Exodus
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Daß Akiba und der Kleine Giora es abgelehnt hatten, die Gnadengesuche zu unterschreiben, erschien in der Presse in dicken Schlagzeilen als dramatischer Protest gegen die Engländer. Zehntausende der in Palästina lebenden Juden, die bisher wenig für die Makkabäer übrig gehabt hatten, waren von der Haltung, die die beiden an den Tag gelegt hatten, begeistert. Der Greis und der Knabe wurden über Nacht zum Symbol des jüdischen Widerstands. Die Engländer, die gehofft hatten, die Makkabäer kleinzukriegen, waren stattdessen auf dem besten Wege, zwei Märtyrer zu schaffen. Es blieb ihnen nichts weiter übrig, als den Termin der Urteilsvollstreckung festzusetzen: in zehn Tagen.
Die Spannung in Palästina wuchs von Tag zu Tag. Die Aktionen der Makkabäer und der Hagana hatten aufgehört, doch überall im ganzen Lande hatte man das deutliche Gefühl, daß man auf einem Pulverfaß saß und ein Zeitzünder tickte.
Die ausschließlich von Arabern bewohnte Stadt Akko befindet sich am Nordende der Bucht, an deren Südende Haifa liegt. Das Gefängnis ist ein auf Ruinen aus der Zeit der Kreuzfahrer errichtetes häßliches Gebäude. Es liegt auf einer Mole, die sich von dem Gefängnis am nördlichen Stadtrand bis zum entgegengesetzten Ende der Stadt erstreckt. Ahmad el Jazzar — der Schlächter — hatte es zu einer Festung des Ottomanenreiches ausgebaut, und diese Festung hatte dem Ansturm Napoleons standgehalten. Es war ein Konglomerat von Brustwehren, Verliesen, unterirdischen Gängen, Türmen, ausgetrockneten Wassergräben, Höfen und dicken Wänden. Die Engländer hatten daraus eines der gefürchtetsten Gefängnisse des ganzen Empire gemacht.
Dov und Akiba wurden in winzige Zellen gesperrt, die sich im nördlichen Flügel befanden. Die Wände, die Decke und der Fußboden waren aus Stein. Die Zellen hatten ein Ausmaß von einsachtzig mal zweivierzig. Die Außenwand war annähernd fünf Meter dick. Es gab weder elektrisches Licht noch W. C. Die Luft war muffig. Die Zellentüren waren aus Eisen, und durch ein kleines Loch konnten die Häftlinge beobachtet werden. Die einzige weitere Öffnung war ein Schlitz in der Außenwand, der fünf Zentimeter weit und fünfundzwanzig Zentimeter hoch war.
Akiba ging es nicht gut in seiner Zelle. Die Wände schwitzten, und die feuchte Luft verschlimmerte den Gelenkrheumatismus, an dem er seit vielen Jahren litt. Er hatte höllische Schmerzen.
Jeden Tag kamen zwei- oder dreimal irgendwelche Vertreter der britischen Behörde, um über einen Kompromiß zu verhandeln, durch den man die Vollstreckung des Urteils vermeiden konnte. Dov nahm von diesen Leuten überhaupt keine Notiz. Akiba rief ihnen so lange Zitate aus der Bibel zu, bis sie fluchtartig den Rückzug antraten.
Es waren nur noch sechs Tage bis zur Vollstreckung des Urteils. Akiba und Dov wurden in die Todeszellen gebracht, die neben dem Raum lagen, in dem die Erhängungen stattfanden. Beide wurden mit den scharlachroten Hosen und Hemden bekleidet, dem traditionellen englischen Kostüm für diejenigen, auf die der Galgen wartet.
XV.
Es war ein Uhr nachts. Bruce Sutherland saß in seiner Bibliothek und las. Er hob überrascht den Kopf, als es an der Tür klopfte. Karen Clement kam herein.
Sutherland fuhr sich verwundert über die Augen. »Was zum Teufel tust du denn hier zu dieser nächtlichen Stunde?«
Karen stand stumm und zitternd vor ihm.
