Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition)
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»Verstanden.«
Wenn ich dafür also ein Mönch sein musste, dann war ich dazu bereit.
Meine Suite im obersten Stock des Kilmore Grand hatte eine unglaubliche Aussicht auf die Landschaft rund um das Hotel. Vor allem, wenn wie heute der frühe Nebel noch in den Bäumen hing und in Schwaden über den Loch Lair zog. Früher hatte ich es geliebt, im Sommer herzukommen, um mit den Jugendlichen aus der Stadt am Ufer zu sitzen, das zu grillen, was Carson’s hergab, die Hälfte der Getränke beim Kühlen im See zu verlieren und ganze Nächte draußen zu sein. Die Ferien waren die beste Zeit des Jahres gewesen, denn den Rest war ich im englischen Eton aufs Internat gegangen – noch eine Vorgabe meiner Großmutter, die von allen männlichen Nachkommen den Besuch der Elite-Schule verlangte, damit wir neben Mathe, Literatur und Physik auch lernten, dass wir Schotten den Engländern überlegen waren. Das war die offizielle Version. Ich glaubte eher, dass sie die Henderson-Jungs einfach gerne ins englische Exil schickte, während die Mädchen nach Strathallan gingen, eine schottische Privatschule in der Nähe.
So war das nämlich in dieser Familie: Wenn man ein Mädchen war, dann hatte man es leicht, als Junge musste man um seinen Platz kämpfen. Aber wir alle unterlagen den Vorgaben der Familie, einem Regelwerk, das – würde man es aufschreiben – vermutlich mehrere dicke Wälzer ergeben hätte. Die Highlights? Zugriff auf unser Treuhandvermögen bekamen wir erst im Alter von dreißig Jahren und nach der entsprechenden Laufbahn, ob im Unternehmen oder woanders. Öffentliche Skandale wurden nicht nur mit Enterbung geahndet, sondern auch mit einer Kontaktsperre der restlichen Familie. Und unsere Partner durften wir nicht selbst wählen. Da Grandma Wert darauf legte, dass die Zukunft der Familie und des Unternehmens in weiblicher Hand blieben, war die Auswahl einer passenden Partie für die männlichen Erben des Vermögens ihre persönliche Angelegenheit – und sie griff dabei knallhart ein.
Aber nicht einmal die Frauen in der Familie durften selbst aussuchen, mit wem sie zusammen waren. Die Ehe meiner Eltern war das beste Beispiel dafür: Arrangiert von Grandma, hatte meine Mum einen Olympiaschwimmer geheiratet. Eine super Idee, weil sie davon ausgegangen war, mein auf Fotos sehr präsentabler Vater würde ohnehin nie Fuß in der Firma fassen wollen. Eine Weile war dieses Arrangement gut gegangen, bevor Dad doch Ambitionen entwickelte und damit abblitzte. Daraufhin hatten meine Eltern angefangen, einander zu betrügen und sich am Ende nicht einmal mehr in die Augen sehen wollen. Die Scheidung war erst vor fünf Jahren amtlich geworden, aber die Beziehung bereits lange vorher vorbei gewesen. Wir sahen Dad höchstens zweimal im Jahr, meine Schwester Edina und ich. Sofern er sich von seiner neuesten, sehr jungen Freundin losreißen konnte. Vielen Dank für nichts, Grandma.
»Lyall?« Moira klopfte an der Tür. »Bist du fertig? Wir sind in zehn Minuten mit Paula im Konferenzraum verabredet.«
»Ja, ich bin gleich da.« Ich riss mich vom Anblick der Highlands los, dann nahm ich eines der Hemden, die Evan geliefert hatte, und zog es über. Es war hochwertig gefertigt, wie alles, was der Schneider in der Stadt machte. Aber obwohl es perfekt passte, fühlte es sich an wie eine Zwangsjacke.
Moira sah das anders, als ich sie an der Treppe nach unten traf. »Du siehst wieder wie ein Mensch aus, sehr schön. Hast du dir die Unterlagen angeschaut?«
»Natürlich. Allerdings muss ich sagen, dass ich immerhin beim Grundriss etwas mehr Moderne erwartet hätte.« Ich ging neben ihr den Flur entlang und bemerkte wie schon bei meiner Ankunft, dass sich hier nie etwas änderte. Das Kilmore Grand war sehr geschmackvoll eingerichtet – Antiquitäten, schwere Teppiche, passende Vorhänge, teure Gemälde. Viele Gäste schätzten diese Aufmachung, mir war sie zu erdrückend, es gab zu wenig Luft zum Atmen. Die hellen, lichtdurchfluteten Gebäude, die in Städten und Ferienregionen das Bild der Henderson-Hotels bestimmten, gefielen mir viel besser. So etwas wollte ich bauen. Kein Mausoleum wie der Neubau, den Moira hier plante.
