Exodus
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»Sie lügen!«
»Nein, ich sage die Wahrheit, ich schwöre es Ihnen. Ich hatte Anweisung, bis unmittelbar vor Beginn des Angriffs niemandem etwas davon zu sagen. Ich kam hier herein und sah, daß Sie schliefen, und bin dann wieder gegangen, um erst den anderen Bescheid zu sagen.«
Jordana führte Kitty zu dem Feldbett und zwang sie mit sanfter Gewalt, sich hinzusetzen. »Es ist noch ein kleiner Rest Cognak übrig. Da, trinken Sie.«
Kitty zwang sich, den Cognak hinunterzugießen, und versuchte, sich zu beruhigen. Jordana setzte sich neben sie und streichelte ihr die Hand. Kitty ließ ihren Kopf auf Jordanas Schulter sinken und weinte leise vor sich hin, bis sie sich ausgeweint hatte. Dann stand sie auf und zog sich eine Wolljacke an.
»Karen und Dov werden bald von ihrer Wache zurückkommen. Ich will in meinen Bunker gehen und einen Tee für sie kochen.«
Die Stunden der Dunkelheit zogen sich endlos in die Länge — die Nacht nahm kein Ende. Draußen in der Finsternis krochen die Männer auf dem Bauch an Abu Yesha vorbei, während Seew mit seinen Leuten auf der anderen Seite des Dorfes seinen Feuerüberfall inszenierte. Sie stiegen und rutschten eilig abwärts — abwärts.
Zwei Uhr morgens.
Alle, die in Gan Dafna warteten, sogar Jordana, waren am Ende ihrer Kräfte und hockten erschöpft und schweigend herum. Um Viertel nach fünf kamen sie aus den Bunkern heraus. Der Morgen war eisig kalt. Der Boden war von dünnem Rauhreif bedeckt. Alle gingen durch das Haupttor zu der Stelle hinaus, wo der Melder am Rande des Abhangs lag und nach unten spähte.
Die Dunkelheit hob sich langsam, und die Lichter im Tal erloschen. Eine nebliggraue Morgendämmerung enthüllte die ferne Tiefe.
Der Melder sah durch das Fernglas, spähte nach einem Lebenszeichen im Tal. Nichts.
»Da!«
Der Melder zeigte hinunter. Alle Blicke richteten sich auf Yad El, von wo die Morsezeichen einer Blinklampe heraufleuchteten.
»Was senden die denn da? Was heißt das?«
»Das heißt — X, 14, 16.«
Einen Augenblick lang herrschte ratlose Verwirrung. Der Blinkspruch wurde wiederholt: X, 14, 16.
»Sie sind in Sicherheit!« sagte Jordana und lächelte Kitty glücklich und erregt zu. »Exodus, Kapitel vierzehn, Vers sechzehn: Du aber hebe deinen Stab auf, und recke deine Hand über das Meer, und spalte es, daß die Kinder Israels hineingehen, mitten hindurch auf dem Trockenen.«
VI.
Vier Tage nach der Evakuierung liefen bei Ari mehrere Berichte ein. Die Kommandeure der Siedlungen in seinem Gebiet meldeten, daß der arabische Druck nachgelassen habe. Als Ari von Freunden aus Abu Yesha erfuhr, daß Kassi die Hälfte von den hundert dort stationierten Irregulären nach Fort Esther zurückbeordert hatte, wußte er, daß der Angriff auf Gan Dafna jeden Tag zu erwarten war. Ari nahm weitere zwanzig Leute vom Palmach — die allerletzten, die im Gebiet von Galiläa entbehrlich waren — und machte noch einmal die Klettertour hinauf nach Gan Dafna, um dort persönlich das Kommando zu übernehmen.
Insgesamt standen ihm vierzig Mann vom Palmach zur Verfügung, rund dreißig kampffähige Mitglieder des Stabspersonals und des Lehrkörpers, und Jordanas Gadna-Jugend, knapp über zweihundert. An Waffen hatte er hundertundfünfzig antiquierte Gewehre oder in Palästina hergestellte Maschinenpistolen, zwei Maschinengewehre, einige hundert selbst hergestellte Handgranaten, Landminen und Brandbomben, und außerdem noch die altertümliche ungarische Panzerabwehrkanone mit fünf Schuß Munition. Den Berichten seiner Feindaufklärung zufolge verfügte sein Gegner, Mohammed Kassi, über achthundert Mann, einen unbegrenzten Vorrat an Munition sowie Artillerie-Unterstützung, wozu noch einige weitere hundert Araber aus Ata und anderen feindlichen Dörfern an der libanesischen Grenze kamen.
