Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition)
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»Bereit?«, fragt er. »Ich mache ein bisschen langsamer, damit wir zusammen laufen können, okay?«
Ich nicke. »Klar, zeig mir, was du draufhast, du Angeber!« Mit diesen Worten laufe ich los. Renne, um genau zu sein.
»Das wirst du nicht lange durchhalten«, sagt Richard, der sofort aufgeschlossen hat und locker neben mir trabt.
»Das … entscheide … immer noch … ich«, sage ich zwischen den einzelnen Atemzügen.
Es ist noch früh genug, um das French Quarter ziemlich für uns zu haben. Gerade am Wochenende und in der Nebensaison erwacht das Leben hier später. Wir laufen vorbei an den bunten Häusern, deren filigrane Eisenbalkons aufwendig bepflanzt sind. Vorbei an den Touristengeschäften und kleinen Hotels, an Boutiquen und …
Schnell merke ich, dass Richard recht hatte. Das Tempo ist viel zu hoch. Mir kommt es vor, als würde ich nicht genug Luft in meine Lunge kriegen. Aber diese Genugtuung will ich ihm nicht geben.
In der beinahe menschenleeren Bourbon Street kehrt ein Reinigungsfahrzeug die Zeugnisse der letzten Partynacht auf, doch ich kann mich nicht darauf konzentrieren. Das Einzige, was ich wahrnehme, ist mein unregelmäßiger, schnaufender Atem und die Tatsache, dass mein Schädel pocht.
»Langsamer?«, fragt Richard und joggt einen kurzen Abschnitt rückwärts vor mir her, um mich ansehen zu können.
»Nicht … reden«, keuche ich.
»Du bist ganz schön unfit«, kommentiert er.
»Nicht … reden«, wiederhole ich.
Als wir auf dem Jackson Square ankommen, beschließt mein Körper, dass es ihm reicht.
»Muss … meinen … Schuh … binden«, presse ich hervor.
Richard lacht. Statt stehen zu bleiben, läuft er auf der Stelle. »Weißt du was, ich setze einen Trainingsplan für dich auf. Fitness ist wichtig. Und wenn ich mir dich so ansehe, gibt’s da einige Baustellen«, sagt er und blickt auf diese merkwürdige Weise an mir herab. Er ist kein bisschen außer Atem, während meine Lunge brennt und mein Kopf vermutlich die Farbe des rostroten Gebäudes an der Ecke angenommen hat.
Eigentlich möchte ich gar keinen Trainingsplan. Eigentlich bin ich sehr zufrieden als nicht joggender Mensch. Mit und ohne Baustellen. Und eigentlich würde ich Richard gerne fragen, was er sich bei dieser Formulierung denkt. Aber weil ich nach letzter Nacht in keiner Position bin, um beleidigt zu sein, sage ich: »Das wäre toll, danke.«
Gerade will ich vorschlagen, umzukehren und zusammen zu frühstücken, da hebt er die Hand zum Gruß. »Nimm’s mir nicht übel, aber ich würde gern noch eine Weile laufen. Bringst du mir meine Sachen morgen mit ins Büro?«
Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass er mich hier so stehen lässt, dann fällt mir allerdings ein, dass ich dazu wirklich nicht das Recht habe.
»Ja, klar.« Ich gehe einen Schritt auf ihn zu und will ihm einen Abschiedskuss geben, doch er hat sich bereits umgedreht und läuft Richtung Fluss davon.
Auf dem Weg zurück glühen meine Wangen. Was habe ich mir nur dabei gedacht, joggen zu gehen? Und was soll das überhaupt heißen: Baustellen. Wer sagt so was?
Vor einem Geschäft, das scharfe Würzsoßen und Chilis verkauft und gerade seine Türen öffnet, bleibe ich kurz stehen, um mich im Schaufenster zu betrachten. Es stimmt. Natürlich stimmt es. Ich bin untrainiert. Ich bin kein sehr sportlicher Mensch, das war ich nie. Aber es ist auch nicht so, als hätte ich meinen Körper je als etwas wahrgenommen, das man umformen müsste. Das man überarbeiten müsste, um eine bessere Version davon zu bekommen. Doch auf einmal bin ich unsicher. Habe ich mich die ganze Zeit in einem falschen Licht gesehen? Mache ich mich lächerlich, wenn ich enge Jeans trage? Wenn ich meine Brüste nicht mit einem BH in Form halte?