»Es ist ein neues Gebäude, aber wir können keinen Stilbruch riskieren«, sagte meine Tante. »Die Gäste sollen nicht reihenweise verweigern, im neuen Teil zu wohnen. Und du weißt, wie traditionell unsere Stammkundschaft ist.«
»Traditionell oder wie vor dem Krieg?« Ich verdrehte die Augen. »Komm schon Moira, die Raumaufteilung in der Lobby des Neubaus ist seit fünfzig Jahren tot. Machen wir es etwas luftiger und offener. Dann kommen vielleicht auch Leute, die nicht auf das alte Zeug stehen.«
»Das alte Zeug sind unbezahlbare Familienerbstücke und Raritäten. Junge Leute wie du sind echte Banausen.« Sie verengte die Augen. »Wir reden später darüber. Und bitte, tu mir einen Gefallen und erwähne das alles nicht vor Paula.«
Wir bogen um die Ecke und steuerten den Konferenzraum an, der für dieses Meeting gebucht war. Paula war bereits da. Ich ließ Moira den Vortritt, um sie zu begrüßen. Aber schnell fiel ihr Blick auf mich.
»Lyall, sieh an.« Ich konnte erkennen, wie sehr sie sich um ein Lächeln bemühte. »Ich wusste gar nicht, dass du hier bist.«
Oh, natürlich wusstest du das. Der Kleinstadtfunk in Kilmore funktionierte nämlich besser als das Handynetz – und garantiert hatte Carson direkt nach meinem Besuch alle informiert, dass sie ihre Türen verschließen, die Jagdgewehre laden und ihre Töchter festketten sollten, weil der Teufel zurück in der Stadt war.
»Paula. Es ist schön, dich zu sehen.« Ich versuchte es mit einem charmanten Lächeln. Früher hatte ich sie damit mühelos um den Finger gewickelt, genau wie alle anderen.
»Ja, wirklich schön«, antwortete sie steif, und ich wusste, sie hätte das nicht gesagt, wenn meine Tante nicht im Raum gewesen wäre.
In dem Moment kam noch jemand herein, einen Musterkoffer in der Hand. Ich drehte mich um und erstarrte: Es war das Mädchen aus dem Supermarkt. Das Mädchen, das mir immer noch besser gefiel als erlaubt – und von der ich gedacht hatte, dass sie sich nur auf der Durchreise befand. Offenbar war das nicht der Fall. Fuck.
Sie streifte mich mit einem wenig freundlichen Blick, bevor sie sich meiner Tante zuwandte. Hatte man ihr etwa schon von mir erzählt? Ich konnte mir denken, was sie gesagt hatten. Halte dich von ihm fern, er ist gefährlich. Wenn die wüssten.
»Moira, darf ich dir Kenzie Stayton vorstellen?«, sagte Paula da. »Sie will nächstes Jahr an die UAL und macht in diesem Sommer ein Praktikum bei mir. Du erinnerst dich bestimmt noch an Kaleigh Dunbar, oder? Kenzie ist ihre Tochter.«
Ich hielt mich im Hintergrund und hatte deswegen Zeit, etwas zu bemerken, das mir gestern nicht aufgefallen war: Da Kenzie heute keinen Pullover übergezogen hatte, konnte ich sehen, dass sie ein großflächiges Tattoo besaß, das sich um ihren Unterarm wand und aus schmaleren und breiteren Strichen zu bestehen schien, unterbrochen von kleinen Symbolen. Normalerweise mochte ich Tattoos nicht besonders – vor allem, weil mittlerweile jeder damit herumrannte –, aber zu Kenzie passte es.
»Es freut mich sehr, Miss Stayton«, sagte meine Tante. »Natürlich erinnere ich mich an Ihre Mutter.« Sie sah Kenzie mit tiefem Bedauern an. »Mein Beileid zu dem, was mit Kaleigh passiert ist. Wie lange ist es jetzt her?«
»Sechs Jahre.« Kenzie nickte höflich, aber ich sah in ihren Augen, dass es ihr schwerfiel, darüber zu reden. »Danke, Mrs Henderson. Und sagen Sie bitte Kenzie, das reicht völlig.«
»Gut, dann Kenzie. Es ist schön, dass du hier bist. Deiner Mutter hätte das sicher gefallen.«
»Ja, bestimmt.« Kenzie lächelte tapfer, und ich spürte, wie mein Herz bei diesem Lächeln schmerzte.