Aris Munitionsvorrat war bedrohlich knapp. Er war sich darüber klar, daß der Angriff des Gegners sofort zerschlagen werden mußte. Aris einzige Überlegenheit war seine genaue Kenntnis des Gegners. Mohammed Kassi, der irakische Straßenräuber, verfügte über keinerlei taktische Ausbildung. Er hatte sich Kawuky in der Hoffnung angeschlossen, durch Plünderung reich zu werden. Ari hielt Kassis Leute nicht für sonderlich tapfer, doch es waren Leute, die man leicht in Raserei versetzen konnte. Sollten sie jemals im Laufe der Schlacht die Oberhand gewinnen, so verwandelten sie sich sicherlich in eine mordgierige Meute. Ari beabsichtigte, sich die Unwissenheit und Ahnungslosigkeit der Araber zunutze zu machen.
Er baute seinen Defensivplan auf der Annahme auf, daß Kassi einen Frontalangriff auf der direkten und kürzesten Linie von Fort Esther versuchen würde. Immer war die Taktik der Araber der frontale Angriff gewesen, schon damals, als er als Junge gegen sie gekämpft hatte. Ari konzentrierte seine Verteidigung auf einen einzigen Punkt. Dieser entscheidende Punkt in Aris Defensivplan war eine Schlucht, die sich zu einem Hohlweg verengte und wie ein Trichter nach Gan Dafna hinunterführte. Gelang es Ari, Kassis Leute in diese Schlucht zu locken, hatte er eine Chance. Seew Gilboa unterhielt Spähtrupps in den Felsen und dem Unterholz unmittelbar vor Fort Esther, die die Bewegungen der Araber beobachteten. Sie stellten fest, daß Kassi seine Leute massierte und zum Angriff bereitstellte.
Drei Tage nach Aris Ankunft in Gan Dafna erschien atemlos ein junger Melder mit der Nachricht in seinem Gefechtsstand, daß Kassis Leute, annähernd tausend Mann stark, das Fort verlassen hätten und den Hang herunterkämen. Innerhalb von zwei Minuten war »Alarmstufe schwarz« durchgegeben, und alle Männer, Frauen und Jugendlichen von Gan Dafna begaben sich auf ihre Posten und machten sich gefechtsbereit.
Ein tiefer Sattel bot Kassis Leuten Deckung, bis sie bei einer Kuppe unmittelbar oberhalb von Gan Dafna angekommen waren, rund sechshundert Meter von der Nordseite des Ortes und zweihundert Meter von der trichterförmigen Schlucht entfernt.
Aris Leute verschwanden in den Feuerstellungen und warteten.
Nach kurzer Zeit begannen oben am Rand der Kuppe Köpfe aufzutauchen, und innerhalb weniger Minuten wimmelte die Gegend von Arabern. Sie blieben stehen und starrten auf den seltsam stillen Ort hinunter. Den arabischen Offizieren war die Ruhe verdächtig. Auf beiden Seiten war bisher nicht ein Schuß gefallen. Von Fort Esther aus betrachtete Mohammed Kassi durch einen starken Feldstecher die Szene und lächelte, als er seine Leute sprungbereit oberhalb von Gan Dafna sah. Da die Juden bisher nicht geschossen hatten, wuchs seine Zuversicht, daß seine Männer den Ort widerstandslos überrennen würden. Ein Kanonenschuß von Fort Esther gab das Zeichen zum Angriff.
Die Verteidiger von Gan Dafna konnten hören, wie die arabischen Offiziere ihren Leuten Befehle zuriefen. Doch noch immer bewegte sich keiner von der Kuppe nach unten. Sie waren durch die völlige Stille des Ortes vor ihnen konsterniert. Immer mehr Araber begannen laut zu rufen und nach unten zu zeigen. Ihr Fluchen und wütendes Schreien schwoll an.
»Sie versuchen, sich zur Weißglut aufzuputschen«, sagte Ari.
Die disziplinierten jüdischen Soldaten zeigten weder ihre Gesichter noch die Waffen, obwohl es ihnen schwerfiel, sich angesichts der wild gestikulierenden und laut schreienden Feinde zurückzuhalten. Nachdem sie eine ganze Weile lang heftig palavert hatten, begannen die Irregulären plötzlich mit wildem Geschrei von der Kuppe nach unten zu stürmen, und Säbel und Bajonette blitzten stählern vor dem Hintergrund des Himmels.
