»Wenn du nicht einmal mit mir reden willst, was soll dann das Ganze?«
Doch sie schiebt sich einfach immer weiter.
»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du verflucht unhöflich bist? Dass es echt frustrierend ist, mit dir zu sprechen?« Sie hievt das Gehgestell auf der anderen Straßenseite zwischen zwei Autos über den Randstein, öffnet wenig später ihr Gartentor.
»Ich mag dich nicht«, sage ich, als ich hinter ihr durch das Tor trete. »Du machst mich wütend.«
Sie schleppt sich die wenigen Stufen zu ihrer Haustür hinauf, dreht den Türknauf, geht ins Haus. Und auf einmal, ohne dass ich wüsste, wie, stehe ich in ihrem Flur. Es riecht muffig. Nach seltsamen Kräutern und Staub. An der Wand hängen Tücher und merkwürdig düstere Bilder. In der Ecke steht eine hölzerne Skulptur, die aussieht wie ein deformierter Mensch. Die alte Frau verschwindet um die Ecke in einen Raum.
»Komm«, sagt sie, und als hätte sich mein freier Wille ausgeschaltet, folge ich ihr.
Das Wohnzimmer ist winzig und auf hochsommerliche Temperaturen geheizt. In einer Ecke brennen Duftkerzen. Auf einem Tisch mit afrikanisch gemustertem Wachstuch steht eine Thermoskanne.
»Tassen sind im Schrank«, sagt sie.
Ich öffne eine der Türen, doch darin befinden sich jede Menge Gläser mit Kräutern, Fläschchen mit Tinkturen oder Ähnlichem.
»Hast du ein Drogenlabor?«, frage ich, aber sie bedeutet mir mit ihrer runzligen, zitternden Hand, hinter der nächsten Schranktür nachzusehen. Und tatsächlich, hier finde ich kleine Porzellantassen. Zwei davon nehme ich heraus und stelle sie auf den Tisch. Dann schenke ich uns Kaffee ein. Er ist kohlrabenschwarz. Wir setzen uns an den Tisch, und ich nippe an meiner Tasse. Das Gebräu ist so bitter, dass sich mein gesamter Mund zusammenzieht, aber es hat etwas seltsam Tröstliches.
»Ich habe mich schon gefragt, wann du kommst«, sagt die Alte.
»Warum?«
»Du warst hier zu Hause.«
»Also hast du dich nicht beschwert?«, frage ich.
Sie lacht leise. »Dafür habe ich keine Zeit.«
Ich sehe sie an. Sie wirkt nicht wie jemand, der viel zu tun hat. »Was treibst du den ganzen Tag?«
»Beten, Menschen helfen … Manchmal ist es ein und dasselbe.«
»Bullshit«, sage ich.
»Es ist nicht wichtig, ob du daran glaubst. Nicht alles dreht sich um dich.«
Als wüsste ich das nicht. »Willst du nicht versuchen, mich zu überzeugen? Missionieren? Meine Seele retten? Mir eine Bibel verkaufen?«
»Eine Bibel? Ha!« Sie schüttelt langsam den Kopf. »Die Geister brauchen keine Bibel.«
»Geister? Du bist eine Voodoo-Hexe?« Das wird ja immer schöner.
»Wenn du es ›Hexe‹ nennen willst …«
»Und daran glaubst du, ja?«
»Ich und viele andere.«
»Ich nicht.«
»Das hast du von deinem Vater.«
Ich verschlucke mich fast an meinem Kaffee.
»Entschuldige, sprichst du nicht gern über ihn? Er war auch ein Skeptiker. Ganz anders als Mildred.«
»M… Was?«
»Deine Großmutter.«
»Ich weiß, wer Mildred ist«, fahre ich sie an. »Was hast du mit ihr zu schaffen?«
»Sie ist eine Freundin von mir.« Einen Moment lang starren wir uns über den Tisch hinweg einfach nur an. »Es geht ihr gut«, sagt sie dann.
»Was kümmert’s mich?«
Doch sie geht kommentarlos darüber hinweg. »Wir haben viel für dich gebetet.«
»Für mich?« Wieder entfährt mir ein bitteres Lachen. »Na, dann ist meine erbärmliche Existenz wohl der Beweis dafür, dass es absoluter Quatsch ist.«
»Ich werde ihr erzählen, dass du wohlauf bist.«
»Wohlauf«, schnaube ich.
