»Non!«, kreischte der Seemann. »Je parle! Je parle!«
»Gut«, sagte Cazalla und wechselte mühelos ins Französische.
»Matanceros«, sagte der Seemann.
Cazalla wurde bleich vor Wut. »Matanceros! Du Idiot, erwartest du, dass ich das glaube? Ein Angriff auf Matanceros!« Und prompt ließ er die Käfigtür los.
Der Seemann kreischte erbärmlich, als die Ratten ihm ins Gesicht sprangen. Er schüttelte heftig den Kopf, doch die vier pelzigen Körper klammerten sich fest an Wangen und Kopfhaut und Kinn. Die Ratten fauchten und fiepten. Eine wurde weggeschleudert, huschte aber unverzüglich wieder zurück über die keuchende Brust des Mannes und biss ihm in den Hals. Der Seemann brüllte vor Entsetzen, ein eintöniger, sich wiederholender Laut. Schließlich fiel der Mann in Ohnmacht und lag reglos da, während die Ratten fauchend weiter an seinem Gesicht nagten.
Cazalla richtete sich auf. »Wieso haltet Ihr mich alle für so dumm?«, sagte er. »Engländer, ich schwöre Euch. Ich werde das wahre Ziel Eurer Reise erfahren.«
Er wandte sich an die Wachen. »Bringt ihn runter.«
Hunter wurde von Deck geschafft. Als sie ihn die schmale Treppe hinunterstießen, konnte er einen kurzen Blick auf die Cassandra werfen, die einige Yards von dem Kriegsschiff entfernt vor Anker lag.
KAPITEL 18
Die Schaluppe Cassandra war ein überwiegend offenes Schiff, mit einem einzigen Hauptdeck, das den Elementen schutzlos ausgesetzt war, und kleinen Stauräumen an den Längsseiten. Diese waren von den Soldaten und der Prisenbesatzung am Nachmittag durchsucht worden, als sie das Schiff übernahmen. Die Männer hatten sämtliche Vorräte und die besondere Ausrüstung gefunden, die Cazalla so verwirrt hatte.
Soldaten hatten das Schiff gründlich auf den Kopf gestellt. Sie hatten sogar in die vordere und hintere Luke gespäht, die in die Bilge führten. Im Schein ihrer Laternen sahen sie, dass das Bilgewasser dort fast bis unter die Deckplanken stand, und sie machten höhnische Bemerkungen über die Piraten, die zu faul waren, die Bilge zu leeren.
Nachdem die Cassandra in die geschützte Bucht eingelaufen war und im Schatten des Kriegsschiffes den Anker geworfen hatte, vergingen noch etliche Stunden, in denen die zehn Männer der Prisenbesatzung bei Fackellicht tranken und lachten. Schließlich, in den frühen Morgenstunden, waren sie auf Wolldecken liegend in der warmen Nachtluft an Deck in einen tiefen, rumseligen Schlaf gesunken. Sie hatten zwar Befehl, eine Wache aufzustellen, doch sie scherten sich nicht drum. Das in der Nähe liegende Kriegsschiff bot Schutz genug.
So kam es, dass keiner an Deck das leise Plätschern aus dem Bilgeraum vernahm, wo ein Mann mit einem Schilfrohr im Mund aus dem öligen, stinkenden Wasser auftauchte.
Sanson, der vor Kälte zitterte, hatte stundenlang mit dem Kopf neben dem Öltuchsack gelegen, der die kostbaren grenadoes enthielt. Weder er noch der Sack war entdeckt worden. Jetzt konnte er so gerade das Kinn aus dem Bilgewasser heben, ehe er sich den Kopf an den Deckplanken stieß. Um ihn herum war es stockdunkel, und er hatte nicht die geringste Orientierung. Mit Händen und Füßen drückte er den Rücken gegen den Rumpf und spürte dessen Krümmung. Er war auf der Backbordseite, so schloss er, und schob sich langsam und lautlos auf die Mitte zu. Von dort manövrierte er sich ganz vorsichtig zum Heck, bis er mit dem Kopf sacht gegen die rechteckige Vertiefung der Hecklukenklappe stieß. Als er hochblickte, sah er durch das Gitter der Klappe dünne Lichtstrahlen. Sterne am Himmel. Alles still, bis auf einen schnarchenden Seemann.