Jetzt würde sich zeigen, ob die erste Phase von Aris Plan funktionierte. Nacht für Nacht hatte er Patrouillen vorgeschickt, um Landminen zu verlegen, die von Gan Dafna aus zur Detonation gebracht werden konnten. Diese Minen bildeten einen Korridor, durch den die Araber in die Mitte der Schlucht getrieben werden sollten.
Seew Gilboa, der am weitesten vorn lag, wartete, bis der Angriff der Araber in vollem Gange war. Als die wütende Meute das Minenfeld erreicht hatte, hob er eine grüne Signalflagge in die Höhe, und Ari betätigte von Gan Dafna aus die Zündung.
Zwanzig Minen, zehn auf jeder Seite, gingen gleichzeitig hoch. Das Dröhnen der Detonation lief donnernd die Berge entlang. Die Minen explodierten, die Angreifer drängten sich zusammen und stürmten im nächsten Augenblick in die Schlucht hinab.
Rechts und links der Schlucht hat
te Ari seine vierzig Palmach-Leute placiert, die beiden Maschinengewehre und den gesamten Vorrat an Handgranaten und Brandbomben.
Als die Araber direkt unter ihnen vorbeirasten, eröffnete der Palmach mit den Maschinengewehren das Feuer und machte die Schlucht zum Schauplatz einer blutigen Treibjagd. Flammenwerfer verwandelten Dutzende der Irregulären in lebende Fackeln, während gleichzeitig ein Regen von Handgranaten auf die Angreifer niederging.
Außerdem brannte der Palmach Bündel von Knallkörpern ab, und aus Lautsprechern, die in den Bäumen aufgehängt waren, ertönte das Geräusch donnernder Explosionen. Der unablässige Lärm der wirklichen und der scheinbaren Waffen war ohrenbetäubend und schreckenerregend.
In Fort Esther gab Mohammed Kassi, rasend vor Wut, der Artillerie den Befehl, die Ränder der Schlucht vom Feind zu säubern. Die arabischen Kanoniere eröffneten aufgeregt das Feuer, doch die Hälfte der Schüsse traf ihre eigenen Leute. Schließlich gelang es ihnen, das eine der beiden Maschinengewehre zum Schweigen zu bringen.
Die erste arabische Welle war im Abwehrfeuer liegengeblieben, doch immer neue Angreifer strömten heran. Man hatte sie zu solcher Weißglut aufgestachelt, daß sie jetzt weiterstürmten, sinnlos vor Furcht.
Auch das zweite Maschinengewehr verstummte. Sein Lauf war ausgebrannt. Die Palmach-Männer verließen ihre Feuerstellungen an den Rändern der Schlucht und begaben sich eiligst nach Gan Dafna zurück, um dort den Angriff zu erwarten.
Die erste arabische Welle, wirre Knäuel laut schreiender Männer, näherte sich dem Dorf bis auf hundert Meter. David ben Ami entfernte die Tarnung der verbarrikadierten und mit Sandsäcken geschützten ungarischen Panzerabwehrkanone, jede der fünf Granaten enthielt zweitausend Schrotkugeln. Wenn die Sache richtig funktionierte, mußte die Kanone die Wirkung einer ganzen Kompanie haben, die gleichzeitig schoß.
Die vorderste dichtgedrängte Masse Araber kam heran auf fünfzig Meter — vierzig Meter — dreißig — zwanzig —.
David ben Ami lief der Schweiß über das Gesicht, während er das Visier der Kanone auf kürzeste Distanz einstellte.
Zehn Meter —.
»Feuer eins!«
Die uralte Panzerabwehrkanone machte einen Ruck und spie den Angreifern Schrotkugeln ins Gesicht. Markerschütternde Schreie ertönten, und während David die Kanone rasch von neuem lud, erblickte er wenige Meter vor sich Haufen von Toten oder Verwundeten und voll panischen Entsetzens gestikulierende Araber, die in wilder Flucht zurücktaumelten.
Die zweite Welle kam hinter der ersten heran.
»Feuer zwei!«
Die zweite Welle blieb im Feuer liegen.
»Feuer drei!«
Der dritte Schuß sprengte den Lauf der Kanone, doch sie hatte ihre Schuldigkeit getan. Mit drei Schuß ihrer Schrotladungen hatte sie annähernd zweihundert der Angreifer kampfunfähig gemacht. Der Schwung des Angriffes war erlahmt.
