Bevor wir fallen

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Bevor wir fallen Page 7

by Bowen, Sarina


  »Schön, aber dann nimm mich auch nicht mehr dafür ran, dass ich mich angeblich wie eine männliche Schlampe aufführe, solange du so ein leuchtendes Beispiel abgibst.« Er ließ sich auf dem Sofa nieder.

  »Ich will dich gar nicht rannehmen, Bridge. Du bist nicht gerade mein Typ.«

  »Vielen Dank auch für das nette Bild, dass du damit in meinen Kopf gepflanzt hast«, gab Bridger zurück, und ich lachte.

  Dana schien dem Wortwechsel keinerlei Beachtung zu schenken. Sie lief mit bekümmertem Blick, die Visitenkarte der Merry Mellowtones in der Hand, nervös im Zimmer auf und ab. Ihre Hoffnungsfeen machten offenbar Überstunden, flüsterten ihr Ermutigungen ins Ohr und versuchten, ihre Befürchtungen zu zerstreuen.

  »Halte durch, Dana!«, sagte Bridger und deutete auf den Fernseher. »Kein Ton, Alter?«

  Hartley schüttelte bloß den Kopf.

  Lange Zeit passierte nichts, außer dass die Patriots einen Touchdown erzielten. Also lief es wenigstens in dieser Hinsicht gut für uns.

  Während die Minuten vorbeischlichen, versuchte Dana wahlweise, ein Loch in unseren Teppich zu laufen und die Ränder der Karte zu zerfleddern, die ihr die Merry Mellowtones dagelassen hatten. Hartleys Gesicht hatte unterdessen wieder ein wenig Farbe bekommen, und er verzog nicht mehr bei jeder Bewegung gequält das Gesicht.

  Ich selbst fühlte mich derweil emotional vollkommen übersteuert. Ich konnte mich kaum zusammenreißen, die beiden nicht dauernd abwechselnd zu umarmen. Dana wirkte gestresst und unsicher. Was die Gesangsgruppen anging, hatte ich ganz klar die richtige Entscheidung getroffen. Diese sogenannte Tap Night war eine Art mittelalterliches Selbstkasteiungsritual, in dem einen die restliche Welt innerhalb einer Stunde darüber aufklärte, wie begehrt man war. Wer brauchte das bitteschön? Da war es schon besser, seinen Anteil Ablehnung in mundgerechten Happen serviert zu bekommen. Ich erhielt meine Dosis jeden Tag – in Form von Hartleys Gesichtsausdruck angesichts der Vorstellung, vor anderen Menschen im Rollstuhl zu sitzen, oder dem superbreiten Lächeln der Menschen, denen mein Anblick die Sprache verschlug. Während ich beobachtete, wie Danas Selbstvertrauen langsam dahinschmolz, fragte ich mich, warum man sich freiwillig solche Probleme einhandeln sollte, wenn man sie sonst jederzeit und ungefragt hinterhergeschmissen bekam.

  Doch gerade als ich mich zu fragen begann, ob Dana noch lange standhalten würde, hörte man draußen aufs Neue lautes Getrampel, worauf meine Mitbewohnerin jeden Muskel im Leib anzuspannen schien. Dann klopfte es an die Außentür.

  Bridger sprang auf und rannte hinaus, um den Besuchern aufzumachen.

  Eine Gruppe Mädels – dieses Mal in lila T-Shirts – kam hereingerannt, hakte sich unter und begann, vierstimmig die Schulhymne zu singen.

  Danas Gesicht erstrahlte wie der Weihnachtsbaum auf dem Rockefeller Center.

  »Würdest du gerne die neueste Sängerin bei Something Special werden, Dana?«, fragte die Vorsängerin nach dem Ende des Vortrags.

  »Ja!«, kreischte Dana.

  Die Jungs applaudierten, und ich legte Dana einen Arm um die Schulter. Sie zitterte buchstäblich vor Freude.

  Die Lehre aus diesem Abend traf mich so plötzlich, dass es mir schier das Herz zerriss. Danas Risikobereitschaft hatte sich am Ende ausgezahlt. Sie wusste jetzt, wo sie hingehörte. Die Mädchen in lila T-Shirts, die ihr nun um den Hals fielen, waren alles andere als unbedeutend.

  Ich lächelte so breit, dass es wehtat, so sehr freute ich mich für sie. Während es mich selbst innerlich zerriss.

  7

  Dein Wunderknabe

  Corey

  Als sich die Blätter gelb und rot gefärbt hatten, waren die Zwischenprüfungen fast gelaufen.