Er holte tief Luft und hob den Kopf. Die Klappe bewegte sich ein paar Zentimeter nach oben. Er konnte das Deck sehen. Und er blickte direkt in das Gesicht eines schlafenden Seemanns, höchstens einen Fuß entfernt. Der Mann schnarchte laut.
Sanson senkte die Lukenklappe wieder und machte sich auf den langen Weg zum anderen Ende des Bilgeraumes. Er brauchte fast eine Viertelstunde, um sich auf dem Rücken liegend mit den Händen die fünfzig Fuß bis zur vorderen Luke der Cassandra zu schieben. Dort hob er die Lukenklappe und spähte hinaus. Der nächste schlafende Seemann lag wenigstens zehn Fuß entfernt.
Ganz langsam und lautlos nahm Sanson die Lukenklappe heraus und legte sie aufs Deck. Er hievte sich aus dem Wasser und blieb kurz stehen, um die frische Nachtluft einzuatmen. Durchnässt wie er war, fror er in dem leichten Wind, doch er achtete nicht darauf. Sein ganzer Verstand richtete sich allein auf die an Deck schlafende Prisenbesatzung.
Sanson zählte zehn Männer. Das müssten alle sein, dachte er. Notfalls reichten drei Männer, um die Cassandra zu segeln, fünf kämen bequem mit ihr klar; zehn Männer wären mehr als genug.
Er sah sich genau an, wo und wie die Männer an Deck lagen, und überlegte, in welcher Reihenfolge er sie am besten töten sollte. Es war leicht, einen Mann leise zu töten, aber absolut lautlos zu töten, war nicht so einfach. Von den zehn Männern waren die ersten vier oder fünf entscheidend, denn wenn einer von ihnen einen Laut von sich gab, könnten alle anderen wach werden.
Sanson nahm die dünne Kordel ab, die ihm als Gürtel diente. Er wickelte sie um die Hände und zog sie zwischen den Fäusten straff. Zufrieden mit der Stärke der Schnur, griff er sich einen Belegnagel aus geschnitztem Hartholz und schritt zur Tat.
Der erste Soldat schnarchte nicht. Als Sanson den Mann in eine sitzende Haltung anhob, grummelte der nur kurz im Schlaf über die Störung, ehe Sanson ihm mit dem Belegnagel auf den Kopf schlug. Der Schlag war heftig, erzeugte aber nur ein dumpfes Geräusch, als er auf den Schädel traf. Sanson legte den Seemann vorsichtig wieder aufs Deck.
Im Dunkeln fuhr er mit den Händen über den Schädel. Er fühlte eine tiefe Mulde. Der Schlag hatte ihn vermutlich getötet, doch er wollte kein Risiko eingehen. Er schlang dem Mann die Kordel um den Hals und zog sie fest zu. Gleichzeitig legte er ihm die andere Hand flach auf die Brust, um den Herzschlag zu spüren. Eine Minute später hörte das Pochen auf.
Sanson schlich zum nächsten Mann, huschte wie ein Schatten übers Deck. Er verfuhr mit ihm auf die gleiche Weise. Keine zehn Minuten später hatte er jeden Mann auf dem Schiff getötet. Er ließ sie so liegen, als würden sie schlafen.
Als Letztes starb der Wachposten, der am Heck betrunken über der Ruderpinne lag. Sanson schnitt dem Mann die Gurgel durch und stieß ihn über Bord. Er fiel mit einem leisen Platsch ins Wasser, was jedoch eine Wache an Deck des Kriegsschiffes hörte. Der Mann lehnte sich über die Reling und blickte zur Schaluppe hinüber.
»¿Todo bien?«, rief er.
Sanson postierte sich am Heck, wo der über Bord gegangene Soldat gestanden hatte, und winkte der Wache auf dem anderen Schiff. Er war zwar tropfnass und trug keine Uniform, aber er wusste, dass der andere das in der Dunkelheit nicht erkennen konnte.
»Sí, sí«, sagte er schläfrig.
Der Wachposten brummte etwas Unverständliches und wandte sich ab.
Sanson wartete einen Augenblick ab und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf das Kriegsschiff. Es lag gut hundert Fuß entfernt – weit genug, um nicht gegen die Cassandra zu stoßen, wenn es sich beim Gezeiten-oder Windwechsel vor Anker drehte. Sanson sah erfreut, dass die Spanier es unterlassen hatten, die Scharten zu schließen; sie standen noch offen. Wenn er durch eine offene Scharte auf das untere Kanonendeck kletterte, konnte er den Wachen auf dem Hauptdeck aus dem Weg gehen.
