Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition)
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Er räuspert sich. Ein hohes, herzzerreißendes Räuspern, das mich erschüttert, mir durch Mark und Bein geht. »Ja«, flüstert er.
»Es spielt keine Rolle, wie wichtig wir uns sind. Wie wichtig du mir bist. Du bist eine tickende Zeitbombe, und solange ich der Auslöser bin, müssen wir uns voneinander fernhalten.« Mein Herz sticht. Es wehrt sich. Es erträgt den Gedanken nicht, ohne Curtis zu sein. Aber nur so kann ich ihm helfen. »Es spielt keine Rolle, dass ich …« Meine Stimme versagt ihren Dienst. »… dass ich dich liebe.«
Curtis’ Ellenbogen rutscht mit einem dumpfen Geräusch vom Tisch. »Dass du … dass du … was?« Er nimmt mein Gesicht in seine Hände, sodass wir uns ansehen müssen. Meine rot geweinten Augen blicken in seine rot geweinten Augen.
»Dass ich dich liebe«, flüstere ich. »Ich liebe dich. So sehr. Über alle Maßen.« Ich werde von einem Weinkrampf durchgeschüttelt und lege meine Hände ebenfalls an sein Gesicht, suche Halt an ihm.
»Ich liebe dich auch«, sagt er und beugt sich ganz langsam zu mir, küsst mich auf die Nasenspitze, meinen Mundwinkel, meine Wange. »Ich liebe dich auch.«
Ich ziehe ihn ganz eng zu mir, schlinge meine Arme um seinen Hals. »Aber es reicht nicht. Es ist nicht genug.«
Er nickt an meiner Wange. Ganz langsam. Wir halten uns und weinen.
»Liebe kann kein Trauma heilen. Das passiert nur in Filmen und Büchern. Im wirklichen Leben funktioniert das nicht. Du musst dich selbst heilen. Ich stehe dir dabei nur im Weg.«
Obwohl ich fast hoffe, er möge mir widersprechen, nickt er erneut. Es scheint, als habe er den Kampf aufgegeben. Als würde er sich seinem Schicksal fügen. Ich weiß nicht einmal, ob es etwas Gutes ist. Ich habe völlig das Gefühl für Zusammenhänge, für das große Ganze verloren. Habe nur noch Schmerz in mir. So viel Schmerz.
»Du weißt, was das bedeutet, oder?«, frage ich und schiebe ihn wieder etwas von mir, damit ich sein Gesicht sehen kann.
»Ich werde ausziehen«, sagt er, und obwohl es genau das ist, was passieren muss, fühlt es sich an, als würde man mir mit einer Eisenfaust in den Bauch boxen.
»Ja.«
»Heute noch. Ich packe meine Sachen und verschwinde.« Er küsst mich auf die Stirn.
Dann suchen meine Lippen die seinen, und ein letztes Mal ergeben wir uns in einen langsamen, zärtlichen Kuss. Er schmeckt ganz salzig von all unseren Tränen, die sich nun auf unserer Haut vermischen. Unsere Münder liegen aufeinander, unsere Zungen streichen langsam übereinander, hören dann ganz auf mit der Bewegung, sind einfach nur noch beieinander, während wir unaufhörlich weitere Tränen weinen. Ich kralle mich in seine Haare, er umfasst meinen Hinterkopf. Wir schnaufen, schluchzen, zittern vor Traurigkeit. Unsere Körper sind in Bewegung, einzig unsere Münder sind starr. Als könnte ihnen nichts geschehen, wenn sie sich tot stellen. Als würden wir einfach vergessen, dass wir sie auseinanderreißen müssen.
Ich weiß nicht, wie lange wir hier so sitzen. Einmal versuche ich diesen merkwürdigsten und doch intimsten Kuss der Welt zu unterbrechen, doch Curtis hält mich fest. »Mhmh«, macht er und schüttelt kaum merklich den Kopf. Er ist noch nicht so weit, und ich bin es, wenn ich ehrlich bin, auch nicht. Ich weiß nicht, ob ich es je sein werde. Also lasse ich meine Lippen, die auf Curtis’ liegen, an Ort und Stelle, atme einfach weiter, höre meinem Herz beim Schlagen zu.
Warum schlägt mein Herz immer weiter? Warum weinen meine Augen? Wissen sie nicht, dass dies das Ende der Welt ist? Und noch nie habe ich Skeeter Davis so gut verstanden wie in diesem Moment, da wir uns verabschieden und doch nicht voneinander loskommen.
