Bevor wir fallen

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Bevor wir fallen Page 19

by Bowen, Sarina


  Während ich dalag und über Corey nachdachte, ging die Abenddämmerung langsam in rabenschwarze Finsternis über. Nur mein Handy erhellte das Bett mit einer SMS von Stacia.

  Abendessen?

  Es war halb sechs, und mein Magen knurrte Zustimmung. Trotzdem antwortete ich ihr nicht, weil ich zuerst etwas herausfinden musste. Ich stand auf und zog meine Jacke an. Dann überquerte ich den Flur und öffnete die Tür gegenüber.

  Dana und Corey saßen nebeneinander auf dem Sofa und starrten auf einen Laptop vor sich. Soweit ich es erkennen konnte, sahen sie sich Katzenvideos auf YouTube an.

  »Essenzeit, Ladys«, rief ich. »Schwingt die Hufe. Heute ist Pasta-Abend.«

  »Schwingt die Hufe?«, fragte Corey.

  »Das sollte ein Witz sein, Callahan. Aber im Ernst, die Schlange wird immer länger. Eine Zumutung für Leute mit Behinderungen.«

  Dana und Corey wechselten einen Blick, den ich nicht zu deuten vermochte. Dann zuckte Corey mit den Achseln, und Dana klappte den Laptop zu.

  »Okay, ich bin dabei.« Sie warf Corey ihren Mantel zu und schlüpfte dann in ihren eigenen.

  Gemeinsam traten wir in den kalten Januarabend hinaus. Vielleicht ging sie mir ja doch nicht aus dem Weg.

  »Ich hab gehört, wir kriegen Schnee«, sagte Corey.

  »Sehr zur Freude aller Pendler«, meckerte ich. Es war zwar schön, den Gips los zu sein, hundertprozentig auf dem Damm war ich deshalb aber noch nicht.

  »Das ist es wert. Ich liebe Schnee.«

  »Ich kann es auch kaum erwarten«, sagte Dana mit einem Nicken.

  »Welche Sorte Muntermacher habt ihr zwei denn geschluckt?«, fragte ich, während ich langsam vorwärtshumpelte. Am Ende des Tages tat mir das Bein noch immer weh. »Davon könnt ihr mir auch welche sichern.«

  »Wir sind bloß high vom Leben«, sagte Corey, und Dana warf ihr einen amüsierten Blick zu.

  Als wir nach Beaumont kamen, nahmen Corey und ich wieder den Küchenaufzug, während Dana einen Platz in der Schlange für uns ergatterte.

  »Weißt du was?«, begann Corey, als sich der uralte Lift in Bewegung setzte. »Ich hab das tröstliche Knirschen des Getriebes echt vermisst.«

  »Ich auch.«

  Da sie heute Abend wieder wie in den alten Zeiten klang, begann ich mich zu entspannen. Bis Stacia auftauchte.

  Wir saßen bereits und wollten uns gerade über unsere Pasta hermachen, als meine Freundin sich neben mich plumpsen ließ und sich ohne ein Wort an Dana oder Corey beschwerte: »Du hast nicht auf meine SMS reagiert, Hartley.«

  Ich setzte eine Unschuldsmiene auf. »Sorry, heißer Feger. Was war denn?«

  Sie warf ihre Mähne zurück. »Die Hockeymannschaft hat am Freitag frei, und Fairfax schmeißt eine kleine Party. Ich hab ihm gesagt, wir kommen.«

  Dana und Corey wechselten einen bedeutungsschwangeren Blick, und ich konnte es ihnen nicht verübeln. Stacia war nicht gerade das warmherzigste Geschöpf unter der Sonne.

  Ich wischte mir den Mund ab und legte mir eine Antwort zurecht. Ich wollte mich vor meinen Freundinnen nicht mit ihr streiten, doch Fairfax’ Party stand nicht unbedingt sehr weit oben auf meiner To-do-Liste.

  »Ich weiß noch nicht, ob ich am Freitag mitkomme, Stacia. Diesmal vielleicht eher nicht.«

  Sie zog bekümmert die perfekt getrimmten Brauen hoch. »Aber wir müssen da hin. Wir können ja ganz langsam die Treppe raufgehen. Ich warte auch auf dich.«

  Ha! Obwohl ich mich freute, dass Stacia jetzt, da fast alles überstanden war, endlich mal an meine Beeinträchtigung dachte, war das nicht das eigentliche Problem.