  Ich hatte den Spanischtest mit Bravour bestanden und war mit Mühe und Not durch die Matheprüfung gekommen. Da ich mich montags, mittwochs und freitags mit Hartley auf den für Behinderte reservierten Plätzen niederlassen konnte, besuchte ich die Wirtschaftsvorlesung inzwischen am liebsten. Und nach der Vorlesung gingen wir gemeinsam zum Mittagessen in die Mensa. Die Woche hatte nur eine Schattenseite – die Physiotherapie.

  »Wie klappt es mittlerweile auf der Treppe?«, erkundigte sich Pat wie jedes Mal.

  »Gut. So weit.« Aus irgendeinem Grund machten mich die Therapiestunden einsilbig.

  »Üben wir das.«

  »Ja, üben wir«, gab ich trocken zurück.

  Pat führte mich in ein Treppenhaus, in dem ich noch nie zuvor gewesen war. »Okay, dann mal los. Lassen Sie Ihre Technik sehen.«

  Eine nach der anderen setzte ich meine Krücken auf die erste Stufe und zog die Füße hinterher. Dann ging das Ganze von vorne los. Und dann wieder. Nachdem ich sieben Stufen erklommen hatte, drehte ich mich zu Pat um. Was ein Fehler war. Ich erkannte auf der Stelle, wie leicht ich hier stolpern und hinunterstürzen konnte. In einer schrecklichen Vision sah ich, wie mein Körper von den Kanten abprallte, und zwar rückwärts. Und das jagte mir eine Heidenangst ein.

  Plötzlich war ich mitten auf der Treppe gestrandet. Ich hatte Angst, nach oben zu steigen, aber umdrehen und wieder hinuntergehen konnte ich auch nicht.

  Dann stand Pat hinter mir. »Ich habe Sie«, sagte sie und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Nur noch ein paar Stufen.«

  Schwitzend stand ich es durch. Pat berührte mich bei jedem Schritt am Rücken, damit ich wusste, dass sie mir weiter Hilfestellung gab. Erst auf dem ersten Treppenabsatz hielten wir inne.

  Pat tippte sich ans Kinn und machte ein nachdenkliches Gesicht, während ich nach Luft schnappte.

  »Ich weiß, dass man Ihnen beigebracht hat, an zwei Krücken zu gehen«, sagte sie schließlich. »Aber vielleicht kommen Sie mit einer einzelnen und dem Geländer besser zurecht.« Sie führte mich zum Handlauf und nahm mir eine Gehhilfe ab.

  Der zweite Anlauf fiel mir leichter, weil ich mich wie eine Ertrinkende am Geländer festklammern konnte.

  »Keine Sorge, nach unten nehmen wir den Lift«, verkündete Pat, nachdem ich es bis nach oben geschafft hatte. Sie gab mir die Krücke zurück und drückte auf den Knopf für den Fahrstuhl.

  Grimmig und schwitzend folge ich ihr in den Therapieraum. Dort musste ich mich auf die Matte setzen und meine Beinschienen abnehmen.

  »Wissen Sie, Corey …«

  Ich hasste es, wenn jemand so anfing. Nach so einer Einleitung wurde fast immer gemeckert.

  »Je mehr wir Sie ans Laufen bekommen, desto besser wird es Ihnen gehen. Sie sind noch sehr unsicher. Ich weiß, Sie fühlen sich unbeholfen, wenn Sie gehen, aber wir haben ein paar sehr gute Möglichkeiten, ihre Schritte natürlicher zu machen.«

  »Was für welche?« Meine steifbeinigen Schritte hätten unmöglich noch unnatürlicher sein können.

  »Es gibt da eine neue Art Schienen, die Sie nach Belieben beugen oder blockieren können. Ich denke, die wären bestens für Sie geeignet. Allerdings verlangt der Hersteller, dass Sie weitere acht Monate im Rahmen einer Therapie damit üben.«

  »Was kann eine Schiene, die acht Monate Physiotherapie erfordert, schon taugen?«

  Pat lächelte wie jemand, der sich bemüht, geduldig zu bleiben. »Ich finde sie fantastisch. Aber damit sie Ihnen was bringen, müssten Sie Rumpf, Oberkörper und Gesäßmuskeln trainieren. Überlegen Sie es sich. Jetzt machen wir erst mal mit Krabbeln weiter.«

  Ich sah Pat ermattet an. Krabbeln gehörte zu den besonders anstrengenden Übungen.

