by L.J. Shen
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Ob sie sich wohl heute endlich in der verfluchten Firma blicken lassen und mir die Tortur ersparen würde, durch diese Flure zu wandern, ohne ihren kecken Hintern in irgendeinem schlecht sitzenden Outfit, das sie aus dem Kleiderschrank ihrer Mutter entwendet hatte, zu erspähen? Selbst wenn ich sie keines Blickes würdigte, sah ich sie. Sie war mein Treibstoff, der mich den Tag über am Laufen hielt.
»Hmmm?«, machte ich nichtssagend, um einer Antwort auszuweichen. Dean lehnte sich näher heran, zog den Joint hinter seinem Ohr hervor und strich bedächtig mit den Fingern darüber.
»Was bedeutet sie dir, Kumpel? Wieso hilfst du ihr so oft?«
»Weil sie Hilfe braucht und sie die von ihrem Vater niemals bekommen wird.«
Jordan hatte in der Woche, die Lydia im Krankenhaus zubrachte, keinen Tag im Büro gefehlt. Meist war er sogar bis zum späten Abend geblieben, um Liegengebliebenes aufzuholen. Unser Verhältnis hatte inzwischen den Punkt erreicht, an dem ich keinen Hehl mehr aus meiner Verachtung für ihn machte und er nicht länger so tat, als wäre ich ihm gleichgültig. Wir lebten unseren gegenseitigen Hass offen aus, er zeigte sich in jedem Blick, den wir wechselten, in jedem Zusammentreffen.
Ich schloss mein Büro tagtäglich ab. Der unbeachtete volle Abfalleimer müffelte inzwischen nach den Rückständen von Eiweißshakes und Kaffee, aber Hauptsache, der Wichser hatte in meiner Abwesenheit keinen Zugang zu meinen Sachen.
»Da wir gerade von Jordan sprechen …« Dean erhob sich und steuerte in seinem coolen, eines Conor McGregor würdigen, maßgeschneiderten blauen Anzug zur Tür. »Du solltest wissen, dass er heimlich versucht, einen von uns abzufinden, und er lockt mit einem Haufen Kohle. Er will dich rauskicken, Bruder. Denkst du, er hat das mit dir und Edie herausgefunden?«
Wer konnte das schon wissen? Andererseits hatte Jordan mich schon loswerden wollen, lange bevor ich meinen Schwanz in seine Tochter gesteckt hatte. Ich schob die Hände in meine Gesäßtaschen. »Eher unwahrscheinlich. Er würde sich keine Chance entgehen lassen, um eine Szene zu machen oder seine Tochter bloßzustellen.«
Dean legte die Hand auf die Türklinke und wandte mir das Gesicht zu. »Sei jedenfalls vorsichtig.«
»Wann war ich das schon mal nicht?«
Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, innerlich vor Wut zu kochen. Ich war mir sicher, dass meine Freunde Jordan niemals ihre Anteile überlassen würden. Dass er sie trotzdem dazu zu bringen versuchte, sprach für seine Verzweiflung. Aber woher rührte sie? Was hatte ich je getan, um seinen Hass zu verdienen?
An diesem Tag war ich nicht der Stumme. Ich war das Arschloch schlechthin und suhlte mich genüsslich in dieser Rolle. Nicht einmal Vicious konnte mich zur Vernunft bringen. Ich brüllte Rina an, weil sie mir zum Mittagessen das falsche Sandwich brachte – wieso, verflucht, konnte sie sich das nicht merken, obwohl sie schon sechs Monate für mich arbeitete? –, und ich feuerte eine Praktikantin, weil sie versehentlich dem verkehrten Klienten einen Vertrag zur Unterzeichnung geschickt hatte. Ich warf sie auf der Stelle raus, ohne mir ihre Erklärung anzuhören oder ihr auch nur die Zeit zu geben, ihren Krempel zusammenzupacken. Anschließend patrouillierte ich über die Flure und bellte den Mitarbeitern wahllos unsinnige Befehle zu, aber auch das besänftigte meinen Zorn nicht.
Edie hielt sich noch immer bei ihrer Mutter in der Klinik auf. Sie hatte gesagt, dass sie eventuell im Büro vorbeikommen würde, nur um mich zu sehen, doch das war nicht geschehen.
Anfangs ärgerte ich mich darüber, bis ich die positive Seite daran erkannte: Ihre Abwesenheit gab mir die Gelegenheit, mir endlich ihren Scheißvater vorzuknöpfen.