Sie erhebt sich langsam und schiebt ihren Körper zu der Schranktür, die ich als Erstes geöffnet hatte. Sie nimmt ein paar Fläschchen und Gläser heraus und stellt sie zwischen uns.
»Rosenknospen und Kamille«, sagt sie. »Um dich ein bisschen zu beruhigen.«
»Ich muss mich nicht beruhigen.«
Sie zeigt aus dem Fenster, wie um mir zu beweisen, dass ein Ausbruch, während dem man einen kompletten Wellblechzaun herunterreißt, durchaus ein Grund für Rosenknospen sein könnte.
Ich zucke mit den Schultern. »Also gut. Weißt du, was? Dann zeig doch mal, was dein bescheuerter Hokuspokus so draufhat.«
»Womit kann ich dir helfen?«
Ich überlege einen Moment. Es ist so albern, dass ich am liebsten laut loslachen würde. Also sage ich das Erste, was mir in den Sinn kommt. »Ich will, dass meine Mitbewohnerin sich von ihrem Schwachmaten-Freund trennt, damit ich wieder ein Zuhause habe. Und sie.«
»Du willst Liebe?«, fragt sie.
Das war zwar nicht, was ich gesagt habe, aber im Endeffekt stimmt es womöglich sogar. »Vielleicht«, sage ich.
»Curtis.« Es ist das erste Mal, dass sie meinen Namen verwendet, und ich zucke unwillkürlich zusammen. »Die Liebe lässt sich nicht manipulieren.«
»War ja klar«, sage ich und verschränke die Arme vor der Brust. »Sehr mächtig, deine Geister.«
»Wenn du versuchst, die Liebe zu manipulieren, ist es schon zu spät. Dann ist sie fort. Für die Liebe muss man sich öffnen, mein Junge. Du musst Verwundbarkeit zulassen. Dich nicht vor der Freude, dem Frieden und … der Liebe verschließen. Du musst sie in dir selbst finden. Wenn dir das gelingt, passiert die Magie von ganz allein.«
»Na, wenn das mal nicht ein hilfreiches Geschwurbel ist«, sage ich, spüre aber, wie ich innerlich ruhiger werde. Mich weniger wehre gegen all den Blödsinn, den die Alte von sich gibt. »Wie mache ich das also? Sie in mir finden?«
»Du hast sie doch schon.«
»Das wage ich zu bezweifeln.«
»Du siehst es nur nicht. Aber ich sehe es ganz deutlich. Warte.«
Wieder erhebt sie sich und kehrt mit drei Gläsern und einem Säckchen zurück.
»Huflattich, Lavendel, Baldrian. Für Liebe und Glück«, sagt sie, befüllt das Säckchen und bindet es fest zu. Ich halte es mir an die Nase. Es riecht nach Mottenkugeln und Käsefüßen.
»Und damit laufe ich jetzt durch die Gegend und locke Frauen an?«, frage ich, doch sie schüttelt nur den Kopf. »Koche ich einen Liebestrank?«
»Du hast es bei dir.«
»Yay!«, mache ich. »Das kann ja nur gut werden.«
»Geh zu ihr. Versteck dich nicht. Heute ist Thanksgiving. Das sollte man mit denjenigen verbringen, die man liebt.«
»Kannst du erst ihren Freund verhexen?«
»Es geht nicht um ihren Freund, sondern um dich, Curtis.«
Ich schlucke. Sie hatte mich eingeladen, mit ihr und ihren Freunden zu essen. Und ich habe sie mit einer Ausrede abgewimmelt. »Vielleicht …«
»In der Liebe, Curtis, gibt es kein Vielleicht. Es gibt kein Zögern. Die Liebe verbindet uns alle. Auf die schönste Weise.«
»Mich verbindet nichts mit niemandem«, sage ich.
Ich schüttle den Kopf und kippe den Rest von meinem Kaffee in einem Zug hinunter. Und ich treffe eine Entscheidung. Denn obwohl all dieser Blödsinn, den die Alte von sich gegeben hat, absolut dämlich war, bin ich mir doch sicher, dass ich heute Amorys Gesicht sehen will. Auch wenn Richards daneben ist. Ich werde ihn einfach ausblenden.
»Ich geh dann mal«, sage ich etwas verlegen.