Im Fenster erkenne ich, dass mein Kopf tatsächlich so rot ist, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber der Rest von mir sieht aus wie immer. Nicht wie eine Baustelle. Wie mein Körper. Von dem es, ja, vielleicht mehr gibt als von Size Zero -Körpern. Vielleicht auch mehr als von S- und M-Körpern. Aber er war immer mein Körper.
Zu Hause finde ich im Kühlschrank einen von Richards Shakes, die er oft anstelle eines Frühstücks zu sich nimmt. Ich setze mich in meinen hässlichen Sportklamotten an den Tisch und trinke einen Schluck.
»Was machst du da?«, fragt Curtis hinter mir. Als ich den Kopf drehe, sehe ich, dass er gerade aus der Dusche kommt.
»Ich frühstücke.«
»Einen Proteinshake?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Warst du joggen?« Er rubbelt sich mit dem Handtuch über die Haare.
»Hab’s versucht.«
»Gibt’s einen Anlass?«, fragt er, und es scheint, als wäre seine Stimme ein bisschen leiser als sonst. Als wäre er vorsichtig. Als wüsste er nicht so recht, wo wir stehen.
»Weiß nicht«, sage ich. »Fitness, körperliche Baustellen …« Ich nehme noch einen Schluck von dem Shake.
»Körperliche was?« Curtis lehnt sich an die Anrichte und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Vergiss es«, sage ich, denn ich habe gehört, wie bescheuert ich klinge. Wie wenig nach mir selbst.
»Danke übrigens noch mal.« Er räuspert sich. »Für letzte Nacht und so.«
»Klar, jederzeit«, erwidere ich, weiß aber gleichzeitig, dass ich das nicht so bald wieder machen kann.
»Und ich habe übrigens keine Baustellen gespürt.«
»Wie bitte?« Einen Moment lang bin ich kolossal verwirrt.
»An deinem Körper.« Ich sehe, wie er schluckt. »Ich habe an deinem Körper keine Baustellen gespürt.«
24
Curtis
»Amory kocht bei uns für ihre ganzen Kollegen. Sie hat mich wohl schon mit eingeplant«, sage ich, als Link mich fragt, ob ich Thanksgiving mit ihm bei Franzi und ihrer Gastfamilie verbringen will.
Als mir Amory vorschlug, mit ihr und ihren Kollegen zu essen, antwortete ich, dass ich bereits bei Jasper und Bonnie eingeladen sei.
Ein paar Tage später spricht Bonnie das Thema während einer Bandprobe tatsächlich auch noch an.
»Er verbringt den Tag mit Amory und ihren Kollegen«, sagt Link. »Hab auch schon gefragt.«
Dann jammen wir noch ein bisschen zusammen. Niemandem fällt auf, dass ich nicht wirklich bei der Sache bin. Dass ich zweimal einen Einsatz verpasse, weil ich in Gedanken bin. Erst als ich das Tempo eines Songs verschleppe – etwas, das mir sonst nie passiert –, beschließt Jasper, dass es wohl an der Zeit ist, Feierabend zu machen.
Thanksgiving. Der Tag, an dem man anderen unter die Nase reibt, wofür man dankbar ist. Eine einzige Angeberei für diejenigen, die alles haben. Familie, Erfolg, Gesundheit … Wenn ich mir überlege, wofür ich dankbar bin, kriege ich Lust auf einen Schnaps. Und so ist mein Plan dieses Jahr: ein paar Bier auf meiner Veranda. Allein. Ohne den Scheiß drum herum.
Doch als ich ein paar Tage später im Wohnzimmer meines Elternhauses darauf warte, dass Hugo mit neuen Fenstern kommt, finde ich auf einmal alles an meiner Existenz erbärmlich. Das Glück anderer zu sehen macht die eigene Leere sichtbarer.
Außerdem fallen mir immer häufiger die Blicke auf, die mir die Menschen des Viertels auf der Straße zuwerfen. Besonders eine alte Afroamerikanerin, die eine Gehhilfe vor sich herschiebt, scheint ihren Voyeurismus in der Nachbarschaft nicht befriedigen zu können und konzentriert sich auf mich. Jedes verfluchte Mal, wenn ich das Wellblech zur Seite schiebe, sehe ich, wie sich ihre Gardine bewegt. Seit Neuestem zeige ich ihr präventiv den Stinkefinger.
