Gold - Pirate Latitudes
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Hunter runzelte die Stirn. »Aber sie stecken doch ohnehin eine Kugel rein, bevor sie feuern.«
»Natürlich. Das ergibt zwei Pulverladungen und zwei Kugeln – die Verschlüsse dieser Kanonen werden ihnen nur so um die Ohren fliegen.«
Rasch schlichen sie von einer Kolubrine zur nächsten. Bei jeder stopfte der Jude eine zweite Pulverladung ins Rohr und Hunter schob eine Kugel hinterdrein. Jede Kugel rollte mit einem leisen Rumpeln das Kanonenrohr hinunter, aber es war niemand da, der das Geräusch hätte hören können.
Als sie fertig waren, sagte der Jude: »Jetzt hab ich noch was zu erledigen. Werft Ihr derweil Sand in jedes Rohr.«
Hunter stieg leise von der Brustwehr nach unten. Er scharrte losen Sand vom Boden der Festung und warf je eine Handvoll in die Kanonenmündungen. Der Jude war schlau: Selbst wenn die Kanonen unerwarteterweise dennoch feuerten, würde der Sand in den Rohren die Treffsicherheit ruinieren – und die Innenwände derart zerfurchen, dass diese Kanonen nie wieder genau schießen würden.
Als er fertig war, sah er den Juden über eine Lafette gebeugt unter dem Kanonenrohr hantieren. Er lächelte im Dunkeln. »Das wird wunderbar.«
Der Wind drehte, und das Heck der Galeone schwang auf Sanson zu. Er machte das Boot unter dem vergoldeten Heckspiegel fest und kletterte am hintersten Spant zur Kapitänskajüte hoch. Er hörte den leisen Klang ein Liedes auf Spanisch und lauschte kurz den anzüglichen Worten, konnte aber nicht genau sagen, woher der Gesang kam. Die Töne schienen in der Luft zu treiben, trügerisch und schwach.
Er schlüpfte durch ein Bullauge in die Kapitänskajüte. Sie war leer. Dann schlich er nach draußen aufs Kanonendeck und über den Niedergang aufs Mannschaftsdeck. Nirgends war eine Menschenseele zu sehen. Die leeren Hängematten schwangen sanft mit der Schaukelbewegung des Schiffs. Zahllose Hängematten und keine Spur von der Besatzung.
Das gefiel Sanson überhaupt nicht – ein unbewachtes Schiff war gleichbedeutend mit einem Schiff ohne Schatz an Bord. Er befürchtete jetzt, was sie alle befürchtet, aber nie ausgesprochen hatten: dass der Schatz vom Schiff gebracht und irgendwo anders gelagert worden war, vielleicht in der Festung. Falls das zutraf, war ihr Vorhaben gescheitert.
Daher hoffte Sanson, wenigstens auf eine Notbesatzung und auf Wachen zu stoßen. Er gelangte zur Heckkombüse und hier schöpfte er neuen Mut. Die Kombüse war zwar menschenleer, aber alles deutete darauf hin, dass kürzlich hier gekocht worden war – ein Ochseneintopf in einem großen Kessel, Gemüse, eine Zitronenhälfte, die auf der hölzernen Arbeitsplatte hin und her schaukelte.
Er verließ die Kombüse und suchte weiter. Von weiter weg hörte er die Rufe von dem Wachposten an Deck, der Lazue und den Mauren in ihrem näher kommenden Boot begrüßte.
Lazue und der Maure machten mittschiffs an der Strickleiter der Galeone fest. Der Wachposten an Bord beugte sich über die Reling und winkte. »¿Qué hay?«, rief er.
»Wir bringen Rum«, antwortete Lazue mit tiefer Stimme. »Mit einem schönen Gruß vom Kapitän.«
»Vom Kapitän?«
»Der hat heute Geburtstag.«
»Fantástico, fantástico.« Lächelnd trat der Wachposten zurück, um Lazue an Bord zu lassen. Er stutzte und setzte eine erschrockene Miene auf, als er das Blut an ihrem Hemd und in ihren Haaren sah. Doch schon zischte das Messer durch die Luft und bohrte sich in seine Brust. Der Mann umfasste überrascht den Griff. Er sah aus, als wollte er etwas sagen. Dann kippte er nach vorn und schlug der Länge nach aufs Deck.