Ich musste meine Karten klug ausspielen, anstatt einfach in sein Büro zu stürmen und ihm den Arsch aufzureißen. Darum wartete ich.
Um fünf Uhr hatten die Verwaltungsangestellten Dienstschluss.
Um sechs zogen die Broker nach.
Um halb sieben trafen Jaime, Vicious und Dean im Gang vor unseren einander gegenüberliegenden Büros zusammen.
Vicious klopfte zweimal an meine offene Tür und steckte den Kopf ins Zimmer. »He, Sackgesicht, kommst du jetzt, oder was?«
»Ich hab noch zu tun.« Ich wies mit dem Kinn auf meinen Computer. Vicious konnte aus seiner Position nicht sehen, dass er nicht eingeschaltet war, aber er hatte ein feines Gespür dafür, wenn jemand ihm etwas vorgaukelte.
Er zog vielsagend eine Augenbraue hoch. »Falls du vorhast, Van Der Zee umzubringen, bitte berücksichtige dabei, dass ich nicht als Strafverteidiger praktiziere und dich folglich vor Gericht nicht werde vertreten können. Aber solltest du Hilfe dabei brauchen, die Leiche zu entsorgen, kannst du auf mich zählen.«
»Wie großherzig von dir«, kommentierte ich trocken.
Er zuckte mit den Schultern, schlug mit der Hand auf die Eichentür und wandte sich ab. »Nicht der Rede wert, Rexroth.«
Sechs Uhr dreißig.
Sechs Uhr fünfunddreißig.
Sechs Uhr fünfundvierzig.
Um sieben rückte die Reinigungsmannschaft an. Mich hinter meinen Computer duckend – was hatten diese Van Der Zees nur an sich, das den Stalker in mir zum Vorschein brachte? –, beobachtete ich, wie sie zum anderen Ende der Etage marschierte. Ich stand auf und schlenderte zielstrebig zu dem Eckbüro, das an mein Zimmer grenzte. Es war der größte und luxuriöseste Raum im ganzen Gebäude und der Arbeitsplatz des Mannes, der Edie und ihrem Bruder furchtbar übel mitspielte und das auch mit mir vorhatte. Ich nahm an, dass er wie gewöhnlich an seinem Computer sitzen und auf die Tastatur einhacken würde, aber das Büro war verwaist. Ich konnte mir das nicht erklären. Jordan machte kaum jemals vor zwanzig Uhr Feierabend. Die Arbeit – das Geldverdienen – war sein ganzer Lebensinhalt. Ich blickte mich um und bekam gerade noch mit, wie er in den Aufzug stieg.
Und da begriff ich: Jordan war mir bereits einen Schritt voraus.
Er hatte geahnt, dass ich ihn mir zur Brust nehmen würde, und sich aus dem Staub gemacht, bevor ich die Chance dazu bekam. Aber da hatte er sich verrechnet.
Ich hechtete zur Fluchttreppe und stürmte sie hinunter, indem ich zwei Stufen auf einmal nahm. Es war so gut wie sicher, dass ich vor ihm auf dem Parkdeck eintreffen würde. Der Aufzug hielt auf jeder verflixten Etage, weil die Leute in der Buchhaltung und der Personalabteilung länger blieben als die faulen Säcke im fünfzehnten Stock.
Ein dünner Schweißfilm bedeckte meine Haut, als ich unten ankam. Seelenruhig ging ich zu seinem schwarzen Range Rover, lehnte mich gegen die Fahrertür, vergrub die Hände in den Hosentaschen und wartete. Mein Herz klopfte nicht so stark, wie man hätte denken können.
Die Fahrstuhltür ging auf, und seine verkniffene Miene wich einem Ausdruck von Fassungslosigkeit. Bevor ich auflachen konnte, bekam er sich wieder in den Griff.
»Versuchen Sie etwa, mir aus dem Weg zu gehen, Jordi? Keine Sorge, ich bin nicht hinter Ihnen her.« Ich bedachte ihn mit einem gewinnenden Lächeln. Er machte einen Schritt zurück und streckte schon die Hand nach dem Bedientableau aus, als ich kopfschüttelnd mit der Zunge schnalzte und meinen Blick fest mit seinem verschränkte.