»Ich weiß«, erwidert die Alte. »Willkommen in der Nachbarschaft.«
27
Amory
Der Truthahn brutzelt im Ofen vor sich hin. In regelmäßigen Abständen muss er begossen werden, damit er nicht austrocknet und die Haut richtig kross wird. Die Kartoffeln, Karotten und Pastinaken kommen erst später auf einem Blech dazu. Gerade bin ich dabei, den Trifle in Gläser zu schichten. Kuchen, weißer Schokoladenpudding, Himbeersahne. Kuchen, weißer Schokoladenpudding, Himbeersahne. Gekrönt werden sie mit Raspeln aus weißer Schokolade.
Aus meiner Bluetooth-Box erklingt Skeeter Davis’ Stimme. Schon den gesamten Vormittag und Mittag höre ich Gonna Get Along Without You Now in Dauerschl
eife, was bedeutet, dass ich heute Nacht mit Sicherheit kein Auge zutun kann, weil ich diesen Ohrwurm nicht mehr loswerde. Aber es hilft. Als ich gestern Abend die Wohnung für mich allein hatte, verzog ich mich mit Hilbert und Lovelace ins Bett, schaute mir eine Tierdoku an und versuchte, nicht an Richard zu denken. Das klappte ganz gut, doch heute Morgen hatte ich zusätzlich zu Katze und Kater neben mir auch einen emotionalen Kater im Kopf. Ich schaltete Skeeter ein, drehte die Lautstärke auf und sang mit ihr, dass ich klargekommen war, ehe ich ihn kennengelernt hatte, und auch jetzt klarkommen würde. Dass ich jemanden finden würde, der doppelt so toll ist, und ihn ohnehin nie gemocht hatte – auch wenn der letzte Teil in meinem Fall nicht ganz stimmt. Zuerst war meine Stimme ein bisschen dünn. Ein paar Tränen liefen mir über die Wangen. Doch je öfter ich den Song hörte, desto kräftiger sang ich mit. Desto befreiter fühlte ich mich.
So long, my honey, goodbye, my dear. Ich werde ohne dich klarkommen.
Kurz bevor die Gäste kommen, vibriert mein Handy. Nicky ruft mich über Skype an.
»Hi, Bruderherz«, sage ich in die Kamera, nachdem es mir gelungen ist, lediglich meinen rechten kleinen Finger zu benutzen, um den Anruf entgegenzunehmen. Alle anderen Finger sind vom Trifle ganz klebrig.
»Fröhliches Thanksgiving!«, rufen mir Nicky und meine Eltern entgegen. Sie haben sich anscheinend alle zusammen in Nickys Zimmer versammelt.
»Ihr seid ja auch da!« Ich grinse. »Wie geht’s euch?«
»Kann sie uns hören?«, fragt mein Dad, obwohl offensichtlich ist, dass ich das kann. Aber wenn es einen Technikskeptiker gibt, dann ist es mein Dad.
»Ich höre euch, Dad«, versichere ich ihm. »Und ich sehe euch. Habt ihr euch schick gemacht?«
Die grau melierten Locken meines Vaters sehen richtig ordentlich aus. Und er hat sich seinen Schnurrbart gestutzt. Normalerweise wuchert er wild über seine Oberlippe. Außerdem trägt er ein kariertes Hemd. Meine Mom, blond und pausbäckig, trägt eins ihrer Sonntagskleider.
»Das gehört sich nun mal so«, sagt meine Mom.
Ich blicke an mir herunter. Noch habe ich ein T-Shirt und eine Jeans an, die in die Wäsche gehört. Aber mit einem Blick auf die Uhr sehe ich, dass auch ich mir langsam etwas Präsentableres anziehen sollte.
»Kriegt ihr Besuch?«, frage ich.
»Die Fawcetts kommen zum Essen«, sagt meine Mom.
»Und ich darf dann wieder Rosie bespaßen.« Mein Bruder verdreht die Augen.
»Ich dachte, du magst sie?«, frage ich.
»Sie ist sieben«, erwidert er, als sei damit alles gesagt.
»Und du, Liebes?« Meine Mom kommt auf einmal ganz nah vor die Kamera. »Was hast du Schönes geplant?«
»Ich kriege Besuch von meinen Kollegen«, sage ich, lasse aber die Information weg, dass der Kollege, mit dem ich bis gestern noch zusammen war, ausgeladen wurde. Ich habe keine Lust, über Richard zu sprechen. Nicht, weil es mir so wehtut – wobei Enttäuschung auch dabei ist. Aber ich möchte ihm an diesem Tag keine Bedeutung zukommen lassen.