»Weiß Kitty, daß du hier bist?«
Karen schüttelte den Kopf. Sutherland führte sie zu einem Stuhl. »Nun erzähl mal, Mädchen, was ist eigentlich los?«
»Ich möchte Dov Landau im Gefängnis besuchen. Ich kenne außer Ihnen niemanden, der mir dazu verhelfen könnte.«
Sutherland verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging im Raum auf und ab. »Selbst wenn es mir möglich sein sollte, dir die Erlaubnis zu verschaffen — ich würde dir damit keinen Dienst erweisen. In ein paar Wochen wirst du mit Kitty Palästina verlassen. Warum versuchst du nicht lieber, ihn zu vergessen, Kind?«
»Bitte«, sagte Karen. »Ich weiß genau, was ich will. Ich habe an nichts anderes denken können, seit man ihn gefangengenommen hat. Ich muß ihn noch einmal sehen. Helfen Sie mir, General Sutherland, bitte.«
»Ich werde tun, was ich kann«, sagte er. »Aber jetzt wollen wir erst einmal Kitty anrufen und ihr sagen, daß du hier bist. Sie ist vermutlich vor Angst halb von Sinnen. Wie konntest du dich aber auch nur allein und zu dieser Zeit durch arabisches Gebiet wagen!« Am nächsten Morgen rief Sutherland in Jerusalem an. Der Hohe Kommissar beeilte sich, der Bitte stattzugeben. Die Engländer versuchten noch immer, Dov und Akiba dazu zu bewegen, es sich anders zu überlegen, und griffen dabei nach jedem Strohhalm. Es war immerhin möglich, daß Dov durch Karens Besuch in seiner ablehnenden Haltung schwankend gemacht wurde.
Kitty fuhr von Gan Dafna nach Safed, wo Sutherland sie abholte. Zu dritt fuhren sie nach dem an der Küste gelegenen Nahariya.
Von der Polizeiwache in Nahariya wurden sie unter polizeilicher Begleitung in das Gefängnis von Akko gebracht und hier in das Büro des Gefängnisdirektors geführt.
Karen war auf dem ganzen Weg wie betäubt gewesen. Hier im Gefängnis kam ihr alles noch unwirklicher vor.
Der Gefängnisdirektor kam herein und forderte Karen auf, mitzukommen.
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich dich begleite«, sagte Kitty. »Nein«, sagte Karen, »ich möchte mit ihm allein sein.«
Draußen vor dem Zimmer des Direktors wurde Karen von zwei bewaffneten Wachtposten in Empfang genommen. Sie führten sie durch eine Reihe eiserner Türen und über einen riesigen, mit Steinen gepflasterten Hof, der rings von vergitterten Fenstern umgeben war. Karen konnte die Augen der Gefangenen sehen, die lüstern hinter ihr herschielten. Dann ging es eine schmale Treppe hinauf in den abgelegenen Teil des Gefängnisses, in dem die zum Tode Verurteilten ihre engen Zellen hatten. Sie kamen an einem durch Stacheldraht abgesicherten Maschinengewehr vorbei zu einer weiteren Tür, an der zwei Soldaten mit aufgepflanzten Seitengewehren standen.
Karen wurde in eine winzige Zelle geführt. Die Tür hinter ihr wurde geschlossen, und ein Soldat trat neben sie. Er öffnete eine Klappe, hinter der ein Loch in der Wand war, das vielleicht zehn oder zwölf Zentimeter breit und ebenso hoch war.
»Da, Kleene, durch das Loch kannste mit ihm reden«, sagte der Posten.
Karen nickte und sah durch die Öffnung. Sie konnte die beiden gegenüberliegenden Zellen sehen. Sie sah Akiba in der einen Zelle, und Dov in der anderen. Er lag in seinem scharlachroten Gewand auf dem Rücken und starrte an die Decke. Karen sah, wie ein Posten kam und die Tür seiner Zelle aufschloß.
»Komm hoch, Landau«, schnauzte der Posten. »Da ist jemand, der mit dir reden will.«
Dov nahm ein Buch, das auf dem Fußboden lag, schlug es auf und fing darin zu lesen an.
»He, du hast Besuch!«
Dov blätterte eine Seite um.
»Bist du schwerhörig? Da ist Besuch für dich, hab' ich gesagt.«
»Ich bin für keinen dieser Leute mit ihren Vorschlägen zu sprechen, sagen Sie ihnen —.«
»Das ist keiner von uns. Das ist jemand von euch. Ein Mädchen, Landau.«
Dovs Hand umklammerte krampfhaft das Buch. Sein Herz hämmerte. »Sagen Sie ihr, ich hätte keine Zeit.«
Der Posten zuckte die Schultern und kam an die Öffnung in der Wand. »Er sagt, er will keinen sehen.«
»Dov!« rief Karen. »Dov!«
Das Echo ihrer Stimme hallte durch die Todeszelle. »Dov! Ich bin's, Karen!«
Akiba richtete den Blick gespannt auf Dovs Zelle. Dov biß die Zähne aufeinander und blätterte die nächste Seite um.