Er ließ sich von Bord ins Wasser gleiten, und während er rasch hinüber zum Kriegsschiff schwamm, schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass die Spanier in der Nacht hoffentlich keinen Abfall in die Bucht geworfen hatten. Abfall lockte Haie an, und der Hai war eines der wenigen Lebewesen auf der Welt, die Sanson fürchtete. Doch er kam unbeschadet ans Ziel und dümpelte schon bald nah am Rumpf des Kriegsschiffes im Wasser.
Die untersten Geschützscharten befanden sich zwölf Fuß über ihm. Er hörte die Wachen auf dem Hauptdeck scherzen. Eine Strickleiter hing noch an der Bordwand, aber er traute sich nicht, sie zu benutzen. Sobald er sie mit seinem Gewicht beschwerte, würde sie knarren und wackeln, was die Wachen an Deck bemerken könnten.
Stattdessen schwamm er leise zur Ankerkette und kletterte daran hoch bis zu den Laufplanken, die vom Bugsp
rit wegführten. Diese Laufplanken standen nur vier Zoll von der Bordwand ab, doch Sanson gelang es, Halt darauf zu finden und sich zurück bis zur Focksegeltakelage zu schieben. Von dort konnte er sich mühelos baumeln lassen und in eine der zum Bug hin gelegenen Scharten blicken.
Er lauschte angestrengt und hörte schon bald das stetige Schreiten der Wache. Dem Klang nach bestand sie aus einem einzigen Mann, der unablässig das Deck an der Reling entlang umkreiste. Sanson wartete, bis der Wachmann an ihm vorbei war, schlüpfte dann durch die Scharte und duckte sich in den Schatten einer Kanone, keuchend vor Anstrengung und Anspannung. Selbst für Sanson war es ein Nervenkitzel, sich ganz allein mitten unter vierhundert Feinde zu schleichen – von denen die Hälfte sachte vor ihm in ihren Hängematten schaukelte. Er wartete und plante seinen nächsten Schritt.
Hunter stand gebückt in dem niedrigen, stinkenden Laderaum des Schiffes und wartete. Er war schrecklich erschöpft. Wenn Sanson nicht bald kam, wären seine Männer zu entkräftet, um zu fliehen. Die Wachen, die jetzt gähnten und wieder Karten spielten, verhielten sich den Gefangenen gegenüber völlig gleichgültig, was verlockend und ärgerlich zugleich war. Wenn er nur seine Männer frei bekäme, solange auf dem Schiff noch alles schlief, dann hätten sie vielleicht eine Chance. Doch wenn die Wachen wieder wechselten – womit jederzeit zu rechnen war – oder wenn die Schiffsbesatzung im Morgengrauen erwachte, dann wäre es zu spät.
Seine letzte Hoffnung wurde schlagartig zunichtegemacht, als ein spanischer Soldat den Raum betrat.
Die Wache wechselte, und es war alles verloren. Einen Augenblick später begriff er, dass er sich irrte: Es war nur ein einzelner Mann hereingekommen, kein Offizier, und die Wachen begrüßten ihn flüchtig. Der Neuankömmling wirkte auffällig selbstgefällig, während er durch den Raum schritt und die Fesseln der Freibeuter überprüfte. Hunter spürte, wie Finger an dem Strick um seine Handgelenke zogen, dann etwas Kühles – eine Messerklinge –, und seine Fesseln waren durchgeschnitten.
Hinter ihm flüsterte der Mann leise: »Das kostet Euch zwei Anteile mehr.«
Es war Sanson.
»Schwört es«, zischte Sanson.
Hunter nickte, empfand Wut und Erleichterung zugleich. Doch er sagte nichts. Er sah einfach zu, wie Sanson durch den Raum ging und dann vor der Tür stehen blieb, um sie zu versperren.
Sanson blickte die Seeleute an und sagte ganz leise auf Englisch: »Macht es lautlos.«
Die spanischen Wachen blickten fassungslos auf, als die Freibeuter auf sie zusprangen. Sie wurden drei zu eins überwältigt. In Sekundenschnelle war alles vorbei. Unverzüglich streiften die Seeleute den Wachen die Uniformen vom Körper und zogen sie an. Sanson ging zu Hunter hinüber.