»Wenn wir dich schon mal so vor uns haben«, sagt meine Mom, »wie ist das eigentlich mit Weihnachten? Bringst du wieder jemanden mit?«
Verdammt! So gerne hätte ich meinen Eltern meinen Freund vorgestellt. Hätte mich verliebt in seinen Arm gekuschelt, während Ist das Leben nicht schön? im Fernsehen liefe. Ihn unter dem Mistelzweig geküsst. Mich an seinen geschmacklosen Weihnachtspulli geschmiegt.
»Fragst du Curtis?«, will Nicky wissen.
»Er gehört inzwischen fast dazu«, sagt mein Dad so laut, dass mein Handy scheppert.
»Vielleicht hat er andere Pläne«, überlege ich laut. »Aber ich kann ihn ja mal fragen.«
»Oder deinen Freund«, sagt Nicky.
Ich bin froh, dass es in dieser Sekunde an der Tür klingelt und ich das Gespräch beenden kann.
Thanh ist mein erster Gast. Nachdem ich mich umgezogen habe, stoßen wir mit Weißwein an, und es dauert nicht lange, bis wir zusammen zu Skeeter Davis mitsingen. Wenig später schmettern wir den Refrain zu dritt – Thanh, Emily und ich. Selbst als erst Julien und dann Diego eintreffen, bleibt es bei dieser Songauswahl.
»Es gibt eine Regel für heute«, verkünde ich bei meinem dritten Glas Wein. »Wir können über alles sprechen außer über Richard.«
»Du bist der Boss«, sagt Julien, und ich beobachte aus dem Augenwinkel, wie Thanh Diegos Hand loslässt, weil sie offenbar glaubt, es würde mich stören oder an Richard erinnern.
»Und noch eine Regel.« Ich grinse in Diegos und Thanhs Richtung. »Wer will, hält Händchen, knutscht wild oder schmachtet sich an. Keine falsche Zurückhaltung bitte.«
»Ich würde mich anbieten«, sagt Julien schmunzelnd.
»Gib mir noch ein bisschen Zeit – und ein bisschen Wein«, erwidere ich. Aber natürlich wissen wir beide, dass wir nur Spaß machen.
»Meinst du denn, wir könnten mal einen anderen Song hören?«, fragt Diego vorsichtig.
»Nein!«, kommt es sofort von Thanh und Emily zurück. Und Thanh erklärt: »Das ist unser Thanksgiving-Song. Untersteh dich, den ändern zu wollen.«
Ich muss lachen. Meinetwegen könnten wir auch etwas anderes hören, aber ich finde es ganz bezaubernd, wie sich Thanh und Emily für mich einsetzen. Und so bleibt es dabei.
Als ich wenig später das Gemüse zum Truthahn in den Ofen geschoben habe, beginnen wir umzuräumen. Der Esstisch in der Küche ist ausziehbar, aber Platz genug haben wir nur im Wohnzimmer. Emily und Diego tragen den Tisch nach drüben, wir anderen kommen mit Stühlen hinterher. Zur Feier des Tages habe ich sogar ein Tischtuch gebügelt. Es gibt Servietten mit Kürbismotiven, zusammenpassendes Geschirr und richtige Weingläser. Emily hat Luftschlangen mit winzig kleinen Truthähnen darauf mitgebracht, mit denen wir den Tisch dekorieren. Ein paar davon pustet Thanh Diego um den Hals, und der trägt sie wie Schmuck.
Immer wieder singt einer von uns – oder mehrere – eine Zeile mit Skeeter zusammen. Es wird zu einem Hintergrundrauschen, das sich über alles Unangenehme legt. Ein ganz eigener Groove. Mal hört man darauf, mal nicht. Mal tanzt man ein paar Schritte, während man Teller auf seinen Armen balanciert, mal wippt man einfach nur mit dem Fuß. Dieser Song, der für meine Situation und Gefühlslage so heilsam ist, untermalt einen nahezu perfekten Tag und schweißt uns zusammen. Über den fehlenden Bürokollegen spricht niemand.
Ich weiß nicht einmal, ob Diego und Julien wissen, was passiert hat. Aber sie drängen mich nicht. Sind vielleicht froh, nicht für einen von uns Partei ergreifen zu müssen, auch wenn ich das nie verlangen würde.