»Dov! Dov! Dov!«
»Sprich mit ihr, Junge«, rief Akiba laut. »Geh nicht in dem feindlichen Schweigen aus der Welt, zu dem mein Bruder mich verurteilt hat. Sprich mit ihr, Junge.«
Dov legte das Buch aus der Hand und erhob sich von seiner Koje. Er gab dem Posten ein Zeichen, und der Mann schloß die Tür von Dovs Zelle auf. Dov ging zu der Öffnung in der Wand und sah hindurch. Er konnte nur ihr Gesicht sehen.
Karen sah in seine Augen. Sie blickten kalt und böse.
»Ich habe es satt mit diesen Tricks«, sagte er bissig. »Wenn man dich hergeschickt hat, damit du mich bitte
st, ich möchte doch unterschreiben, dann kannst du gleich wieder gehen. Ich werde diese Hunde nicht um Gnade bitten.«
»Sprich nicht so mit mir, Dov.«
»Ich weiß, daß man dich hergeschickt hat.«
»Kein Mensch hat mich aufgefordert, hierherzukommen — ich schwöre es dir.«
»Weshalb bist du dann überhaupt hergekommen?«
»Ich wollte dich nur noch einmal sehen.«
Dov biß die Zähne zusammen und bemühte sich krampfhaft, nicht weich zu werden. Warum mußte sie auch herkommen? Sein Verlangen, ihre Wange zu berühren, war so übermächtig, daß es ihn fast umbrachte.
»Wie geht es dir denn?« fragte sie.
»Wie mir's geht? Oh, prima.«
Beide blieben lange stumm. Dann sagte Karen:
»Dov — was du da an Kitty geschrieben hast — meintest du das wirklich, oder hast du es nur geschrieben, um —.«
»Ich meinte es wirklich.«
»Ich wollte es nur wissen.«
»Na schön, dann weißt du es jetzt.«
»Ja, jetzt weiß ich es. Dov — ich werde bald aus Erez Israel weggehen. Ich gehe nach Amerika.«
Dov zuckte die Schultern.
»Ich hätte wohl besser doch nicht herkommen sollen. Es tut mir leid, daß ich dir lästig gefallen bin.«
»Das ist schon in Ordnung. Ich weiß, du hast es gut gemeint. Meine Freundin, die würde ich wirklich gern noch mal sehen. Aber das ist eine Makkabäerin, die kann nicht herkommen. Sie ist so alt wie ich, weißt du.«
»Ja, ich weiß.«
»Ist ja auch egal. Du bist ein netter Kerl, Karen — und — hm — fahr du ruhig nach Amerika und denk nicht mehr an all das hier. Ich wünsche dir alles Gute.«
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe«, sagte Karen leise. Sie stand auf. Dov verzog keine Miene.
»Karen!«
Sie wandte sich rasch um.
»Hm — weißt du — eigentlich könnten wir uns noch mal die Hand geben — falls der Posten nichts dagegen hat.«
Karen streckte ihre Hand durch die Öffnung in der Wand, und Dov nahm sie in seine beiden Hände, drückte sie, und preßte seine Stirn gegen die Mauer und schloß die Augen.
Karen ergriff seine Hand und zog sie durch die Öffnung herüber auf ihre Seite.
»Nein«, sagte er, »nicht —.« Doch er überließ ihr seine Hand.
Sie küßte seine Hand, drückte sie an ihre Wange und ihre Lippen, und er fühlte, wie ihre Tränen darauffielen. Und dann war sie fort. Die Tür seiner Zelle fiel laut hinter ihm zu. Dov warf sich auf seine Bettstatt. Er konnte sich nicht erinnern, jemals in seinem Leben Tränen vergossen zu haben. Doch jetzt war es ihm unmöglich, sie zurückzuhalten. Er drehte sich zur Wand, damit die Posten und Akiba sein Gesicht nicht sehen konnten; er weinte lautlos, aus tiefstem Herzen.
Barak ben Kanaan war einer der Berater, die den Untersuchungsausschuß der UNO auf seiner Reise durch Palästina begleiteten. Die Juden konnten mit Stolz zeigen, was sie in Palästina geleistet hatten. Die Delegierten der UNO waren sehr beeindruckt von dem Kontrast, der zwischen den jüdischen und den arabischen Gemeinden bestand. Ben Gurion, Weizmann, Barak und die übrigen Köpfe des Jischuw-Zentralrats verstanden es mit außerordentlichem Geschick und ohne herausfordernde Geste, überzeugend die moralische Berechtigung der jüdischen Ansprüche darzulegen.