»Ich hab Euren Schwur noch nicht gehört.«
Hunter nickte, während er sich die Handgelenke rieb. »Ich schwöre. Zwei Anteile mehr für Euch.«
»Gut«, sagte Sanson. Er öffnete die Tür, legte einen Finger an die Lippen und führte die Seeleute aus dem Raum.
KAPITEL 19
Cazalla trank Wein und grübelte über das Gesicht des sterbenden Christus nach, dachte an das Leiden, die Qualen des Körpers. Von frühester Jugend an hatte Cazalla Darstellungen dieser Qualen gesehen, die Marter des Fleisches, die erschlafften Muskeln und die hohlen Augen, das Blut, das aus der Wunde in der Seite floss, das Blut, das von den Nägeln in Händen und Füßen tropfte.
Das Gemälde hier in seiner Kajüte war ein persönliches Geschenk von Philipp. Der Lieblingshofmaler Seiner Majestät hatte es gemalt, ein Mann namens Velazquez, der vor einigen Jahren gestorben war. Ein solches Geschenk war ein Beweis hoher Wertschätzung, und Cazalla war überwältigt gewesen, als er es in Empfang nahm. Er nahm es auf allen Reisen mit. Es war sein wertvollster Besitz.
Dieser Velazquez hatte Jesus Christus ohne Heiligenschein gemalt. Und der Leib hatte einen totengleichen grauweißen Farbton. Es sah vollkommen wirklichkeitsgetreu aus, doch Cazalla hätte gern einen Heiligenschein gehabt. Er war überrascht, dass ein so frommer König wie Philipp nicht auf einen Heiligenschein bestanden hatte. Vielleicht gefiel Philipp das Gemälde nicht; vielleicht hatte er es deshalb einem seiner Militärführer in Neuspanien geschickt.
In dunklen Augenblicken kam Cazalla noch ein anderer Gedanke. Er wusste nur allzu gut um die Kluft zwischen den Annehmlichkeiten des Lebens an Philipps Hof und dem harten Leben der Männer, die ihm das Gold und das Silber für seinen Luxus aus den Kolonien schickten. Eines Tages würde er wieder an den Hof zurückkehren, als reicher Mann in seinen späteren Jahren. Manchmal stellte er sich vor, dass die Höflinge ihn auslachen würden. Manchmal, in seinen Träumen, tötete er sie alle in blutigen, zornigen Duellen.
Das Schaukeln des Schiffes riss Cazalla aus seinen Gedanken. Die Ebbe setzt ein, dachte er. Bis zur Dämmerung war es also nicht mehr lang. Schon bald würden sie wieder auf hoher See sein. Es war an der Zeit, einen weiteren englischen Piraten zu töten. Cazalla wollte sie einen nach dem anderen töten, so lange, bis einer ihm verriet, was er wissen wollte.
Das Schiff schaukelte weiter, aber irgendetwas stimmte nicht mit der Bewegung. Cazalla spürte es instinktiv: Das Schiff drehte sich nicht an seiner vorderen Ankerkette, sondern es bewegte sich seitwärts. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht. Und dann, im selben Augenblick, hörte er ein leises Knirschen und das Schiff erbebte und rührte sich nicht mehr.
Fluchend stürmte Cazalla aufs Hauptdeck. Und dort blickte er unversehens in die Wedel einer Palme, die dicht vor seiner Nase hingen – die Wedel etlicher Palmen, die das Ufer der Insel säumten. Sein Schiff war auf Sand gelaufen. Er brüllte vor Wut. Die kopflose Besatzung drängelte sich um ihn.
Der erste Offizier kam zitternd angerannt. »Captain, die haben die Ankerkette gekappt.«
»Die?«, rief Cazalla. Wenn er wütend war, klang seine Stimme hoch und dünn, wie die Stimme einer Frau. Er lief zur Reling gegenüber und sah die Cassandra, gekrängt in einer steifen Brise, aufs offene Meer hinaussteuern. »Die?«
»Die Piraten sind entkommen«, sagte der Offizier, blass.
»Entkommen! Wie konnten sie entkommen?«
»Ich weiß es nicht, mein Kapitän. Die Wachen sind alle tot.«
Cazalla streckte den Mann mit einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden. Er konnte kaum denken vor lauter Wut. Er starrte übers Wasser auf die kleiner werdende Schaluppe. »Wie konnten sie entkommen?«, wiederholte er. »Gott verdammt, wie konnten sie entkommen?«
Der Hauptmann der Infanterie kam herüber. »Mein Kapitän, Ihr seid gestrandet. Soll ich ein paar Männer an Land schicken, damit sie versuchen, das Schiff freizubekommen?«
»Die Ebbe hat eingesetzt«, sagte Cazalla.