Es ist ein Glück, dass wir heute im Untergeschoss die kaputten Fenster ersetzen. Fünf an der Zahl. Denn der November ist zwar einer der trockensten Monate in New Orleans, aber die Temperaturen sinken nachts inzwischen unter die Zwölf-Grad-Marke, sodass das Haus unangenehm auskühlt.
Ich stelle mich auf die Veranda und klopfe eine Zigarette aus meiner Packung. Als ich sie mir anstecke, sehe ich das Gesicht der schrumpeligen Frau gegenüber im Fenster.
»Verpiss dich«, sage ich mehr zu mir als zu irgendwem sonst, denn solche Wörter werden von der Faubourg Marigny Improvement Association sicher nicht geduldet.
Ich inhaliere ti
ef, schaue auf mein Handy. Hugo ist zehn Minuten zu spät. Während ich die Luft ausstoße, sieht mich die alte Schachtel immer noch an.
»Was willst du?«, frage ich, aber nicht laut genug, als dass es jemand hören könnte. »Warum gaffst du mich an?«
Beim nächsten Zug ist sie verschwunden. Doch sie bleibt es nicht, denn wenig später öffnet sich ihre Haustür. In einem Tempo, das eine Beleidigung für jede Schnecke wäre, schleppt sie sich die Stufen nach unten. Eine nach der anderen. Quälend langsam. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie etwas so Langweiliges gesehen.
Ich stecke mir eine weitere Zigarette an, weil ich ansonsten nichts zu tun habe. Außer zu warten und die alte Frau anzustarren. So wie sie mich die ganze Zeit angafft. Nach geschlagenen drei Minuten ist sie endlich an ihrem Gartentor angekommen und nach zwei weiteren am Bordstein. Ich schüttle den Kopf, will mich abwenden. Aber da hebt sie die Hand. Und winkt. Was zur Hölle? Ich runzle die Stirn, mache keine Anstalten, ihren komischen Gruß zu erwidern. Das hat sie nun von ihrer Neugier.
Glücklicherweise höre ich in diesem Moment Motorengeräusche, und wenig später parkt Hugo einen Pick-up vor meinem Haus und versperrt mir die Sicht auf die gegenüberliegende Straßenseite. Ich schnippe die Zigarette weg und gehe mit den Händen in den Hosentaschen auf ihn zu.
»Das Ausladen musst du übernehmen«, sagt Hugo, steigt aus dem Wagen und klopft mir ein bisschen unbeholfen auf die Schulter. »Junge Knochen und so.«
Die neuen Fenster sind in graue Packdecken eingewickelt. Eins nach dem anderen hebe ich von der Ladefläche und trage es auf die Veranda. Ab und zu wandert mein Blick zum Nachbarhaus. Die alte Frau ist verschwunden, aber ich meine ihre Umrisse hinter der Gardine auszumachen.
»Langsam wird es hier richtig wohnlich«, sagt Hugo und sieht sich um.
»Du meinst, weil das Dach dicht ist?«, frage ich, denn ich selbst sehe noch keinen großen Unterschied.
»Du ahnst nicht, was für einen Unterschied es macht, wenn es nicht durchs Dach regnet«, erwidert Hugo.
»Sehr witzig«, gebe ich zurück.
»Nein, mal im Ernst. Es ist völlig normal, dass dir der Fortschritt schleppend vorkommt. Du siehst nur, was noch nicht fertig ist.«
»Hm«, brumme ich.
Erstaunlicherweise sind die Rahmen der Fenster zumindest auf der Vorderseite des Hauses noch intakt, sodass das Einsetzen schnell geht. Die Küchenfenster müssen wir samt dem Rahmen ersetzen, die wir mithilfe von zugesägten Keilen und Bauschaum fixieren.
»Wart’s ab, wenn du den Wänden erst mal einen neuen Verputz und Anstrich verpasst hast, fühlst du dich hier wieder richtig zu Hause. Dann fehlen nur noch ein Käfig für die Ratten und hier und da ein schnieker Rahmen um die Staubfäden …« Er schmunzelt.
