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Feel Again

Page 37

by Mona Kasten


  Riley brummte zustimmend. »Ich weiß, dass es nichts entschuldigt. Aber … ich dachte, wir können irgendwann darüber hinwegkommen. Deshalb die Einladung zur Hochzeit und der Versuch, neu mit ihr anzufangen.«

  »Ich kann das verstehen. Du hättest nur schon viel früher mit mir darüber reden müssen«, sagte ich.

  Bedauern flackerte in ihrem Blick auf. »Ich wollte dich nicht belasten. Ich wusste, wie viel du um die Ohren hast und dass du das, was damals geschehen ist, zu vergessen versuchst. Ich wollte dich nicht … in Panik versetzen oder … Ach, ich weiß doch auch nicht. Aus irgendeinem Grund dachte ich, dass meine Hochzeit vielleicht ein guter Anlass sein könnte, um miteinander ins Gespräch zu kommen.«

  »Hat ja super geklappt.«

  Riley zeigte mir den Mittelfinger. Ich stieß ein schnaubendes Lachen aus, das die Anspannung zwischen uns ein bisschen lockerte. Danach blieben wir eine Weile lang still und hingen unseren Gedanken nach.

  »Wieso wusstest du davon?«, fragte ich.

  Es dauerte einen Moment, bis Riley antwortete. »Eine Freundin und ehemalige Klassenkameradin von Melissa und Dad hat ihren Hund zu uns in die Klinik gebracht. Sie hat mich gefragt, wie es uns geht, und darüber gesprochen, wie tragisch die ganze Sache damals doch gewesen war, vor allem für Melissa. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie spricht, aber als ich angefangen habe, nachzuhaken, hat sie sich rausgeredet und ist schnell wieder verschwunden. Ich bin noch am selben Tag zu Melissa gefahren und habe sie zur Rede gestellt.«

  Es fiel mir schwer, zu glauben, dass diese Geschichte wirklich wahr sein sollte, aber gleichzeitig wusste ich, dass niemand sich so etwas ausdenken konnte. Es war einfach zu makaber.

  »Es tut mir so leid.« Kopfschüttelnd sah ich Riley an. »Da war so viel angestaute Wut in mir. Ich wollte nicht so extrem aus der Haut fahren. Das wird nie wieder vorkommen, Riley. Und ich hoffe, irgendwann könnt Morgan und du mir verzeihen.«

  »Das haben wir doch schon längst«, sagte sie sanft. »Ich habe dir schon verziehen, als wir telefoniert haben.«

  »Wirklich?«

  Sie nickte energisch. »Ich war nur so aufgewühlt. Da war die Hochzeit und Morgans Familie und die Gäste und Melissa – das war einfach alles zu viel. Ich war überfordert und wollte einfach nur noch ins Bett und nie wieder aufstehen.«

  »Das kann ich so gut verstehen. Glaub mir.«

  »Ich will nie wieder so lange nicht mit dir reden, Sawyer. Das war einfach nur furchtbar«, sagte Riley.

  Ich war so erleichtert, dass ich nicht anders konnte, als einen Satz nach vorne zu machen und sie stürmisch zu umarmen. Sie stieß ein Ächzen aus, drückte mich aber genauso fest wie ich sie. Eine Weile lang hielten wir uns nur, und ich konnte hören, dass sie genau wie ich versuchte, ihr Schniefen zu unterdrücken. Trotzdem spürte ich ihre Tränen an meiner Halsbeuge.

  Erst nach einer gefühlten Ewigkeit lösten wir uns voneinander. Riley strich sanft mit den Daumen unter meinen Augen entlang. »Isaac hat eine ganz schöne Heulsuse aus dir gemacht.«

  Ich versteifte mich. »Was?«

  »Ich muss ja ehrlicherweise sagen, dass ich niemals damit gerechnet hätte, dass du dir ausgerechnet einen Typen wie ihn suchst. Der sah so unschuldig aus und war so höflich! Aber als er mich angerufen hat … Ich glaube, dass er wirklich gut für dich ist. Und ich merke auch, dass du dich verändert hast. Du bist nicht mehr so verschlossen wie noch vor ein paar Monaten.« Sie lächelte. »Verrückt, was die Liebe mit einem macht, oder?«

  Perplex starrte ich sie an. »Isaac hat dich angerufen?«, brachte ich ungläubig hervor.