  »Das weiß ich zu schätzen, aber ich habe Bridger gesagt, dass ich mit ihm zum Basketball gehe. Du kannst natürlich gerne mitkommen. Und ihr auch, Leute.« Ich hob mein Glas Richtung Corey und Dana.

  Stacia schmollte. »Zum Basketball? Und was ist mit Fairfax?«

  Ich wollte definitiv nicht auf die Party gehen, aber sie ließ nicht locker.

  »Was ist mit ihm? Wenn du die Wahrheit wissen willst, hat er sich letztes Jahr nicht wirklich wie ein enger Freund benommen. Verdammt, da waren sogar meine digitalen Mannschaftskameraden beim RealStix netter zu mir.«

  »Ah.« Corey schlug mit einer Hand auf den Tisch, dann drehte sie sich zu ihrem Beutel um, den sie über die Stuhllehne gehängt hatte. »Das erinnert mich an was, Hartley. Ich trage das hier schon seit vor den Feiertagen in meiner Tasche herum.« Sie zog ein in Geschenkpapier eingewickeltes Päckchen hervor. »Irgendwie bin ich nicht dazu gekommen, es dir an deinem Geburtstag zu geben. Keine Ahnung, wie das passieren konnte.« Sie sah mir lange genug in die Augen, um zu erkennen, wie ich erstarrte.

  Verdammt, dazu war ich jetzt nicht aufgelegt. Mein Nacken begann zu glühen, als ich ihr Geschenk entgegennahm.

  »Danke, Callahan. Das wäre aber nicht nötig gewesen.« Ich legte das Päckchen auf den Tisch und griff nach meinem Glas.

  »Willst du es denn nicht aufmachen?«, fragte sie. »Es ist kein Sexspielzeug oder so.«

  Mann von Welt, der ich war, verschluckte ich mich glatt an meiner Cola.

  »Du liebe Güte, was war das denn?«, fragte Stacia ungeduldig und klopfte mir auf den Rücken. Sie war die einzige Frau im Universum, die genervt davon sein konnte, dass ihr Freund keine Luft bekam.

  »Hast du was in den falschen Hals gekriegt?«, wollte Corey wissen.

  Ich nickte und hustete.

  »Ich hasse es, wenn das passiert«, sagte Dana mitleidig. Doch ihr Tonfall machte deutlich, dass sie sich köstlich amüsierte.

  Ich saß mächtig in der Klemme. Und das war ganz alleine und ausschließlich meine eigene Schuld. Also riss ich mich zusammen und schob den Daumen unter eine Ecke des Geschenkpapiers, dann riss ich es ganz auf.

  Im nächsten Augenblick sah ich sie grinsend an. »Du hast das neue RealStix besorgt.«

  »Ja, habe ich.« Jetzt lächelte sie wirklich. Genau genommen war es ihr erstes Lächeln seit dem echt verrücktesten Abend aller Zeiten. »Es ist nicht viel anders als die alte Version, dafür aber mit den neuen Mannschaftsaufstellungen.«

  Ich rieb mir die Hände. »Ich werde unschlagbar sein.«

  »Bitte«, sagte sie. »In deinen Träumen vielleicht.« Ihre Augen funkelten genau so, wie sie es immer tun sollten.

  Stacia blickte finster auf ihren Teller und gab keinen Ton von sich.

  Corey

  »Oh mein Gott!«, rief Dana, als wir wieder in unserem Zimmer waren. Allerdings so leise, dass man uns auf dem Flur draußen unmöglich hören konnte. »Das war ja zum Schreien!«

  Ich zog mich aus dem Rollstuhl hoch und schmiss mich aufs Sofa. »Ich muss zugeben, das war ziemlich lustig.«

  »Ich wusste gar nicht, dass du so eine erbitterte Rivalin sein kannst.«

  »Ach, darum geht es gar nicht«, sagte ich.

  Wenn ich noch mal zurück auf Los gehen könnte, würde ich Hartley das Spiel nicht noch mal kaufen. Ihn zu weiteren Hockeypartien einzuladen passte schließlich nicht zu meiner Operation Hartley vergessen.