  »Hände auf die Matte, bitte.«

  Ich warf mich mit einem wenig kooperativen Seufzen herum und setzte die Hände auf die Matte. Dann machte ich einen Buckel wie eine Katze und wuchtete mich auf schwächlichen Oberschenkelmuskeln in einem müden Versuch in eine Position, die »auf allen Vieren« darstellen sollte.

  Pat sortierte hinter mir meine arbeitsunwilligen Beine. »Also los«, rief sie. »Uns bleiben ohnehin nur noch acht Minuten.«

  Ich setzte eine Hand auf der Matte ein Stück vor.

  »Es geht leichter, wenn Sie die Hand und das entgegengesetzte Bein zugleich benutzen«, sagte sie.
»Ich zeige es Ihnen.« Pat ließ sich nun auch auf Hände und Knie nieder, um mir vorzumachen, wie ich das Bein, das ich benutzen wollte, richtig entlastete.

  In diesem Moment wurde die Tür zum Therapieraum geöffnet, und jemand rief: »Oh super, Frauen auf allen Vieren.«

  »Mr Hartley.« Pat klang frostig. »So können Sie weder mit mir noch mit meiner Patientin reden.«

  »Keine Sorge, Pat«, gab Hartley zurück, »Sie dürfen mich in der nächsten Stunde dafür schinden. Und Callahan kann mich dann später bei RealStix bestrafen.«

  »Und wie ich das tun werde«, rief ich und ließ den Hintern auf meine nutzlosen Unterschenkel sinken, was aus Gründen der Durchblutung eigentlich wirklich gar nicht ging. In der Reha hatten immer alle einen Anfall gekriegt, sobald ich auch nur eine Sekunde so dagesessen hatte.

  »Auf geht’s, Corey«, forderte Pat mich auf. »Ich möchte, dass Sie die ganze Matte schaffen.«

  Ich zögerte. Ich hatte wirklich keine Lust darauf, dass Hartley zusah, während ich wie eine Schnapsleiche auf dem Boden herumkroch und dabei mit dem Hintern in der Luft wackelte. Ich sah Pat an und schüttelte kaum merklich den Kopf.

  Pat musterte mich einen Moment. Dann rief sie Hartley zu: »Tun Sie mir einen Gefallen. Gehen Sie bitte runter zum Empfang und holen meine Post herauf. Ich erwarte einen wichtigen Brief. Wir haben ja noch ein paar Minuten, bevor ihre Therapiestunde anfängt.«

  »Okay …«, sagte er gedehnt. »Kann ich Ihnen sonst noch was von draußen mitbringen. Kaffee? Wäsche aus der chemischen Reinigung?«

  »Nein, das wäre alles.«

  Als er draußen war, streckte ich den Hintern raus und begann zu krabbeln. »Danke«, murmelte ich leise.

  »Keine Ursache«, seufzte Pat.

  »Sag mal, Corey«, begann Dana, während sie in eine Jacke schlüpfte, »hast du schon von dem Verkupple-deinen-Mitbewohner-Tanz nächste Woche gehört?«

  Hartley rief gerade unsere Hockeypartie auf, wir hatten aber noch nicht angefangen.

  »Spaßige Veranstaltung«, fügte er hinzu. »Letztes Jahr habe ich Bridger verkuppelt. Ich hab ihn im Hof mit Handschellen an einen Baum gefesselt und seinem Date den Schlüssel gegeben.«

  »Klingt … interessant«, sagte ich. »Willst du da mitmachen, Dana?« Dabei konnte ich, da sie mit dem Thema angefangen hatte, eigentlich davon ausgehen, dass die Antwort ja lautete.

  Sie zuckte mit den Achseln. »Ich finde, das hört sich lustig an. Und du? Worauf stehst du, Corey? Hast du einen bestimmten Typ, auf den du abfährst?«

  Hartley gab mir ein Gamepad. »Für Callahan kommt nur ein Mann infrage, aber der ist ziemlich unerreichbar.«

  Mein Herz galoppierte los wie ein Pony, und ich schmeckte allen Ernstes Galle im Mund. Ich war mir nicht sicher, ob Hartley ahnte, was ich für ihn empfand, und ob er es vielleicht jeden Moment laut aussprechen würde.

  »Wahrscheinlich spielen die Pittsburgh Puffins heute Abend, oder?«, fuhr Hartley fort. »Sonst würde der Kapitän bestimmt herfliegen, wenn du ihn nett darum bätest.«

  Mein Herzschlag fiel in sein Normaltempo zurück.

