Book Read Free

Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

Page 32

by Kiefer, Lena


  »Nein, gar nicht«, murmelte sie schläfrig. Nachdem wir in der letzten Nacht nur zwei Stunden geschlafen hatten, waren wir nach dem Schwimmen nun mehr als erledigt. »Du willst noch nicht zurück zum Boot, oder? Es ist gerade so gemütlich hier.«

  »Keine Sorge.« Ich schob ihr zart die Haare zur Seite und streichelte ihre Wange. »Wenn es nach mir geht, müssen wir gar nicht mehr zurück zum Boot.«

  Kenzie raunte nur zustimmend und drängte sich noch näher an mich. Ich spürte ihren Herzschlag an meinen Rippen, er war ruhig und gleichmäßig, einen Ticken schneller als meiner. Und während ich ihm lauschte, meine Finger träge über ihre Haut gleiten ließ, wieder und wieder, im Takt der Wellen, die an den Strand rollten, drifteten wir beide langsam in den Schlaf.

  Als wir aufwachten, war es später Nachmittag und die Sonne hatte die Felsen umrundet, sodass unser Schlafplatz nun vollends im Schatten lag. Ich blinzelte dennoch, als ich die Augen öffnete, und lächelte, als ich Kenzie sah, die einen Arm über meinen Brustkorb gelegt hatte und friedlich schlief. Vorsichtig reckte ich den Hals und küsste sie auf die Stirn.

  »Was ist los?«, murmelte sie und schlug schließlich ihrerseits die Augen auf. »Hi, Mister Darcy.« Ihr Lächeln wurde breiter, als sie mich sah und ihr in den Sinn zu kommen schien, was in den letzten 24 Stunden passiert war. »Willst du zum Boot? Ich dachte, wir können hierbleiben.«

  Ich lachte leise. »Im Prinzip schon. Aber ich habe Hunger, also sollten wir langsam zur Jacht zurück. Als ich Orfeas heute Morgen nach ein paar Snacks gefragt habe, hat er uns so viel eingepackt, davon könnten wir wahrscheinlich drei Wochen überleben.«

  Kenzie richtete sich auf und sah zu unserem Transportmittel, das etwa zweihundert Meter entfernt im Wasser dümpelte. »Gibt es irgendetwas an Bord, mit dem man die Sachen hierher transportieren kann?«

  »Klar, das Schlauchboot für Notfälle. Warum fragst du? Bist du so eine Landratte, dass du nicht auf der Jacht essen willst?«

  Sie grinste. »Nein, das nicht. Aber ich glaube, ich will das Gefühl unserer einsamen Insel noch etwas länger genießen.«

  »Dein Wunsch ist mir Befehl, holde Maid.« Ich küsste sie flüchtig, dann stand ich auf. »Ich schwimme schnell rüber und hole die Sachen. Dann bringe ich auch Klamotten für dich mit.« Und ein Feuerzeug, denn hier lag ausreichend Holz herum, damit wir ein Lagerfeuer machen konnten, sobald es dunkel wurde. Das Schlauchboot war groß genug, um später trocken zurück auf die Jacht zu kommen.

  Kenzie war einverstanden, also kraulte ich zum Boot und zog mich um, bevor ich das Essen zusammen mit einigen Getränken in die Kühlbox packte, Pulli und Jeans für Kenzie mitnahm und das Schlauchboot losschnürte, das an der Steuerbordwand der Jacht verspannt war. Auch eine Decke, ein Feuerzeug, zwei Fackeln und unsere Handys legte ich hinein, bevor ich mich hineinsetzte und zurück zum Strand ruderte.

  »Danke«, sagte sie und nahm ihre Klamotten entgegen. »Es wird nämlich langsam echt kühl hier draußen.« Eilig schlüpfte sie in die mitgebrachten Sachen – was ein Teil von mir bedauerte, weil dieser schwarze Bikini wie alles an ihr verdammt heiß aussah. »Was?«, fragte sie grinsend, als würde sie meine Gedanken erraten.

  »Nichts«, antwortete ich unschuldig. »Ich habe nur gedacht, dass Bikinis eine schöne Erfindung sind. So generell.«

  »So generell, ja?« Sie legte die Arme um mich und ich fragte mich, wann ich kapieren würde, dass sie jetzt tatsächlich zu mir gehörte. Trotz Ada. Trotz der Lügen, die ich ihr erzählt hatte. Vielleicht stand es gar nicht so schlecht um meine Seele, wenn eine Frau wie Kenzie mit mir zusammen sein wollte.