»Wusstest du, dass Kaleigh früher hier ausgeholfen hat, wenn wir große Feiern hatten?«, fragte Moira weiter. »Niemand hat höhere Trinkgelder bekommen als sie. Sie war so unglaublich nett und herzlich.«
Ich warf meiner Tante einen warnenden Blick zu. Merkte sie denn nicht, dass es Kenzie wehtat, über ihre Mutter reden zu müssen? Aber Moira ignorierte mich einfach. »Und sie hat immer diese Partys am Loch organisiert, wo –«
»Haben wir wirklich Zeit für diese alten Geschichten?«, warf ich ein. Kenzie schien ohnehin eine schlechte Meinung von mir zu haben, und mir war es in diesem Moment wichtiger, sie vor Moiras Geplapper zu schützen, a
ls das zu korrigieren.
»Das ist mein Neffe, Lyall«, stellte Moira mich vor. »Er studiert Architektur in Chicago und wird an diesem Projekt mitarbeiten.« Ich streckte die Hand aus. Kenzie zögerte nicht und ergriff sie fester, als es von einer zierlichen Person wie ihr zu erwarten gewesen war.
»Du bist also Lyall Henderson.« Sie hob das Kinn. »So sieht man sich wieder. Ich hoffe, es ist nicht unter deiner Würde, mit einem Mädchen wie mir zusammenzuarbeiten.«
Ich hob eine Augenbraue, als sie mir das einfach vor den Latz knallte. Sie hatte mich also bei Carson’s gehört? Verdammt. Das erklärte einiges. »Ganz und gar nicht«, gab ich zurück und hielt ihren Blick.
Moira merkte auf. »Ihr kennt euch?« Der Tonfall klang alarmiert. Als wäre ich trockener Alkoholiker und Kenzie eine Flasche Scotch.
»Nein«, antwortete ich eilig und hoffte, sie würde es schlucken.
»Wir sind uns nur gestern zufällig über den Weg gelaufen und waren uns direkt sympathisch«, ergänzte Kenzie sarkastisch.
Paula warf mir einen warnenden Blick zu und beinahe hätte ich die Augen verdreht. Was dachten die denn? Dass ich Kenzie in der nächsten halben Stunde in meine Suite locken würde, damit wir übereinander herfallen konnten? Ich habe sie offenbar längst vergrault. Entspannt euch.
»Wollen wir dann beginnen?«, fragte Moira und beendete damit den Moment unangenehmer Stille.
»Sehr gern.« Paula setzte sich an den Konferenztisch und klappte ihren Laptop auf. »Ich habe bereits ein Konzept erstellt und glaube, es könnte dir gefallen, Moira.«
Meine Tante dunkelte den Raum ab, und während Paula über Stoffe, Tapeten und Möbel sprach – alle vollkommen langweilig und nichtssagend – hielt ich meinen Blick von Kenzie fern, die mir gegenübersaß. Sie hatte also mitbekommen, was ich zu Carson gesagt hatte? Das war gut.
Denn damit war sie keine Gefahr mehr für mich.
6
Kenzie
Natürlich war ausgerechnet Lyall Henderson bei diesem Termin dabei. Und natürlich arbeitete er an dem Projekt mit, das für mich die Eintrittskarte in die UAL sein sollte. Ich hatte bei solch filmreifen Verwicklungen echt eine astreine Trefferbilanz.
Heute sah er allerdings völlig anders aus als bei unserer letzten Begegnung: Das lässige Outfit war verschwunden, stattdessen trug er ein dunkelgraues Hemd, dessen Ärmel er aufgeschlagen hatte, und eine schwarze Hose aus teurem Stoff. Die Klamotten passten viel besser zu den Worten, die er so abfällig über mich geäußert hatte. Genau wie diese unsensible Bemerkung, als seine Tante über meine Mutter geredet hatte. Blöder Schnösel.