Der Maure kam an Bord und schlich zum Bug, wo eine Gruppe von vier Soldaten saß und Karten spielte. Lazue sah nicht hin, was er machte, sondern ging nach unten. In einer Bugkajüte entdeckte sie zehn schlafende Soldaten. Leise schloss sie die Tür und verriegelte sie.
Fünf weitere Soldaten saßen singend und trinkend in einer Nachbarkajüte. Sie lugte hinein und sah, dass sie Pistolen hatten. Sie hatte ihre eigenen Pistolen im Gürtel stecken, würde aber nur im Notfall einen Schuss abfeuern. Sie wartete draußen neben der Tür.
Kurz darauf kam der Maure auf leisen Sohlen nach unten.
Sie deutete in die Kajüte. Er schüttelte den Kopf. Sie blieben draußen.
Nach einer Weile sagte einer der Soldaten, ihm würde gleich die Blase platzen, und verließ den Raum. Als er herauskam, schlug der Maure ihm mit einem Belegnagel auf den Kopf und der Mann landete dumpf auf den Planken, gleich neben der Tür.
Die anderen in der Kajüte hörten den Aufprall und blickten zur offenen Tür. In dem Licht, das nach draußen fiel, konnten sie die Füße des Mannes sehen.
»Juan?«
Der Mann am Boden rührte sich nicht.
»Zu viel gesoffen«, sagte jemand, und sie spielten weiter. Doch schon bald machte einer der Männer sich Sorgen um Juan und kam heraus, um nach ihm zu sehen. Lazue schnitt ihm die Gurgel durch, und der Maure sprang in den Raum, wo er den Belegnagel im weiten Bogen schwingen ließ. Die Männer fielen lautlos zu Boden.
Derweil kam Sanson auf dem Weg von der Kombüse in Richtung Bug ein spanischer Soldat entgegen. Der Mann war betrunken, ein Krug Rum baumelte ihm an der Hand, und er lachte, als er Sanson im Dunkeln sah.
»Du hast mich ganz schön erschreckt«, sagte der Soldat auf Spanisch. »Ich hab hier mit keinem gerechnet.«
Dann, aus der Nähe, sah er Sansons grimmiges Gesicht und erkannte es nicht. Ihm blieb eine Sekunde Zeit, um sich zu wundern, ehe Sansons Finger sich um seine Kehle schlossen.
Sanson stieg über einen weiteren Niedergang ein Deck tiefer. Hier befanden sich die Frachträume, die alle fest verriegelt und versiegelt waren. Er beugte sich im Dunkeln vor, um das Siegel genauer in Augenschein zu nehmen. In dem gelben Wachs sah er die Krone und den Anker, das unverkennbare Siegel der Münzstätte in Lima. Hier lagerte also Silber aus Neuspanien; sein Herz machte einen Sprung.
Er ging wieder nach oben und kam auf dem Heckkastell in der Nähe des Ruders an Deck. Wieder hörte er den leisen Gesang. Aber noch immer konnte er nicht sagen aus welcher Richtung. Er verharrte und lauschte, und dann hörte der Gesang auf und eine beunruhigte Stimme sagte: »¿Qué pasa? ¿Quién es?«
Sanson blickte auf. Natürlich! Da oben im Ausguck, über den Hauptmastspieren, stand ein Mann und blickte zu ihm herab.
»¿Quién es?«, fragte er.
Sanson war klar, dass der Mann ihn nicht gut sehen konnte. Er trat zurück in den Schatten.
»¿Qué?«, sagte der Mann verwirrt.
Im Dunkeln holte Sanson seine Armbrust heraus, spannte die Stahlfeder, legte den Pfeil ein und hob sie ans Auge. Er zielte auf den Spanier, der fluchend die Takelage heruntergeklettert kam.
Sanson schoss.
Die Wucht des Pfeils riss den Mann von der Takelage. Sein Körper flog im hohen Bogen in die Dunkelheit und schlug mit einem leisen Platsch auf dem Wasser auf. Ansonsten war kein Laut zu hören.
Sanson schlich über das leere Achterdeck, und als er zufrieden feststellte, dass er allein war, umfasste er das Ruder mit beiden Händen. Einen Augenblick später sah er Lazue und den Mauren am Bug an Deck kommen. Sie sahen ihn an und winkten, mit einem Grinsen im Gesicht.
Das Schiff gehörte ihnen.