Zu Hause. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob das wirklich der Plan ist. Bislang habe ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht, was passiert, wenn das Haus wieder bewohnbar ist. Ich hatte es als Ausweichmöglichkeit gesehen. Aber auf einmal weiß ich nicht mehr, ob ich das überhaupt kann. Die wenigen Erinnerungen, die ich an dieses Haus als mein Zuhause habe, sind verschwommen. Ich war zwar schon zehn, als all die Scheiße passierte, doch mein Kopf hat irgendwie beschlossen, dass der Curtis, der ich davor war, keine so große Rolle mehr spielt. Meine Eltern kann ich vor mir sehen, wenn ich mich konzentriere. Meine Mom in der Küche. Meinen Dad im Garten. Nur ich selbst komme nicht vor. Und da ist dieses eine Bild. Das Bild meiner Mom, die im Wohnzimmer bügelt, während im Hintergrund der Fernseher läuft, und meines Dads, der sie von hinten in seine Arme schließt. Sie an sich zieht und ihr einen Kuss auf die Schläfe drückt. Ihr Lächeln, der liebevolle Blick meines Dads – diesen ganzen Kitsch werde ich nicht mehr los. Und es ist ebendieser Kitsch, der den Klumpen in meinem Hals wieder anschwellen lässt. Als wäre es ein verdammtes emotionales Geschwür.
»Wir brauchen hier noch einen Keil«, sagt Hugo mit einem Blick auf die Wasserwaage, fischt einen aus seiner Hosentasche und reicht ihn mir.
Mit zwei gezielten Hammerschlägen habe ich ihn zwischen Rahmen und Wand gehauen. Nun ist das Fenster gerade, und Hugo verteilt zischend den Bauschaum in den Zwischenräumen.
»Ist alles in Ordnung? Du bist heute noch schweigsamer als sonst.«
»Was?«, frage ich, weil ich wieder in Gedanken war. Bei der komischen alten Frau, Vergangenem, Gegenwärtigem. Keine Ahnung.
»Du bist ja jetzt ohnehin nicht unbedingt eine Labertasche. Aber normalerweise fluchst du wenigstens ab und zu auf diese charmante Weise.« Hugo zieht fragend seine Brauen nach oben.
Ich zucke mit den Schultern. »Gibt so Tage.«
»Wenn du mit jemandem reden willst …«, bietet er an und wirkt auf einmal nicht mehr wie der ulkige Kauz, der er ist, sondern eher besorgt. »Ich bin ein großartiger Sorgenfresser. Zum Frühstück, zum Abendessen, manchmal genehmige ich mir sogar als Snack zwischendurch ein paar Sorgen.«
»Als hätte Reden schon jemals irgendjemandem geholfen«, erwidere ich.
»Du würdest dich wundern.«
»Ich wundere mich nicht. Ich nehme die Dinge hin«, sage ich.
»Das glaube ich nicht.«
»Was soll das denn heißen?«
»Du bist nicht der Typ, der etwas einfach so hinnimmt. Du bist jemand, der anpackt.«
Ich habe keine Ahnung, woher Hugo diese Informationen hat, aber wenn ich mir überlege, dass alles in meinem Leben um mich herum geschieht und ich lediglich reagiere, bezweifle ich, dass seine Beobachtungen Hand und Fuß haben. Vermutlich nicht einmal einen kleinen Zeh. Von den unpassenden Gefühlen für meine Mitbewohnerin über nächtliche Zusammenbrüche aufgrund eines beschissenen Geräuschs bis zur rhythmischen Untermalung der Songs anderer. Von meiner körperlichen Reaktion auf Amory über die unglaubliche Wut, die sich in mir anstaut, bis zur Renovierung dieses Hauses. Nichts davon ist meine Entscheidung. Nichts davon habe ich in der Hand. Nichts davon macht irgendetwas besser.
»Bist du seit Neuestem unter die Seelenklempner gegangen?«, frage ich, und Hugo lacht.
»Dagegen ist ja wohl nichts einzuwenden. Wenn man an Seelen herumschrauben muss, um sie wieder auf Vordermann zu bringen, sollte man keine Zeit verlieren.«
»Ach, komm. Das ist doch nur was für Leute, die … keine Ahnung … einen an der Klatsche haben. Oder für Reiche, die keine anderen Probleme haben und nicht wissen, wohin mit ihrem Geld.«
»Du würdest nicht glauben, wie reinigend es sein kann, über Dinge zu sprechen. Es räumt den Kopf ordentlich auf. Vor allem, wenn man dauernd glaubt, alles wäre seine eigene Schuld.«
Es ist, als würde dieser merkwürdige alte Mann direkt in mich hineinschauen. Und ich kriege eine Gänsehaut. »Aber das ist es nicht?«, frage ich.