Als der Song zum ungefähr zwanzigsten Mal zu Ende geht, lösen wir uns doch voneinander. Es fühlt sich an, als würde ein Teil aus mir herausgerissen, und dass Curtis sich an einem vorsichtigen Lächeln versucht, um zu beweisen, wie stark er ist, obwohl sein gesamter Körper das Gegenteil schreit, macht es nur noch schlimmer.
»Ich geh dann mal packen«, sagt er und schiebt seinen Stuhl zurück. Das Geräusch schneidet direkt in meine Seele. Dann: »Amory Ingold liebt mich. Da habe ich weiß Gott schon schlimmere Tage erlebt.«
Wir müssen beide kurz lachen, doch das Lachen wird wieder zu einem Schluchzen und zu einem neuerlichen Weinkrampf.
Ich stehe in seiner Zimmertür, während er packt. Hilbert setzt sich immer wieder in Curtis’ Tasche. Er spürt, dass ihm das Resultat dieser Packaktion nicht gefallen wird.
Obwohl ich nichts anderes will, als einfach ewig so weiterzuweinen, bin ich wie ausgehöhlt. Es sind keine Tränen mehr da.
»Wo gehst du denn jetzt hin?«, frage ich, weil ich nicht hier stehen und schweigen kann, aber dennoch jede Sekunde, die mir noch mit ihm bleibt, auskosten muss.
»In mein Haus«, sagt er. »Wofür hat man denn ein eigenes Haus?«
»Aber … ist das bewohnbar?« Ich war noch nie dort.
»Das wird es sein müssen.«
Auf einmal überkommt mich ein schlechtes Gewissen. »Wenn du noch ein paar Tage bleiben möchtest …«, sage ich und hoffe inständig, dass er Ja sagt.
»Danke, aber es wird schon gehen.« Er ist so gefasst. So reif. Ein ganz anderer Mensch als der Curtis gestern Abend.
»Ich meine es ernst.«
»Ich auch. Mach dir keine Sorgen. Das Dach ist dicht, die Fenster sind neu.«
»Hast du ein Bett?«
»Ja«, sagt er, aber aus irgendeinem Grund glaube ich ihm nicht.
»Du könntest sicher auch bei Jasper und Bonnie unterkommen«, schlage ich vor.
»Amory.« Er dreht sich um. »Mach dir keine Sorgen, okay? Ich komme klar.«
»Okay.«
»Ich zieh mir jetzt ein anderes T-Shirt an«, sagt er, wie um mich vorzuwarnen. Doch ich sehe ihm einfach dabei zu. Wie er dasjenige, das ich letzte Nacht zum Schlafen anhatte, in seine Tasche wirft, sich ein frisches überzieht. Ich sehe seinen schönen Oberkörper, seine Muskeln. Meine Finger zucken, weil sie ihn berühren wollen, aber ich verschränke sie hinter meinem Rücken. Doch das Bild präge ich mir ein. Das Bild seiner wilden Haare, seines verschmitzten Lächelns, das nicht bis zu seinen müden Augen reicht.
Auf einmal durchzuckt mich ein Gedanke. »Eine Sache sollst du wissen«, sage ich, und Curtis hält in der Bewegung inne, was Hilbert seinerseits nutzt, um es sich wieder in der Tasche bequem zu machen. »Du sollst wissen, dass du nicht ausziehen musst, weil ich dich loswerden will. Damit hat es nichts zu tun.«
»Danke«, sagt er und fährt sich verlegen durch die Haare. Dann wendet er sich ab und zieht einen Stapel Jeans aus seinem Schrank. Doch ich glaube zu sehen, wie er sich erneut mit den Händen über die Augen fährt.
»Den Rest hole ich bald.« Curtis zieht sich die Schuhe an. Seine Taschen stehen im Flur. Ein paar Sachen passten nicht mehr rein und wanderten in eine Umzugskiste.
»Kein Problem«, erwidere ich. »Sag einfach Bescheid, bevor du kommst.«
»Damit du dann woanders sein kannst, verstehe.«
»Im Gegenteil. Damit ich hier sein kann.«
»Oh, ach so. Okay.« Er klingt erleichtert und zugleich überrascht.
»Schon vergessen?«, frage ich. »Ich hasse dich nicht.« Diesmal ist es an mir, es mit einem Lächeln zu versuchen.