  »Oh.« Riley runzelte die Stirn. »Hätte ich das nicht sagen dürfen?«

  Als ich nicht antwortete, hob sie entwaffnet die Hände. »Bitte, sag ihm nicht, dass ich ihn verpetzt habe. Ich dachte nur, ihr wärt … Ihr seid doch zusammen, oder nicht?«, fragte sie unsicher.

  Ich schüttelte den Kopf.

  »Aber er …« Sie brach ab und schüttelte den Kopf. Dann wurde der Ausdruck in ihrem Gesicht weich.

  »Was guckst du so?«, fragte ich.

  »Nichts. Es ist nur … Er hat mich angerufen, weil er wusste, wie sehr dir der Streit zugesetzt hat. Er hat sich bei mir entschuldigt und gesagt, er hofft, dass wir das wieder auf die Reihe bekommen, weil Geschwisterliebe etwas ganz Kostbares und Wichtiges ist.«

  Das klang wirklich nach etwas, was Isaac von sich geben würde.

  »Wir passen nicht zusammen«, murmelte ich.

  »Warum nicht?«

  »Weil er sich jemanden suchen soll, der besser für ihn ist.« Ehe ich wusste, wie mir geschah, breitete sich ein höllischer Schmerz auf meiner Stirn aus. »Autsch, du verdammte Kuh! Das tut weh!«

  »Das soll es auch. Sag so etwas nie wieder«, fauchte Riley und hob den Finger, mit dem sie mir gerade gegen die Stirn geschnipst hatte, ein zweites Mal drohend.

  »Aber es stimmt doch.« Hilflos hob ich die Schultern. »Er ist ein guter Mensch, Riley. Er verdient jemand ganz Besonderen, jemand, der ihn glücklich macht und nicht nur Drama in sein Leben bringt.«

  Riley sah mich kopfschüttelnd an. »Das ist das Schwachsinnigste, was ich jemals gehört habe, Sawyer.«

  »Aber die Wahrheit.«

  »Du hast einfach nur Angst vor deinen eigenen Gefühlen.«

  »Ich habe überhaupt keine Angst.«

  »Doch, hast du. Und ich weiß das so genau, weil es mir damals mit Morgan exakt gleich ging.«

  »Das ist was anderes.«

  »Ist es gar nicht.«

  Ich presste meine Lippen aufeinander, weil dieses Gespräch allmählich lächerlich wurde.

  »Du bist verliebt in ihn«, stellte Riley fest.

  Sofort schüttelte ich den Kopf. »Bin ich überhaupt nicht.«

  »Schon klar. Deswegen geht es dir auch dermaßen beschissen.«

  »Mir geht es nicht beschissen.«

  Riley hob eine Augenbraue. »Da hat Dawn mir vorhin aber was anderes erzählt.«

  »Okay. Mir ging es beschissen, weil ich mich mit meinem liebsten Menschen auf der ganzen Welt fürchterlich gestritten habe – damit meine ich dich. Das heißt, zumindest warst du das, bevor du angefangen hast, mich zu nerven.«

  »Aha. Du willst mir also weismachen, dass jetzt, wo wir uns wieder vertragen haben, alles wieder wie vorher ist?«, fragte Riley skeptisch.

  Ich nickte energisch.

  Dabei wusste ich ganz genau, dass nichts sein würde wie zuvor. Der ziehende Schmerz in mir war da, als gehörte er zu meinem Körper. Er war da, wenn ich morgens aufstand, und er war da, wenn ich ins Bett ging, und es war egal, was ich tat, egal, wie sehr ich versuchte, mich abzulenken – er verschwand nicht.

  Ich vermisste Isaac. Jeden verdammten Tag. Alles, was mir blieb, waren unsere gemeinsamen Momente, die mich auch jetzt noch glücklich machten, obwohl ich wusste, dass sie in der Vergangenheit lagen und er bald neue Erinnerungen sammeln würde mit einem Mädchen, das nicht ich war.

  Niemand hatte es je geschafft, mich so glücklich zu machen wie Isaac. Niemand hatte es je geschafft, dass ich meine Schutzschilder fallen ließ und mich traute, mich zu öffnen. Niemand hatte es je geschafft, diese Art von Gefühlen in mir auszulösen.

  Es gab nur Isaac für mich. Und tief in meinem Inneren war ich mir sicher, dass es auch immer so bleiben würde.

  »Gefühle sind der letzte Mist«, flüsterte ich an Rileys Schulter.

