Gold - Pirate Latitudes

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Gold - Pirate Latitudes Page 10

by Michael Crichton


  Hunter sagte nichts.

  »Vielleicht denkt Ihr jetzt«, fuhr Cazalla fort, »zweihundert Dublonen sind eine zu bescheidene Summe. Wie Ihr Euch gewiss vorstellen könnt, bin ich just in diesem Augenblick ganz Eurer Meinung. Aber immerhin genießt Ihr die Ehre zu wissen, dass Ihr der am höchsten geschätzte Pirat in diesen Gewässern seid. Erfreut Euch das?«

  »Ich fasse es so auf«, sagte Hunter, »wie es gemeint war.«

  Cazalla schmunzelte. »Wie ich sehe, seid Ihr ein geborener Gentleman«, sagte er. »Und ich darf Euch versichern, dass Ihr mit der gebührenden Würde eines Gentleman gehängt werdet. Darauf gebe ich Euch mein Wort.«

  Hunter verneigte sich leicht in seinem Sessel. Er sah, wie Cazalla über den Schreibtisch hinweg nach einer kleinen Glasschüssel mit Deckel griff. In der Schüssel lagen breite grüne Blätter. Cazalla nahm eines der Blätter heraus und kaute nachdenklich darauf.

  »Ihr scheint verwirrt, Engländer. Ist Euch diese Gepflogenheit fremd? Die Indianer in Neuspanien nannten dieses Blatt Koka. Es wächst dort im Hochland. Es verleiht dem, der es kaut, Tatkraft und Stärke. Bei Frauen schürt es das Feuer«, fügte er leise lachend hinzu. »Möchtet Ihr es einmal probieren? Nein? Es widerstrebt Euch, meine Gastlichkeit anzunehmen, Engländer.«

  Er kaute einen Augenblick schweigend, während er Hunter anblickte. Schließlich sagte er: »Sind wir uns nicht schon einmal begegnet?«

  »Nein.«

  »Euer Gesicht kommt mir seltsam bekannt vor. Vielleicht früher, als Ihr jünger wart?«

  Hunter spürte sein Herz pochen. »Ich glaube nicht.«

  »Ihr habt gewiss recht«, sagte Cazalla. Er warf einen nachdenklichen Blick auf das Gemälde an der Wand. »Für mich sehen alle Engländer gleich aus. Ich kann sie einfach nicht unterscheiden.« Er sah wieder Hunter an. »Und dennoch habt Ihr mich erkannt. Wie ist das möglich?«

  »Euer Gesicht und Eure Gestalt sind in den englischen Kolonien wohlbekannt.«

  Cazalla kaute ein Stück Limone mit seinen Blättern. Er lächelte, lachte dann leise. »Ohne Zweifel«, sagte er. »Ohne Zweifel.«

  Plötzlich fuhr er in seinem Sessel herum und schlug klatschend mit der Hand auf den Tisch. »Genug: Wir haben über Wichtigeres zu sprechen. Wie lautet der Name Eures Schiffes?«

  »Cassandra«, erwiderte Hunter.

  »Und wer ist der Eigner?«

  »Ich selbst bin Eigner und Kapitän.«

  »Und wo seid Ihr in See gestochen?«

  »Port Royal.«

  »Und was ist der Grund Eurer Reise?«

  Hunter zögerte. Wenn ihm ein glaubhafter Grund eingefallen wäre, hätte er ihn unverzüglich genannt. Aber es war nicht leicht zu erklären, was sein Schiff in diese Gewässer geführt hatte. Schließlich sagte er: »Uns wurde mitgeteilt, ein Sklavenschiff aus Guinea wäre in diesen Breiten zu finden.«

  Cazalla machte ein schnalzendes Geräusch und schüttelte den Kopf. »Engländer, Engländer.«

  Hunter tat so gut er konnte, als würde es ihn große Überwindung kosten, und sagte dann: »Wir waren auf dem Weg nach Augustine.« Das war die größte Siedlung in der spanischen Kolonie Florida. Sie hatte keine besonderen Reichtümer zu bieten, aber es war immerhin denkbar, dass englische Freibeuter es angreifen wollten.