  »Ja, aber du hast das perfekte Timing für komische Situationen«, kicherte Dana. »Und hast du ihren Gesichtsausdruck gesehen, als er ihr gesagt hat, dass er nicht zu der Party mit will? Sie hätte fast mit dem Fuß aufgestampft.«

  »Ich weiß«, sagte ich leise, dann schüttelte ich den Kopf. »Trotzdem ist er noch mit ihr zusammen.«

  Wir schwiegen beide eine Minute.

  Dann kam Dana zu mir und setzte sich neben mich. Sie schlug wie ein Inder die Beine unter, so wie ich es früher immer gemacht hatte.

  »Weißt du was? Ich glaube, es wird so oder so alles gut.«

  »Wie das?«

  »Na, weil Hartley entweder kapiert, was für ein Schwachkopf er sein muss, um mit ihr zusammen zu sein – egal wie gut sie, oberflächlich betrachtet, auch aussehen mag. Darauf hoffe ich.«

  »Oder?«

  »Oder du hörst auf, dich für ihn zu interessieren. Denn, mal ehrlich, durch sie wird er weniger inter
essant. Ihr zwei habt früher während des Essens die ganze Zeit miteinander geredet. Jetzt nicht mehr. Weil sie dauernd an ihm zerrt. Aber dir wird ein anderer Typ ins Auge fallen, einer, der sein Herz besser kennt.«

  »Das wäre schön.«

  »Was genau?«, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.

  »Die erste Variante natürlich.«

  18

  Wieso frage ich überhaupt?

  Corey

  Ein paar Abende später saß ich in meinem Zimmer am Schreibtisch und entwarf einen Aufsatz für mein Shakespeare-Seminar.

  »Callahan?« Hartley stand in der Tür.

  Beim Klang seiner Stimme drehte ich mich automatisch in seine Richtung.

  »Was liegt an, Hartley?« Ich hörte die Freude in meinem Tonfall und registrierte, wie ich mich gespannt vorbeugte. Verdammt, wie lange würde er mich noch dermaßen anmachen?

  Hartley rieb sich die Hände und kam herein. »Gehst du Freitagabend mit mir aus? Nur wir beide?«

  Mein Herz machte vor Freude einen Satz, bevor ich es auf den Boden der Tatsachen zurückholte.

  Ich wandte mich wieder dem Bildschirm zu. »Sorry, aber ich kann nicht. Ich habe ein Spiel.«

  »Ein was?« Er trat noch einen Schritt vor, sodass er jetzt zwischen meinem Stuhl und dem Bett stand.

  »Ein Spiel«, wiederholte ich. »Gummireifen-Wasserpolo. Gehört zum Universitätssport.«

  Hartley packte meine Stuhllehne und drehte mich zu sich herum. Dann setzte er sich aufs Bett, sodass wir uns auf Augenhöhe befanden.

  »Du hast dich dafür eingeschrieben?« Auf seinem Gesicht breitete sich das allerschönste Lächeln aus. »Ist ja toll.«

  Ich biss mir auf die Lippe, um mich nicht zu offensichtlich über sein Lächeln zu freuen. »Ist eigentlich eher ein bisschen lahm«, erwiderte ich. »Aber ich wollte es wenigstens mal versuchen.«

  Er ließ mich nicht aus den Augen. »Du bist echt umwerfend, Callahan.«

  »Wirklich?« Ich verdrehte die Augen. »Dabei falle ich dauernd aus dem Reifen.«

  »Du …« Er senkte den Blick und schüttelte den Kopf. Dann nagelte er mich mit dem nächsten Grübchenlächeln fest, und ich fühlte die Kraft darin wie einen kräftigen Stoß vor die Brust. »Du machst dir ständig Sorgen, die Leute könnten dich anglotzen, stimmt’s? Und dann denkst du dir plötzlich einfach: Scheiß drauf, dann mach ich eben einen Sport, bei dem ich einen Badeanzug tragen muss und jedes Mal, wenn ich den Ball habe, unter Wasser gedrückt werde.« Er ließ sich lachend auf mein Bett zurückfallen. »Die Gegenmannschaft sollte sich in Acht nehmen. Die haben keine Ahnung, mit wem sie es zu tun bekommen. Du machst mich echt fertig, Callahan.«

  »Aha.«

  Ich wollte mich wieder dem Computer zuwenden, doch Hartley richtete sich auf, ergriff meine Hand und hielt mich zurück.