»Kommen Sie zur Einsicht, Van Der Zee. Ich werde nicht verschwinden, nur weil Sie mich ignorieren. Im Gegenteil, es macht mich nur umso wütender.«
Er lockerte seinen roten Seidenschlips und trat widerwillig aus dem Lift. Als wollten sie ihn verhöhnen, glitten die Türen hinter ihm zu, und wir waren allein. Uns trennten etwa sieben Meter, doch das machte die Situation nicht weniger unbehaglich. Jedenfalls für ihn.
»Was haben Sie vor? Wollen Sie mich verprügeln? Mich umbringen?« Er hob den Kopf, und seine Augen spien mir Hass entgegen. Angst war ein Feind aus früheren Tagen. Heute ließ ich ihr in meinem Leben keinen Raum mehr. Mit Ausnahme von mir und meinen drei Freunden erstarrte praktisch jeder auf der fünfzehnten Etage vor Furcht, sobald Jordan das Wort an ihn richtete. Seine Selbstgefälligkeit amüsierte mich insgeheim.
»Nur, weil ich nicht die gleiche kränklich blasse Hautfarbe habe wie Sie, bin ich no
ch lange kein Schläger«, spottete ich.
Er kam auf mich zu. »Sie haben in Ihrem Leben einige fragwürdige Entscheidungen getroffen, die darauf hindeuten, dass Selbstbeherrschung nicht zu Ihren Stärken zählt«, hielt er dagegen und blieb so dicht vor mir stehen, dass es ziemlich riskant für ihn war, solchen Schrott von sich zu geben.
»Wovon zur Hölle reden Sie?«
»Von der Situation Ihrer Tochter«, antwortete er.
Ich legte die Hand vor den Mund, um mein Grinsen zu verbergen. »Ich habe mich in meiner beruflichen Laufbahn ausnahmslos professionell verhalten. Was immer in meinem Privatleben geschieht, ist meine Angelegenheit, nicht Ihre.«
»Das private Verhalten spiegelt sich immer im beruflichen Gebaren wider.« Jordan richtete sich auf, bis sein Rücken kerzengerade war.
Ich stieß mich von seinem Wagen ab. »In dieses Wespennest sollten Sie besser nicht stechen, Jordi. Sie sind alles andere als ein Heiliger, und Ihre Sünden beschränken sich nicht darauf, zur falschen Zeit die falsche Frau gevögelt zu haben.«
Dabei beließ ich es, ohne zu erwähnen, dass Edie sich mir anvertraut hatte – ich würde ihre Geheimnisse niemals verraten –, gleichzeitig teilte ich ihm durch die Blume mit, dass nicht nur er Erkundigungen über mich eingezogen hatte, sondern auch vice versa.
»Also, was haben Sie für ein Problem mit mir?«, fragte ich geradeheraus. Unser Blickkontakt riss keine Sekunde ab, es war ein unerbittlicher Wettstreit. »Wieso wollen Sie mich um jeden Preis aus der Firma schassen?«
Jordan überraschte mich, indem er noch einen Schritt näher trat, sodass kaum noch eine Hand zwischen uns gepasst hätte. Unsere Schuh- und unsere Nasenspitzen berührten sich fast, so dicht war mir noch nicht einmal einer meiner Freunde je auf die Pelle gerückt.
Ein hinterhältiges Lächeln breitete sich über sein verwittertes Gesicht. »Das werden Sie noch früh genug herausfinden. Sagen Sie, Trent, haben Sie schon eine Strategie, wie Sie mich loswerden wollen?«
Ich entgegnete nichts. Dafür bestand kein Grund. Er kannte die Antwort. Andernfalls wäre er nicht so versessen auf meinen Speicherstick. Es war kein Zufall, dass er überhaupt davon wusste. Geheime Informationen, von denen ich wollte, dass sie verbreitet wurden, gab ich immer an Menschen weiter, denen ich nicht über den Weg traute. Max, sein persönlicher Assistent, hatte sich als der perfekte Kandidat entpuppt. Wir hatten auf der Geburtstagsparty einer Mitarbeiterin der Personalabteilung zusammen ein paar Drinks gekippt, bevor ich ihm gegenüber den USB-Stick erwähnte, in dem Wissen, dass ich Jordan damit folgende Botschaft übermittelte: Sehen Sie sich vor. Sie sind nicht der Einzige, der ein Ass im Ärmel hat.