  »Ihr habt einen merkwürdigen Kurs gewählt. Und einen langsamen.« Cazalla trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Wieso seid Ihr nicht nach Westen um Kuba herum gesegelt, in die Bahamas-Passage?«

  Hunter zuckte die Achseln. »Wir hatten Grund zu befürchten, dass wir in der Passage auf spanische Kriegsschiffe treffen würden.«

  »Und hier nicht?«

  »Die Gefahr war hier geringer.«

  Cazalla dachte eine Weile darüber nach. Er kaute geräuschvoll und nippte an seinem Wein. »In Augustine gibt es bloß Sümpfe und Schlangen«, sagte er. »Und Ihr hattet keinen Grund, die Windward-Passage zu riskieren. Und hier in der Nähe …« Er zuckte die Achseln. »Keine Siedlung, die nicht stark verteidigt wird, zu stark für Euer kleines Schiff und Eure mickrige Besatzung.« Er runzelte die Stirn. »Engländer, warum seid Ihr hier?«

  »Ich habe die Wahrheit gesagt«, erwiderte Hunter. »Wir waren auf dem Weg nach Augustine.«

  »Diese Wahrheit überzeugt mich nicht«, sagte Cazalla.

  Im selben Moment klopfte es an der Tür, und ein Seemann reckte den Kopf in die Kajüte. Er sagte rasch etwas auf Spanisch. Hunter sprach kein Spanisch, aber er hatte Französischkenntnisse, mit deren Hilfe er erschließen konnte, was der Seemann zu Cazalla sagte: Die Prisenbesatzung hatte die Schaluppe klar zum Segeln gemacht. Cazalla nickte und stand auf.

  »Wir segeln jetzt weiter«, sagte er. »Ihr kommt mit mir an Deck. Vielleicht sind andere in Eurer Besatzung ja redseliger als Ihr.«

  KAPITEL 16

  Die Freibeuter waren in zwei ungeordneten Reihen aufgestellt worden, die Hände noch immer gefesselt. Cazalla schritt vor den Männern auf und ab. Er hielt ein Messer in einer Hand und schlug mit der flachen Klinge auf die Innenseite der anderen Hand. Einen Moment lang war es mucksmäuschenstill bis auf das rhythmische Klatschen von Stahl auf Haut.

  Hunter wandte den Blick ab, betrachtete die Takelage des Kriegsschiffes. Es fuhr auf einem östlichen Kurs – wahrscheinlich um im Schutz von Hawk’s Nest, südlich der Turksinseln, vor Anker zu gehen. Im Dämmerlicht konnte er die Cassandra sehen, die dem größeren Schiff in kurzem Abstand folgte.

  Cazalla riss ihn aus seinen Gedanken.

  »Euer Captain«, sagte er laut, »will mir euer Ziel nicht verraten. Er behauptet, es ist Augustine«, sagte er mit vor Sarkasmus triefender Stimme. »Augustine! Ein Kind könnte überzeugender lügen. Aber ich sage euch: Ich werde erfahren, wohin ihr wolltet. Wer von euch tritt vor und sagt es mir?«

  Cazalla blickte an den beiden Reihen mit Gefangenen entlang. Die Männer starrten ausdruckslos zurück.

  »Muss ich euch ermuntern? Hä?« Cazalla trat dicht vor einen Seemann. »Du. Sagst du es mir?«

  Der Seemann rührte sich nicht, sprach nicht, blinzelte nicht einmal. Einen Augenblick später ging Cazalla weiter.

  »Euer Schweigen wird euch nichts nützen«, sagte er. »Ihr seid alle Ketzer und Banditen, und ihr werdet beizeiten am Strick baumeln. Bis dieser Tag kommt, kann ein Mann entweder angenehm leben oder nicht. Derjenige unter euch, der den Mund aufmacht, wird behaglich leben bis zu dem festgesetzten Tag, und darauf gebe ich ihm mein feierliches Wort.«

  Noch immer rührte sich niemand. Cazalla blieb stehen. »Ihr seid Dummköpfe. Ihr unterschätzt meine Entschlossenheit.«

  Er blieb vor Trencher stehen, eindeutig der Jüngste der Freibeuter. Trencher zitterte, bewahrte aber Haltung.

  »Du, Bursche«, sagte Cazalla mit sanfterer Stimme. »Du gehörst nicht in diese derbe Gesellschaft. Sprich und verrate mir das Ziel eurer Reise.«

  Trencher öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder. Seine Lippen bebten.

  »Sprich«, sagte Cazalla leise. »Sprich, sprich …«

  Doch der Augenblick verging. Trenchers Mund war fest zusammengepresst.