Hunter und Don Diego waren zur Pulverkammer zurückgekehrt, wo sie eine lange Zündschnur zu den Pulverfässern legten. Sie arbeiteten jetzt flink, weil der Himmel sich bereits zu einem blassen Blau aufgehellt hatte, als sie gerade erst mit den Kanonen fertig waren.
Don Diego stapelte an mehreren Stellen im Raum jeweils mehrere Fässer übereinander. »Es geht nur so«, flüsterte er. »Sonst gibt es nur eine einzige Explosion, und das wollen wir nicht.«
Er brach zwei Fässer auf und streute das grobkörnige schwarze Pulver über den Boden. Schließlich war er zufrieden und zündete die Zündschnur an.
Im selben Augenblick ertönte ein Schrei vom Hof der Festung, und dann noch einer.
»Was ist das?«, fragte Diego.
Hunter runzelte die Stirn. »Vielleicht haben sie die toten Wachposten gefunden«, sagte er.
Gleich darauf wurde das Geschrei im Hof lauter, und sie hörten laufende Schritte. Dann erkannten sie ein Wort, das wiede
r und wieder gerufen wurde: »Piratas! Piratas!«
»Das Schiff muss in der Fahrrinne sein«, sagte Hunter. Er warf einen Blick auf die Zündschnur, die in der Ecke der Kammer spuckte und zischte.
»Soll ich sie löschen?«, fragte Diego.
»Nein. Lasst sie.«
»Wir können hier nicht bleiben.«
»In ein paar Minuten bricht im Hof das Chaos aus. Dann entwischen wir.«
»Ich hoffe, in ganz wenigen Minuten«, sagte Diego.
Die Schreie im Hof wurden noch lauter. Sie hörten das Getrappel unzähliger laufender Füße, als die Garnison mobilisiert wurde.
»Die werden die Pulverkammer überprüfen«, sagte Diego.
»Irgendwann, ja«, pflichtete Hunter bei.
Im selben Augenblick flog die Tür auf, und Cazalla stürmte herein, einen Degen in der Hand. Er sah sie.
Hunter schnappte sich einen Degen von den Dutzenden, die in Halterungen an der Wand hingen. »Diego, raus«, flüsterte er. Don Diego rannte zur Tür hinaus, als Cazallas Klinge auf Hunters traf. Hunter und Cazalla umkreisten sich, dann wich Hunter zurück.
»Engländer«, sagte Cazalla lachend. »Ich werde dich in Einzelteilen an meine Hunde verfüttern.«
Hunter erwiderte nichts. Er wog den Degen in der Hand, machte sich mit dem ungewohnten Gewicht vertraut, ließ die Klinge probeweise durch die Luft sausen.
»Und meine Mätresse«, sagte Cazalla, »wird deine Hoden verspeisen.«
Sie umschlichen einander argwöhnisch. Hunter lockte Cazalla nach und nach aus der Pulverkammer, weg von der zischenden Zündschnur, die der Spanier nicht bemerkt hatte.
»Hast du Angst, Engländer?«
Hunter war jetzt fast an der Tür. Cazalla machte einen Satz nach vorn. Hunter parierte, noch immer auf dem Rückzug. Cazalla sprang wieder vor. Der Vorstoß brachte ihn auf den Hof, in den Hunter zurückgewichen war.
»Du bist ein stinkender Feigling, Engländer.«
Jetzt, da sie beide auf dem Hof waren, ging Hunter zum Angriff über, und Cazalla lachte amüsiert. Einige Augenblicke lang kämpften sie schweigend, wobei Hunter sich immer weiter von der Pulverkammer wegbewegte.
Rings um sie herum rannten und schrien die Garnisonssoldaten. Jeder von ihnen hätte Hunter kurzerhand von hinten töten können. Er war in höchster Gefahr, und plötzlich begriff Cazalla, warum Hunter unaufhörlich zurückwich. Er hielt inne, trat zurück und warf einen Blick nach hinten zur Pulverkammer.
»Du Sohn einer elenden englischen Sau …«
Cazalla rannte los Richtung Pulverkammer, doch genau in diesem Moment wurde sie durch die erste Explosion in ein weiß aufloderndes Flammenmeer und sengende Hitze gehüllt.