  Und während meine Schwester mich hielt, ließ ich meine Tränen laufen und weinte um all das, was ich erfahren und verloren hatte.

  KAPITEL 34

  Der Dezember begrüßte Woodshill mit eisiger Kälte und viel Schnee. Die Berge und Täler waren in Weiß gehüllt, und auch die Stadt lag unter einer magischen, schimmernden Schicht, die mich förmlich anflehte, sie zu fotografieren. Ich verbrachte mehrere Tage fast durchgehend draußen und kam erst abends heim, völlig durchgefroren und mit vor Kälte tauben Zehen und Fingern, in die erst nach einer langen, heißen Dusche langsam wieder das Gefühl zurückkehrte
.

  Ich liebte es.

  Umso aufgeregter war ich, als Robyn und Pat mir erzählten, dass sie es über einen Kontakt in Portland geschafft hatten, die Künstlerin Angel Whittaker zu engagieren, und mich baten, die Schneeskulpturen, die sie für sie kreierte, für die anstehende Weihnachtsausstellung in der Galerie zu fotografieren.

  Die beiden holten mich in Robyns Wagen vom Wohnheim ab, kurz nachdem die Sonne aufgegangen war. Gemeinsam fuhren wir an den Fuß des Mount Wilson, wo Angel seit ein paar Tagen arbeitete. Ich hatte zwar schon einen Zwischenstand der Skulpturen auf Bildern gesehen, die Robyn mir per Mail geschickt hatte, aber ehrlich gesagt hatte ich darauf nicht viel erkannt außer Massen an Schnee, die in riesigen Haufen zusammengeschaufelt worden waren.

  Als wir uns jetzt, beladen mit professionellen Stativen, Reflektoren und Objektiven, die ich kaum erwarten konnte, auszuprobieren, den Weg durch den tiefen Schnee bahnten und zu der abgesperrten Fläche kamen, die Angel für ihre Arbeiten zur Verfügung gestellt bekommen hatte, traute ich meinen Augen nicht. Sieben gigantische Skulpturen aus Schnee waren in einem Kreis angeordnet. Manche von ihnen hatten Muster, die Fossilien glichen, manche Gesichter, die man nur erkennen konnte, wenn man im richtigen Winkel davorstand. Die Sonne war inzwischen vollständig aufgegangen, und ihre Strahlen setzten die Maserungen so in Szene, dass es auf den ersten Blick so aussah, als würden die Skulpturen von innen heraus leuchten. Es war wunderschön.

  Ich konnte mich gar nicht sattsehen, und als die Erschafferin der Kunstwerke uns sah und winkend auf uns zukam, musste ich mich zusammenreißen, um nicht vor Aufregung zu stammeln. Sie war in einen dicken schwarzen Mantel eingepackt und trug eine dunkelrote Wollmütze, unter der ihr schlohweißes Haar zum Vorschein kam. Ich hatte ihren Lebenslauf gegoogelt und wusste, dass sie zweiundsechzig war, allerdings wirkte sie auf den ersten Blick viel jünger. Das musste an dem lebendigen Ausdruck in ihren Augen und dem strahlenden Lächeln liegen, mit dem sie uns begrüßte.

  Sie reichte zuerst Robyn und Pat die Hand, dann wandte sie sich an mich.

  »Das ist unsere studentische Aushilfe Sawyer. Sie wird dein Werk heute für uns fotografieren«, erklärte Pat.

  »Hallo«, sagte ich nervös.

  »Freut mich, Sawyer. Ich bin Angel.« Ihre Hand zu schütteln, stellte sich als schwieriger als gedacht heraus, weil ihre Handschuhe klobiger waren als meine. Sie erinnerten mich außerdem daran, dass ich meine ganz würde ausziehen müssen, sobald ich mit Fotografieren loslegte.

  »Großartige Arbeit«, sagte ich und zeigte auf die Skulpturen.

  Angels Lächeln wurde breiter. »Vielen Dank.«

  Ich legte den Kopf in den Nacken und sah mich noch mal um. Bald würde die Sonne weiterziehen, und das wäre für die Bilder, die ich mir gerade vorstellte, ein echter Verlust.

  »Das Licht ist gerade so perfekt, dass ich eigentlich jetzt schon anfangen würde, wenn das in Ordnung geht.«

  »Natürlich«, sagte Angel.