Auf arabischer Seite inszenierte der vom Klan der Husseini gesteuerte Großarabische Aktionsausschuß erbitterte Demonstrationen gegen die UNO. Sie versagten den Delegierten den Zutritt zu einer ganzen Reihe von arabischen Ortschaften, die so dreckig waren und in denen Menschen unter so menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten mußten, daß sich selbst dem stärksten Mann der Magen umgedreht hätte. Als der Untersuchungsausschuß mit seinen Ermitthingen begann, versuchten die arabischen Behörden ihn auf alle Weise zu boykottieren.
Den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses wurde sehr bald klar, daß irgendein Kompromiß in Palästina nicht zu erreichen war. Vom rein rechtlichen Standpunkt aus mußte die UNO eine Schlichtung des Streites zugunsten der Juden empfehlen; andererseits war aber auch das Gewicht der arabischen Drohungen zu bedenken.
Als der Untersuchungsausschuß das Land bereist und seine Ermittlungstätigkeit abgeschlossen hatte, schickten sich die Delegierten an, sich wieder nach Genf zu begeben, um dort das Ergebnis ihrer Feststellungen zu analysieren, während ein Unterausschuß gleichzeitig die DP-Lager in Europa inspizierte, in denen sich noch immer eine Viertelmillion verzweifelter Juden befand. Danach wollten sie der Vollversammlung der UNO ihre Vorschläge unterbreiten. Barak ben Kanaan wurde wieder einmal beauftragt, nach Genf zu reisen, um dort seine beratende Tätigkeit fortzusetzen.
Einige Tage vor seiner Abreise nach Genf kam er nach Yad El, um noch eine Weile bei Sara sein zu können, die sich, obwohl er doch schon so oft ins Ausland gefahren war, noch immer nicht ganz daran gewöhnt hatte. Und genausowenig konnte sie sich an die dauernde Abwesenheit von Jordana und Ari gewöhnen.
Ari und David ben Ami waren in dem nicht weit von Yad El gelegenen Kibbuz Ejn Or, in dem sich das Palmach-Hauptquartier für das Hule-Gebiet befand. Beide kamen zu einem Abschiedsessen nach Yad El, zu dem auch Jordana aus Gan Dafna erschien.
Barak war den ganzen Abend über sehr in Gedanken und bedrückt. Er sprach kaum, und das Essen verlief schweigend.
»Ich nehme an, du hast gehört, daß Mrs. Fremont Palästina verläßt«, sagte Jordana am Ende des Abendessens.
»Nein, davon wußte ich gar nichts«, sagte Ari, der versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn diese Nachricht überraschte. »Ja, sie geht wieder nach Amerika«, sagte Jordana. »Sie hat Dr. Liebermann gekündigt und nimmt die kleine Clement mit. Ich wußte, daß sie sich bei den ersten Anzeichen ernstlicher Schwierigkeiten aus dem Staube machen würde.«
»Warum sollte sie nicht nach Amerika zurückgehen?« sagte Ari. »Sie ist schließlich Amerikanerin, und nach Palästina ist sie nur wegen Karen Clement gekommen.«
»Sie hat nie etwas für uns übrig gehabt«, sagte Jordana bissig.
»Das ist nicht wahr«, sagte David.
»Verteidige sie nicht dauernd, David.«
»Sie ist ein reizender Mensch«, sagte Sara ben Kanaan, »und ich hab' sie gern. Sie ist oft nach Yad El gekommen und hat mich besucht. Sie war sehr gut zu den Kindern, und die Kinder lieben sie.« »Es ist besser, wenn sie wegfährt«, sagte Jordana. »Es ist eine Schande, daß sie dieses Mädchen mitnimmt, doch sie hat die Kleine so verwöhnt und verzogen, daß man gar nicht mehr auf den Gedanken kommen kann, Karen Clement sei eine Jüdin.«
Ari stand auf und ging hinaus.
»Warum mußt du Ari absichtlich verletzen?« sagte Sara ärgerlich. »Du weißt doch, was er für sie empfindet, und sie ist ein Mensch mit großen Qualitäten.«
»Trotzdem ist es besser für ihn, wenn er sie los ist«, sagte Jordana. »Und wer bist du, daß du dir ein Urteil darüber anmaßt, was das Herz eines Mannes empfindet?« sagte Barak.
