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Exodus

Page 83

by Leon Uris


  »Dann tue es doch! Krieche zu ihr!«

  »Das kann ich nicht! Ich weiß gar nicht, wie man das macht! Verstehst du denn nicht, Vater — ich kann doch niemals der Mann sein, den sie sich wünscht.«

  »Und das ist der Punkt, wo ich unrecht an dir gehandelt habe, Ari«, sagte Barak und seufzte bekümmert. »Siehst du, ich wäre zu deiner Mutter auf den Knien gekrochen, tausendmal. Ich würde zu ihr kriechen, weil ich ohne sie nicht leben kann. Gott verzeih mir, Ari — ich habe ein Geschlecht von Männern und Frauen gegründet, die so hart sind, daß sie nicht mehr wissen, was es heißt, weinen zu können.«

  »Dasselbe hat sie mir auch einmal gesagt«, sagte Ari leise.

  »Für euch ist Zärtlichkeit gleichbedeutend mit Schwäche. Ihr haltet Tränen für etwas Unehrenhaftes. Doch das ist ein Irrtum, und in diesem Irrtum befindest du dich auch. Du bist so verblendet, daß du nicht einmal fähig bist, deine Liebe zu zeigen.«

  »Wenn ich es nicht kann, dann kann ich es eben nicht«, rief Ari heftig.

  »Und mir tut es leid um dich, Ari. Es tut mir leid um dich und um mich.«

  Am nächsten Tag trug Ari seinen Vater auf seinen Armen zum Wagen und fuhr mit ihm nach Tel Chaj hinauf, dem Ort, über den Barak mit seinem Bruder Akiba vor mehr als einem halben Jahrhundert vom Libanon her nach Palästina gekommen war. Dort befanden sich die Gräber der Wächter, der ersten bewaffneten Juden, die um die Wende des Jahrhunderts die jüdischen Siedlungen gegen die Beduinen verteidigt hatten. Die Grabsteine der Toten bildeten zwei Reihen, und ein Dutzend weiterer Grabstellen erwartete diejenigen Wächter, die noch am Leben waren. Auch die sterblichen Überreste von Akiba waren hierhergebracht und auf diesem Ehrenhain beigesetzt worden. Der Platz neben Akiba war für Barak reserviert.

  Ari trug seinen Vater an den Gräbern vorbei zu einer Stelle, wo ein riesiger steinerner Löwe stand, der in das Tal hinabblickte, Symbol eines Königs, der das Land beschützt. Auf dem Sockel standen die Worte: »ES IST EHRENVOLL, FÜR SEINE HEIMAT STERBEN ZU KÖNNEN.«

  Barak sah ins Tal hinunter. Überall lagen Ortschaften, und überall entstanden neue Siedlungen. »Es ist schön, eine Heimat zu haben, für die man sterben kann«, sagte Barak.

  Ari trug seinen Vater vom Gipfel wieder hinunter zum Wagen. Zwei Tage später entschlummerte Barak ben Kanaan. Man brachte ihn nach Tel Chaj und bestattete ihn neben Akiba.

  IV.

  Dov Landau, der gegen Ende des Freiheitskrieges in die israelische Armee eingetreten war, nahm am Kampf gegen die ägyptischen Streitkräfte teil. Auf Grund seiner Tapferkeit bei der Erstürmung von Fort Suweidan war er zum Offizier befördert worden. Dann blieb er mehrere Monate lang als einer der Wüstenwölfe Colonel Ben Kanaans in der Negev-Wüste. Ari, der Dov Landaus ungewöhnliche Begabung erkannte, schickte ihn zum Oberkommando, um ihn testen zu lassen. Das Oberkommando schickte Dov auf die Technische Hochschule in Haifa, wo er an Speziallehrgängen teilnehmen konnte, die mit den großen Projekten der Bewässerung und Erschließung der Negev-Wüste zusammenhingen. Dov zeigte dabei eine außerordentliche Befähigung für wissenschaftliche Arbeit. Er hatte seine Menschenscheu völlig überwunden. Er war jetzt aufgeschlossen, voller Humor und von tiefem Mitgefühl für das Leiden anderer. Er war ein ausgesprochen gut aussehender junger Mann geworden, noch immer sehr schlank und mit sensiblen Gesichtszügen; er und Karen liebten sich heiß und innig und verbrachten so viel Zeit miteinander wie möglich.