  »Sawyer spielt sehr gut mit Licht«, sagte Robyn, und bei ihrem stolzen Tonfall breitete sich Wärme in meiner Brust aus.

  »Ich bin gespannt. Es freut mich total, dass ihr etwas von mir in Woodshill ausstellen wollt. Mein Mann und ich haben eine Zeitlang hier gewohnt, bevor es uns zurück nach Portland verschlagen hat.«

  »Oh, wirklich?«, fragte Pat, und Angel fing an, von ihrer Zeit in Woodshill zu erzählen. Ich bekam die Geschichte nur am Rande mit, weil Robyn und ich währenddessen um die Skulpturen herumgingen. Sie zeigte mir, welchen Winkel sie sich in etwa vorgestellt hatte, und ließ mich daraufhin erst mal ein paar Probeschüsse machen. Nach einer Weile sah sie sich die Bilder an, und genau wie im Unterricht gab sie mir Feedback und sagte mir, was ich verbessern konnte. Es war spannend, die Bilder mit ihr gemeinsam zu machen, und obwohl ich mich weiterhin auf mein Gefühl verließ, merkte ich, dass mich die Tipps, die sie mir immer wieder gab, weiterbrachten.

  Bei einer Skulptur legte ich mich auf den Bauch in den Schnee und ließ mir, erst als ich die richtige Position gefunden hatte, die Kamera von Robyn reichen. Von hier unten sahen die Einkerbungen und Musterungen noch mal ganz anders aus, und die Sonnenstrahlen ließen sie schimmern und glitzern, was dem Motiv eine wunderschöne Optik verlieh. Ich lag dort ungefähr eine Viertelstunde, bevor Robyn mir wieder aufhalf, und zitterte am ganzen Körper, als ich mir den Schnee von meinen Klamotten klopfte. Trotzdem spürte ich, als in der hinteren Tasche meiner Jeans mein Handy zu summen begann. Mit vor Kälte starren Fingern fummelte ich es hervor.

  Ein Blick auf das Display genügte, um meine tauben Gliedmaßen kribbeln zu lassen.

  Isaac.

  Ich hatte seit Wochen nicht mehr mit ihm gesprochen und war davon ausgegangen, dass er meine Nummer längst gelöscht hatte.

  Ich hatte keine Ahnung, warum er sich ausgerechnet jetzt bei mir meldete.

  Dennoch nahm ich den Anruf mit zitternden Fingern an und drückte den Hörer fest an mein Ohr, weil ich fürchtete, dass ich das Handy jeden Moment fallen lassen könnte, mitten in den Schnee.

  »Hallo?«

  Stille. Einen Moment lang, dann: »Hey, ich bin’s … ähm, Isaac.«

  »Ich weiß, ich habe deine Nummer noch gespeichert.«

  Der Preis für das dämlichste Telefongespräch der Menschheitsgeschichte ging dann wohl an uns.

  Isaac sagte nichts, aber plötzlich hörte ich, wie unregelmäßig sein Atem ging.

  »Was ist los?«, fragte ich alarmiert.

  Wieder antwortete er nicht, sondern holte nur schnappend Luft.

  »Was ist los?«, fragte ich erneut, diesmal sanfter.

  Es klang, als würde er mit aller Macht versuchen, nicht zu hyperventilieren.

  »Sprich mit mir«, wisperte ich und drehte mich von Robyn weg, die mich besorgt ansah. Als sein Atem immer schneller und hektischer wurde, bekam ich es mit der Angst zu tun. »Isaac?«

  »Meine Mom …«, brachte er hervor.

  Mein Herzschlag setzte aus.

  »Meine Mom hatte einen Autounfall.«

  »Wo bist du?«, fragte ich und überraschte mich selbst, weil meine Stimme so ruhig war.

  »Ich bin gerade auf dem Hof angekommen und sitze im Auto, weil ich … Ich kann nicht da reingehen und vor meinen Geschwistern den Helden spielen, wenn ich jeden Moment durchdrehe. Dad ist mit Mom im Krankenhaus, und ich muss mich um Ariel und Levi und Ivy kümmern und … Sawyer, ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll, ich schaffe das n–«

  »Isaac«, unterbrach ich ihn, noch immer ruhiger, als ich für möglich gehalten hätte. »Eins nach dem anderen. Erst mal musst du tief durchatmen.«

  Er stieß einen hilflosen Laut aus, der mir das Herz brach.