  Cazalla betrachtete ihn einen Augenblick lang, und dann schnitt er ihm mit einer einzigen, raschen Bewegung die Kehle durch. Das Messer in seiner Hand fuhr so schnell hoch, dass Hunter es kaum mitbekam. Ein breiter Schwall Blut ergoss sich leuchtend rot über das Hemd des Jungen. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, und er schüttelte langsam den Kopf, fast ungläubig. Trencher sank auf die Knie und verharrte einen Augenblick so, während er mit gesenktem Kopf zusah, wie sein eigenes Blut auf die Holzplanken spritzte und auf die Spitzen von Cazallas Stiefeln. Der Spanier trat fluchend einen Schritt zurück.

  Trencher blieb eine Ewigkeit so knien, wie es schien. Dann hob er den Kopf und sah Hunter quälend lange in die Augen. Sein Blick war flehend und verwirrt und ängstlich. Und dann rollten seine Augen nach oben, und sein Körper schlug flach aufs Deck, wo ihn ein heftiges Beben durchlief.

  Alle Seeleute sahen zu, wie Trencher starb, und dennoch rührte sich keiner. Sein Körper zuckte, seine Schuhe schabten über die Planken. Eine große Blutlache sammelte sich um sein Gesicht. Und schließlich blieb
er reglos liegen.

  Cazalla hatte den Todeskampf fasziniert beobachtet. Jetzt trat er vor, stellte einen Fuß auf den Hals des toten Jungen und trat einmal fest zu. Ein Knirschen von brechenden Knochen ertönte.

  Er blickte die aufgereihten Seeleute an. »Ich werde die Wahrheit erfahren«, sagte er. »Ich schwöre, ich werde sie erfahren.« Er drehte sich blitzschnell zu seinem ersten Offizier um. »Schafft sie nach unten und sperrt sie ein«, sagte er. Er deutete mit einem Nicken auf Hunter. »Den da auch.«

  Mit diesen Worten schritt er davon zum Heckkastell. Hunter wurde gefesselt und mit den anderen nach unten gebracht.

  Das spanische Kriegsschiff hatte fünf Decks. Die oberen zwei waren Kanonendecks, wo auch ein Teil der Besatzung in Hängematten zwischen den Kanonen schlief. Als Nächstes kamen die Quartiere für die Soldaten. Das vierte Decke diente als Lagerraum für Munition, Nahrungsmittel, Flaschenzüge, Taue, Vorräte und lebendes Vieh. Das fünfte und unterste Deck verdiente kaum die Bezeichnung Deck: Der Abstand vom Boden bis zu den dicken Deckenbalken betrug höchstens vier Fuß, und weil dieses Deck unter der Wasserlinie lag, konnte es auch nicht belüftet werden. Die stickige Luft stank nach Kot und Bilgewasser.

  Dorthin wurde die Besatzung der Cassandra gebracht. Die Männer mussten sich mit ein wenig Abstand zueinander auf den rauen Boden setzen. Zwanzig Soldaten bezogen in den Ecken des Raumes Wache, und von Zeit zu Zeit ging einer mit einer Laterne herum und überprüfte die Fesseln von jedem einzelnen Mann.

  Reden war ebenso wenig erlaubt wie schlafen, und wer dagegen verstieß, handelte sich einen bösen Tritt mit einem Soldatenstiefel ein. Die Männer durften sich nicht bewegen, und wer sich erleichtern musste, tat das, wo er saß. Bei sechzig Gefangenen und zwanzig Wachen wurde es in dem niedrigen, ungelüfteten Raum bald erstickend heiß, und es stank fürchterlich. Sogar die Wachen waren in Schweiß gebadet.

  Irgendwann ging das Zeitgefühl verloren. Die einzigen Geräusche waren die schweren, rumpelnden Bewegungen des Viehs auf dem Deck über ihnen und das unaufhörliche, eintönige Zischen des durchs Wasser pflügenden Kriegsschiffs. Hunter saß in der Ecke, lauschte dem Geräusch des Wassers, wartete darauf, dass es aufhörte. Er versuchte, die nackte Hoffnungslosigkeit seiner Lage auszublenden – er und seine Leute waren tief im Bauch eines gewaltigen Kriegsschiffs vergraben, umringt von Hunderten feindlichen Soldaten, denen sie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren. Falls Cazalla nicht irgendwo die Nacht über vor Anker ging, waren sie alle verloren. Hunters einzige Chance hing davon ab, dass das Kriegsschiff über Nacht haltmachte.

  Die Zeit verging: Er wartete.