»Daran muss ich mich wohl noch gewöhnen«, sagt er. »Hatte ich noch nicht so oft.«
Zum Abschied umarmen wir uns. Lang und innig. Meine Lippen finden seine Halsbeuge und verharren dort, bis wir uns schweren Herzens voneinander lösen.
»Ich wünsche dir alles Gute«, sage ich. »Alles Glück der Welt. Wenn du was brauchst …«
»… wende ich mich an jemand anderen«, antwortet er. »Du hast genug für mich getan.« Ich will widersprechen, doch er hebt abwehrend die Hände. »Im Ernst, Amory. Du hast genug von meinem Scheiß abbekommen. Zeit für eine Verschnaufpause.«
Er tritt noch mal einen Schritt auf mich zu, streicht mir einmal über die Haare und küsst mich auf die Stirn.
»Du bist auch wild«, sagt er. »Aber auf die gute Art. Wild und wundervoll. Alle, die etwas anderes behaupten, lügen.«
Dann schultert er sein Gepäck und dreht sich um.
»A
ch, fast vergessen.« Aus seiner Hosentasche fischt er den Schlüsselbund und zieht erst den Schlüssel für unten, dann den für die Wohnungstür durch den Schlüsselring. »Jetzt aber wirklich. Mach’s gut, Am.«
»Du auch.«
Und dann geht er. Ich stehe an der offenen Wohnungstür, bis mir das Scheppern von unten sagt, dass er nun endgültig weg ist.
Obwohl ich weiß, dass das die einzig richtige Entscheidung war, fühlt es sich an, als wäre mein gesamter Körper durch die Mangel gedreht worden. Und mein Herz gleich ein paarmal. Erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen. Es riecht nach Curtis. Eine Weile liege ich einfach nur da und starre an die Wand. Hilbert und Lovelace leisten mir Gesellschaft, rollen sich nebeneinander auf dem Bett zusammen und schlafen. Dann hole ich mir die Pancakes und esse sie im Bett. Erst meine Portion, dann Curtis’.
40
Curtis
Das knirschende Geräusch meiner Taschen auf dem schmutzigen Fußboden hallt durch das Haus. Es ist leer. Es ist kalt. Es ist schmutzig und einsam. Es ist wie ich.
Ich bin so ausgelaugt davon, meine gefasste Fassade aufrechtzuerhalten, nicht zusammenzubrechen, dass ich keine Kraft habe, mir eine Zigarette anzuzünden. Ich habe nicht einmal Lust, etwas kaputt zu schlagen – abgesehen von mir selbst. Ich lasse mich einfach an Ort und Stelle auf den Boden sinken und stütze den Kopf in meine Hände.
Du hast mir Angst gemacht. Es ist nicht deine Schuld. Amorys Worte wabern durch den Nebel in meinem Kopf. Was du dir antust, ist schlimmer zu ertragen als der ganze bekackte Rest.
Immerhin weine ich nicht. Immerhin kann ich einfach hier sitzen und vor mich hin starren. Die spitzen Steinchen bohren sich in meine Handfläche, und ich heiße den Schmerz willkommen. Körperlicher Schmerz. Einzuordnender Schmerz. Lokalisierbar.
Wir müssen die Notbremse ziehen. Und das haben wir nun. Beinahe fühle ich so etwas wie Stolz. Ich bin gegangen. Habe ihr ihren Wunsch erfüllt. Ohne dass sie gegen mich ankämpfen musste. Ich weiß, ich habe genug angerichtet.
Du bist eine tickende Zeitbombe, und solange ich der Auslöser bin, müssen wir uns voneinander fernhalten . Es stimmt. Sie hat recht. Mit allem hat sie recht. Ich bin nicht zurechnungsfähig. Immer erst hinterher. Wenn es zu spät ist. Weil ich ein verfluchter emotionaler Krüppel bin. Ich verliere den Verstand. Von Zeit zu Zeit taucht er wieder auf. Aber dazwischen verliere ich ihn. Und ich verstehe, dass man mir dabei nicht zusehen will.
Ich liebe dich. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Tasche auf und suche mit einer Hand nach dem T-Shirt, an dem noch ihr Geruch heftet. So sehr. In diesem Moment ist es das Wertvollste, was ich besitze. Über alle Maßen. Ich presse mir den weichen Stoff vors Gesicht und atme tief ein. Ihr Duft beschwört Bilder vor meinem Innern herauf, Bilder, die mich bis vor ein paar Stunden noch glücklich gemacht haben, nun aber das Geschwür in meinem Hals so groß anschwellen lassen, dass ich keine Luft mehr kriege.