Ein letztes Mal versuchte der Gegner zu stürmen. Noch einmal erreichten hundert Araber den Rand Gan Dafnas, doch sie wurden von Jordanas Gadna-Kämpfern, die in den Schützengräben standen, mit einer zusammengefaßten Salve empfangen.
Blutend und verwirrt zogen sich die überlebenden Araber in wilder Hast durch die mit Toten besäte Schlucht zurück. Als Seew Gilboa sah, daß der Gegner wich, rief er den Palmach-Soldaten zu, ihm zu folgen. Mit seinen vierzig Mann setzte er mehreren hundert fliehenden Arabern nach. Er trieb sie über die Kuppe zurück und blieb ihnen weiter auf den Fersen.
Ari, der durch den Feldstecher sah, rief wütend: »Dieser verdämmte Idiot! Er versucht, Fort Esther zu nehmen. Ich hatte ihm gesagt, daß er bei der Kuppe haltmachen soll.«
»Was ist nur in Seew gefahren?« stieß David mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Los, komm mit«, rief Ari. »Wir müssen versuchen, ihn aufzuhalten.«
Ari gab Jordana eilig die Anweisung, mit ihrer Gadna-Gruppe die Waffen der gefallenen und verwundeten Araber einzusammeln und sich mit den Jugendlichen dann nach Gan Dafna zurückzuziehen.
Sein Plan hatte sich als richtig erwiesen. Zwar hatte er in weniger als fünfzehn Minuten den größten Teil seiner Waffen und seiner Munition verausgabt, doch lag fast die Hälfte von Kassis Truppen tot oder verwundet auf dem Schlachtfeld.
Mohammed Kassi sah, wie seine Leute zurück zum Fort flohen. Seew Gilboa war seinen Männern um fünfundzwanzig Meter voraus. Die arabischen Kanoniere von Fort Esther eröffneten das Feuer auf ihre eigenen fliehenden Leute, um den Palmach abzuwehren, der sie verfolgte. Einigen der Araber gelang es, in das Fort hineinzukommen. Die anderen, die den verfolgenden Juden zu nahe waren, wurden ausgesperrt und beschossen. Seew hatte inzwischen das äußere Stacheldrahtnetz passiert, das vierzig Meter von dem Fort entfernt war.
»Deckung!« schrie er seinen Leuten zu. Er warf sich auf den Boden und feuerte mit seiner Maschinenpistole auf die Schießscharten des Forts, bis seine Leute in Deckung waren. Als er erkannte, daß sein Angriff vergeblich war, machte er kehrt und versuchte, über den Hügel zurückzukriechen. Vom Fort kam jetzt aber ein Hagel von Geschossen, und Seew wurde getroffen. Er stand auf und begann zu laufen, wurde ein zweites Mal getroffen, fiel in den Stacheldraht und blieb hilflos darin hängen.
Seine Leute, die sich weiter hinten eingegraben hatten, wollten gerade wieder vorgehen, um Seew zu holen, als Ari und David bei ihnen ankamen.
»Da vorn ist Seew«, sagte man ihnen. »Er hängt im Stacheldraht.« Ari schaute aus seiner Deckung hinter einem großen Felsblock nach vorn. Bis zu Seew waren es hundert Meter über offenes Gelände. Hier und dort lagen zwar Felsblöcke, hinter denen er Deckung finden konnte, doch die letzte Strecke bis zu Seew war freies Feld.
Das Schießen von Fort Esther hörte plötzlich auf, und es wurde sehr still.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte David.
»Sie wollen Seew als Köder benutzen. Sie sehen, daß er bewegungsunfähig ist, und hoffen, daß wir versuchen werden, zu ihm zu kommen, um ihn zurückzuholen.«
»Diese Hunde — warum erschießen sie ihn nicht einfach?«
»Ist dir das denn nicht klar, David? Er hat seine Waffe verloren. Sie werden warten, bis wir uns zurückziehen, und dann werden sie versuchen, ihn lebend in ihre Hand zu bekommen. Sie werden an ihm für alle Leute Rache nehmen, die sie heute verloren haben.« »Mein Gott«, sagte David leise. Er sprang aus der Deckung, doch Ari schnappte ihn und zog ihn zurück.