  »Und wenn wir statt Freitag am Samstag zusammen abhängen? Würde das gehen?« Er sah mich ernst und erwartungsvoll an. »Ich müsste allerdings vorher noch was abklären …«

  Mir war seine Nähe und meine Hand in seiner nur allzu bewusst. Die Luft zwischen uns schien mit einem Mal dicker zu werden, während er mich mit seinem Blick festhielt, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt.

  Doch leider waren wir das nicht. Was immer Hartley auch fürs Wochenende geplant hatte, würde nichts an meinem Liebeskummer ändern. Nur wir beide, hatte er mir versprochen. Das konnte nur eine Illusion sein, oder etwa nicht?

  Ich entzog ihm langsam meine Hand. Als ich den Kopf schüttelte, war der Bann gebrochen.

  »Was ist los? Warum denn nicht, Callahan?«

  Nach einem unsicheren Atemzug entschied ich mich für die unangenehme Wahrheit. »Weil ich nicht kann«, sagte ich leise. »Vielleicht bin ich ja eine Vollidiotin, aber ich finde es momentan echt anstrengend, deine Freundin zu sein.« Ich schluckte. »Also, vielleicht ein andermal.« Damit lehnte ich mich auf dem Stuhl zurück, um ein wenig Abstand zwischen uns zu bringen.

  Ich sah, wie Hartleys Kiefermuskeln arbeiteten. Schließlich sagte er: »Okay. Verstehe.« Dann stand er auf und humpelte aus dem Zimmer.

  Das Geräusch der zufallenden Tür traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und ich kämpfte gegen den Drang an, seinen Namen zu rufen, ihn zu bitten zurückzukommen, um ihm zu sagen, dass ich mit ihm gehen wollte, ganz gleich, wohin er mich führen würde.

  Die Hoffnungsfee warf sich mit dem Kopf voran auf den Schreibtisch und hämmerte vor Enttäuschung mit den winzigen Fäusten darauf ein. Und ich stimmte in ihre Enttäuschung mit ein. Hartley abgewiesen zu haben fühlte sich wie ein Riesenfehler an. Er war immer ein guter Freund gewesen. Das einfach wegzuwerfen schien vollkommen idiotisch. Was es aber nicht war.

  Ich holte sehr tief Luft. Hartley wie ein liebeskranker Welpe hinterherzulaufen, hielt mich in Wahrheit davon ab, neue Freunde zu finden. Und egal wie toll er auch sein mochte, wollte ich nicht den Rest des Jahres damit zubringen, meine verbliebenen Wunden zu lecken, während Stacia voll und ganz damit beschäftigt war, ihren Lippenstift aufzufrischen. Schande über sie, weil sie zurückgekommen war. Quatsch, das war nicht das Problem. Schande über ihn, weil er sie liebte.

  Als ich mich wieder meiner Hausaufgabe zuwandte, verschwammen die Worte auf dem Papier vor meinen Augen.

  Am Freitagabend zog ich wieder meinen Badeanzug an und rollte zur Schwimmhalle. Dieses Mal dachte ich daran, mir einen Reifen zu nehmen, bevor ich mich aus dem Rollstuhl gleiten ließ.

  Ein mikroskopisch kleiner Teil von mir fragte sich, ob Hartley wohl auftauchen würde. Eigentlich gab es beim Universitätssport keine Zuschauer, doch die Hoffnung spielte einem Streiche und schlich sich an den unwahrscheinlichsten Orten an einen heran. Aber natürlich würde er nicht kommen.

  Es wurde ein hartes Spiel, weil das Turner-Team einen siebten Spieler mitgebracht hatte, der eher in einen Ring, als in einen Gummireifen gehört hätte. Er war groß, schnell und stets zur Stelle, um unsere Pässe abzufangen. Zudem hatte er keinerlei Skrupel, mich aus dem Reifen zu stoßen, sobald ich in Ballbesitz war. So ein Arsch, dachte ich, als er mich zum vierten Mal untertauchte, musste jedoch sofort über meine eigene Scheinheiligkeit lachen.

  Zum Glück war der Turner-Torhüter nicht wirklich auf Zack. Eine Minute vor Schluss versenkte ich einen Weitwinkelwurf im Netz, sodass es drei zu drei stand. Dann blies Daniel in die Trillerpfeife und beendete das Spiel.

  »Wie? Keine Nachspielzeit?«, schrie ich.