  »Genau.« Ich strich ihr die Haare zurück, die sich durch das Salzwasser stärker wellten als sonst. Es stand ihr. »Hast du Hunger?«

  Sie berührte mit ihrer Nase meine. »Immer«, sagte sie leise. »Aber vielleicht sollten wir vorher etwas essen.« Das waren meine Worte aus den Highlands, und ich versteifte mich kurz, als ich es bemerkte. Kenzie kommentierte es nicht, sondern küsste mich, als wollte sie mir beweisen, dass alles in Ordnung war. Schließlich war es das auch. Meine Schuld war nicht weniger geworden, nur weil sie wusste, was ich zu Ada gesagt hatte, denn verzeihen musste ich mir das selbst. Aber es fühlte sich nicht mehr an, als würde mich die Vergangenheit unter Wasser ziehen.

  »Also, was hat uns Orfeas denn mitgegeben?«, fragte Kenzie, nachdem unser Kuss von einem lauten Magenknurren meinerseits unterbrochen worden war. »Er steht auf dich, bestimmt sind es nur die guten Sachen.«

  Ich lachte. »Und ich dachte, Finlay wäre eher sein Typ.«

  »Richtig, er ist ja auch der Hübscheste von euch.« Kenzie sah mich auf eine Weise an, die mir sagte, sie war nicht dieser Ansicht. Eigentlich war es mir völlig egal, was andere Leute von meinem Aussehen hielten – manchmal wünschte ich mir sogar, es würde sie weniger interessieren – aber bei Kenzie war es mir wichtig. Nicht, dass ich mir da Sorgen machen musste. Allein der Gedanke daran, wie sie mich angeschaut hatte, als sie letzte Nacht zu mir in die Dusche gekommen war, ließ mich an völlig andere Dinge denken als ans Essen.

  Dennoch löste ich mich von ihr und packte die Kühlbox aus, während Kenzie ihr Handy nahm und ihre Nachrichten checkte.

  »Ach du Scheiße«, entfuhr es ihr. Sofort war ich alarmiert. War etwas passiert? Es konnte doch nicht sein, dass jedes Mal eine Katastrophe stattfand, wenn wir einen Tag allein unterwegs waren.

  »Was ist los?« Ich richtete mich auf.

  Kenzie starrte auf ihr Handy, dann hielt sie es mir hin. »Die UAL hat mich zum Interview eingeladen. Gloria Fowler hat mir persönlich geschrieben, dass sie sich sehr freut, unsere spannende Diskussion beim offiziellen Gespräch für meine Bewerbung fortzusetzen!«

  Jubelnd fiel sie mir um den Hals, und ich drückte sie an mich, während ich versuchte, von ihrem Schwung nicht umgerissen zu werden.

  »Das ist großartig«, sagte ich leise in ihr Ohr, noch nicht bereit, sie wieder loszulassen. Ich hatte keine Sekunde daran gezweifelt, dass sie dieses Interview bekommen würde, genauso wenig wie den Studienplatz. Nicht, weil meine Mutter sie unterstützte, sondern weil sie verdammt talentiert war. Viel talentierter, als sie selbst ahnte. Kenzie arbeitete mit Kreativität und Herz, aber auch mit Sinn und Verstand. Und sie würde es weit bringen, wenn sie sich nicht von Konkurrenz und Leistungsdruck verrückt machen ließ.

  Wir setzten uns auf die Decke, packten die kalten Köstlichkeiten von Orfeas aus und stießen mit griechischem Bier darauf an, dass sich alles zum Guten zu wenden schien. Und auch wenn in meinem Hinterkopf diese leise, warnende Stimme war – ich war bereit, sie in diesem Moment zu ignorieren.

  Etwas später, nachdem wir gegessen hatten, lehnte sich Kenzie mit dem Rücken gegen meinen Oberkörper und wir sahen zu, wie die Sonne maximal kitschig im Meer versank.