Dabei hatte der Tag gut angefangen. Der Platz, den mir Drew reserviert hatte, war so schön wie versprochen: mit Sicht auf den Loch und die Berge dahinter, ein Traum vor allem am frühen Morgen. Ich hatte mich mit einem Kaffee aus der French Press vor Lokis Kühlerhaube gesetzt, den missbilligenden Blick der Morrisons auf der Parzelle neben mir ignoriert und einfach nur die Aussicht genossen. Dann hatte ich mit meinen Schwestern telefoniert, war mit Drew zusammen zu Paulas Büro gefahren und mit ihr zum Kilmore Grand , diesem beeindruckenden historischen Bau aus grauem Stein, der mit seinen Türmen und dicken Mauern den Eindruck machte, als wäre er für alle Zeiten unzerstörbar. Sechsundvierzig Zimmer und zwölf Suiten hatte das exklusive Hotel nur, und jeder der Räume war unterschiedlich ausgestattet. Ich hatte kaum erwarten können, es von innen zu sehen.
Meine Freude über die liebevolle Gestaltung der Holzvertäfelung oder die Auswahl der Blumenarrangements hatte allerdings hinter der Tür zum Konferenzraum ein abruptes Ende gefunden. Denn dort wartete Lyall Henderson, Neffe der Chefin, unhöflichster Supermarktbesucher des Jahres und – wenn man Drew glauben durfte – Satan höchstpersönlich. Wobei man bei diesem Vergleich vorsichtig sein musste, seit Lucifer auf Netflix lief.
Glücklicherweise gab er seinem Verhalten keine Fortsetzung. Im Gegenteil, er tat einfach so, als hätte es den gestrigen Tag nicht gegeben, wehrte sogar meine Anspielung auf seine Worte Carson gegenüber mit völliger Gelassenheit ab. Natürlich, solche Leute sagten schließlich nie direkt, was sie dachten. Stattdessen taten sie so, als wären sie nett und freundlich, um sich dann hinterrücks das Maul zu zerreißen.
Immerhin konnte ich ihn die Präsentation über ignorieren, während der ich mir ein paar Notizen machte und erst wieder woanders als auf die Leinwand sah, nachdem Paula fertig war.
»Diese Ideen sind wirklich alle sehr schön. Vor allem die Gestaltung des Speisesaals ist unheimlich gelungen.« Moira Henderson nickte Paula lächelnd zu. Ich kam nicht umhin, die Hoteldirektorin beeindruckend zu finden – sie war so unglaublich aufrecht und strahlte eine Autorität aus, die trotzdem nicht kalt oder hart wirkte. Obwohl sie die roten Haare in einen strengen Knoten geschlungen hatte und eine Bluse trug, die vermutlich auch ohne ihre Hilfe stehen würde, hatte sie etwas Herzliches an sich. Außer, wenn sie ihren Neffen ansah. »Lyall, was denkst du?«
Er hob die Schultern. »Es ist sicherlich ein stimmiges Konzept«, sagte er, und ich ahnte, dass da noch mehr kommen würde. »Allerdings bin ich nicht ganz sicher, ob es der richtige Weg ist, den Neubau ebenso auszustatten wie das Haupthaus.« Er deutete auf den holzvertäfelten Konferenzraum mit den Tartan-Vorhängen, in dem wir saßen. »Diese Räume leben davon, dass sie Geschichte atmen. Dazu passt der Stil, mit dem sie eingerichtet wurden. Aber ich finde die Bauweise des neuen Gebäudes nicht nur sehr altbacken mit all den massiven Zwischenwänden, sondern auch die Pläne, wie es von innen aussehen soll. Sie haben keinerlei eigene Handschrift oder auch nur einen Hauch von Innovation. Das Konzept kopiert nur den Stil des Stammhauses.«
»Lyall, bitte.« Moira schoss ihm einen strengen Blick zu und Paula kräuselte pikiert die Lippen. Nur ich vergaß für einen Moment, wer er war, und erlaubte mir ein winziges Lächeln. Seine Überlegungen waren genau meine gewesen, als Paula mir gezeigt hatte, was sie für das Henderson-Projekt plante. Das war alles kein bisschen originell oder modern. Klar, dass man bei einem Traditionshaus keine weißen Hochglanzmöbel und Pop-Art-Bilder verwenden konnte. Aber ein bisschen Pepp wäre schön gewesen.
»Du wolltest doch meine Meinung hören, oder nicht?« Lyall sah in Richtung seiner Tante, und ihr Blick sagte mir, dass sie mit Meinung wohl eher Zustimmung gemeint hatte.