  Doch das junge Paar litt unter der ständigen Trennung, der Ungewißheit und der ewig gespannten Lage. Wie das Land, so befanden auch sie sich in ständigem Aufruhr: jeder von ihnen hatte seine eigenen schweren Pflichten. Es war die alte Geschichte in Israel, die Geschichte von Ari und Dafna, die Geschichte von David und Jordana. Jedesmal, wenn sie sich sahen, wuchs ihre Sehnsucht und zugleich ihre Enttäuschung. Dov, der Karen geradezu anbetete, wurde zum Stärkeren von ihnen.

  Als er fünfundzwanzig Jahre alt wurde, war er Hauptmann im Pionierkorps und galt als eine der verheißungsvollsten Begabungen auf seinem Spezialgebiet. Seine Zeit war dem Studium an der Technischen Hochschule und am Weizmann-Institut in Rechowot gewidmet.

  Nach dem Ende des Freiheitskrieges verließ Karen Gan Dafna und trat gleichfalls in die Armee ein. Dort setzte sie ihre Ausbildung als Krankenschwester fort. Sie hatte bei der Arbeit mit Kitty wertvolle Erfahrungen gesammelt und konnte die Grundausbildung daher sehr rasch abschließen. Die Krankenpflege sagte ihr sehr zu, und sie wünschte sich, eines Tages in Kittys Fußstapfen zu treten und sich als Kinderpflegerin zu spezialisieren. Sie arbeitete in einem Krankenhaus im Scharon-Tal. Von hier aus konnte sie per Anhalter nach Jerusalem fahren, um Kitty zu besuchen, wenn sie gerade dort war, und es war auch nicht weit nach Haifa, so daß sie Dov häufig sehen konnte.

  Kitty wußte, daß Karen sie nicht mehr brauchte. Ebenso wußte sie, daß auch sie selbst Karen nicht mehr als Lebensinhalt nötig hatte. Sie wagte zu hoffen, daß sie irgendwann und irgendwo ein normales Leben und echtes Glück erwarteten.

  Nein, was Karen und sie selbst anging, so hatte Kitty keine Sorge, abzureisen. Doch jetzt bewegte sie eine neue Furcht — die Sorge um die Zukunft Israels.

  Die Araber saßen an den Grenzen Israels und warteten nur auf den Tag, an dem sie sich auf die kleine Nation stürzen und sie in der mit großem Trara angekündigten »Zweiten Runde« zerstören könnten. Die arabischen Führer drückten den Massen Schußwaffen an Stelle von Pflugscharen in die Hand. Die wenigen, die die Chancen erkannten, die in der Zusammenarbeit mit Israel lagen, wurden umgebracht. Die Presse und das Radio der arabischen Länder wiederholten die alten Haßgesänge. Das Flüchtlingsproblem wurde zusätzlich so verschärft, daß es unlösbar wurde. In offener Verletzung des internationalen Rechts sperrten die Ägypter den Suezkanal für israelische Schiffe und für Schiffe anderer Nationen, deren Ladung für Israel bestimmt war.

  Der Golf von Akaba wurde blockiert, um die Juden daran zu hindern, Elath als Hafen zu benutzen.

  Die Arabische Legion ignorierte unverfroren die beim Waffenstillstand getroffene Vereinbarung, daß die Juden zur Altstadt von Jerusalem freien Zugang haben sollten, um an der heiligsten Stätte der Judenheit, der Klagemauer des Tempels, ihre Gebete verrichten zu können.

  Sämtliche arabischen Nationen lehnten es ab, die Existenz des Staates Israel anzuerkennen; sie betonten vielmehr bei jeder Gelegenheit ihre Entschlossenheit, Israel zu vernichten.

  Die Araber, hauptsächlich die Ägypter im Gebiet von Gaza, stellten organisierte Banden auf, deren Aufgabe es war, nachts über die Grenze zu gehen, um die Felder der Israelis in Brand zu stecken, Wasserleitungen zu unterbrechen, Verheerung anzurichten und Menschen im Hinterhalt aufzulauern, um sie umzubringen. Für diese Banden verwendete man die drangsalierten, von Demagogen aufgehetzten Palästinaflüchtlinge.

  Die Untaten der Banden erreichten schließlich ein solches Ausmaß, daß Israel nichts anderes übrigblieb, als Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen. Die israelische Armee erklärte, daß für jeden ermordeten Juden zehn Araber getötet werden würden. Vergeltung schien leider die einzige Sprache zu sein, die die Araber verstanden, die einzige Maßnahme, die ihrem Treiben möglicherweise Einhalt gebieten konnte.