Es war zwar erst gestern, doch schon nach vierundzwanzig Stunden kommt es mir so vor, als wären Richard und ich nie füreinander gemacht gewesen. Als hätten wir beide etwas versucht, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Denn wenn ich etwas nicht kann, ist es, mich zu verbiegen. Und offenbar kann Richard mich nicht so akzeptieren, wie ich bin. Das ist vermutlich nicht einmal seine Schuld. In einer Welt, in der jeder immer an sich herumoptimiert, in der man sich mit Instagram-Models und Realityshow-Stars vergleicht, ist es für einige schwieriger als für andere, bei sich zu bleiben. So sauer mich sein Verhalten gestern auch gemacht hat, so gekränkt ich auch war, heute glaube ich, dass er einfach schwächer ist, als ich dachte.
Emily holt den Truthahn aus dem Ofen, und lauter Ohs und Ahs ertönen, während sie ihn in die Mitte des Tisches stellt.
»Amory, das sieht verboten gut aus«, sagt Diego, und ich finde, er hat recht.
Nachdem ich jedem eine Scheibe auf den Teller gelegt habe, heben wir unsere Gläser.
»Auf dich, Am«, sagt Thanh.
»Und auf euch!«
Wir lassen die Gläser aneinanderklirren, singen einmal gemeinsam »goodbye, my dear« und stürzen uns aufs Essen. Für ein paar Minuten sagt niemand ein Wort. Wir sind viel zu beschäftigt damit, uns Gabeln voll Köstlichkeiten in den Mund zu schieben. Der Truthahn ist wunderbar gelungen. Innen saftig und zart, außen kross.
»In amerikanischen Filmen sagt man immer, wofür man dankbar ist, oder?«, fragt Thanh. »Macht ihr das normalerweise nicht?«
»Das kann jeder h
andhaben, wie er will«, sagt Julien. »In meiner Familie haben wir es so gemacht. Aber da wird auch vor jedem Essen gebetet.« Er grinst. »Fehlt mir nicht unbedingt.«
»Gibt es denn etwas, wofür du dankbar bist, Thanh?«, fragt Diego hoffnungsvoll.
Sie grinst. »Dafür, dass mich Menschen überraschen, schätze ich. Und dafür, dass ich mich selbst auch immer wieder überrasche. Das kannte ich nicht, als ich noch zu Hause war.«
»Wow«, sagt Julien. »Das ist schön.«
»Also, dann bist du dran«, fordert Thanh ihn auf.
»Hm. Ich bin dankbar dafür, dass es meiner Familie und meinen Freunden gut geht. Ist ein ziemliches Klischee, aber meine Mom war vor ein paar Jahren krank, und seither ist es einfach das Wichtigste.«
»Dem schließe ich mich an«, sagt Emily. »Abgesehen davon, dass mich meine Familie höllisch nervt die meiste Zeit, liebe ich sie über alles. Und solange wir alle – und ihr alle – gesund und munter sind, bin ich wunschlos glücklich.«
»Was seid ihr für gute Menschen?«, fragt Diego. »Also klar, es ist schön, wenn es anderen gut geht, aber ich bin dieses Jahr ein bisschen egoistischer. Ich bin dankbar dafür, dass ich – sorry, Babe – mit dieser atemberaubenden Frau Sex haben kann. Also wirklich, ehrlich und aufrichtig dankbar.«
Thanh versucht ihm laut lachend und kreischend den Mund zuzuhalten. »Wieso sagst du so was, du Idiot?!«
»Weil es stimmt«, nuschelt er unter ihrer Hand.
»Darauf trinke ich.« Julien erhebt sein Glas, und wir stoßen erneut an. »Fröhliches Thanksgiving!«
»Fröhliches Thanksgiving«, ertönt auf einmal eine Stimme in meinem Rücken.
Ich drehe mich um und blicke in Curtis’ Gesicht.
28
Curtis
»Hi!«, ruft Amory überschwänglich. Ihre Wangen sind gerötet, und sie quietscht noch etwas lauter als sonst. Es ist der schönste Klang der Welt, und ich bin heilfroh, dass ich mich überwunden habe, herzukommen. »Was machst du denn hier? Willst du mitessen?«
Ich wende meinen Blick von Amory ab und lasse ihn über die Gäste wandern. Bin ein bisschen unsicher. Ich sehe in vier verschiedene Gesichter, die ich nicht kenne, runzle die Stirn. Saint Richard fehlt. Verlegen fahre ich mir mit der Hand über die Haare. »Wenn ihr genug habt …«
Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition) Page 18