»Ja, mein Kapitän.«
»Idiot, wir kommen erst frei, wenn die Flut wieder aufläuft.« Cazalla fluchte laut. Das wäre um zwölf Glasen. Sechs Stunden bis sie anfangen konnten, das riesige Schiff zu befreien. Und selbst dann war nicht gesagt, dass sie freikamen, wenn sie hart gestrandet waren. Es war die Zeit des abnehmenden Mondes. Da war jede Flut weniger hoch als die vorangegangene. Falls sie bei der nächsten Flut nicht freikamen – oder bei der danach –, säßen sie drei Wochen oder länger hier fest.
»Idiotenpack!«, kreischte er.
In der Ferne drehte die Cassandra elegant nach Süden ab und verschwand außer Sicht. Nach Süden?
»Die fahren nach Matanceros«, sagte Cazalla. Und er bebte vor unbändiger Wut.
Hunter saß im Heck der Cassandra und dachte nach. Er stellte erstaunt fest, dass er keinerlei Müdigkeit mehr verspürte, obwohl er seit zwei Tagen nicht geschlafen hatte. Um ihn herum lagen seine Leute auf dem Boden, als wären sie stehend in sich zusammengesackt. Fast alle schliefen tief und fest.
»Es sind gute Männer«, sagte Sanson mit Blick auf die liegenden Gestalten.
»Wahrhaftig«, sagte Hunter.
»Hat einer von ihnen geredet?«
»Einer.«
»Und Cazalla hat ihm geglaubt?«
»Vorerst nicht«, sagte Hunter, »aber er könnte seine Meinung bald ändern.«
»Wir haben mindestens sechs Stunden Vorsprung«, sagte Sanson. »
Achtzehn, wenn wir Glück haben.«
Hunter nickte. Bis Matanceros brauchten sie zwei Tage gegen den Wind. Bei dem Vorsprung, den sie hatten, könnten sie es zur Festung schaffen, ehe das Kriegsschiff sie einholte.
»Wir werden die Nächte durchsegeln«, sagte Hunter.
Sanson nickte.
»Fockschot trimmen«, bellte Enders. »Aber flott.«
Das Segel straffte sich, und mit einer steifen Brise von Osten pflügte die Cassandra durchs Wasser ins dämmrige Morgenlicht hinein.
TEIL III
MATANCEROS
KAPITEL 20
Am Nachmittag hingen vereinzelte Wolken am Himmel, die dunkelgrau wurden, als die Sonne langsam verschwand. Die Luft war klamm und unheilvoll. Und auf einmal sichtete Lazue den ersten Balken, der im Wasser trieb.
Kurz darauf segelte die Cassandra durch unzählige Holztrümmer und Schiffswrackteile. Die Besatzung warf Leinen aus und holte einige an Bord.
»Sieht englisch aus«, sagte Sanson, als ein Stück des rot-blau gestrichenen Heckspiegels an Deck gehievt wurde.
Hunter nickte. Ein ziemlich großes Schiff war versenkt worden. »Ist noch nicht lange her«, stellte er fest. Er suchte den Horizont nach Anzeichen von Überlebenden ab, konnte aber nichts entdecken. »Unsere spanischen Freunde waren jagen.«
Noch weitere fünfzehn Minuten lang schlugen immer wieder Holzteile gegen den Rumpf des Schiffes. Die Besatzung war unruhig. Für Seeleute war der Anblick einer derartigen Zerstörung stets ein Gräuel. Ein Stück von einer Querverstrebung wurde aus dem Wasser gefischt, und Enders meinte zu erkennen, dass es von einem Handelsschiff stammte, vermutlich einer Brigg oder Fregatte, gut einhundertfünfzig Fuß lang.
Von der Besatzung fehlte jede Spur.
Die Luft trübte sich mehr und mehr, als es Abend wurde, und der Wind frischte böig auf. Im Dunkeln prasselte warmer Regen auf die Holzplanken der Cassandra. Die Männer wurden nass bis auf die Haut und hockten die ganze Nacht niedergedrückt an Deck. Doch der Tag dämmerte hell und klar herauf, und als die Sonne aufging, sahen sie ihr Ziel geradewegs vor sich am Horizont.
Gold - Pirate Latitudes Page 11