»Weil ich nämlich definitiv einen Plan habe, um mich Ihrer zu entledigen, Rexroth. Und ich werde Sie schmerzhaft überall dort treffen, wo Sie mich getroffen haben.«
»Was zum Henker soll das heißen?«
»Das werden Sie schon noch erfahren.«
Ich setzte ein selbstbewusstes Grinsen auf und ließ diesen Schwachsinn unbeantwortet. Seine nebulöse Andeutung passte eher zu einem hormongesteuerten Teenie. Er hatte ganz offensichtlich ein Problem mit mir. Aber anstatt mit der Sprache herauszurücken, tänzelte er wie eine Memme darum herum.
»Der Fehdehandschuh ist geworfen, alter Mann.« Süffisant lächelnd öffnete ich ihm wie ein pflichtbewusster Lakai die Fahrertür, und er stieg irritiert und mit misstrauischer Miene ein. Ich klopfte ans Fenster und zwinkerte ihm zu. »Möge der Bessere gewinnen.«
»Was glauben Sie, gegen mich in der Hand zu haben, das Ihnen dieses übersteigerte Selbstvertrauen einflößt, Rexroth?«
»So funktioniert dieses Spiel nicht, Van Der Zee. Der Überraschungseffekt ist der halbe Spaß. Fahren Sie vorsichtig.« Denselben Rat hatte ich seiner Tochter bei unserer ersten Begegnung gegeben. Nur dass er in seinem Fall nicht ernst gemeint war. Ich kehrte zum Aufzug zurück.
An diesem Abend rief ich Edie an und fragte sie, ob sie tags darauf zur Arbeit erscheinen werde. Sie sagte Ja.
Am nächsten Morgen legte ich meinen USB-Stick gut sichtbar auf meinen Schreibtisch, dann verließ ich mein Büro, ohne die Tür zu schließen.
»Ich nehme mir den Rest des Tages frei«, informierte ich Rina beim Hinausgehen und lud einen Stapel Dokumente auf ihrem Schreibtisch ab. »Mein Büro ist unverschlossen. Miss Van Der Zee, Dean, Vicious und Jaime ist der Zutritt erlaubt, allen anderen nicht.«
Es war ein Köder, und ich hoffte inständig, dass meine Beute ihn nicht schlucken würde.
In Wahrheit brachte ich meine Existenz in Gefahr, um die ihre zu retten.
Ich wusste selbst nicht, warum ich das tat. Wieso ich die Zukunft meiner Tochter und meine eigene für dieses Mädchen aufs Spiel setzte. Doch mein Entschluss stand unwiderruflich fest. Sie brauchte diesen Stick, darum gab ich ihn ihr.
An diesem Abend kam Edie nach der Arbeit zu mir nach Hause. Sie bereitete für Luna Spaghetti und Hotdogs zu, und ich ließ sie das ungesunde Zeug essen. In dieser Nacht hatten wir harten Sex. Am Morgen danach zärtlichen.
Weder erwähnte ich meinen Zusammenstoß mit ihrem Vater noch den Speicherstick, den ich auf meinem Schreibtisch zurückgelassen hatte. Sie ebenso wenig.
Wir fuhren getrennt zur Arbeit, wo ich natürlich als Erster eintraf, weil sie immer stundenlang duschte.
Ich hatte einen Kloß im Hals, als ich mein Büro betrat. Dann schluckte ich ihn runter.
Der USB-Stick war verschwunden.
KAPITEL 27
EDIE
Sowie Trent die Wohnung zusammen mit Luna und Camila verließ – heute war Dienstag, darum würden sie ihn in die Firma begleiten –, stürzte ich ins Badezimmer und übergab mich.
Mir war schwindlig, weiße Flecken tanzten vor meinen Augen und raubten mir die Sicht. Ich hielt mich an der Klobrille fest und stand auf, dann schleppte ich mich wie ein alter Hund zum Waschbecken. Ich wusch mir die Hände und das Gesicht, dabei vermied ich es tunlichst, in den Spiegel zu gucken. Mir wäre von meinem Anblick erneut übel geworden.
Verräterin. Betrügerin. Judas. Falsche Schlange. Miststück.
Ich musste mich an den Wänden abstützen, als ich den Flur hinuntertorkelte. Melodramatisch, ich weiß, aber ich konnte das Gefühl, als bräche die Welt über mir zusammen und zermalmte mich zu Staub, einfach nicht abschütteln. Keine Ahnung, wie ich die vergangenen vierundzwanzig Stunden überstanden hatte.