Die Männer an Bord der Cassandra, die jetzt durch die schmale Hafeneinfahrt segelte, sahen die Explosion und jubelten. Doch Enders, am Ruder, blickte finster. Die Kanonen von Matanceros waren noch immer an Ort und Stelle; er konnte die langen Rohre aus den Einkerbungen in der Mauer ragen sehen. Im roten Schein der lodernden Flammen war deutlich zu erkennen, wie die Kanoniere hektisch die Geschütze feuerbereit machten.
»Gott steh uns bei«, sagte Enders. Die Cassandra befand sich jetzt unmittelbar in der Schusslinie der aufs Meer gerichteten Batterien. »Haltet euch fest, Kameraden«, rief er. »Wir kriegen gleich eine spanische Salve vor den Bug.«
Auf dem Vorderdeck der Galeone sahen auch Lazue und der Maure die Explosion. Und sie sahen die Cassandra an der Festung vorbeisegeln.
»Barmherzige Mutter Gottes«, sagte Lazue. »Sie sind nicht an die Kanonen rangekommen. Sie haben sie nicht unschädlich gemacht.«
Don Diego war inzwischen aus der Festung raus und rannte zum Wasser. Er blieb nicht stehen, als das Pulverlager mit beängstigendem Getöse explodierte. Er fragte sich nicht, ob Hunter noch drin war, er dachte gar nichts. Er rannte mit keuchenden, brennenden Lungen zum Wasser.
Hunter saß in der Falle. Cazalla war nirgends zu sehen, aber die spanischen Wachen strömten durch das Westtor in die Festung, sodass ihm dieser Fluchtweg abgeschnitten war. Er wandte sich vom Pulverlager ab und rannte nach Osten auf ein niedriges Steingebäude zu, in der Absicht, aufs Dach zu klettern und von dort über die Mauer zu springen.
Gerade als er das Gebäude erreichte, griffen ihn vier Soldaten an. Sie drängten ihn mit wirbelnden Degen zur Tür des Gebäudes, und er sprang hinein und schloss sich ein. Die Tür war aus dickem Holz, und sie hämmerten vergeblich dagegen.
Als er sich umdrehte, sah er, dass er offenbar in Cazallas Quartier geflüchtet war, denn der Raum war verschwenderisch eingerichtet. Eine dunkelhaarige junge Frau lag im Bett. Sie starrte ihn panisch an, das Laken bis ans Kinn hochgezogen, während Hunter zu den hinteren Fenstern hastete. Er war schon halb zum Fenster hinaus, als er sie auf Englisch sagen hörte: »Wer seid Ihr?«
Hunter erstarrte mitten in der Bewegung. Ihr Akzent klang spröde und aristokratisch. »Wer zum Teufel seid Ihr?«
»Ich bin Lady Sarah Almont, aus London«, sagte sie. »Ich werde hier gefangen gehalten.«
Hunter klappte der Unterkiefer runter.
»Na denn, kleidet Euch rasch an, Madam«, sagte er.
Im selben Augenblick zerbarst ein anderes Fenster, und Cazalla sprang mit einem Satz in den Raum, den Degen in der Hand. Er war von der Explosion rußgeschwärzt. Die junge Frau schrie auf.
»Ankleiden, Madam«, sagte Hunter, während seine Klinge gegen Cazallas klirrte. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sie sich hastig ein prächtiges Kleid überzog.
Cazalla kämpfte keuchend, mit dem Mut der Verzweiflung und noch etwas anderem, vielleicht Furcht.
Er setzte zu einer erneuten Beleidigung an: »Engländer –«, doch da schleuderte Hunter seinen Degen durch den Raum. Die Klinge durchbohrte Cazallas Hals. Er hustete und fiel nach hinten in den Sessel neben seinem wuchtigen, reich verzierten Schreibtisch. Er beugte sich vor, um an der Klinge zu ziehen, und in der Haltung sah er aus, als würde er die Seekarten auf dem Schreibtisch studieren. Blut tropfte auf die Karten. Cazalla gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Dann brach er zusammen.
»Los jetzt«, sagte die Frau.
Hunter half ihr durchs Fenster, ohne sich noch einmal nach dem toten Cazalla umzusehen.
Sie waren jetzt auf der Nordseite der Brustwehr. Der Boden lag dreißig Fuß unter ihnen und bestand aus hart gebackener Erde. Lady Sarah klammerte sich an ihn.
»Das ist zu hoch«, sagte sie.