David ergriff Jordanas Hand. »Du hast mir versprochen, daß wir heute abend noch zusammen ausreiten.«
»Du stehst auch auf ihrer Seite, David.«
»Ich hab' Kitty Fremont gern. Komm, wir wollen reiten.«
Jordana ging langsam hinaus, und David folgte ihr.
»Laß die beiden, Sara«, sagte Barak. »David wird ihr schon den Kopf zurechtsetzen und sie beruhigen. Ich fürchte, unsere Tochter ist auf Mrs. Fremont eifersüchtig, und dazu hat sie auch allen Grund. Doch eines Tages werden auch bei uns die Mädchen Zeit haben, Frauen zu sein.«
Barak rührte in seinem Tee, und seine Frau trat hinter seinen Stuhl und legte ihre Wange auf sein dichtes rotes Haar. »Barak«, sagte sie, »du kannst nicht so weitermachen. Du mußt mit deinem Bruder reden, oder du wirst es bis an dein Lebensende bereuen.«
Barak streichelte die Hand seiner Frau. »Ich will mal sehen, wo Ari ist«, sagte er.
Ari stand in der Nähe des Obstgartens und sah hinauf in die Berge, wo Gan Dafna lag.
Barak trat zu ihm und sagte: »Bedeutet sie dir so viel, mein Sohn?«
Ari zuckte die Achs
eln.
»Ich mochte sie auch sehr gern«, sagte Barak.
»Was soll's?« sagte Ari. »Sie kommt aus einer anderen Welt, und jetzt geht sie dorthin zurück.«
Barak hakte seinen Sohn unter, und sie gingen zusammen durch die Felder ihrer Farm an das Ufer des Jordan. Sie sahen Jordana und David davonreiten und hörten, wie sie miteinander lachten.
»Siehst du, Jordana ist schon darüber hinweg. Und wie steht es denn mit dem Palmach in Ejn Or?«
»Wie immer, Vater. Prächtige Jungens und Mädchen, aber es sind zu wenig, und wir haben zu wenig Waffen. Wir können nicht hoffen, einen Krieg zu gewinnen, bei dem uns sieben Armeen gegenüberstehen.«
Auf den Feldern begannen sich die Wassersprüher zu drehen, und neben Fort Esther versank die Sonne hinter den libanesischen Bergen. Lange sahen der Vater und der Sohn auf das Land, das ihnen gehörte. Beide fragten sich, ob wohl jemals eine Zeit kommen würde, wo man sich über nichts anderes Gedanken machte, als darüber, daß ein Zaun auszubessern oder ein Stück Land umzupflügen sei.
»Gehen wir wieder ins Haus«, sagte Ari. »Mutter ist allein.«
Ari wollte gehen, da spürte er plötzlich die schwere Hand seines Vaters auf seiner Schulter. Er drehte sich um. Sein Vater hatte den Kopf gesenkt, und sein Gesicht verriet tiefe Trauer. »In zwei Tagen fahre ich nach Genf. Ich fahre mit einem so schweren Kummer fort, wie ich ihn noch nie gespürt habe. Fünfzehn Jahre lang hat jemand an unserem Tisch gefehlt. Ich war hochmütig und hartnackig, doch ich habe meinen Stolz mit quälendem Schmerz bezahlt. Und jetzt ist dieser Schmerz für mich zu einer höllischen Qual geworden. Ari, mein Sohn — laß meinen Bruder Akiba nicht an einem englischen Galgen enden!«
XVI.
Am Vorabend der Abreise des Untersuchungsausschusses der UNO gingen in Jerusalem die Wogen hoch. Im arabischen Sektor lärmten die von Demagogen aufgewiegelten Massen. Die einzelnen Stadtteile waren voneinander durch Stacheldrahtsperren mit Maschinengewehrnestern getrennt und wurden von englischen Soldaten bewacht.
Ari ben Kanaan bewegte sich durch die ganze Stadt und suchte alle ihm bekannten Schlupfwinkel Bar Israels auf, um sich durch ihn mit den Makkabäern in Verbindung zu setzen. Doch Bar Israel schien wie vom Erdboden verschwunden und war nirgendwo aufzufinden. Zwischen den Makkabäern und der Hagana hatte es, seit die Engländer Akiba und den Kleinen Giora gefangengenommen hatten, keine Verbindung mehr gegeben. Schließlich aber gelang es Ari, der über alle Informationsquellen verfügte, festzustellen, daß sich Bar Israel im Zimmer eines Hauses aufhielt, das im Stadtteil El Katamon lag.