  Eine der Abwehrmaßnahmen, die man in Israel entwickelte, hieß Nahal. Hierbei handelte es sich um die beschleunigte Errichtung wehrhafter Siedlungen an strategisch wichtigen Punkten. Viele Jugendgruppen, junge Männer und junge Frauen, gingen geschlossen zum Heer, um als militärische Einheit die Grundausbildung durchzumachen. Nach Abschluß der Grundausbildung wurden sie an die Grenzen des Landes geschickt, um dort Wehrsiedlungen zu errichten, also mit der doppelten Aufgabe, den Boden zu bearbeiten und die Grenze zu verteidigen. Die Siedlungen dieser jungen Leute, die meist noch keine Zwanzig waren, lagen unmittelbar an der Grenze, nur wenige Meter vom Feind entfernt.

  Die Lebensbedingungen waren außerordentlich hart. Der Sold der jungen Farmer-Soldaten betrug dreißig Dollar im Jahr. Vor ihnen lag der Tod, hinter ihnen unfruchtbares Land, das erst urbar gemacht werden mußte. Und doch — ein weiteres Wunder der jungen Nation —: die Jugend Israels meldete sich freiwillig dazu, ihr Leben in s
olchen Siedlungen an den Grenzen zu verbringen. Unauffällig und ohne jedes heroische Pathos begaben sie sich auf diesen entsagungsvollen Posten. Sie betrachteten es als ihre selbstverständliche Pflicht, in dieser Gefahr zu leben. Es war ihre Aufgabe. Sie hatten keinerlei Gedanken an irgendeinen persönlichen materiellen Gewinn, sondern dachten ausschließlich an Israel und die Zukunft. Die härteste dieser Fronten bildete die Grenze im Gebiet von Gaza, diesem schmalen Landstrich, der wie ein Finger in das Gebiet Israels hineinstieß. Das alte Gaza, wo Samson einst die Tore aus den Angeln gehoben hatte, hatte jetzt neue Tore bekommen: die Tore der Lager für Palästinaflüchtlinge. Diese Flüchtlinge saßen untätig herum und lebten von den Spenden der internationalen Organisationen, während sie von den ägyptischen Lagerleitern voll Haß gepumpt wurden. Gaza war der entscheidende Stützpunkt für die Aufstellung und Ausbildung der von den Ägyptern geförderten Fedayin — der Banden, die nachts illegal zu Raub und Mord über die Grenze gingen.

  An diese bedrohte Grenze zogen zweiundzwanzig junge Männer und sechzehn Mädchen, um hier, knapp zehn Kilometer vom Zentrum des Feindes entfernt, eine Nahal-Siedlung zu errichten. Sie bekam den Namen Nahal Midbar — Strom in der Wüste.

  Eines der sechzehn Mädchen war die Sanitäterin Karen HansenClement.

  Dov hatte seine Studien am Weizmann-Institut beendet und wurde in das Hule-Tal versetzt, um dort an einem großen Wasserbauprojekt mitzuarbeiten. Er ließ sich fünf Tage Urlaub geben, um nach Nahal Midbar zu fahren und Karen zu besuchen, bevor er sich bei seiner neuen Dienststelle melden mußte. Sie hatten sich nicht mehr gesehen, seit Karen vor sechs Wochen mit ihrer Gruppe losgezogen war.

  Dov brauchte einen ganzen Tag, um diese abgelegene Ecke der Negev-Wüste per Anhalter zu erreichen. Von der Landstraße, die an der Grenze des Gaza-Gebiets entlangführte, zweigte ein Landweg ab, der rund vier Kilometer weit zu der Siedlung führte.

  Nahal Midbar bestand größtenteils noch aus Zelten. An Gebäuden gab es bisher nur eine Speisebaracke, einen Geräteschuppen und zwei Wachttürme. Diese wenigen Gebäude standen verloren inmitten einer windigen, unbelebten, ausgedörrten Einsamkeit, die am Ende der Welt zu liegen schien, am Rande des Nichts. Bedrohlich erhob sich der Umriß von Gaza am Horizont. Auf der dem Feind zugewandten Seite der Siedlung zogen sich Schützengräben und Stacheldrahthindernisse entlang.

  Ein erstes Stück Land war unter dem Pflug. Dov blieb am Tor stehen. Nahal Midbar machte einen trostlosen Eindruck. Doch dann verwandelte es sich für ihn plötzlich in den herrlichsten Garten der Welt, denn er sah Karen, die von ihrem Lazarettzelt auf ihn zugelaufen kam.