  Dana kicherte. »Der Mannschaftskapitän der Pittsburgh Puffins? Den muss ich erst googeln.« Sie beugte sich über meinen Laptop, der auf dem Koffer stand, und tippte auf der Tastatur herum. »Oh!«, rief sie nach einigen Sekunden. »Verstehe … Wow!«

  »Ja«, pflichtete ich ihr verträumt bei.

  Hartley schnaubte verächtlich.

  »Hey Corey«, sagte Dana. »Da ruft dich jemand auf Skype an. Damien. Willst du rangehen?«

  »Ja, klar. Danke.«

  Dana gab mir den Laptop, und nachdem ich den Antwortbutton angeklickt hatte, erschien das Gesicht meines Bruders auf dem Bildschirm.

  »Hey Kurze«, sagte er. »Was geht?«

  »Nicht viel. Ich hänge nur so rum. Bist du noch auf der Arbeit?« Im Hintergrund konnte ich Büromobiliar erkennen.

  »Ja, das ist mein glamouröses Leben.« Vor dem Jurastudium absolvierte mein Bruder ein Jahr als Rechtsanwaltsgehilfe in einer Kanzlei.

  Hartley ließ sich neben mir aufs Sofa plumpsen, in einer Hand eine Flasche Tequila, in der anderen einen Cocktailshaker. »Wow! Du bist’s wirklich, Callahan. Wie geht’s dir, Mann?«

  »Alter, wieso bist du im Zimmer meiner Schwester und nicht beim Training?«

  »Tja Captain, der Grund dafür wäre wohl der Riesenscheißgips an meinem Bein. Zurzeit kann ich nur Bildschirmhockey spielen, und deine Schwester hat die Superglotze. So stellen wir uns im Behindertencamp eine richtige Party vor.« Hartley warf einen Blick auf die Cocktailutensilien, die er mitgebracht hatte. »Verdammt, ich hab die Limetten vergessen. Bin gleich wieder da.« Er griff nach seinen Krücken, stand auf und humpelte Richtung Tür.

  Damien wartete einen Augenblick, dann verschränkte er die Arme und zog die Augenbrauen zusammen. »Sag mir bitte, dass du nicht mit ihm zusammen bist.«

  Ich musste lachen. »Bin ich nicht. Aber wieso in aller Welt interessiert dich das überhaupt?«

  »Weil er nicht meine erste Wahl für dich wäre.«

  Tja, er hat mich nicht erwählt, du musst dir also keine Sorgen machen.

  »Interessant, Damien, und wer wäre dann bitte deine erste Wahl für mich?«

  »Natürlich niemand. Du bist meine kleine Schwester.«

  »Verstehe.«

  »Halt dich vom ganzen Hockeyteam fern. Das sind alles Schweine.«

  »Damit hast du dich gerade offiziell selbst zum Schwein ernannt.«

  Mein Bruder grinste breit. »Ich sage nur meine Meinung.«

  »Okay, ich muss hier gleich ein Videogame gewinnen, Bro. Wir reden später.«

  Damien runzelte die Stirn. »Lass dich nicht von Hartley betrunken machen.«

  »Echt jetzt? Du machst mir Vorschriften übers Trinken? Schalt mal einen Gang runter. Sonst erzähle ich Mom, was wirklich mit der Flasche Kochsherry passiert ist, die plötzlich verschwunden war, als du in der Zehnten warst.«

  Er grinste. »Wir hören uns, Kurze.«

  Das erste Spiel gewann ich. Doch statt Hartley damit aufzuziehen, fragte ich ihn, ob er mir einen kleinen Rat geben könne.

  »Ja, du solltest deinen Torhüter an ein anderes Team verkaufen. Der Mann ist eine Lusche.«

  Hartley presste Limettensaft in den Cocktailshaker. Ich sah zu, wie er anschließend Tequila hineingoss und einen Löffel Honig dazugab. Er sollte sein Knie nicht mehr kühlen, daher war der Plan, den Rest von dem Eis, das Bridger ihm neulich mitgebracht hatte, für Margaritas zu verwenden.