  »Die letzten Monate waren echt schrecklich«, sagte sie leise. »Ich wusste einfach nicht, wie ich mich so irren konnte. Oder wieso du mir nicht aus dem Kopf gegangen bist, obwohl wir doch gar nicht viel Zeit zusammen gehabt hatten. Das mit uns hat sich so richtig angefühlt, dass meine komplette Welt in sich zusammengefallen ist.«

  »Ja, ich weiß, was du meinst«, antwortete ich. »Ich hatte mit dir das Gefühl von Hoffnung, das erste Mal seit Jahren. Und solche Angst, dass die Wahrheit das zerstören könnte – weil ich nicht daran glauben konnte, dass irgendjemand akzeptieren würde, was ich getan habe.«

  Kenzie holte tief Luft, ich spürte es an meiner Brust. »Verfolgt es dich ständig, was damals passiert ist?«

  Es fiel mir schwer, darüber zu reden, aber ich wusste, dass es sein musste. Nicht nur für sie. Auch für mich. »Ich denke nicht jede Sekunde daran, wenn du das meinst. Es ist wie ein alter Knochenbruch, den man nur dumpf spürt … aber manchmal sagt jemand etwas oder eine Situation erinnert mich an sie – und sofort ist es wieder da. Dieser Abend. Das Telefonat. Die Konsequenzen.«

  »Hat die Therapie dir nicht geholfen?« Sie fragte es sehr vorsichtig.

  »Vielleicht hätte sie das. Wenn ich weiterhin zu den Sitzungen gegangen wäre.« Ich wollte Kenzie loslassen, aber sie hielt meine Arme fest und hinderte mich sanft daran. »Nach zwei
oder drei Monaten kam es mir sinnlos vor, mit jemandem darüber zu reden, was ich bei Adas Tod empfunden habe. Ich war damals vor allem wütend – auf mich, auf sie, auf meine Familie, weil sie es vertuscht haben wie einen Mord. Ich wollte nicht reden. Ich wollte es einfach nur vergessen.«

  Kenzie nickte. »Das verstehe ich. War bei mir auch so.«

  »Mit deiner Mum?«

  »Ja. Mein Dad hat für sich und uns vier Mädels Termine bei einer Psychologin gemacht, und alle sind hingegangen, nur ich nicht. Ich dachte, das wäre nur etwas für schwache Leute. Ich war der festen Überzeugung, es allein hinzukriegen.« Sie schnaubte. »Und dann war da dieser Abend in Kilmore und eine Ausstellung der Bilder meiner Mutter – und ich hatte Glück, dass es diesen Kerl gab, der im richtigen Moment für mich da war.«

  »Du hattest trotzdem recht«, sagte ich leise. »Du hast es schließlich allein hingekriegt, als sie gestorben ist.«

  »Nein, nicht so richtig.« Kenzie seufzte. »Ich dachte zwar, dass es so wäre, weil ich nie morgens im Bett lag und nicht aufstehen wollte. Oder stundenlang weinen musste. Wer funktioniert, ist in Ordnung, oder nicht? Aber nachdem ich aus Kilmore zurück war, wusste ich, dass da einiges im Argen liegt. Also bin ich zu einer Psychologin gegangen.«

  Bei ihrem letzten Satz kroch mir ein eiskalter Hauch den Rücken hinauf. Meine Hände, die auf Kenzies lagen, verkrampften sich automatisch.

  Natürlich bemerkte sie es.

  »Nicht deinetwegen«, sagte sie schnell und drehte sich in meinen Armen, damit sie mich ansehen konnte. »Es war nicht deinetwegen, Lyall.« Sanft strich sie über meine Wange und ließ die Hand dann in meinen Nacken wandern. »Dabei ging es um den Tod meiner Mum und um mich. Nicht um uns.«

  »Dann denkst du, du wärst auch hingegangen, wenn das mit uns nicht so abrupt geendet hätte?« Ich ahnte, was die Antwort war.

  Kenzie schüttelte leicht den Kopf. »Nein, bestimmt nicht. Weil ich mit dir glücklich gewesen wäre und es erst mal keine Rolle gespielt hätte, ob ich Angst vor Nähe habe oder davor, noch einmal jemanden zu verlieren. Aber früher oder später wäre das alles hochgekommen, und vielleicht hätte ich dich zum Teufel gejagt so wie die anderen vorher. Völlig egal, wie gut es mit uns gelaufen wäre.« Sie atmete ein. »Ich sage nicht, dass ich uns diesen ganzen Mist nicht gerne erspart hätte. Das hätte ich liebend gern. Trotzdem stehen unsere Chancen jetzt besser, dass wir das Ganze nicht versauen.«

  Ich musste lachen, obwohl es eigentlich nicht angebracht war. »Unsere Chancen stehen jetzt besser ? Wow. Du bist echt die Königin der Romantiker, Miss Bennet.«

  Sie grinste und kuschelte sich wieder in meine Arme. »Ich weiß. Viel Spaß damit.«