Aber es reicht nicht. Es ist nicht genug. Wie könnte es? Wie könnte ich je genug sein? Ich bin zu viel vom Falschen und zu wenig vom Richtigen. Ich passe nicht. In niemandes Leben. Nicht einmal in mein eigenes. Ich passe auf den schmutzigen Boden in meinem schmutzigen Haus. Schmutz zu Schmutz.
Liebe kann kein Trauma heilen. Du musst dich selbst heilen. Ich stehe dir dabei nur im Weg. Hätte ich doch bloß … Wäre ich doch bloß … Hätte ich einfach nicht … Meine Gedanken drehen sich im Kreis, führen nirgendwohin. Es ist eine Spirale aus Reue und Schuld, aus der ich nicht ausbrechen kann.
Der Nachmittag geht in den Abend über, ohne dass ich mich rühre. Ich sitze einfach nur da, rieche an diesem bescheuerten T-Shirt, versuche meinen Kopf zum Schweigen zu bringen und mein Herz zum Stillstand.
Ich merke nicht einmal, wie es um mich herum immer dunkler wird. Erst als ich kaum noch die Hand vor Augen sehen kann, blicke ich mich einigermaßen erstaunt um. In der Ecke befindet sich nach wie vor mein provisorisches Lager aus Packdecken. Ich bette meinen Kopf auf Amorys T-Shirt und bete, dass ich schnell einschlafe. Obwohl Beten noch nie etwas genutzt hat. Auch nicht heute, aber irgendwann schaltet sich mein Körper einfach aus.
Das Knurren meines Magens weckt mich. Oder mein trockener Mund. Oder die Regentropfen, die an meine neuen Scheiben prasseln. Oder mein Nacken, der vollkommen steif ist.
In der Küche hänge ich mich unter den Hahn. Das Leitungswasser schmeckt scheußlich, aber es erfüllt seinen Zweck. Aus meiner Tasche hole ich ein Handtuch und unterziehe mich einer Katzenwäsche.
Ich trete auf die Veranda und stolpere fast. Ich blicke nach unten und sehe einen kleinen Korb. Erkenne einen Apfel, eine Banane, in Plastik eingepackte Kekse. Und obwohl es eine nette Geste sein soll und mein Magen erneut knurrt, macht es mich wütend. Ich brauche keine Almosen. Keine verlogenen Nettigkeiten. Ich will einfach nur in Ruhe meine Wunden lecken.
Mit dem Korb in der Hand laufe ich über die Straße. Nehme immer zwei Stufen auf einmal zum Haus der Alten hoch. Schlage mit der Faust zweimal gegen die Tür. Doch es rührt sich nichts. Nachdem ich noch vier weitere Male gegen die Tür gehauen habe, klickt das Schloss von innen. Gott, sie ist so langsam!
»Was soll das?«, frage ich und hebe den Korb hoch.
Sie grinst mich an, winkt mich herein.
»Ich will nichts von dir. Ich will meine Ruhe«, sage ich und spüre, wie es mir guttut, etwas von der Frustration rauszulassen.
»Manchmal muss man gar nichts wollen, um etwas zu bekommen«, sagt sie, den Mund immer noch zu einem Lächeln verzogen.
Es macht mich sauer, dass sie meine Grenzen nicht respektiert. Dass sie glaubt, sie könnte sich einfach so auf mein Grundstück schleichen. Und dann macht es mich ein bisschen weniger sauer, weil sie einfach nicht aufhört, zu strahlen. Verflucht noch mal!
»Ich habe frischen Kaffee«, sagt sie.
Wieder weiß ich nicht, wie mir geschieht. Ich gehe einfach an ihr vorbei ins Wohnzimmer und lasse mich auf dem Stuhl nieder, auf dem ich vor ein paar Wochen schon einmal saß.
»Du warst lange nicht hier.« Sie schenkt mir in Zeitlupe eine Tasse Kaffee ein.
»Hatte Besseres zu tun.«
»Das freut mich für dich.«
Ich schnaube. Sie hat keine Ahnung.
Einen Augenblick sitzen wir uns schweigend gegenüber. Ich trinke kleine Schlucke von dem bitteren Kaffee. Dann stupst sie den Korb an. Einmal, zweimal. Sie schiebt ihn immer weiter in meine Richtung.