  »Jetzt mal im Ernst, es geht um diesen Verkupple-deinen-Mitbewohner-Tanz. Dana will, dass ich ein Date für sie organisiere. Aber da ich in sozialer Hinsicht praktisch unter einem Stein lebe, weiß ich nicht, wen ich für sie anrufen soll.«

  Er schüttelte unsere Cocktails. »Auf was für Typen steht sie denn?«

  »Keine Ahnung. Für Sport interessiert sie sich eigentlich gar nicht. Ich könnte sie mir eher mit einem Theater-Nerd oder einem Musiker vorstellen.«

  »Dann bittest du vermutlich den Falschen um Hilfe.« Er schraubte den Shaker auf und goss das Ergebnis in zwei Mensagläser. »Ich hätte noch Salz klauen sollen. Aber egal. Cheers!« Er reichte mir ein Glas.

  Ich probierte. »Ich fand das mit dem Honig erst irgendwie komisch. Aber es schmeckt gut.«

  »Halt dich an mich, Baby.«

  Schön wär’s.

  »Sag mal«, begann Hartley, während er unter Grimassen das Knie beugte, »was soll ich Dana sagen, wenn sie mich um Rat bittet, mit wem Sie dich verkuppeln soll? Es gibt ein paar Neue in der Hockeymannschaft, die gerne hingehen würden. Ich weiß allerdings nicht, ob sie an dem Abend ein Spiel haben.«

  Ich schüttelte den Kopf. »Ich geh da nicht hin.«

  »Willst du nicht verkuppelt werden?«

  Ich fühlte mich rot werden. »Alter Schwede, du lässt aber auch nicht locker.«

  »Ganz schön spaßbefreit für einen Freitagabend«, sagte Hartley mit einem gespie
lten Stöhnen. »Bei der Sache geht’s echt lustig zu, und man kann auf entspannte Art Leute kennenlernen. Nichts für ungut, Callahan, aber du gehst nicht gerade oft vor die Tür.«

  Fast hätte ich mich an meinem Drink verschluckt. »Hartley, wenn ich jemanden brauche, der mir damit auf die Nerven fällt, mehr unter die Leute gehen zu sollen, kann ich jederzeit meine Mutter anrufen.«

  »Ich will dir nicht auf die Nerven fallen, ich verstehe es bloß nicht. Ich weiß, warum ich hier an einem Freitagabend auf dem Sofa abhänge und Schmerzmittel schlucke. Weil mein Bein wehtut und meine Freundin in Übersee weilt. Da stehe ich halt auf der Reserveliste. Aber du?«

  Ich trank hastig einen Riesenschluck. Der Limettensaft kitzelte auf meiner Zunge. »Die Reserveliste trifft es ganz gut. Ich schätze, ich stehe da auch noch drauf. Da wird getanzt, Hartley. Was also soll ich da?«

  Er schwenkte die Flüssigkeit in seinem Glas herum. »Gut, ist vielleicht nicht deine erste Wahl.«

  »Und du willst mich auch noch mit einem Sportler verkuppeln. Der müsste deinen Sinn für Humor doch echt für krank halten.«

  Hartley platzierte den Ellbogen auf der Rückenlehne des Sofas und drehte sich so, dass er mich besser ansehen konnte. »Du meinst also, dass Sportler nur auf Sportler stehen? Manche Frauen, mit denen ich ausgegangen bin, dachten schon, sie wären sportlich aktiv, wenn sie sich nur geschminkt haben.«

  Er hatte natürlich recht, trotzdem hatte ich zurzeit nicht gerade das Gefühl, besonders gutes Datingmaterial abzugeben. Nichts an mir war noch so wie früher. Meine Haare hatten nicht die richtige Länge, und meine Beine wurden immer dünner, weil ich so viel im Rollstuhl saß. Und nur weil Hartley nicht erkennen wollte, was nicht mit mir stimmte, hieß das nicht, dass ich es selbst nicht sah.

  Nach dem Unfall hatte mir einer meiner wohlmeinenden Therapeuten ein Buch über das Körperbild nach Rückenmarksverletzungen zugesteckt. In dem Pamphlet hatte es nur so von Spitzfindigkeiten wie »sein neues Ich lieben zu lernen« gewimmelt. In meinem Herzen jedoch wimmelte es von düsteren Fragen, die auf den Hochglanzseiten der Broschüre nirgendwo beantwortet wurden.

  »Mein altes Ich hätte sich liebend gerne mit einem Hockeyspieler verkuppeln lassen«, teilte ich Hartley mit. »Aber ich sehe nicht mehr so aus wie früher. Und ich fühle mich auch nicht mehr so.« Außerdem bin ich in dich verliebt. Aber das ist eine andere Baustelle. »Vielleicht brauche ich einfach noch etwas Zeit.«

 

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