  »Das Becken wird noch gebraucht«, erklärte er. »Die Nachspielzeit findet heute über unseren Pint-Gläsern statt. Ich hab auf meiner Fensterbank ein Fässchen kalt gestellt. Also, alles anziehen!«

  Als ich mit den anderen Spielern auf den Beaumont-Hof rollte, ging mir auf, wie lange es her war, dass ich zu einer Mannschaft gehört hatte, und sei es auch nur eine so alberne wie diese. Ich hatte das Gefühl vermisst.

  »Ein toller Start in die Saison«, lobte Allison, die neben mir herging. »Das Turner-Team ist nie leicht zu schlagen. In den beiden letzten Jahren haben wir verloren.«

  »Gegen wen spielen wir als Nächstes?«, fragte ich, als würde das irgendeine Rolle spielen.

  »Am Sonntag treffen wir auf Ashforth House. Die werden vermutlich verlieren, weil der Kapitän ein Schwein ist und keine der Frauen mit ihm ins Becken will.«

  »Igitt.«

  »Genau.«

  Als unsere Gruppe vor einem Eingang stehen blieb, wusste ich genau, was als Nächstes passieren würde.

  Daniel wedelte mit seinem Ausweis vor dem Scanner und öffnete die Tür.

  Ich hörte, wie jemand sagte: »Dritter Stock«, und damit war mein Freitagabend offiziell beendet. Ich hätte natürlich heimgehen, den Rollstuhl gegen die Gehhilfen eintauschen, zurückkommen und mich an den mühevollen Aufstieg machen können. Dazu hätte ich ungefähr eine halbe Stunde gebraucht. Aber ich kannte mich. Wenn ich erst mal in meinem Zimmer war, würde ich einen Grund finden, dort zu bleiben und mir einen Film anzuschauen, anstatt die Stufen in Angriff z
u nehmen.

  Meine Mannschaftskameraden begannen, im Gänsemarsch durch den Eingang zu marschieren, während ich meine Räder auf dem Absatz umdrehte, um in Richtung meiner eigenen vier Wänden zu rollen.

  »Kommst du nicht mit, Corey?«, rief Dan mir zu.

  Ich warf einen Blick über die Schulter. »Vielleicht nächstes Mal.«

  »Brauchst du einen Träger?« Der Bär ragte über mir auf. »Ich schätze, huckepack würde es gehen.«

  Ich machte den Mund auf, um abzulehnen, schloss ihn aber gleich wieder. Das war genau die schräge Sorte Aufmerksamkeit, die ich stets zu vermeiden versuchte.

  »Ich weiß, was du von Nachspielzeit hältst«, sagte Dan und hielt die Tür weiter auf. »Wir parken deinen Rollstuhl hinter dem Eingang.«

  »Äh, danke«, sagte ich und fühlte, wie meine Wangen in Flammen aufgingen. »Was soll’s.«

  Eine Weile schien es eine gute Entscheidung gewesen zu sein. Unser Tormann trug mich die drei Treppenabsätze in gerade mal sechzig Sekunden hinauf und setzte mich dann auf dem Sofa in Dans Gemeinschaftsraum ab. Allison brachte mir ein Bier, und ich trank einen Schluck. Es war kalt, was mir half. Und es wurde in einem richtigen Pint-Glas serviert. Dan hatte es offenbar ernst gemeint.

  »Ein kleines Stück England hier am Harkness College«, kommentierte er.

  Ich hatte es geschafft. Ich hatte mich mit neuen Gesichtern umgeben und einen Weg gefunden, den Freitagabend ohne deplatzierte Lust oder digitale Mannschaftskameraden zu verbringen. Das Problem war bloß, dass ich jetzt buchstäblich auf Daniels Sofa festsaß. Also plauderte ich mit allen, die sich zufällig neben mich setzten oder in der Nähe herumstanden. Ohne meine Gehhilfen oder den Rollstuhl war ich so mobil wie eine Topfpflanze. Klar, ich hätte auch auf dem Boden herumrutschen können, aber dann hätte ich wie ein Freak ausgesehen.

  Daniel schaute gelegentlich vorbei und füllte mein Glas auf, wenn ich nicht mehr genug Bier hatte. Aber da er als Gastgeber alle Hände voll zu tun hatte, hielt er sich nie lange bei mir auf. Schlimmer noch war, dass das Bier allmählich seine Wirkung zeigte. Ich war nicht nur beschwipst, ich musste auch noch aufs Klo. Dringend. Und mir fiel absolut kein Ausweg ein.

 

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