  »Dov! Dov!« rief sie, während sie rasch über die nackte braune Erde der Anhöhe lief. Sie warf sich in seine ausgebreiteten Arme; sie hielten sich eng umschlungen, und ihre Herzen klopften vor Erregung und Freude.

  Dann nahm Karen ihn an der Hand und führte ihn an die Wasserstelle; er wusch sich das verschwitzte Gesicht und nahm einen tiefen Schluck. Anschließend ging sie mit ihm einen Weg entlang, der über den Hügel zu einer Stelle führte, wo Ruinen aus der Zeit der Nabatäer standen. Diese Stelle war der vorderste Beobachtungsposten, direkt an der Grenze gelegen, und ein beliebter Treffpunkt für Liebespaare.

  Karen gab dem Posten durch ein Zeichen zu verstehen, daß sie die Wache übernehmen werde; der Posten verstand und zog ab.

  Karen und Dov gingen zu den Mauerresten eines alten Tempels, und dort warteten sie, bis der Posten außer Sicht war. Karen spähte durch den Stacheldraht nach vorn. Alles war ruhig.

  Beide lehnten ihre Gewehre gegen die Mauer und umarmten und küßten sich.

  »Oh, Dov!« sagte Karen atemlos. »Endlich!«

  »Ich bin vor Sehnsucht nach dir fast gestorben!« sagte er.

  Sie küßten sich wieder und wieder, spürten die mittäglich brennende Wüstensonne nicht mehr, spürten nur noch die Nähe des anderen. Dov ging mit Karen in eine Ecke des Tempels. Sie setzten sich auf die Erde, und Karen lag in seinen Armen.

  Nach einer Weile sagte Dov: »Ich muß dir etwas erzählen — eine großartige Sache.«

  »Was denn?«

  »Du weißt, daß ich zu diesem Wasserbauprojekt im Hule-Tal abkommandiert bin?«

  »Ja, natürlich.«

  »Also, gestern mußte ich mich beim Stab melden. Ich soll nur bis zum Ende des Sommers im Hule-Tal bleiben — dann soll ich nach Amerika gehen, um dort mein Studium fortzusetzen! An der Technischen Hochschule von Massachusetts!«

  Karen machte große Augen. »Nach Amerika? Um zu studieren?«

  »Ja. Für zwei Jahre. Ich konnte es kaum erwarten, herzukommen, um es dir zu erzählen.«

  Karen faßte sich rasch und zwang sich, zu lächeln. »Wie wunderbar, Dov. Ich bin so stolz auf dich. Dann wirst du also in sechs bis sieben Monaten nach Amerika gehen.«

  »Ich habe noch keine Zusage gegeben«, sagte er. »Ich wollte es erst mit dir besprechen.«

  »Zwei Jahre, das ist ja nicht für immer«, sagte Karen. »Und was meinst du, wie unser Kibbuz hier aussehen wird, wenn du zurückkommst. Wir werden dann zweitausend Dunam Land unterm Pflug haben, und eine Bibliothek, und ein Kinderheim voller Babys.« »Sachte, sachte«, sagte Dov. »Ich gehe nicht nach Amerika oder sonstwohin ohne dich. Wir heiraten, und du gehst mit. Es wird natürlich nicht ganz einfach werden in Amerika. Man wird mir kein großes Stipendium geben können. Ich werde nebenbei arbeiten müssen, aber du kannst Kurse in Krankenpflege nehmen und auch praktisch arbeiten — wir werden es schon schaffen.«

  Karen sagte nichts. Sie sah in die Ferne, wo sich Gaza erhob, und sie sah die Wachttürme und die Schützengräben.

  »Ich kann nicht fort von Nahal Midbar«, sagte sie leise. »Wir haben gerade erst angefangen. Die Jungens arbeiten zwanzig Stunden täglich.«

  »Karen — du mußt Urlaub nehmen.«

  »Nein, Dov, das kann ich nicht. Wenn ich weggehe, wird es für alle anderen hier um so schwerer.«

  »Du mußt mitkommen. Ich gehe nicht ohne dich. Verstehst du denn gar nicht, was das bedeutet? Wenn ich in zwei Jahren wieder hierherkomme, dann werde ich ein Fachmann auf dem Gebiet des Wasserbaues sein. Wir werden zusammen in Nahal Midbar wohnen, und ich werde hier in der Nähe an den Bewässerungsprojekten arbeiten. Begreife doch, Karen — ich werde dann für Israel fünfzigmal mehr wert sein als jetzt.«

  Karen stand auf. »Für dich ist das richtig. Es ist wichtig, daß du nach Amerika gehst. Ich bin im Augenblick hier wichtiger.«