»Iss.«
»Hab keinen Hunger.« Doch mein verräterischer Magen knurrt in genau diesem Moment so gottserbärmlich, dass die Alte lacht. Also tue ich ihr den Gefallen und esse die Banane. Sie fühlt sich falsch in meinem Mund an. Wie ein Fremdkörper. Und ich muss an Amorys Lippen denken, an ihre Zunge. An unsere Küsse. Es tut so weh, dass ich den zerkauten Brei in meinem Mund nicht einmal runterschlucken kann.
»Wenn du willst, kannst du meine Dusche benutzen.«
Was wird das hier? »Brauch ich nicht.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Sauberer Körper, sauberer Geist.«
Diesmal bin ich derjenige, der lacht. »Ist das so, ja? Dann verrat mir doch mal was: Habe ich mir dann nur eingebildet, dass ich mich die letzten Jahre fast täglich geduscht habe? Denn für den Geist hat es, ehrlich gesagt, nichts gebracht.«
Sie lächelt und steht auf. Geht mit langsamen kleinen Schritten zu ihrem Schrank und holt ein Päckchen heraus.
»Was soll ich damit?«
Doch sie nickt mir nur auffordernd zu. Also öffne ich das Papier. Zum Vorschein kommt eine Seife. Ich rieche daran. Ihr haftet ein merkwürdiger Geruch an. Nicht unangenehm, aber deutlich anders als bei anderen Seifen.
»Baldrian, Lavendel und Myrrhe«, sagt sie. »Für Glück, inneren Frieden und Reinigung. Das Badezimmer ist neben der Küche.«
Ich schüttle verwirrt den Kopf, will mich ihr widersetzen, doch auf einmal habe ich das Gefühl, dass es mich viel mehr Kraft kosten würde, gegen sie anzukämpfen. Also stehe ich auf, gehe in ihr Bad – in dem es noch merkwürdiger riecht als im Wohnzimmer – und nehme eine Dusche. Das heiße Wasser entspannt meine steifen Knochen, und die Seife fühlt sich gut auf meiner kalten Haut an. I
ch bin umgeben von Gerüchen, werde in sie eingehüllt wie in einen flauschigen Bademantel. Ich denke an Amorys Bademantel. Wie sie ihn von ihren Schultern rutschen lässt. Und das Wasser aus der Dusche vermischt sich mit salzigen Tränen. Reinigenden Tränen. Einsamen Tränen.
»Was kann ich sonst noch für dich tun?«, fragt die Alte, als ich frisch gewaschen und einigermaßen wiederhergestellt zurück ins Wohnzimmer trete.
»Nichts.«
»Ich sehe deine Wunden«, sagt sie, und ich schnaube.
»Kunststück«, sage ich. Schließlich habe ich selbst gerade im Spiegel gesehen, wie beschissen ich aussehe.
»Was brauchst du zur Heilung?«, fragt sie und legt eine Hand auf meinen Arm. Ich zucke unter der Berührung zusammen, doch ich ziehe meinen Arm nicht zurück. Ich bin zu erschöpft.
Ich brauche Amory. Ich brauche nichts so sehr wie Amory. Doch ich kann sie nicht haben. Kann sie nicht mit mir belasten. Du musst dich selbst heilen, klingt es in meinen Ohren.
»Ich muss mich selbst heilen«, sage ich deswegen.
»Ja, das stimmt. Aber du musst es nicht alleine tun.«
»Ich muss ein anderer werden«, sage ich, denn der Mann, der ich bin, kann nicht glücklich werden.
»Du musst du selbst werden.«
Ich stöhne genervt auf. »Mit dieser verschwurbelten Esoterik-Scheiße kann ich echt nichts anfangen.«
»Das ist schade. Aber es ist nicht die einzige Möglichkeit. Viele Wege führen zu dir.«
Sie klingt so salbungsvoll und selbstgerecht, dass ich Lust habe, einfach abzuhauen. Aber die Alte schafft es, meine eigenen Wünsche auszuschalten.
»Kannst du mit jemandem sprechen?«
Ich lache auf. »Ja, sicher.« Doch dann kommt mir etwas in den Sinn. »Ich muss los«, sage ich und stehe auf.
»Einen Moment.« Sie hebt den Finger, um mich zum Stehenbleiben zu bringen. Doch aus einem Moment werden zwei, werden drei, wird eine gefühlte Ewigkeit, bis sie endlich gefunden hat, wonach sie in den Tiefen ihres Schranks gesucht hat. Sie reicht mir ein trockenes, verwachsenes Stück Holz an einer Schnur.