»Es gibt keine andere Möglichkeit«, sagte er und gab ihr einen Stoß, sodass sie mit einem Aufschrei herabfiel. Er blickte kurz zum Meer hin und sah die Cassandra bereits in der Hafeneinfahrt, in der Schusslinie der Hauptgeschütze der Festung. Die Kanoniere waren feuerbereit. Hunter sprang. Lady Sarah lag noch auf der Erde und hielt sich den Knöchel.
»Seid Ihr verletzt?«
»Nicht arg, glaube ich.«
Er half ihr hoch und legte sich ihren Arm um die Schulter, um sie zu stützen, dann liefen sie zum Wasser. Sie hörten die ersten Kanonen das Feuer auf die Cassandra eröffnen.
Die Kanonen von Matanceros wurden der Reihe nach gezündet, im Abstand von einer Sekunde. Und ebenso explodierten ihre Verschlüsse im Abstand von einer Sekunde, spien heißes Pulver und Bronzesplitter in die Luft. Die Kanoniere hechteten in Deckung. Eins nach dem anderen schaukelten die schweren Geschütze in ihre Rückstoßstellung und rührten sich nicht mehr.
Die Kanoniere kamen langsam wieder auf die Beine und näherten sich verblüfft den Kanonen. Sie untersuchten die aufgesprengten Zündlöcher und plapperten aufgeregt durcheinander.
Und dann gingen nacheinander die Sprengladungen unter den Lafetten hoch. Zersplittertes Holz flog durch die Luft, und die Kanonen krachten zu Boden. Die letzte von ihnen rollte die Brustwehr entlang auf einige Soldaten zu, die panisch zur Seite sprangen.
Keine fünfhundert Yards vom Ufer entfernt segelte die Cassandra unversehrt in den Hafen.
Don Diego schwamm mittlerweile im Wasser und brüllte aus Leibeskräften, als die Cassandra auf ihn zuhielt. Eine entsetzte Sekunde lang dachte er schon, es würde ihn niemand sehen oder hören, doch dann schwenkte der Bug der Schaluppe nach backbord un
d starke Hände griffen nach unten und zogen ihn triefend nass an Deck. Eine Flasche Teufelstöter wurde ihm in die Hände gedrückt, man klopfte ihm auf den Rücken und er hörte Lachen.
Don Diego blickte sich suchend um. »Wo ist Hunter?«, fragte er.
Im ersten Dämmerlicht lief Hunter mit der jungen Frau zu dem Ufer an der Ostspitze von Matanceros. Er befand sich jetzt genau unterhalb der Festungsmauern. Unmittelbar über ihm lagen die Rohre von einigen Kanonen kreuz und quer durcheinander.
Sie blieben am Wasser stehen, um Atem zu schöpfen.
»Könnt Ihr schwimmen?«, fragte Hunter.
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Überhaupt nicht?«
»Nein, ich schwöre.«
Er blickte auf das Heck der Cassandra, die jetzt auf die Galeone zusteuerte.
»Kommt«, sagte er. Sie liefen in Richtung Hafen.
Enders, der Meereskünstler, manövrierte die Cassandra gekonnt längsseits der Galeone. Sogleich sprangen die meisten von der Besatzung auf das größere Schiff. Als Enders selbst an Bord der Galeone kam, sah er Lazue und den Mauren an der Reling. Sanson stand am Ruder.
»Es ist mir ein Vergnügen, Sir«, sagte Sanson mit einer Verbeugung und übergab das Steuer an Enders.
»Ganz meinerseits, Kamerad«, sagte Enders. Als er nach oben blickte, sah er bereits Seeleute die Takelage hochklettern. »Vorbramsegel hissen. Sachte da mit dem Klüver!« Die Segel wurden entrollt, und das große Schiff setzte sich in Bewegung.
Neben ihnen vertäute die kleine Besatzung, die auf der Cassandra blieb, deren Bug am Heck der Galeone und schwang herum, die Segel angeluvt.
Enders achtete gar nicht auf das kleine Schiff.
Seine Aufmerksamkeit galt allein der Galeone. Als das Schiff sich in Bewegung setzte und die Besatzung den Anker lichtete, schüttelte er den Kopf. »Träges altes Biest«, sagte er. »Bewegt sich wie eine Kuh.«
»Aber sie ist seetauglich«, sagte Sanson.
»Doch, doch, das ist sie, mehr oder weniger.«
Die Galeone glitt jetzt in östlicher Richtung auf die Hafenmündung zu. Enders suchte das Ufer nach Hunter ab.