  Endlich bemerkte er eine Veränderung im Rauschen des Wassers, und auch das Knarzen der Takelage klang anders. Er setzte sich auf, lauschte angestrengt. Kein Zweifel – das Schiff wurde langsamer.

  Die Soldaten, die zusammenhockten und sich leise unterhielten, wechselten ein paar Worte darüber. Einen Augenblick später erstarb das Geräusch des Wassers gänzlich, und Hunter hörte das Rasseln der Ankerkette. Der Anker platschte laut. Irgendwo im Hinterkopf merkte Hunter sich, dass er in der Nähe des Bugs sein musste. Ansonsten wäre das Geräusch nicht so deutlich gewesen.

  Noch mehr Zeit verging. Das Schiff schaukelte sachte auf den Wellen. Sie mussten in einer geschützten Bucht vor Anker gegangen sein, denn das Wasser war merklich ruhig. Das Schiff hatte großen Tiefgang, und Cazalla würde damit nachts nicht in einen Hafen fahren, den er nicht gut kannte.

  Er fragte sich, wo sie waren, und hoffte auf eine Bucht nicht weit von den Turksinseln. Dort fanden sich leewärts etliche Buchten, die für ein Schiff dieser Größe tief genug waren.

  Das Schaukeln des Kriegsschiffs vor Anker war beruhigend. Mehr als einmal spürte er, wie er eindöste. Die Soldaten beschäftigten sich damit, den Seeleuten Tritte zu versetzen, um sie wach zu halten. Im dumpfen Halbdunkel des Unterdecks ertönte immer wieder das Knurren und Ächzen von Seeleuten, wenn sie getreten wurden.

  Hunter fragte sich, wie es um seinen Plan stand. Was ging da oben vor?

  Nachdem wieder lange Zeit vergangen war, kam ein spanischer Soldat nach unten und bellte: »Alle Mann aufstehen! Befehl von Cazalla! Alle aufstehen!« Angetrieben von den Stiefeln der Soldaten, kamen die Seeleute nacheinander auf die Beine und standen geduckt in dem niedrigen Deck. Es war eine schmerzhafte, qualvoll unbequeme Haltung.

  Wieder verging Zeit. Die Wachen wurden ausgewechselt. Die neuen Soldaten hielten sich die Nase zu, als sie hereinkamen, und witzelten über den Gestank. Hunter blickte sie verwundert an. Er nahm schon längst keinen Geruch mehr wahr.

  Die neuen Wachen waren jünger und nahmen es mit ihren Pflichten nicht ganz so genau. Offenbar waren die Spanier überzeugt, dass von den Piraten keine Gefahr mehr ausging. Kaum hatten sie sich hingehockt, holten sie ein Kartenspiel hervor. Hunter blickte weg und sah zu, wie sein Schweiß auf den Boden tropfte. Er dachte an den armen Trencher, spürte aber weder Zorn noch Entrüstung, ja nicht einmal Angst. Er war gefühllos.

  Ein neuer Soldat kam herein. Er war eine Art Offizier und anscheinend missfiel ihm die nachlässige Haltung der jungen Männer. Er bellte scharfe Befehle, und die Männer legten hastig die Karten beiseite.

  Der neue Offizier ging durch den Raum und studierte die Gesichter der Freibeuter. Schließlich suchte er einen aus der Gruppe aus und führte ihn weg. Der Mann brach nach wenigen Schritten auf wackeligen Beinen zusammen, worauf die Soldaten ihn packten und aus dem Raum schleiften.

  Die Tür schloss sich. Die Wachen legten für kurze Zeit geflissentliche Aufmerksamkeit an den Tag und entspannten sich dann wieder. Aber sie spielten nicht weiter Karten. Nach einer Weile kamen zwei von ihnen auf die Idee, um die Wette zu urinieren, um zu sehen, wer es am weitesten schaffte. Ziel war ein Seemann in der Ecke. Das Spiel kam bei den Wachen gut an, denn sie lachten und setzten zum Spaß gewaltige Summen Geldes auf den Sieger.

  Hunter nahm das Geschehen nur undeutlich wahr. Er war hundemüde; seine Beine schmerzten von der Anstrengung, und der Rücken tat ihm weh. Er fragte sich allmählich, warum er sich geweigert hatte, Cazalla das Ziel der Reise zu verraten. Sein Verhalten kam ihm auf einmal sinnlos vor.

  In diesem Augenblick wurde Hunter aus seinen Gedanken gerissen, als ein anderer Offizier erschien, der »Captain Hunter!« brüllte. Sogleich wurde Hunter aus dem Raum geführt.