  »Okay, was weiß ich noch alles nicht über dich? Nur dass ich vorbereitet bin.«

  »Gar nichts«, sagte sie im Brustton der Überzeugung. »Ich wäre ja schön blöd, wenn ich dir das jetzt schon verraten würde, bevor ich sicher sein kann, dass ich dich damit nicht in die Flucht schlage. Mit meiner Vorliebe für Trash-TV zum Beispiel. Meinen Gesangskünsten. Oder der Tatsache, dass ich alles Unangenehme gerne verdränge.«

  Ich lachte wieder und umarmte sie fester. »Okay, mit zwei aus drei kann ich leben, aber Trash-TV ertrage ich nicht.«

  Schockiert wandte sie sich zu mir um. »Was? Du guckst kein The Real Housewives of Cheshire ? The Bachelor ? Oder eine von den Sendungen, wo sie schreckliche Tattoos überstechen?«

  »Nein. Niemals. Kennst du dieses Gefühl, wenn du auf etwas Kaltes beißt und der Schmerz schießt dir direkt ins Gehirn? So ist das für mich. Mir tut alles weh, sobald ich so was anschauen muss.«

  Kenzie schob meine Arme beiseite. »Gut, das war’s«, verkündete sie in gespieltem Ernst. »Das mit uns wird nichts, tut mir leid. Können wir zum Boot zurück? Ich will nach Hause.«

  »Sicher, dass ich dich nicht doch überreden kann, zu bleiben?« Ich versuchte es mit einem möglichst treuherzigen Blick. Sie brach in Gelächter aus.

  »Was zur Hölle tust du da?«

  »Ich setze meinen Hundeblick ein.«

  »Okay, lass das in Zukunft besser sein, das sieht aus, als wärst du zu lange in der Sonne gewesen. Wenn du mich zu irgendwas überreden willst, solltest du dich ausziehen oder so.« Sie sah mich abwartend an.

  »Ich dachte, das machst du lieber selbst?«, konterte ich.

  »Stimmt. Aber nur, wenn du mir einen Abend die Gelegenheit gibst, dich von Trash-TV zu überzeugen.«

  Ergeben hob ich die Hände. »Ein Abend. Für dich. Ruf Finlay an, der weiß, dass das mehr bedeutet, als wenn ich dich aus einem brennenden Haus retten würde.«

  »In einem brennenden Haus, in dem ich mich tatsächlich befinde? Oder eher so wie letzte Nacht?«

  Wir kabbelten uns ein bisschen, und ich liebte es, weil es genau das war, was Paare taten: sich gegenseitig mit Macken, Gemeinsamkeiten und Unterschieden aufziehen. Denn das waren wir: ein Paar. Und die Erkenntnis spülte jedes Mal eine ganze Welle an wohliger Wärme in meinen Magen, wenn ich daran dachte.

  »Ich habe dich nie gefragt, was dein Tattoo bedeutet«, bemerkte ich etwas später, weil Kenzie die Ärmel ihres Pullovers hochgeschoben hatte und das Abendlicht auf ihre bemalte Haut fiel. »Verrätst du es mir?«

  Kenzie hob den Arm. »Das ist kein Geheimnis: Es ist mein Leben. Die Symbole stehen für wichtige Menschen oder Ereignisse.« Sie zeigte auf einen schwarz ausgefüllten Vogel. »Der steht für meine Mum. Der kleine Fuchs ist für Eleni, der Schirm für Juliet, der Camper für meinen Dad, die Sprechblase für Willa. Sie meinte, sie will eine, damit sie mir immer wieder etwas Neues mit Kuli reinschreiben kann. Das doppelte Hexagon hier ist für den Moment, als ich gemerkt habe, dass ich Innendesignerin werden will, das da habe ich mir nach dem Umbau von Loki stechen lassen … und die Linien verbinden alles. Weil im Leben alles miteinander verbunden ist.« Sie lachte. »Ich war sechzehn, als ich damit angefangen hatte. Da findet man so etwas tiefsinnig.«

  Ich machte mich nicht darüber lustig, denn ich fand es immer noch tiefsinnig. Sacht fuhr ich über die Linien. »Was würde ich bekommen, wenn du mich irgendwann hier verewigen solltest?«, fragte ich.

  »Ein kleines Päckchen«, antwortete sie so prompt, dass ich wusste, sie hatte sich längst Gedanken darüber gemacht. »Und der Deckel wäre geöffnet, sodass man sieht, dass eben kein Haufen Schutt darin ist.«

  Ich war verlegen angesichts dieser Beschreibung und drückte ihr statt einer Antwort einen Kuss auf ihre Haare.

  »Was ist mit dir?«, fragte Kenzie.