  »Mach es. Tief ein- und ausatmen.«

  »Ich schaffe das nicht ohne dich«, sagte er mit hektischer Stimme. »Ich brauche dich hier, Sawyer, ich …« Er schluckte hörbar. »Ich brauche dich.«

  Seine Worte lösten tief in mir eine Lawine an Gefühlen aus.

  Ich ging im Kopf kurz meine Möglichkeiten durch, aber eigentlich wusste ich genau, wo ich jetzt sein musste. Es gab keine Alternative. »Ich mache mich gleich auf den Weg.«

  Isaac atmete zittrig ein. »Sawyer«, sagte er leise. So leise, dass ich es kaum hörte.

  »Du schaffst das, Isaac.«

  »Ich …« Er räusperte sich. Dann sagte er nur: »Danke.«

  Wir legten auf, und ich brauchte einen Moment, bis ich mich wieder gesammelt hatte und mich zu Robyn umdrehen konnte.

  »Es tut mir so leid, Robyn. Ich … Ich muss schnell weg.«

  Sie sah mich besorgt an. »Ist alles in Ordnung?«

  Darauf konnte ich bloß hilflos mit den Schultern zucken.

  »Brauchst du einen Wagen?«, fragte sie weiter.

  Als ich sie nur verständnislos ansah, griff sie in ihre Jackentasche und fischte ihren Schlüssel heraus. »Hier«, sagte sie und drückte ihn mir in die Hand.

  Ich starrte erst sie und dann den Schlüssel an. »Bist du dir sicher?«<
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  »Ja.« Sie nickte. »Ich vertraue dir.«

  »Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll«, sagte ich, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte. »Es tut mir so leid, dass ich nicht mehr weitermachen kann. Wirklich, ich wünschte …«

  »Du hast tolle Bilder gemacht, Sawyer«, unterbrach sie mich. »Und du hast offensichtlich einen Notfall. Jetzt hau ab, und fahr bitte vorsichtig.«

  Ich machte kehrt und kämpfte mich, so schnell es ging, durch den Schnee in Richtung Parkplatz.

  Der Schnee auf den Straßen hatte sich größtenteils in braunen Matsch verwandelt, und während die Leute auf den Gehwegen unentwegt ausrutschten, hatte ich auf meiner Fahrt keine Probleme mit Glätte oder Eis. Nichtsdestotrotz umklammerte ich das Lenkrad so fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervortraten, während ich gleichzeitig versuchte, vor Sorge um Isaac nicht den Kopf zu verlieren.

  Er hatte sich am Telefon so traurig und verzweifelt angehört. Ich wusste nicht, wie schlimm es um seine Mom stand, und hatte Angst vor dem, was mich erwartete, wenn ich erst auf der Farm angekommen war.

  Als ich auf die Auffahrt einbog, sah ich Isaacs Auto sofort, und obwohl ich die Heizung so heiß wie möglich eingestellt hatte, wurde mir eiskalt, als ich ihn mit hängendem Kopf am Steuer sitzen sah.

  Ich parkte Robyns Wagen neben seinem und stieg aus, um zu ihm zu gehen. In diesem Moment war es egal, was in den vergangenen Wochen zwischen uns gewesen war, was wir uns alles gesagt, oder viel schlimmer noch, nicht gesagt hatten. In diesem Moment zählte nur noch, dass ich für ihn da sein wollte.

  Ich klopfte an die Fensterscheibe. Er zuckte zusammen und stieg sofort aus dem Wagen. Jede seiner Bewegungen wirkte, als stünde er unter Schock, und auch sein Blick war so durcheinander und ratlos, dass mir mein Herz wehtat.

  »Hey«, sagte ich sanft und versuchte mich an einem Lächeln. Er erwiderte es nicht, sondern schloss lediglich die Autotür hinter sich und drehte sich dann zu mir, scheinbar unschlüssig, was er nun machen sollte. Ich nahm ihm die Entscheidung ab und umarmte ihn. Ich hielt ihn so lange fest, bis er die Geste erwiderte und ein Teil der Anspannung seinen Körper verließ. Er erlaubte es, dass ich ihn stützte und für ihn da war, und es tat gut, ihm ohne viele Worte klarzumachen, dass ich nicht mehr weggehen würde. Denn er hatte mich angerufen. Niemand anderen, sondern mich. Und egal wie oft ich mir sagte, dass ich nicht gut genug für ihn war – das bedeutete doch etwas, oder nicht?

 

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