»Manches schon. Ganz viel haben wir allerdings gar nicht in der Hand.«
Doch was macht man dann damit? Wenn es ohnehin außerhalb meiner Kontrolle liegt – was bringt es dann?
Am Abend haben wir die Fenster im gesamten Untergeschoss eingesetzt, und dankenswerterweise hat Hugo nicht mehr über Seelenklempner oder Ähnliches gesprochen. Als er sich verabschiedet hat, gehe ich noch einmal durch die unteren Räume. Im Wohnzimmer setze ich mich auf den Boden, lehne meinen Kopf gegen die nackte Wand und schließe die Augen. Ich spüre, wie sich kleine Steinchen und anderer Dreck in meine Handflächen bohren, klopfe sie an meiner Hose ab. Reagiere. Als es zu dämmern beginnt, merke ich, dass mir nicht der Sinn nach Amory und Richard steht. Ich mache mir aus ein paar Packdecken ein Lager. Reagiere. Und dann mache ich das Einzige, was ich in der Hand habe, und stecke mir vor dem Einschlafen noch eine Zigarette an. Liege auf dem harten Boden und blase Rauch in die Luft. Es gibt niemanden, den es stören könnte. Niemanden, für den ich in irgendeiner Weise Verantwortung hätte. Es ist vollkommen egal.
25
Amory
»Waffle Wednesday!«, ruft Thanh und klatscht in die Hände, als wir uns gemeinsam von unserem Büro zum Food Court aufmachen. Aus dem grauen Gebäude, in dem die mathematische Fakultät beheimatet ist, führen breite, gepflasterte Wege über den Campus. Links und rechts sind sie gesäumt von Sitzbänken unter Palmen, doch heu
te ist es zu kalt, um sich länger darauf niederzulassen.
Der letzte Mittwoch im Monat ist der sogenannte Waffle Wednesday, wenn es im Food Court zum Nachtisch Waffeln gibt, die glücklich machen. So richtig glücklich.
»Ich glaube, ich nehme heute Kirschen und Sahne.« Emily hat sich einen dicken Schal um den Hals geschlungen. Niemand ist so kälteempfindlich wie sie.
»Mir ist heute nach Chocolate Chips«, sagt Thanh.
»Pumpkin Spice«, entscheide ich. »Mit Ingwer und Ahornsirup.«
»Wie machst du das?«, fragt Emily. »Wie kann es sein, dass du etwas sagst und ich sofort Lust darauf habe? Vergiss die lahmen Kirschen.«
»Amory ist die Königin der Waffeln«, verkündet Thanh und blickt zum wiederholten Mal auf ihr Handy.
»Wichtiges Tinder-Date?«, frage ich.
»Was?« Sie sieht überrascht auf. Beinahe etwas ertappt. »Nein. Äh, ja.«
»Was denn nun?« Emily kichert.
»Ja. Tinder-Date«, sagt Thanh.
Doch als wir wenig später mit unseren Tabletts zu Diego und Julien stoßen, fallen mir die verstohlenen Blicke auf, die Diego und Thanh sich zuwerfen. Sollte er mit seiner Aktion von vor ein paar Wochen tatsächlich Erfolg gehabt haben?
»Wo ist deine bessere Hälfte heute?«, fragt Julien.
»Müsste gleich kommen. Das Tutorium ging wahrscheinlich länger.«
Und tatsächlich, wenig später bahnt Richard sich einen Weg durch die Tischreihen. »Hi, Süße«, sagt er und begrüßt mich mit einem Kuss auf die Wange.
»Hi, Süßer«, sagt Diego und wirft ihm eine Kusshand zu. Thanh lacht ein bisschen zu laut für ihre Verhältnisse, und Emily stupst mich unter dem Tisch mit dem Fuß an. Ich bin also nicht die Einzige, der es auffällt.
»Gut, dass es heute Waffeln gibt. Ich muss meinen Magen ordentlich dehnen, bevor wir morgen zum Thanksgiving-Essen zu dir kommen«, sagt Diego. »Die meisten Leute denken ja, es ist das Beste, vor einem Festmahl wenig zu essen, um richtig Hunger zu haben. Aber um Hunger geht es nicht, sondern um Platz.« Er schiebt sich eine große Gabel von seinem Curry in den Mund.