Als ich gestern in seinem Penthouse eingetroffen war, war Camila nicht da gewesen. Trent hatte ihr gesagt, dass sie diese Nacht nicht gebraucht werde, und sie heimgeschickt. Wie auf Autopilot geschaltet, hatte ich für Luna gekocht, mich dabei zweimal am Herd verbrannt und mehrfach ins Bad geflüchtet, um mir Wasser ins Gesicht zu spritzen und tief durchzuatmen.
Das Essen war okay gewesen. Ich hatte das Schweigen überbrückt, indem ich Luna mehr über das Wellenreiten und Dinge über Seepferdchen, die ich mir neu angelesen hatte, erzählte. Und von meinem Bruder und meiner Hoffnung, ihn eines Tages mit an den Strand nehmen zu können. Sie erweckte den Anschein, als könnte sie meine Gefühle nachempfinden.
Nachts war ich zu ihm ins Bett gekrabbelt und hatte mir genommen, worauf ich keinen Anspruch mehr hatte. Seine Küsse, seine Zärtlichkeiten, seinen Körper, verschlungen mit meinem. Seine Wärme, die Liebkosungen seiner Zunge, die Stöße seiner Lenden. Ich stahl seine Lust, weil sie nicht länger mir gehörte. Ich genoss den wohlverdienten Schmerz und die unverdiente Wonne. Am Morgen bat ich um eine Wiederholung, weil ich wusste, dass am Nachmittag – wenn ich meinem Vater den Stick aushändigte – zwischen uns alles vorbei wäre.
»Dieses Mal möchte ich es langsam angehen lassen.« Ich wand mich unter ihm, meinem dunklen Ritter mit der ramponierten Rüstung, der mir erlaubt hatte, mich in die Risse zu mogeln und in ihnen einzunisten, obwohl er wusste, was ich war. Ein trojanisches Pferd.
»Wieso langsam?«
»Damit ich es in Erinnerung behalte.«
»Aus welchem Grund könntest du es vergessen?«
Stille. Trent küsste die Tränen von me
inem Gesicht, er kannte die unausgesprochene Wahrheit und wollte sie doch nicht glauben. Zweifellos hatte er für mich dieses Opfer gebracht und zugelassen, dass ich ihn verriet. Ohne mit der Wimper zu zucken, ohne Zögern, ohne auch nur darüber nachzudenken.
Er bewegte sich auf mir, als wäre ich eine Welle, er füllte meinen Leib aus, mein Herz, meine Seele, streichelte meine Wangen, küsste meine Lider. »Mein Mädchen, mein unwiderstehliches Verlangen, meine Tide.«
Es klang nach einem Abschied, und ich klammerte mich weinend an ihm fest wie an einer Rettungsleine. Trent wusste Bescheid, und um sechs Uhr morgens – eine halbe Stunde, bevor Luna aufwachte – hatten wir getan, was einem Liebesakt am nächsten kam, wohl wissend, dass diese Liebe bis zum Ende dieses Tages in Hass umschlagen würde.
Jordans Bürotür stand offen.
Das machte es umso endgültiger. Ginge ich daran vorbei, würde er mich zu sich zitieren und mich nach dem USB-Stick fragen. Ich würde ihn übergeben müssen, danach wäre alles Geschichte.
Luna.
Trent.
Seepferdchen.
Tide.
Das Meer war stürmisch an diesem Tag. Bane hatte mir morgens um halb sieben, als Trent gerade unter der Dusche stand, eine Nachricht geschickt.
Brauchst gar nicht erst herkommen. Schwarze Fahne.
Er wusste nicht, dass ich besagte Fahne sehen konnte, von Trents Schlafzimmerfenster aus, wo ich mit nacktem Hintern stand und die Handfläche an die Scheibe presste. Die Wellen tosten, der Wind heulte. Es war ein äußerst ungewöhnliches Wetter für August in Kalifornien, aber mich als Surferin überraschte es nicht.
Der Ozean wusste Bescheid.
In der Firma war ich im Empfangsbereich herumgelungert und hatte es hinausgezögert, am Büro meines Vaters vorbeizugehen und mich an meinen Schreibtisch zu setzen. Um elf gab es dann keinen Aufschub mehr. Ich kochte gerade die zwölfte Kanne Kaffee – keine Ahnung, für wen –, als Max auftauchte und sich mit der Schulter gegen die Tür lehnte. Er sah aus wie ein Wiesel im Anzug und stank nach einem Desinfektionsmittel mit Kiefernduft. Er roch immer, als hätte er in Aftershave gebadet.