  Dov wurde blaß und ließ die Arme hängen. »Ich dachte, du würdest dich darüber freuen —.«

  Karen, die mit dem Rücken zu ihm stand, drehte sich um und sah ihn an. »Du weißt genau, daß du nach Amerika mußt, und ebenso genau weißt du, daß ich hierbleiben muß.«

  »Nein, verdammt noch mal! Ich kann nicht zwei Jahre lang von dir getrennt sein. Ich halte es nicht einmal mehr aus, zwei Tage ohne dich zu sein.« Er riß sie an sich, bedeckte ihr Gesicht mit seinen Küssen, und sie erwiderte Kuß um Kuß, und beide flüsterten immer wieder: »Ich liebe dich«; ihre Gesichter waren naß vor Schweiß und naß vor Tränen, und ihre Hände waren ruhelos und hungrig, und eng umklammert sanken sie auf die Erde.

  »Ja!« rief Karen.

  »Nein!« Dov sprang auf. Er ballte die Hände zur Faust und zitterte. »Wir müssen aufhören damit.«

  Dann waren beide stumm, und nur das leise Schluchzen von Karen war zu hören. Dov kniete sich zu ihr. »Bitte weine nicht, Karen«, sagte er.

  »Ach, Dov, was sollen wir bloß machen? Es ist, als ob ich gar nicht lebte, wenn du nicht da bist, und jedesmal, wenn wir uns wie jetzt sehen, ist es dasselbe. Wenn du wieder wegfährst, bin ich tagelang krank vor Sehnsucht nach dir.«

  »Für mich ist es genauso schlimm« sagte er. »Aber es ist meine Schuld. Wir müssen vorsichtiger sein.«

  Er ergriff ihre Hand und half ihr, aufzustehen.

  »Sieh mich nicht so an, Karen. Ich werde nie etwas tun, was nicht gut für dich wäre.«

  »Ich liebe dich, Dov. Ich schäme mich nicht, daß ich Sehnsucht nach dir habe, und ich habe auch keine Angst davor.«

  »Es ist wohl besser, wir gehen jetzt wieder zurück«, sa
gte er.

  Kitty Fremont war in fast ganz Israel herumgefahren und hatte Siedlungen besucht, die mit den denkbar schwierigsten Bedingungen zu kämpfen hatten. Als sie jetzt nach Nahal Midbar fuhr, ahnte sie, was sie zu erwarten hatte. Doch obwohl sie auf das Schlimmste gefaßt gewesen war, sank ihr Herz beim Anblick von Nahal Midbar, dieses Backofens am Rande der Hölle, der von haßerfüllten arabischen Horden bedroht war.

  Karen führte Kitty überall herum und zeigte ihr mit spürbarem Stolz, was in drei Monaten hier erreicht worden war. Trotz der hölzernen Hütten und einem kleinen Stück bebauten Landes bot das Ganze noch einen bedrückenden Anblick. Was hier entstand, war das Werk junger Männer und junger Frauen, die von früh bis spät über ihre Kräfte arbeiteten und nachts Wache standen. Ihr ganzes Leben war diesem Aufbau gewidmet.

  »In ein paar Jahren«, sagte Karen, »werden hier überall Blumen sein und Sträucher und Bäume, wenn wir nur genug Wasser bekommen.« Sie gingen aus der glühenden Sonne in Karens Lazarettzelt, und beide tranken ein Glas Wasser. Kitty sah durch den Eingang des Zeltes nach draußen. Ihr Blick fiel auf Schützengräben und Stacheldrahtverhaue. Draußen auf den Feldern arbeiteten Männer und Frauen in der Hitze, während andere mit Gewehren in ihrer Nähe standen und Wache hielten. Die eine Hand am Schwert und die andere am Pflug.

  Kitty sah zu Karen hinüber. Das Mädchen war so jung und schön. Hier an diesem Ort würde es innerhalb weniger Jahre vorzeitig altern.

  »Du willst also wirklich nach Amerika zurück?« sagte Karen. »Ich kann es einfach nicht glauben.«

  »Ich habe den Leuten gesagt, ich wollte ein Jahr Urlaub nehmen. Ich habe seit einiger Zeit großes Heimweh. Und jetzt, wo du nicht mehr da bist — möchte ich es mir einfach mal für eine Weile etwas leichter machen. Vielleicht komme ich wieder nach Israel zurück, wer weiß.«

  »Und wann willst du fahren?«

  »Nach dem Pessach-Fest.«

 

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