, sein geschwungener Mund. Seine dunkel umrandeten Augen, die strähnigen, hellbraunen Haare. Doch es ist ganz egal, wo er war und was mit ihm los ist. Ich kann ihm nicht helfen. Seine Probleme sind nicht mit einer Umarmung und Versprechungen, dass alles gut wird, gelöst. Es ist ein schmerzhafter Prozess, zu erkennen, dass man nichts für einen Menschen tun kann, der einem etwas bedeutet.

  »Hast du schon mal einen Frosch geküsst?«, fragt Nicky ihn gerade.

  »Ich habe schon mal einen Frosch gegessen«, sagt Curtis.

  »Echt? Iiiiih«, macht Nicky.

  »Ich hab ihn aufgespießt und dann über dem Feuer gebraten.«

  »Du lüüügst«, kreischt Nicky.

  »Ja, okay, ich lüge.« Curtis’ rechter Mundwinkel zuckt zu einem schiefen Grinsen nach oben. »Und was ist mit dir, Nicky?«, fragt er. »Knutschst du seit Neuestem Frösche? Dass Farmer es mit Schafen haben, wusste ich. Frösche sind neu.«

  Ich stoße ihm meinen Ellenbogen in die Rippen.

  »Ich werde jetzt Nick genannt«, sagt Nicky.

  »Alles klar. Knutschst du seit Neuestem Frösche, Nick?«

  »Ich nicht«, antwortet Nicky.

  »Was ist mit Schafen?«, fragt Curtis weiter. Wieder ramme ich ihm meinen Ellenbogen in die Seite.

  »Wir haben gar keine Schafe.«

  »Knutschst du mit irgendwelchen Tieren?«

  »Manchmal leckt Beowulf mir das Gesicht ab«, sagt Nicky und zuckt mit den Schultern.

  »Solange du deine Zunge dabei nicht rausstreckst, zählt es nicht.«

  »Iiiiihh«, macht Nicky wieder und lacht. »Und mit wem knutschst du?«

  »Ähm.« Curtis räuspert sich. »Mit heißen Schnecken.«

  »Mit Schnecken?« Nicky verzieht den Mund.

  »Haha, nein! Mit heißen Chicks.«

  »Wir nennen unsere Küken Chicks.«

  »Okay, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, damit er es versteht.« Curtis sieht sich Hilfe suchend zu mir um.

  »Wenn du deine Eroberungen einfach respektvoll Frauen nennen würdest, gäbe es das Missverständnis nicht«, schlage ich vor.

  »Deine Schwester ist so klug«, sagt Curtis in die Kamera. »Ich knutsche mit heißen Frauen.«

  Nicky verzieht erneut das Gesicht. Er ist offensichtlich noch zu jung, um ans Knutschen mit heißen Frauen zu denken, und auf eine schwesterliche Weise erleichtert mich das. Ich hoffe, dass Nicky so lange wie irgend möglich ein Kind bleiben kann. Dass er nicht von heute auf morgen zum Wunderkind von Mississippi wird, weil ihm ein komischer Test leichtfällt. Nicht, dass ein »Wunderkind von Mississippi« viel heißen würde. Aber die Leute nehmen einen trotzdem anders wahr. In der Schule, in der Mall, sogar zu Hause.

  »Kommst du an Weihnachten wieder zu uns?«, fragt Nicky jetzt.

  Curtis und ich haben noch nicht darüber gesprochen. In den letzten zwei Jahren fragte ich ihn immer relativ spontan, er sagte: »Mal sehen«, und zwei Tage später fuhren wir los. Dieses Jahr … so weit plane ich eigentlich nicht, aber ich hatte gehofft, ich würde Richard mitnehmen.

  »Dieses Jahr leider nicht, Kumpel. Da habe ich zu viele andere Verpflichtungen.« Curtis kratzt einen imaginären Fleck von seiner Hose.

  »Schade«, sagt Nicky.

  Wir reden noch eine Weile, dann beendet mein kleiner Bruder das Gespräch, weil er einen hübschen Frosch für Rosie suchen will.

  »Bye, Nick«, sagt Curtis.

  »Tschüss, Nicky«, sage ich, dann ist er weg.