»Gebt mir mal ein paar Handgranaten«, sagte Ari. »Gut. David, führe die Leute nach Gan Dafna zurück.«
»Ich lasse dich nicht allein dort hinaufgehen, Ari —.«
»Du tust, was ich dir befehle, verdammt noch mal!«
David wandte sich schweigend um und gab das Zeichen zum Rückzug. Als er einen Blick über die Schulter warf, sah er, wie Ari bereits den Hügel hinauflief.
Die Araber beobachteten, wie Ari herankam. Sie wußten, daß jemand versuchen würde, den Verwundeten zu holen. Sie wollten warten, bis er nahe genug heran war, und versuchen, auch ihn zu verwunden. Dann würden die Juden noch einen Mann vorschicken — und noch einen.
Ari sprang auf, rannte einige Meter vor und warf sich hinter einem Felsblock flach auf die Erde. Vom Fort fiel kein Schuß.
Ari robbte weiter vor bis zur nächsten Deckung. Er war jetzt nur noch zwanzig Meter von der Stelle entfernt, wo Seew im Stacheldraht hing. Er nahm an, daß die Araber vorhatten, solange zu warten, bis er bei Seew angelangt war und ein nicht mehr zu verfehlendes Ziel bot.
»Zurück!« rief Seew. »Hau ab!«
Ari spähte vorsichtig um den Rand des Felsblocks, hinter dem er lag. Er konnte Seew jetzt ganz deutlich sehen. Das Blut lief ihm über das Gesicht, strömte aus seinem Leib. Ari richtete den Blick auf Fort Esther. Er sah, wie die Sonne auf den Läufen der Gewehre schimmerte, die auf Seew gerichtet waren.
»Zurück!« rief Seew noch einmal. »Meine Därme hängen 'raus. Ich hab' keine zehn Minuten mehr — hau ab!«
Ari machte die Handgranaten von seinem Koppel los.
»Seew — ich werfe dir ein paar Handgranaten zu«, rief er auf deutsch. Er stellte die Zündung von zwei Handgranaten fest, damit sie nicht explodie
ren konnten, erhob sich rasch und warf sie zu dem Verwundeten hin. Die eine landete unmittelbar neben Seew, der sie ergriff und an sich drückte.
»Ich habe sie — und jetzt hau ab!«
Ari lief, so rasch er konnte, den Hügel wieder hinunter. Die Araber, die darauf gewartet hatten, daß er bis zu Seew herankäme, waren so überrascht, daß sie das Feuer erst eröffneten, als er bereits außer Schußweite war und sich langsam wieder auf den Rückweg nach Gan Dafna machte.
Seew Gilboa war allein. Sein Leben ging zu Ende. Die Araber ließen eine halbe Stunde verstreichen. Sie warteten, ob die Juden irgend etwas unternehmen würden, um dem Verwundeten zu Hilfe zu kommen. Sie wollten ihn lebend in ihre Hände bekommen. Schließlich öffnete sich das Tor von Fort Esther. Einige dreißig Araber strömten heraus und kamen von verschiedenen Seiten auf den Verwundeten zu.
Seew riß die Zündung der Handgranate an und hielt sie dicht an seinen Kopf.
Ari hörte das Krachen der Detonation und blieb stehen. Er wurde kreidebleich. Er schwankte. Sein Zwerchfell zog sich krampfhaft zusammen. Dann kroch er auf Händen und Füßen weiter, zurück nach Gan Dafna.
Ari saß allein in dem Bunker, in dem sich sein Gefechtsstand befand. Sein Gesicht war bleich und starr. Nur das Zittern seiner Backenmuskeln ließ erkennen, daß Leben in ihm war. Seine Augen blickten stumpf aus dunklen Höhlen.
Die Juden hatten vierundzwanzig Leute verloren: elf Jungens und drei Mädchen vom Palmach, sechs Angehörige des Stabspersonals und vier Kinder. Dazu kamen zweiundzwanzig Verwundete. Von Mohammed Kassis Leuten waren vierhundertachtzehn tot und hundertsiebenundsiebzig verwundet.
Die Juden hatten soviel Waffen und Munition erbeutet, daß Kassi es kaum wagen würde, Gan Dafna noch einmal anzugreifen. Doch die Araber saßen nach wie vor in Fort Esther und beherrschten die Straße, die durch Abu Yesha führte.
Kitty Fremont betrat den Bunker. Auch sie war am Ende ihrer Kräfte. »Alle verwundeten Araber sind nach Abu Yesha gebracht worden, bis auf diejenigen, die Sie vernehmen wollten.«