  Während er durch die Decks mit schlafenden Seeleuten, die in ihren Hängematten schaukelten, gestoßen und geschubst wurde, hörte er von irgendwo im Schiff deutlich ein merkwürdiges und klagendes Geräusch.

  Es war das Weinen einer Frau.

  KAPITEL 17

  Hunter kam nicht dazu, länger über die Bedeutung des seltsamen Geräusches nachzudenken, denn er wurde hastig aufs Hauptdeck gestoßen. Dort, unter den Sternen und den gerefften Segeln, sah er, dass der Mond niedrig stand – bis Tagesanbruch konnten es also nur noch wenige Stunden sein.

  Jähe Verzweiflung erfasste ihn.

  »Engländer: Kommt her!«

  Hunter wandte den Kopf und sah Cazalla nicht weit vom Hauptmast stehen, mitten in einem Ring aus Fackeln. Zu seinen Füßen lag der Seemann, der kurz zuvor aus dem Raum geholt worden war, mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf dem Rücken, fest ans Deck gebunden. Eine Reihe von spanischen Soldaten stand herum und grinste breit.

  Cazalla selbst wirkte äußerst aufgeregt; er atmete schnell und flach. Hunter bemerkte, dass er wieder ein Kokablatt kaute.

  »Engländer, Engländer«, sagte er hastig. »Ihr kommt gerade rechtzeitig, um Zeuge unseres kleinen Spaßes zu werden. Wisst Ihr, dass wir Euer Schiff durchsucht haben? Nein? Na, das haben wir, und wir haben viele interessante Dinge gefunden.«

  Oh Gott, dachte Hunter. Nein …

  »Ihr habt sehr viel Seil, Engländer, und Ihr habt eigentümliche Eisenhaken, die sich zusammenklappen lassen, und Ihr habt auch seltsame Dinge aus Leinen, wofür wir ebenfalls keine Erklärung haben. Aber was wir uns vor allem nicht erklären können, Engländer, ist das hier.«

  Hunters Herz klopfte wie wild: Wenn sie die grenadoes gefunden hatten, dann war alles aus.

  Aber Cazalla hielt einen Käfig m
it vier Ratten hoch. Die Ratten huschten hin und her und fiepsten nervös.

  »Könnt Ihr Euch vorstellen, wie erstaunt wir darüber waren, dass Ihr Ratten mit an Bord genommen habt? Wir haben uns gefragt, warum macht er das? Warum nimmt der Engländer Ratten mit nach Augustine? Augustine hat eigene Ratten, Floridaratten, sehr gute. Nicht wahr? Also frage ich mich, wie das zu erklären ist?«

  Hunter sah, wie ein Soldat irgendetwas mit dem Gesicht des auf den Planken liegenden Seemanns machte. Zuerst konnte er nicht erkennen, was da genau geschah. Der Soldat rieb und strich an dem Gesicht des Mannes herum. Dann begriff Hunter: Dem Seemann wurde Käse aufs Gesicht geschmiert.

  »Und dann«, sagte Cazalla und schwenkte den Käfig in der Luft, »muss ich feststellen, dass Ihr nicht gut zu Euren Freunden, den Ratten, seid. Sie haben Hunger. Deshalb sind sie so aufgeregt. Ich denke, wir sollten sie füttern, ja?«

  Cazalla stellte den Käfig dicht neben das Gesicht des Seemanns. Die Ratten warfen sich gegen die Stäbe, versuchten, an den Käse zu gelangen.

  »Seht Ihr, was ich meine, Engländer? Eure Ratten haben großen Hunger. Findet Ihr nicht auch, wir sollten sie füttern?«

  Hunter starrte auf die Ratten und auf die panischen Augen des reglosen Seemanns.

  »Ich frage mich, ob Euer Freund hier reden wird«, sagte Cazalla.

  Der Seemann konnte die Augen nicht von den Ratten losreißen.

  »Oder wollt Ihr vielleicht für ihn reden, Engländer?«

  »Nein«, sagte Hunter müde.

  Cazalla beugte sich über den Seemann und tippte ihm auf die Brust. »Und du, willst du reden?« Mit der anderen Hand berührte Cazalla den Riegel der Käfigtür.

  Der Seemann starrte gebannt auf den Riegel, sah, wie Cazalla ihn ganz langsam zurückzog. Schließlich hielt er die Tür nur noch mit einem Finger zu.

  »Eure letzte Chance, mein Freund …«

 

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