  Curtis lässt sich nach hinten auf mein Bett fallen. »Ich liebe deinen Bruder.«

  »Und er dich. Aber es wäre trotzdem gut, wenn du vor ihm nicht ganz so … unverblümt wärst. Er ist erst zwölf.«

  »Er ist schon zwölf«, korrigiert mich Curtis. »Und hast du dir schon mal überlegt, dass wir uns so gut verstehen, weil ich bin, wie ich bin, wenn ich mit ihm spreche?«

  Curtis hat einen Draht zu Kindern. Auch zu Weston und Maya, Jaspers Kindern. Und auch mit den beiden geht er so um, als wären sie seine Freunde. Sie verstehen wahrscheinlich nur die Hälfte von dem Unsinn, den er von sich gibt, aber genau das macht den Reiz vielleicht aus.

  »Trotzdem«, sage ich, weil ich immer noch Nickys große Schwester bin.

  »Entspann dich, Amory. Es ist nicht so, als würde ich ihn verderben oder so. Glaub mir, das kriegt die Internet-Pornoindustrie wunderbar allein hin.«

  »Ja, vielleicht. Aber ich habe keine Lust darauf, dass du ihm einen respektlosen Umgang mit Frauen beibringst.«

  »Weil ich Chicks gesa
gt habe?« Curtis lacht auf.

  »Zum Beispiel.«

  »Glaub mir, das ist längst nicht so respektlos wie das, was seine große Schwester macht.«

  »Wie bitte?« Ich springe auf, verschränke die Arme vor der Brust, wie um mich zu schützen. Um Richard zu schützen. Mein Herz. Meine Armreifen klirren aneinander.

  »Na ja«, sagt er, rollt sich auf die Seite und stützt sich auf den Ellenbogen. Mir fällt auf, dass seine Knöchel blutverkrustet sind. »Sich mit Mittelmaß zufriedenzugeben. Die eigenen Ansprüche so herunterzuschrauben, dass der Langweiler, der zufällig gerade da ist, genügt. Das ist respektlos, wenn du mich fragst.«

  »Ach, und du wärst der Hauptgewinn?« Mir entfährt ein sarkastisches Lachen.

  »Ganz im Gegenteil. Ich bin so ungefähr die größte Niete, die man ziehen kann.«

  Mein Herz verkrampft sich bei seinen Worten schmerzhaft. Denn ich habe nicht den Hauch eines Zweifels, dass er sich selbst wirklich auf diese Weise sieht. Dennoch sage ich in einem leicht bitteren Tonfall: »Na also.« Denn ich bin trotz allem wütend, dass er derart verächtlich über Richard spricht.

  »Ich hatte eben einfach gehofft, der Kerl, der dich bekommt, könnte mithalten mit …«

  »Mit wem, Curtis?« Ich kann nichts dagegen tun, dass ich erschöpft klinge.

  Er setzt sich auf, zuckt mit den Schultern. Seine blauen Augen sehen auf einmal ganz bekümmert aus. »Mit dir.« Dann verlässt er den Raum. »Ach, und übrigens«, ruft er noch, »du solltest dein Bett frisch beziehen. Es riecht unsäglich nach süßem Männerparfüm.«

  6

  Curtis

  Seit einer halben Stunde wälze ich mich von einer Seite auf die andere. Mein Magen knurrt, ich brauche dringend einen Kaffee und vielleicht eine Schmerztablette gegen die hämmernden Kopfschmerzen. Aber ich habe keine Lust, aufzustehen und Amory und Richard über den Weg zu laufen.

  Vor meiner Tür höre ich leises Maunzen. Hilbert fragt sich wohl, warum ich immer noch nicht aufgestanden bin. Es ist unser Morgenritual. Er wartet vor meiner Tür auf mich, ich nehme ihn hoch, wenn ich in die Küche gehe. Keine Ahnung, warum. Doch es scheint sein Ding zu sein.

  Ich ziehe mir meine Decke über den Kopf und lasse einen frustrierten, erstickten Schrei los. Hilbert kratzt mit der Pfote an der Tür und maunzt wieder. Noch mitleiderregender diesmal. Also schäle ich mich aus dem Bett und lasse Amorys Kater ins Zimmer.

 

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