  »Ich habe keine Tattoos«, verstand ich sie absichtlich falsch und lächelte, bevor ich antwortete. »Mein dunkelstes Geheimnis kennst du längst. Alles andere sind nur Macken. Dass ich gerne nachts jogge. Dass ich grauenhaft darin bin, nach der Pfeife anderer Leute zu tanzen. Oder dass ich seit Jahren beschissen schlafe – außer wenn du neben mir liegst.«

  »Echt?«

  »Echt.«

  »Dann ist es ja gut, dass ich in Zukunft so oft wie möglich neben dir liegen werde.«

  »Allerdings.«

  Wir schwiegen, und es war die Sorte von Schweigen, bei der sich niemand unwohl fühlte. Im Gegenteil, es war, als würde das zwischen uns wachsen, gerade weil wir nicht redeten. Erst als die Sonne vollends verschwunden war, sagte Kenzie wieder was.

  »Wie machen wir das eigentlich?«

  »Du meinst, wegen Chicago und High Wycombe?« Ich streichelte über ihre Arme. »Ich bin in drei Monaten mit dem Studium fertig – sofern ich diese Klausur bestehe, für die ich bisher viel zu wenig gelernt habe – also kann ich danach bei dir rumhängen und dir auf den Wecker gehen. Falls du das willst, natürlich.«

  »Auf jeden Fall.« Sie lachte leise, es verebbte jedoch schnell. »Aber danach wirst du für die Henderson Group arbeiten, richtig? Und immer dort sein, wo ihr gerade ein Projekt umsetzt.«

  Ich antwortete nicht direkt, sondern vergrub meine Nase in ihren Haaren, um ihren Duft einzuatmen, während mir bewusst wurde, dass ich niemals für längere Zeit von ihr getrennt sein wollte. In den letzten Jahren hatte sich eine solche Frage nicht für mich gestellt – außer sehr kurz im vergangenen Sommer, als keiner von uns die
Gelegenheit bekommen hatte, tatsächlich darüber nachzudenken. Ich hatte nur das Ziel im Blick gehabt, die Familie auf einen neuen Kurs zu bringen, weil ich geglaubt hatte, eine Beziehung wäre für mich sowieso nicht drin.

  »Wir kriegen das hin«, sagte ich schließlich und zog sie wieder enger an mich. »Ich wette ohnehin, dass meine Mum dich engagieren wird, sobald du die UAL nach dem Master verlässt. Dann sind wir eh am selben Ort. Und bis dahin … überlegen wir uns was. Videoanrufe zum Beispiel. Das hat doch beim letzten Mal auch super geklappt.«

  Kenzie lachte auf, weil sie genau wie ich daran dachte, was in Andalusien passiert war.

  »Ich habe mich dafür angemessen gerächt, denke ich.«

  »Also, wenn du das Rache nennst …« Ich schob ihre Haare im Nacken beiseite, drückte einen Kuss auf die weiche Haut dort – und spürte zufrieden, wie ein angenehmes Schaudern Kenzie durchlief. »Dann räch dich bitte öfter, okay?«

  »Versprochen«, flüsterte sie, drehte den Kopf zu mir nach hinten und berührte meine Lippen mit ihren, erst ganz sachte, dann mit mehr Nachdruck – und nur zwei Sekunden später hatte ich längst vergessen, worüber wir geredet hatten, denn da war Kenzies Mund und ihre Zunge, die meine auf diese verlockende Art anstieß. Wir sanken in den Sand, ich beugte mich über sie, und als sie ihre Hände unter dem Shirt über meinen Oberkörper gleiten ließ und ein Bein um meine Hüften schlang, wurde mir klar, dass keiner von uns mehr Lust hatte, zu reden.

  »Wir sollten dringend zum Boot«, flüsterte ich.

  »Oh ja«, gab sie atemlos zurück. »Auf jeden Fall.«

  40

  Kenzie

  Gold, grau oder blau?

  Um diese elementare Frage kreiste ich seit einer halben Stunde. Denn genauso lange schon stellte ich wieder und wieder eine andere Vase auf das Lowboard neben dem Durchgang zum Wohnbereich, lief ein Stück zurück und betrachtete das Bild aus der Entfernung. Es half nichts – ich konnte mich einfach nicht entscheiden, welche am besten zum Gesamtkonzept der Villa passte. Aber da morgen endlich der wegen des Brandes verschobene Fototermin stattfinden würde, um Aufnahmen für Magazine und die Website zu machen, musste ich eine Entscheidung treffen.

 

‹ Prev