»Sie ist hiermit registriert. Und bevor wir weiterreden, wäre es bestimmt sinnvoll, wir würden den Rohbau besichtigen, um uns einen Eindruck zu verschaffen.« Moira stand auf. »Was hältst du davon, Paula?«
Sie nickte und erhob sich ebenfalls. »Sehr gern.« Und ich hoffe, dein Neffe bleibt hier , schien sie im Subtext zu sagen. Aber der ließ sich nicht irritieren, sondern folgte beiden zur Tür. Ich nahm meine Tasche und ging hinterher.
Auf dem Weg ins Erdgeschoss führten Tante und Neffe ein Gespräch, das aus zischenden Lauten ihrerseits und dumpfen Widerworten seinerseits bestand. Ich lief neben Paula her und musterte Lyalls Rücken.
»Er ist echt nicht beliebt hier, oder?«, sagte ich leise.
»Wundert dich das etwa?«, fragte Paula zurück.
»Überhaupt nicht.« Ich hatte zwar registriert, dass er ehrliche Worte finden konnte, aber ansonsten drang dem Typen die Reicher-Junge-Arroganz wirklich aus jeder Pore. Während wir hinausgingen und über den akkurat gestutzten Rasen zum dreistöckigen Neubau liefen, fragte ich mich, ob man automatisch so wurde, wenn man in einer wohlhabenden Familie mit viel Einfluss aufwuchs. Die üblichen Selbstzweifel, die man in unserem Alter hatte, gab es da vermutlich nicht.
»Hier entlang.« Wir betraten das neue Gebäude durch die Eingangstür, deren Scheiben mit Plastikfolie vor Kratzern geschützt wurde. Der Boden im Erdgeschoss bestand noch aus nacktem Beton, es war staubig und dreckig, irgendwo hörte man das Kreischen einer Säge und das Klopfen eines Hammers. Ich merkte, dass ich lächelte. Ich liebte es einfach, wenn etwas Neues erschaffen wurde, mit Dreck und Schweiß und Hartnäckigkeit.
Als ich hochsah, bemerkte ich, dass mich Lyall Henderson musterte. Aber nicht auf seine arrogante Art, sondern fast ein bisschen wie in dem Moment, als ich ihn bei Carson’s angesprochen hatte – mit diesem intensiven Blick aus
seinen schwarzen Augen, der meinen Atem kurz hatte stocken lassen. Aber nur eine Sekunde später setzte er wieder seine unbeeindruckte Miene auf. Beinahe hätte ich geschnaubt.
Ja, das passt zu dir, Mister Darcy, dachte ich. Schon gestern war mir der Vergleich mit dem Jane-Austen-Charakter eingefallen, als Lyalls unhöfliche Worte Kreise in meinem Kopf gezogen hatten. Er hatte geklungen wie die Hauptfigur in Stolz und Vorurteil , dessen Text ich mit Eleni durchgegangen war: Sie ist recht passabel. Aber nicht schön genug, um mich zu reizen. Was für ein Idiot. Im Gegensatz zum Rest der Welt hatte ich Darcy mit seiner stolzen, überheblichen Art nie leiden können. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er bleiben können, wo der Pfeffer wächst – und Lizzy Bennet wäre einfach mit einem eigenen Buchladen glücklich geworden oder so.
»Hier in der Lobby wird der Empfangsbereich sein«, referierte Moira. »Die Gäste werden zwar im Haupthaus einchecken, aber deswegen möchten wir trotzdem einen Concierge haben, der für alle Wünsche zur Verfügung steht.«
»Und dort plant ihr den Frühstücksraum?« Paula hatte ihr Tablet dabei, auf dem sich die Grundrisse befanden.
»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, murmelte Lyall neben mir. Bei jedem anderen hätte ich über diese Bemerkung gegrinst, aber ihm gegenüber verzog ich keine Miene. Nur weil wir beide Paulas Planungen für antiquiert hielten, waren wir noch lange keine Verbündeten. Ich verbündete mich grundsätzlich nicht mit Snobs.
»Wir werden Trockenbauwände ziehen, hier und dann noch da drüben.« Moira zeigte Paula die Markierungen auf dem Boden. »Damit haben die Gäste sowohl beim Frühstück als auch in der Lobby und am Concierge-Tresen ihre Ruhe.«
»Ja, und sie haben außerdem das Gefühl, sie sitzen im Knast«, meldete Lyall sich zu Wort. »Wieso gestalten wir die Lobby nicht offener? Der Raum für das Frühstück ist zu klein, und hat außerdem nur eine Seite in Richtung Loch.«